Archiv für den Monat: März 2016

Lieder der Hoffnung

Linn Records, AKD 530; EAN: 6 91062 05302 0

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„Shelter From The Storm. Songs Of Hope For Troubled Times” lautet der Titel des neuen Albums von Barb Jungr. Zusammen mit dem Jazzpianisten Laurence Hobgood, dem Kontrabassisten Michael Olatuja und dem Perkussionisten Wilson Torres performt sie Songs von Richard Rodgers, Oscar Hammerstein II, Bob Dylan, Leonard Cohen, Stephen Sondheim, Leonard Bernstein, Joni Mitchell, Peter Gabriel und David Bowie sowie Eigenkompositionen in Kollaboration mit Hobgood.

Die Stimme von Barb Jungr ist wie ein Chamäleon in der Musik und schmiegt sich jedem nur erdenklichen Stil an, so macht die als Chanson-Sängerin bekannte Musikerin Cabaret ebenso wie Blues und Soul und ist geschätzt für ihre Coverversionen von Popgrößen wie Bob Dylan oder Leonard Cohen. Auch mit ihren mittlerweile immerhin schon über 60 Jahren hat sie nichts von ihrer vollen, kräftigen und geschmeidigen Stimmkraft, an voluminösem Klang eingebüßt. Und auf „Shelter From The Storm“ beweist sie einmal wieder, welch ungeheuere Anpassungsfähigkeit ihre Stimme hat, sowohl was die verschiedensten Stile in den aufgenommenen Songs betrifft als auch in Bezug auf die Musiker – dieses Mal spielt sie ausschließlich mit in Amerika lebenden Jazzmusikern. Erstaunlich ist jedes Mal aufs Neue ihre nuancenreiche Gestaltung des Vibratos, das zu keiner Zeit mechanisch eingesetzt wird – mal tritt es nur ganz spärlich in Erscheinung, mal trägt es den Ton mit großem Ambitus direkt zum Hörer. Durch genaueste Abstimmung zur zu erzielenden Wirkung wirkt es hier als ausgesprochen mächtiges und sinnvolles Stilmittel.

Bereits im Titel als Feature angegeben ist der vielseitig begabte Jazzpianist Laurence Hobgood, ein preisgekrönter Virtuose mit äußerst differenziertem Spiel und einem progressiven, nicht in Routine verfallen wollenden Touch, der seinen Klavierstimmen immer wieder eine neue Frische verleiht. Hier am Klavier und am elektronischen Keyboard (sowie beim Pfeifen) zu hören, verleiht er den Songs einen harmonisch interessanten und vielschichtigen Instrumentalpart, der den melodischen Höhenflügen Jungrs zu folgen weiß, selber eigenständig aktiv bleibt und sich weder zu sehr in den Vordergrund drängt noch im Hintergrund verschwindet. Die erst seit kurzer Zeit bestehende Zusammenarbeit der beiden trägt jetzt schon erstaunliche Früchte und es klingt, als würden sie bereits wesentlich länger gemeinsam wirken.

Leider nur auf der CD-Innenseite genannt, aber dennoch nicht weniger bedeutsam sind Michael Olatuja am Bass und Wilson Torres am Schlagwerk. Olatuja ist zwar in der Gesamtwirkung eher im Hintergrund zu hören, doch ist sein präzises Pizzicato eine unerlässliche Stütze für die Liedkonstrukte und agiert auch in der tiefen Lage als abwechslungsreiche Stimme. Torres hat einen gewaltigen Apparat an Schlagwerk aufgetischt und kann bereits mit wenigen Klängen eine ganz eigene Atmosphäre schaffen, über der sich die übrigen Instrumente sowie die Stimme erst entfalten können. Er hat einen rhythmisch extrem genauen Groove und beherrscht auch ein zurückgehaltenes Entstehenlassen des Fundaments.

Die Songs sind allesamt in einem mittleren Tempo genommen und von fein zurückhaltendem Charakter. Kein Lied treibt sonderlich in Überschwang nach vorne, ebenso ist keines von übermäßiger Melancholie oder Niedergeschlagenheit. So versucht Barb Jungr, die Hoffnung – For Troubled Times – durch eine edle und gemessene Musik zu erreichen. Ob dieses Konzept nun auf jeden Hörer individuell wirken mag, zumindest mit ihrer Stimme kann sie doch Hoffnung und Freude verbreiten, ihr Klang schützt auch vor dem stärksten Sturm.

[Oliver Fraenzke, März 2016]

Prokofieff „am Stück“

Sergej Prokofieff
Sämtliche Ballette
The Moscow Radio Symphony Orchestra
The USSR Ministry of Culture Symphony Orchestra
The Symphony Orchestra of the Bolshoi Theatre
Gennadij Roschdestwenskij
Label: Melodiya
Art.-Nr.: MELCD1002430, EAN: 4600317124305

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Roschdestwenskijs geniale Gesamteinspielung aller Prokofieff-Ballette: Teuer, aber auch endlich mal „am Stück“.
Die russische Firma Melodiya war zwischen der Gründung des Staatsunternehmens in den 1960er-Jahren bis in die frühen 1990er-Jahre praktisch das Monopolunternehmen für Schallplattenherstellung und -verkauf in der Sowjetunion. Zu den Hochphasen des Labels soll die Firma sagenhafte 120.000 Mitarbeiter gehabt haben, und das dürfte wohl ein einsamer Weltrekord gewesen sein: Selbst mit viel Fantasie kann man sich nicht vorstellen, dass westliche, global operierende Unterhaltungskonzerne wie Universal Music, EMI, Warner Brothers, BMG, Sony oder Naxos jemals in ihrer Firmengeschichte es auch nur annähernd auf eine so hohe Mitarbeiterzahl gebracht haben.

Jedoch lag in diesem großen Mitarbeiterpool auch das größte Problem der Firma. Denn als nach der politischen Wende die Privatisierung in Russland natürlich auch im Schallplattenbereich Einzug hielt, wurde schnell klar, dass sich dieser riesige Apparat nicht wirtschaftlich weiterbetreiben lassen würde. Und so ist das, was heute noch von Melodiya übrig geblieben ist, ein kleines Büro in Moskau mit zwei Handvoll Spezialisten, die nun aus einem unglaublichen Fundus an Aufnahmen aus der glorreichen Vergangenheit des Labels schöpfen können.

