Philosophisch-meditative Sonaten

NEOS, 11805-07; EAN: 4 260063 118050

„Hommage à Horațiu Rădulescu“ beinhaltet auf drei CDs das gesamte Klavierwerk des rumänisch-französischen Komponisten, gespielt von Ortwin Stürmer. Wir hören das Klavierkonzert „The Quest“ op. 90, die sechs Klaviersonaten opp. 5, 82, 86, 92, 106, 110 und die frühe Omaggio a Domenico Scarlatti op. 2. In „The Quest“ wird Stürmer unterstützt vom Frankfurt Radio Symphony Orchestra unter Lothar Zagrosek.

Der in Bukarest geborene und später nach Frankreich gezogene Komponist Horațiu Rădulescu gilt als einer der Erfinder des Spektralismus‘ in der Musik. Bereits zu Studienzeiten interessierte er sich dafür, einzelne Klänge aufzuspalten und die darin enthaltenen Mikrokosmen zu erforschen. Um dies zu bewerkstelligen, wendete Horațiu Rădulescu sich bald von herkömmlichen Temperierungen und Notationssystemen ab, differenzierte dynamische Abstufungen weiter aus und versuchte, neuartige Klangfärbungen zu realisieren. Der Komponist basierte viele Stücke rein auf bestimmte Obertöne eines einzelnen Tons, kombinierte sie und ließ teils sogar die Instrumente nach ihnen stimmen.

Die Musik Horațiu Rădulescus ist nicht zuletzt philosophischer Natur mit gewissen theosophischen Grundlagen. Entsprechungen seiner Vorstellung fand der Komponist in den Aphorismen des Tao Te Ching, das Lao tzu zugeschrieben wird. Diese Lehre, aus der unter anderem die Grundlagen von Yin und Yang sowie die des Qigong hervorgehen, setzt das Weiche über das Harte und Starre, das Leichte vor das Schwere. Viele seiner Werke überschrieb Horațiu Rădulescu mit einem Zitat aus dem Tao Te Ching und versuchte, ihren philosophischen Gedanken in die Musik zu übertragen.

Zur Bekanntheit von Horațiu Rădulescu trugen wesentlich die lobenden Worte von Olivier Messiaen bei, die ihn als einen der kreativsten Komponisten der jüngeren Generation preisten. Als Musiker setzte sich der Pianist Ortwin Stürmer für die Verbreitung seiner Musik ein. Die beiden lernten sich 1990 kennen und Stürmer regte Rădulescu dazu an, seine zweite bis vierte Klaviersonate sowie das Klavierkonzert „The Quest“ zu komponieren.

Auf drei CDs spielte Ortwin Stürmer nun das gesamte Oeuvre für Klavier von Horațiu Rădulescu ein, welches aus dem Klavierkonzert „The Quest“ op. 90, sechs Klaviersonaten opp. 5, 82, 86, 92, 106, 110 und der frühen Omaggio a Domenico Scarlatti op. 2 besteht. Im Klavierkonzert bekommt Stürmer Unterstützung durch das Frankfurt Radio Symphony Orchestra unter Lothar Zagrosek.

Wir hören eine Musik von größter Ruhe und Meditation, die schlichte Motive und in den späten Werken auch rumänische Volksweisen durchexerziert. Sie werden in ihre elementaren Bausteine zersetzt und jeder davon nach Möglichkeit noch weiter aufgespaltet, minutiös erforscht und wieder zusammengebaut. Von den mathematischen Überlegungen in Horațiu Rădulescus Systemen bekommt der Hörer nichts mit, dafür umso mehr von den philosophischen Anhaltspunkten, die sich durch die langwierige Entwicklung nicht offenkundig aufdrängen, sondern allmählich ins Bewusstsein rücken. Klanglich setzt sich die Musik deutlich von den Avantgardisten der Zeit ab, evoziert eher Parallelen zu den Klangwelten derjenigen, die heute als frühe Postserialisten eingeordnet werden; so wie beispielsweise Einojuhani Rautavaara, wenngleich in dessen Musik die Entwicklung deutlich voranschreitet, während sich bei Rădulescu vor allem meditative Zustände einstellen. Ortwin Stürmer nimmt die Klaviermusik des Rumänen mit größter Sorgfalt und Ruhe, lässt den Keimzellen Zeit, sich zu entwickeln. Die enge Verbindung zwischen Pianisten und Komponisten wird bis hin zum philosophischen Aspekt spürbar. In allen Dynamikbereichen schattiert Stürmer minutiös sorgfältig ab und gibt gleichzeitig Einblick in die verschiedenen Ebenen, die parallel in der Musik ablaufen. Mit seiner Einstellung steckt Stürmer auch das Frankfurt Radio Symphony Orchestra unter Lothar Zagrosek an, das zwar nicht das tiefe Verständnis und die Intensivität des Pianisten vorweisen kann, sich aber doch mit allen Mitteln bemüht, der Musik ihren Reiz zu entlocken und sich in der gegebenen Probenzeit den Anforderungen dieses eigenwilligen Konzerts zu stellen.

[Oliver Fraenzke, April 2019]

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