Neuester Coup des Melodya-Labels ist eine wunderschön ausgestattete Box mit der Gesamteinspielung aller vollendeten Ballettmusiken Sergej Prokofieffs unter der Gesamtleitung Gennadij Roschdestwenskijs. Dieser dirigierte die Kollektion in einem langen Zeitraum, nämlich zwischen 1959 bis 1990. Vielleicht ist das der Grund, warum diese herrliche Gesamteinspielung bislang noch nie “am Stück“ (also in einer Gesamtausgabe) erschienen ist, sondern bislang nur in LP-oder CD-Einzelausgaben. Zum einen lagen bislang noch nicht alle Einspielungen aus diesem Zyklus digitalisiert vor und waren damit für CD verfügbar, und zum anderen waren sie, wenn sie in den 1990er-Jahren vereinzelt doch auf CD erschienen, zumeist in Windeseile wieder vergriffen.

Diese neu editierte Box dürfte demnach ein wertvolles Objekt für Sammler sein, die schon lange nach diesen hervorragenden Aufnahmen suchen, denn, dass diese Aufnahmen hervorragend sind, darüber brauchen wir nicht erst große Reden halten. Roschdestwenskij war damals einer der allerbesten Dirigenten (nicht nur im Hinblick auf Russland) und hat mit den von ihm geleiteten Orchestern immer wieder hervorragende Arbeit geleistet. Erst im letzten Jahr ist sein ungewöhnlicher Vaughan Williams-Sinfonienzyklus, den er in den 1980er-Jahren für den russischen Rundfunk eingespielt hatte mit dem renommierten International Classical Music Award (ICMA) ausgezeichnet worden. Ebenfalls in den 1980er-Jahren trumpfte Roschdestwenskij mit einem großartigen Schostakowitsch-Zyklus bei Melodiya auf, der es auch „im Westen“ in viele Referenzlisten schaffte. Nun ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass endlich auch diese hervorragende Prokofieff-Gesamtaufnahme in ähnlicher Weise gewürdigt wird.

Denn mal ehrlich: wer kennt hierzulande die Ballette Prokofieffs wirklich? Wer kennt etwa das Ballett „Auf dem Dnjepr“, wer kennt „Das Märchen von der steinernen Blume“, wer kennt “Der Narr“, wer kennt „der stählerne Schritt“? Sicher, von „L’enfant prodigue“ („Der verlorene Sohn“) hat man wenigstens schon mal etwas gehört, wenn auch die Konzertsuite daraus deutlich vertrauter ist als das komplette Ballett, das es hier zu hören gibt. Und dann blieben da noch die beiden „Kassenschlager“ „Romeo und Julia“ und „Aschenbrödel“. Sie beide haben es streng genommen als einzige Ballette Prokofieffs auch im Westen in den Rang von Repertoireklassikern geschafft.

Das heißt aber nicht, dass die anderen Ballette Pokerface weniger wertvolle Kompositionen wären. Ganz im Gegenteil: es ist absolut frappierend, was für großartige Musik dieses Set bereithält. Selbst die Aufnahmequalität ist für Melodiya-Verhältnisse sogar bei den alten Aufnahmen aus den späten 1950er-Jahren ausgezeichnet (dies natürlich stets in Relation betrachtet zum Aufnahmezeitpunkt). Doch auch die Deutsche Grammophon hat in den 1950er-/1960er-Jahren keine besser klingenden Aufnahmen vorgelegt.

Ausstattungsmäßig kommt die Box wertig daher, in stabilem Karton mit Coverdekoration in UV-Lack, und mit überraschend modern gestalteten Digipaks für die einzelnen CDs. Außerdem mit einem stabilen Hardcover-Buch als Booklet. Die Einführungstexte, die Melodiya zu diesen Werken bietet, sind geradezu luxuriös ausführlich (wenn auch nur in englischer und russischer Sprache abgedruckt), zudem entschädigen enorm viele, zum Teil hochinteressante und in sehr guter Druckqualität wiedergegebe Fotos von den Uraufführungsausstattungen der in der Box enthaltenen Ballette für einen reichlich bemessenen Kaufpreis.

Diese Box ist nämlich nicht nur für Prokofieffsammler eine echte Schatztruhe, sondern auch für das Label selbst. Sicher wird man erst einmal schlucken, wenn man die rd. 120 Euro auf den Ladentisch legen muss, die diese teure 9 CD-Box kostet. Aber nicht nur ist dies im Endeffekt ja eine Anschaffung fürs Leben, sondern durch die limitierte Auflage dieser Box (wenn auch nicht nummeriert) ist es wahrscheinlich, dass sich auch diese Edition wieder zum Sammlerstück mausert, so, wie es schon vielen anderen Melodiya-Veröffentlichungen widerfahren ist.

[Grete Catus, März 2016]

Neue Welten

Warner Classics, LC 02822; EAN: 8 25646 13201 0

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Das gesamte Symphonieschaffen Antonín Leopold Dvořáks, seine Legenden und andere Orchesterwerke wie Auszüge aus den Slawischen Tänzen spielte der in Uruguay geborene und in New York lebende Komponist und Dirigent José Serebrier mit dem Bournemouth Symphony Orchestra auf sieben CDs ein. Die Box erschien bei Warner Classics.

Eines der meistgespielten und bekanntesten Werke der klassischen Musik ist die „Symphonie aus der neuen Welt“, die 9. Symphonie des böhmischen Komponisten Antonín Dvořák, ein jeder wird zumindest eine Auswahl ihrer Themen im Kopf haben und sie sofort wieder erkennen. Umso eigenartiger eigentlich, dass nur sie so zu Weltruhm kam. Neben dem überragenden Cellokonzert und dem Violinkonzert werden die Symphonien Nummer sieben und acht auch noch recht häufig gespielt, doch was ist mit deren sechs fantastischen Vorgängern, die in den Archiven verstauben? Bereits in der ersten Symphonie, „Die Glocken von Zlonice“ von 1865, ist der typische Dvořák-Stil unverkennbar und manifestiert sich in jedem weiteren seiner symphonischen Werke. Das ausgiebige Exzerzieren und Steigern von so prägnanten wie einprägsamen Themen darf als eines der zentralen Charakteristika von Dvořáks Musik angesehen werden und zieht sich von seinen frühen Kompositionen bis hin zu den fünf späten Tondichtungen, die nach den Symphonien entstanden sind. Obgleich der Komponist Anfangs wenig Glück mit der Symphonie zu haben schien – die erste galt als verschollen und wurde erst 1936 als Antiquariatsfundstück uraufgeführt, und auch die zweite war lange Zeit verloren –, schrieb er weiter und schenkte so der Welt noch sieben weitere Symphonien, jede für sich ein wahrhaft bedeutendes Werk.

Dieses bedeutsame Schaffen fiel nun in die Hände von José Serebrier, der sowohl als Dirigent wie auch als Komponist nicht zufällig einen großen Namen hat. In beiden Bereichen sind seine Leistungen auf einer großen Anzahl an CD-Veröffentlichungen für verschiedenste Labels belegt. Immer wieder spielt Serebrier auch unbekanntere Werke ein und schenkt uns somit Referenzaufnahmen in Vergessenheit geratenen Repertoires. Nach seiner letzten Warner-Box mit sämtlichen Symphonien und Konzerten von Alexander Glazunov 2012 lautete also das nächste große Projekt: Dvořák.

Auch hier gelangen einmal wieder absolute Referenzaufnahmen. José Serebrier entlockt dem Bournemouth Symphony Orchestra einen vielseitigen und farbenreichen Klang, es entsteht eine unvergleichlich dichte Struktur, und Serebrier besticht mit einem Gespür für lange Steigerungen bis hin zur unfassbar berstenden Spannung. Gerade auch Wiederholungen, die viel zu oft lediglich als simple und stur gleiche Abfolgen dargeboten werden, erhalten hier einen musikalischen Sinn und dienen dem Aufbau. So wird beispielsweise die Expositionswiederholung der Neunten ein wahres Erlebnis, aus dem vernebelten ersten Vortrag entsteht eine viel aufgeladenere und drängendere Wiederholung, welche unweigerlich auf den Höhepunkt in der Durchführung hinführt. Bei all dem legt der Dirigent zudem feinstes Rhythmusgefühl an den Tag, welches der Musik eine gewaltige Prägnanz verleiht. Unweigerlich wird ersichtlich, wie viele eigene Gedanken sich Serebrier über diese Musik gemacht, wie lange er mit seinem Orchester geprobt hat und wie frei er doch die Musik aus sich heraus entstehen lässt – nichts wirkt gekünstelt oder gewollt, alles erfüllt seinen eigenen musikalischen Zweck und entgleist zu keiner Zeit in falsche Übertreibungen. Auch der interessante Booklettext entstammt der Feder des Dirigenten und lässt den Leser wissenswerte Details über die Werke und im Falle der ersten Symphonie auch über die Korrekturen (sowie das lange Hadern mit den offensichtlichen Fehlern) erfahren.

Doch ist kein Musiker etwas ohne sein Instrument und kein Dirigent ohne sein Orchester. Und auch das „Instrument“ von José Serebrier ist auf Hochglanz poliert und makellos rein. Das Bournemouth Symphony Orchestra brilliert durch technisch einwandfreie Leistung und außergewöhnliche musikalische Darstellungsgabe. Sämtliche Soli passen sich in den Gesamtklang ein und sind frei von mechanischem Vibrato oder Eigenzurschaustellung. Mir persönlich besonders im Kopf geblieben sind die herrlichen Solopassagen der großen Flöte, die so unberührt rau und hauchig ertönten, dass direkt das Schwingen des Materials Kern des Klanges zu sein schien.

Einmal wieder gelingt es José Serebrier, mit einer Gesamtaufnahme vollkommen zu begeistern. Mit jugendlicher Frische und gereifter Auffassungsgabe gelingt es ihm, den Symphonien eine unverbrauchte Vitalität in größter Natürlichkeit zurückzugeben – eine absolut uneingeschränkte Empfehlung wert!

[Oliver Fraenzke, März 2016]

Im Reich des feisten Ritters

Ralph Vaughan Williams
„Fat Knight“-Suite, Henry V Overture, Serenade to Music (Orchesterversion)
Label: Dutton Epoch
EAN: 76538773282
Art.-Nr.: CDLX7328

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Bis etwa 2007 waren die frühen Werke des Komponisten Ralph Vaughan Williams mit einem Bann belegt. Der Komponist hatte selbst verfügt, dass seine frühen Werke bis zur Norfolk Rhapsody No. 1 nicht veröffentlicht werden sollten. Zum Glück konnte er der Versuchung widerstehen, diese Kompositionen der Vernichtung preiszugeben. Wie wehmütig sind wir alle, dass etwa Komponisten wie Jean Sibelius oder Johannes Brahms, um nur einige Beispiele zu nennen, tatsächlich wohl ganze Werkbestände, mit denen sie nicht zufrieden waren, vernichtet haben. Unabhängig von der Qualität der untergegangenen Stücke, fehlt uns dadurch ein wertvoller Einblick in bestimmte Kompositionsphasen dieser Genies.

Kurz vor ihrem Tod hat Vaughan Williams zweite Ehefrau Ursula Vaughan Williams das Publikations- und Aufführungsverbot ihres Mannes aufgehoben. Seitdem gibt es CD-Veröffentlichung auf CD-Veröffentlichung, meist von den einschlägigen britischen Labels, die sich mit Vaughan Williams bislang vollkommen unbekanntem Frühwerk beschäftigten. Was da zutage kam, war sehr interessant, um die Entwicklung des Komponisten nachzuvollziehen, offenbarte aber keine überraschenden neuen Meisterwerke. Nun ist aber auch diese erste Welle von Veröffentlichungen vorüber, und die Labels machen sich offenbar Gedanken, wie sie die vielen Vaughan Williams-Fans weltweit mit weiteren, bislang unveröffentlichten Pretiosen beglücken können. Was da nahe liegt, sind offenbar Bearbeitungen.

Martin Yates hat sich in den letzten Jahren mit solchen Bearbeitungen immer wieder hervorgetan, sei es auf dem eigenen Label der Vaughan Williams Society (Albion Records), sei es bei anderen Labels wie etwa SOMM Recordings oder, wie hier, Dutton Epoch. Auf der neuesten Vaughan Williams-CD von Dutton überrascht uns eine Orchestersuite aus Vaughan Williams Oper „Sir John in Love“. Der Komponist hatte tatsächlich vor, diese Falstaff-Oper „Fat Knight“ zu nennen, wobei er jedoch wohl irgendwann einsah, dass dieser Titel mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Zuschauermassen in die Opernhäuser treiben würde.

„Sir John in Love“ klingt dann doch deutlich reizvoller. Nun hat Martin Yates eine Orchestersuite aus der Oper auf der Basis eines vom Komponisten angefertigten Klavierauszugs für vier Hände transkribiert. Somit steht uns nun eine ausgesprochen schöne Orchestersuite zur Verfügung, die es vorher noch nicht gab. Angereichert wird das Programm durch eine weitere Transkriptionen, nämlich die eigentlich für Blaskapelle geschriebene „Henry V“-Ouvertüre, sowie durch die orchestrale Version der eigentlich für 16 Gesangssolisten und Orchester geschriebene „Serenade to Music“.

Für Vaughan Williams-Fans, und diesmal nicht nur für die, ist das ein durchaus lohnendes, kurzweiliges Programm. Das ausführende Royal Scottish National Orchestra macht seine Sache wie immer recht gut, hat aber auch die von diesem Orchester bereits bekannten Probleme im Bereich der Blechbläser, die bei den Schotten in meinen Ohren keinen internationalen Spitzenstandard repräsentieren. Der Sound der Aufnahme entspricht dem üblichen guten aber routinierten Dutton-Standard. Auch wenn das Label neuerdings mit der Veröffentlichung auf SACD punkten will (was zweifellos durch den Mehrkanalaspekt ein Pluspunkt für Leute mit Surroundanlage sein mag), so ist der Aufnahmestandard bei Dutton nach wie vor meist nicht mehr als gute Tonmeister-Routine. Und so durfte sich hier diesmal Michael Ponder austoben, der zu den aus UK bekannten Freelancern gehört, die u.a. auch für DECCA, onyx oder Naxos die Mikrofone aufstellen.

Als Fazit könnte man ziehen, dass CDs wie diese unbestreitbar den Vorteil haben, dass sie neue Blickwinkel auf die Musik von Ralph Vaughan Williams eröffnen. Gravierender Nachteil der Vaughan Williams-Veröffentlichungen der letzten Jahre, die sich ja ganz überwiegend mit dem bislang unbekannten Frühwerk oder dem in irgendeiner Form abseitigeren Werk des Komponisten beschäftigt haben, sehe ich persönlich darin, dass sie zunehmend vom Hauptwerk ablenken.

So sei nochmals betont, dass Vaughan Williams am allerbesten über seine Sinfonien entdeckt werden sollte und über seine wunderbaren, leider sträflich vernachlässigten Instrumentalkonzerte. Auch seine durchaus interessanten Opern sollten ruhig stärker Zentrum des Interesses gerückt werden. So glücklich ich als eingeschworener Vaughan Williams Fan über jede Neuentdeckung bin, so muss ich doch sagen, dass sie nicht immer halten, was sie versprechen. Und das kann sogar etwas abträglich sein, wenn es darum geht, neue Anhänger für die Musik dieses großen britischen Komponisten zu begeistern. Und so ist doch diese neue Vaughan Williams-CD von Dutton letztendlich das, was der Brite wohl ein „Mixed Bag“ nennt.

[Grete Catus, März 2016]

Mehta macht Mozart – 3 Mal

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Drei Mal Wolfgang Amadeus Mozart gibt es am 22., 24. und 26. März 2016 in der Philharmonie im Gasteig. Zubin Mehta dirigiert die Münchner Philharmoniker und den Philharmonischen Chor München in der Serenade für 12 Bläser und Kontrabass B-Dur KV 361 „Gran Partita“, dem Requiem für Soli, Chor, Orgel und Orchester d-Moll KV 626 in der Fragmentfassung ohne die Vervollständigungen seiner Schüler Franz Xaver Süßmayr und Joseph Eybler sowie die Motette „Ave verum corpus“ KV 618. Der Chor ist von Andreas Herrmann einstudiert, die Solisten sind Mojca Erdmann, Okka von der Damerau, Michael Schade und Christof Fischesser.

Seit 2004 bereits darf sich Zubin Mehta als erster Ehrendirigent der Münchner Philharmoniker in deren über 120-jähriger Geschichte bezeichnen. Nun ist er wieder einmal bei „seinem“ Münchner Orchester und widmet drei Konzertabende voll und ganz Wolfgang Amadeus Mozart, der im Januar diesen Jahres 260 Jahre alt geworden wäre.

Ungewohnt leer ist die Bühne in der ersten Hälfte des Konzerts am 24. März, für welches ich, für The New Listener, eine Karte in den mittleren Rängen erworben habe. Das unausgefüllte Podium hängt allerdings nicht mit einer Krankheitswelle bei den Musikern zusammen, sondern mit der kammermusikalischen Besetzung des ersten Werks: Lediglich dreizehn Musiker verlangt die Serenade B-Dur KV 361 mit dem Titel „Gran Partita“. Die Philharmonie im Gasteig kommt der kleinen Aufstellung bedauernswerterweise überhaupt nicht entgegen, der Klang erscheint bereits in den Blöcken G, H, I und J – immerhin zur ersten und zweiten Preiskategorie gehörend – distanziert und fahl. Vermutlich haben die vorderen Blöcke, auch durch die tiefgestellten Klangsegel, eine annehmbarere Akustik, was allerdings auch auf Kosten der weiter hinten gelegenen Plätze geht. Zubin Mehta dirigiert Mozart mit kleinen und nur auf das Nötigste beschränkten Bewegungen, jegliche übermäßige Zutat ist ihm fremd. Das kommt dem Zusammenspiel und der Präzision seines Ensembles zugute, die Musiker wirken durchwegs aufeinander abgestimmt und erstaunlich synchron, was bei reiner Bläseraufstellung (plus dem hinzugefügten Kontrabass) alles andere als einfach ist. Alle Mitwirkenden können ihr enormes Können in den solistisch gesetzten Passagen unter Beweis stellen – mehr als einmal wird die Serenade in der Literatur als Konzert für dreizehn Solisten bezeichnet. Besonders in den leisen Passagen zeigen Bläser und Kontrabass einen enormen Reichtum an Klangschattierungen, doch gerade in den extrovertierten Momenten könnten sie etwas mehr aus sich herausgehen und bräuchten nicht in der Zurückhaltung zu verharren. Das beeinflusst nämlich nicht zuletzt den Farbenreichtum, der durch den Raum schließlich eh bereits gedämpft ist.

Nach der Pause füllt sich die Bühne, nun befinden sich ein für Mozart’sche Verhältnisse volles Orchester, ein Chor, ein Orgelpositiv und vier Gesangssolisten auf der Bühne. Im Rahmen dieser Konzerte wird das Fragment gebliebene Requiem KV 626 gespielt, das letzte Werk des großen Genies. Auf Geheiß seiner Witwe Constanze wurde das Werk zeitnah nach seinem Tod von seinen Schülern Franz Xaver Süßmayr und Joseph Eybler vervollständigt, sprich, das nur acht Takte umfassende Lacrimosa vollendet und Domine Jesu, Hostias, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei nach den verbleibenden Skizzen konstruiert. So konnte das Requiem dem anonym gebliebenen Besteller überbracht werden, um den sich nach wie vor Mythen ranken, etwa, er sei an dem Ableben Mozarts schuldig oder zumindest daran beteiligt. Die Solisten im Münchner Gasteig sind Mojca Erdmann, Okka von der Damerau, Michael Schade und Christof Fischesser, sie alle weisen ein gutes Gespür für die Musik auf und singen ihre Soli mit Bravour. Lediglich Erdmann und Fischesser haben ein zu stur mechanisches und durchgängiges Vibrato, das dosierter und feinfühliger eingesetzt hätte werden müssen, vor allem auch, um beim Zusammenwirken aller vier Solisten durch die große Amplitude entstehende mikrotonale Spannungen zu vermeiden. Eine besonders außergewöhnliche und ansprechende Stimme weist Michael Schade auf, dessen Tenor als markig und prägnant sogleich erfreut. Chor und Orchester sind hier spürbar in ihrem Element, sie veranstalten ein sprühendes Feuerwerk an Farben und Ausdruck. Zubin Mehta bringt eine feine und auch in dichter Polyphonie durchhörbare Linie zum Vorschein, die wichtigsten Stimmen sind linear mitverfolgbar. Er achtet minutiös auf den großen, die Sätze zusammenhaltenden Bogen und verliert dennoch nicht das Detail und das Gefühl für das Wechselspiel aus Spannung und Entspannung.

Welch eine unfassbare Wirkung entsteht, wenn das Lacrimosa nach lediglich acht Takten zerfällt, die Soprane noch ohne ihre Mitstreiter weitersingen, aber auch sie nach zwei Takten ersterben! Das Wissen, dass dies das abrupte Ende eines der größten Kapitel der Musikgeschichte darstellt, lässt einen schaudern – der Abbruch ist wie das Zufallen des Sargdeckels, ein so unumkehrbares wie unaufgelöstes Ende. Solch eine Wirkung ist ansonsten nur noch im letzten Contrapunctus von Johann Sebastian Bachs „Kunst der Fuge“ zu erleben, jenem unübertroffenen polyphonen Werk, das nach ungefähr zehnminütiger Spielzeit plötzlich mitten in der Ausführung ausgerechnet des B-A-C-H-Sujets abbricht …

Direkt im Anschluss gibt Mehta noch die kurze Motette Ave verum corpus, die doch noch ein versöhnliches Ende bringt und den Hörer nicht in der Unaufgelöstheit lässt. Dennoch bleibt dieses enorme Gefühl eines schicksalhaften Endes bestehen und wird den Hörer auch noch aus dem Saal heraus begleiten. Nicht zuletzt, da Mehta das Requiem vor der Aufführung all jenen gewidmet hat, die auf der Welt leiden und hungern müssen, und dafür auf den Applaus verzichtet. Ohne das wohl verdiente „Brot des Künstlers“ verlässt er die Bühne, der Hörer verbleibt – überwältigt von dieser Musik.

[Oliver Fraenzke, März 2016]

Theorien und hohle Felsen

hohler fels
new works for flute

Karin de Fleyt, Flöten

Peter Mercks, Klarinetten und Bassklarinette
Jakob Fichert, Klavier
RNCM Wind Orchestra, Mark Heron

Rolf Gehlhaar *1943
Grand Unified Theory of Everything
for piano, bass & alto flute and bass &alto clarinet (15:59)

Christopher Fox *1955
stone, wind, rain, sun (10:43)

Paul Goodey *1965
Hohler Fels (37:39)
Concerto for bass flute, alto flute, C flute, piccolo and wind orchestra

Métier msv 28555
8 09730 85552 8

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Vom ersten Ton an schlägt mich die Musik von Rolf Gehlhaar in Bann, und das bleibt so bis zum letzten verklingenden Klavierakkord. Was da die drei Instrumente an Tönen, Klängen, Spannungen und Zusammenhängen entstehen lassen, ist magisch. Natürlich haben die verschiedenen Blas-Instrumente , die Bass- und die Alt-Flöte, die Bass- und die Alt-Klarinette neben den verschiedensten Klavierklängen daran größten Anteil, aber mitnehmend ist vor allem der musikalische Bogen, der entsteht vom ersten bis zum letzten Ton.

Rolf Gehlhaar, in Schlesien geboren und mit den Eltern und Geschwistern 1953 in die USA ausgewandert, war jahrelang als Assistent bei Karlheinz Stockhausen tätig. Er selbst schreibt im – leider nur englischsprachigen Booklet – über die Inspiration und Idee zu dieser Komposition: „Es ist der musikalische Versuch, die endgültige Weltformel [so die Übersetzung für Grand Unified Theory] für eben alles und jedes zu finden oder wenigstens musikalisch zu kreieren. Wobei Gehlhaar betont, dass es lediglich „snapshots“ sein können, die ihn angeregt haben.

Leider gilt das gleiche Faszinosum für die beiden anderen Kompositionen nicht – wenigstens, was meine subjektive Wahrnehmung und Empfindung angeht. Ich finde 10 Minuten lange, wenngleich verstärkte, Klappen- und Atemgeräusche als „Musikstück“ einfach nur „boring“, wie der Engländer sagen würde. Und Effekte jeglicher Art nützen sich ungeheuer schnell ab, wenn dahinter keine andere Idee steckt als einzig dem sinnlichen Reiz huldigendes scheinbar Neues oder Originelles, dann langweilt das nur.

Vom dritten Stück habe ich mir aufgrund der Enstehungsgeschichte und des Titels mehr erhofft, aber mir erschließt sich dieses Concerto trotz des großen Aufwandes nicht. Natürlich spielt die Solistin fabelhaft und auch alle anderen Musiker sind gefordert und erweisen sich als Könner. Allein die Komposition, trotz einiger atmosphärisch bezwingender „Höhlenklänge“, vermittelt keine eigentliche Idee oder Struktur über die Klangerzeugung hinaus. Und ausschließlich clusterhafte Klangballungen ergeben eben noch keinen Zusammenhalt oder  etwas, was mich als Hörer tatsächlich erreichte und anspräche. Schade!

[Ulrich Hermann, März 2016]

Raritäten in hervorragenden Aufnahmen!

Label: Lyrita
Art.-Nr.: REAM1125
EAN: 5020926112521
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Anthony Milner war einer jener Komponisten, die erst nach dem erstaunlichen Aufblühen der britischen Musik an der Schwelle zum 20. Jahrhundert überhaupt zur Welt kamen: 1925 geboren, 2002 verstorben gehört er zu einer Generation britischer Komponisten, jünger als Britten und Tippett, die leider nur wenig Beachtung gefunden hat.

In Fragen eines Generationenbegriffs kann man Milner am ehesten mit Robert Simpson vergleichen, der nur vier Jahre vor Milner geboren wurde aber schon 1997 starb. Musikalisch hinkt dieser Vergleich aber, denn während Simpson erkennbar den Bruch mit der Tradition suchte und eine qualitativ hochstehende aber doch recht eigenwillige freitonale Musik komponierte, wirkt Milner auf den ersten Höreindruck wie ein versöhnendes, verbindendes Glied zwischen den Komponistengenerationen. Und so hört man in seiner Musik sowohl Einflüsse der Altmeister wie etwa Vaughan Williams als auch (am deutlichsten) Einflüsse jener glücklosen mittleren Generation britischer Komponisten wie etwa Wordsworth oder Finzi als auch erkennbar Einflüsse der ersten bekennenden britischen Modernen wie Michael Tippett oder Benjamin Britten.

Auf vorliegender CD sind zwei Kompositionen Anthony Milners in Einspielungen der BBC vertreten: „The Song of Akhenaten“ (Milners Opus 5 aus dem Jahr 1954) sowie „The Water and the Fire“ von 1961. Die Aufnahmen sind klanglich erfreulich gut, dies auch in Anbetracht der Tatsache, dass es sich hier um Privatmitschnitte des Lyrita-Gründers Richard Itter handelt. Die BBC sah in diesen Mitschnitten keinen Wert mehr und vernichtete in einer groß angelegten Lösch- und Wegwerfaktion die Masterbänder.

Auch die interpretatorische Qualität ist erstklassig! Immerhin handelt es sich hier um bemerkenswert groß besetzte Werke mit gleich zwei zwei Chören (BBC Northern Singers, Manchester Grammar School Boys Choir), Kirchenorgel, großen Sinfonieorchestern (BBC Northern Symphony Orchestra/BBC Training Orchestra) und drei Gesangssolisten (Hazel Holt, John Elwes und Stephen Roberts). Offenbar handelt es sich hier auch um BBC Studiomitschnitte, nicht um Liveaufnahmen, was es noch unverständlicher macht, warum diese faszinierenden, hochqualitativen Tondokumente von der BBC aussortiert wurden. Hatte man hier doch einen beachtlichen Aufwand investiert, um diese Mitschnitte zu produzieren.

Die beiden hier eingespielten Stücke, die man am Ehesten als Oratorien vermitteln könnte und die mal an Tippetts „A Child in Time“ mal an Brittens „War Requiem“ denken lassen und doch so ganz anders sind und eine ganz andere „Klangfarbe“ transportieren, sind hochrangige Beispiele für britische Kompositionskunst. Anthony Milner präsentiert sich als Komponist auf der Höhe seiner Zeit aber auch als musikalischer Querkopf. Seine akademischen Verbindungen zu Hochschulen in den USA scheint man zudem an mehreren auffällig „amerikanisch“ klingenden Passagen heraushören zu können.

In der Tat kann zunächst der Eindruck von Kuriositäten der Musikgeschichte entstehen, wenn man dieses Album hört. Ist die musikalische Sprache Milners doch so enorm bunt und farbenreich, und dies zumal in einer wahren Flut von Ideen, die nicht immer auf den ersten Blick geordnet wirken. Bei mehrmaligem Hören beeindruckt jedoch dieser individuelle Fingerabdruck umso mehr und man erkennt eine bemerkenswerte werkimmanente Musikarchitektur.

Beide Stücke auf diesem Album wurden dirigiert von Meredith Davies, der bei diesen Aufnahmen aus den Jahren 1973 und 1977 zeigt, dass er auch bei Werken dieser gigantischen Besetzungsgröße eine sehr feine, geradezu vorbildliche Orchesterbalance herzustellen verstand. Zwar würde man sich manche Phrasierung flüssiger, flexibler wünschen, aber sind dies auch wirklich anspruchsvolle Partituren, deren schiere Bewältigung, geschweige denn Ausgestaltung, manchem gestandenen Dirigenten Angst hätte bereiten können.

Absolut begeisternd sind in „The Song of Akhenaten“ die dunkel timbrierte Stimme von Sopranistin Janet Price, die jederzeit Herrin der Lage zu sein und sich in dieser stimmlich fordernden Musik ganz zuhause zu fühlen scheint sowie die erstaunliche Klasse des „BBC Training Orchestra“, dessen Name ich zum Anlasse nehme anzunehmen, dass es sich um ein Orchester mit Nachwuchsmusikern gehandelt haben muss. Die Aufnahme von „The Water and the Fire“ kann zwar ebenfalls mit namhaften Solistinnen und Solisten aufwarten, nur erreichen diese zu keiner Zeit die hervorragende Klasse von Janet Price.
Kurz und gut: Wieder einmal macht Lyrita kulinarische Raritäten des britischen Musiklebens in bemerkenswert guten Aufnahmen verfügbar, die durchaus Referenz- und Archivcharakter haben. Diese Musik soll und muss wieder gehört werden. Anthony Milner war ein hoch interessanter Komponist, und zumindest mich hat diese CD sehr neugierig gemacht, was noch von diesem Musikschöpfer überliefert ist.

[Grete Catus, März 2016]

Nordlichter am Gitarrenfirmament

SIMAX Classics, PSC1339, Abbey Road Studios; EAN: 7033662013395

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Ausschließlich Musik von Ketil Hvoslef, dem vielleicht spannendsten und gewiss unverkennbarsten norwegischen Komponisten unserer Zeit, findet sich auf dem neuesten Album des norwegischen Gitarristen Stein-Erik Olsen. Zu hören sind das Quintett für Gitarre und Streichquartett von 2004, das Gitarren-Trio SEONVEH – das zudem titelgebend ist – aus dem Jahre 2011, das Doppelkonzert für Flöte, Gitarre und Streichorchester von 1977 sowie die bereits 1966 entstandenen Sechs Stücke für Sechs Saiten. Olsens Mitstreiter sind die Gitarristen Egil Haugland und Njål Vindenes, Gro Sandvik an der Flöte, ein Streichquartett bestehend aus Elise Båtnes, Daniel Dalnoki, Ida Bryhn und Torunn Stavseng sowie das Norwegischen Kammerorchester unter Leitung von Christian Eggen.

Zweifelsohne als einer der substanziellsten zeitgenössischen Komponisten ist der Norweger Ketil Hvoslef anzusehen. Der Sohn des überragenden norwegischen Symphonikers Harald Sæverud beschreitet seit jeher vollkommen eigene Bahnen und löste sich auch ohne Zögern von der Tradition seines Vaters: Nicht eine Symphonie schrieb Hvoslef bisher, dafür eine bemerkenswerte Zahl an Solokonzerten für alle möglichen Besetzungen, teils auch recht ungewohnt wie für singende Säge, für Violine mit Popband, oder für Saxophonquartett. Die Musik von Ketil Hvoslef hat stets einen freien und geradezu improvisatorisch anmutenden Charakter, ist zugleich kraftvoll rau und von enormer Leichtigkeit, und wirkt in höchstem Maße spielerisch. Typisch ist die Zelebrierung von markanten Themen, die gleich einem roten Faden immer wieder auftreten und die Form zusammenhalten. So kann trotz der Freiheiten nie von einer zerfallenden oder gar strukturlosen Musik gesprochen werden, alles hat seinen Platz in den Stücken und nichts scheint unnötig oder zu viel. Obgleich Hvoslef durchaus nach neuen Zusammenklängen und energetischen Bahnen sucht und diese tatsächlich findet, bleibt er instrumental der natürlichen Klangerzeugung verbunden ohne Hinzunahme von reinen Geräuscheffekten. In seiner Orchestration weist Ketil Hvoslef durchgehend höchstes handwerkliches Geschick auf, kombiniert mit nicht endendem, durchaus auch obsessivem Wagemut. Er fordert die spieltechnischen Möglichkeiten der Instrumente bis ans Maximum und schafft es, vollkommen neue Wirkungen beim Zusammenspiel der Instrumente hervorzubringen. Ketil Hvoslef ist zeitgleich ein Neuerer, der einen unverwechselbar eigenen Stil geschaffen hat, als auch ein klassischer Musikant in Bezug auf die absolute Priorität der strukturgebenden Grundpfeiler der Musik: Melodie, Harmonie und Rhythmik – all das ist bei Hvoslef ausgeprägt vorzufinden und in ureigener Weise bis an die Grenzen, ja eigentlich gefühlt über diese hinaus, ausgeschöpft.

Vier Werke bietet die bei SIMAX classics erschienene CD, die in einem Zeitraum von 45 Jahren entstanden. Den Beginn macht das fünfsätzige Gitarren-Quintett von 2004, in welchem das Zusammenspiel zwischen Zupfinstrument und den Streichern des Quartetts ausgelotet wird. Mal wirken die beiden Pole zusammen und ergänzen sich (wie vor allem im dritten Satz), mal spielen sie komplett entgegengesetzte Stimmen (besonders deutlich im zweiten Satz). Auch im einsätzigen Doppelkonzert für Flöte, Gitarre und Streichorchester von 1977 wird das harmonische Zusammenwirken immer wieder unterminiert und nach neuen Konstellationen des gemeinsamen Spiels geforscht. Für Hvoslef stellt dieses Konzert eine imaginäre Liebesgeschichte zwischen den Instrumenten dar, so beginnt die Gitarre von ihrem ersten Einsatz an, sich der anfangs solistisch spielenden Flöte anzunähern, bis sie tatsächlich miteinander zu verschmelzen scheinen – immer wieder kommentiert und reflektiert vom Streicherapparat. Ganz anders begegnet SEONVEH (2011) der Frage nach dem Zusammenspiel: Viel eher schafft das ebenfalls einsätzige Werk – dessen Titel sich aus den Initialen der drei Widmungsträger (und hier Vortragenden) Stein-Erik-Olsen, Njål Vindenes und Egil Haugland zusammensetzt – von Anfang an die Illusion eines großen „Superinstruments“, zu welchem sich die drei sich klangfarblich mischenden Gitarren verschmolzen haben. Zuletzt sind noch sechs Miniaturen für sechs Saiten (also die einer solistisch spielenden Gitarre) aus dem Jahre 1966 zu hören, und auch hier wird das Gefühl von Mehrstimmigkeit evoziert.

Stein-Erik Olsen entlockt seiner von Daniel Friederich gebauten Gitarre ein außergewöhnliches Spektrum an Klangfarben und Nuancen der Schattierung. Die spieltechnisch extremen Anforderungen meistert er mit frappierender Lockerheit und unmittelbar sich übertragendem Verständnis des musikalischen Gehalts. Dynamische Feinheiten bringt er überzeugend und ungekünstelt ans Licht, die stetig wiederkehrenden Motive meißelt er mit charakteristischer Kontur heraus. Auch das Zusammenspiel der drei Gitarristen wirkt hier kein bisschen nivellierend, die drei Stimmen mischen sich sofort und fusionieren zu einer hinreißend vollendeten Einheit.

Gro Sandvik verzaubert auf ihrer Flöte mit einem so strahlenden wie hauchigen Ton von mächtiger Emotionalität und Tiefe des Ausdrucks. Sie kollaboriert fantastisch mit dem Orchester und Olsen, begehrt teils wie vom Komponisten initiiert gegen diese auf und lässt sich dann wieder auf den Ausdruck ihrer Mitstreiter ein. Nicht zuletzt das Orchester unter Eggen und nicht weniger das Streichquartett fesseln durch ihr dichtes und präzise abgestimmtes Spiel, sie übertönen niemals die dynamisch schwächere Gitarre und manifestieren einen vollen Klanggrund sowie in den Soli einen konzis abgestimmten Widerpart. Es wird deutlich, wie stark die intensive Zusammenarbeit aller beteiligten Künstler mit dem Komponisten sich auf ein restlos überzeugendes, suggestiv in Bann ziehendes Ergebnis auswirkt. Tief ist denn auch das grundsätzliche Verständnis seiner Musik, die alle Beteiligten mehr als nur makellos vortragen.

Was soll nach all den Lobesworten noch groß über diese einmalige Musik gesagt werden – sie sollte umgehend ganz einfach gehört werden, und jeder kann sich dem Feuer ihres Genius überlassen!

[Oliver Fraenzke, März 2016]

Tragisch ausgelöschter Meister der klassischen Moderne

Joachim Mendelson
2. Symphonie (1939), Symphonie de chambre (1938), Quintett für Oboe, Streichtrio und Klavier (1939), Sonate für Violine und Klavier (1937)

Tatjana Blome (Klavier), Frédéric Tardy (Oboe), Ulrike Petersen (Violine), Ignacy Miecznikowski (Viola), Claudio Corbach (Cello), Polnisches Rundfunk-Symphonieorchester, Jürgen Bruns

EDA 040
ISBN: 840387100401

EDA040

Immer wieder zucken wir gerade als Musiker aufs Neue zusammen, wie unsere nationalsozialistischen Vorgänger innerhalb kürzester Zeit im Zuge systematischer Zerstörung insbesondere die polnische Kultur dem Erdboden gleich gemacht haben. So vieles ist unwiederbringlich verloren! Und jetzt präsentiert das Berliner Label EDA, das seit zwei Jahrzehnten mehr tut für die vergessene polnische Musik als alle anderen zusammen, einen Komponisten, den ich bis dahin überhaupt nicht kannte – einen jüdisch-polnischen Komponisten, der 1943 im Warschauer Ghetto getötet wurde. Joachim Mendelson wurde 1892 in Warschau geboren, schrieb sich ursprünglich Mendelssohn und lebte ab 1929 in Paris, bis er 1935 als Dozent für Musiktheorie und Harmonielehre an die Musikakademie seiner Heimatstadt berufen wurde, wo sein Leben wie so viele 1939 in die Hände der Deutschen fiel. Der exzellente Booklettext von Initiator Frank Harders-Wuthenow, einem der beschlagensten, engagiertesten und intelligentesten Musikforscher unserer Zeit, bringt alles vor, was die Recherchen über Mendelson zu so einer Einführung beitragen konnten, und das ist leider sehr wenig, denn fast alles ist vernichtet worden, darunter sämtliche Manuskripte Mendelsons, die bei der Niederbrennung Warschaus 1944 in Flammen aufgingen. Daher kann man es nur als unschätzbaren Glücksfall ansehen, dass fünf Werke Joachim Mendelsons beim französischen Verlagshaus Max Eschig im Druck erschienen sind. Sie sind alles, was erhalten ist: ein etwas früher entstandenes Streichquartett sowie die vier auf vorliegender Portrait-CD enthaltenen Kompositionen: eine Sonate für Violine und Klavier (1937), eine Kammersymphonie (1938), und aus dem Jahr 1939 ein Quintett für Oboe, Violine, Viola, Cello und Klavier sowie die Zweite Symphonie. Bei der Datierung handelt es sich jeweils um das Jahr der Veröffentlichung, die Kompositionen dürften etwas früher entstanden sein, doch kann man anhand der stilistischen Reifung – wie Harders treffend konstatiert – davon ausgehen, dass die Veröffentlichungsreihenfolge einigermaßen der Entstehungabfolge entspricht. Alle vier Kompositionen sind dreisätzig mit der Abfolge schnell-langsam-schnell.

Schon in der Violinsonate zeigt Mendelson eine deutlich eigene Handschrift, die natürlich stark von französischen Vorbildern geprägt ist, jedoch sowohl zum Besten darunter gehört als auch mit einem dezidiert slawischen Einschlag besticht, der gleichwohl viel subtiler vorhanden ist als etwa bei einigen anderen lange in Paris tätigen Kollegen wie etwa Martinu. Besonders zeuberhaft ist der langsame Satz, ein ätherisch melismatisches Andante ma non troppo. Die Kammersymphonie bezeugt bereits eine offenkundige Weiterentwicklung, beispielsweise in der organischen Handhabung der würzigen freien Dissonanzen, und auch hier ist es der langsame Mittelsatz, ein vital schwebendes Larghetto, das besonders eigenartig klingt und mit einer unwiderstehlichen Atmosphäre umfängt. Und man darf staunen, wie herrlich farbenreich und mit welchem Sinn für Balance und Kontraste Mendelson orchestrierte.

Ein großes Meisterwerk ist das Quintett für die seltene Besetzung von Oboe, Streichtrio und Klavier. Hier haben auch die ohnehin so geistreichen schnellen Sätze nochmals sichtlich an Substanz gewonnen, und der kontrapunktisch meisterliche Fluss ist staunenerregend in der Leichtigkeit und freien Anmutung, mit welcher die komplexen Kunststücke inszeniert werden. Mendelson zeigt sich immer mehr als ein vortrefflicher Meister der Formdramaturgie, und nie wird es neoklassizistisch oberflächlich, nie modisch stilisiert, nie schwerfällig tiefgründig. Diese Musik ist durchweg durchflutet von Leben, Charme, hellwachem Geist und Brillanz im Dienste aristokratisch feinsinniger Aussage. Die Zweite Symphonie, wohl sein letztes Werk in Freiheit, krönt sein erhaltenes Schaffen (leider können wir sie nicht der Ersten gegenüberhalten), und ihr Larghetto darf als einer der schönsten Sätze für Orchester in den letzten Zwischenkriegsjahren gelten. Nun möge diese CD anregen, diese Werke auch im Konzertleben zu präsentieren.

Die Einspielungen sind mit großem Engagement und Liebe zur Sache geschehen. Mich stören vor allem zu kurz ausgehaltene Töne, vor allem bei beiden Akteuren in der Violinsonate. Im Orchester sind die lauteren Passagen oft vertikal eher unstrukturiert und zumal in den schnellen Sätzen recht primitiv artikuliert. Lyrische Innigkeiten entschädigen andernorts für derlei Einbußen. Das Klangbild ist in den Kammermusikwerken ansprechender, da präziser und ausgewogener, als in den Orchesteraufnahmen. Insgesamt ist das eine CD, die jeder kennen sollte, dem die Musik der klassischen Moderne ein echtes Anliegen ist, und der sich für höchstkarätige Kammer- und Orchestermusik des 20. Jahrhunderts interessiert.
[Lucien-Efflam Queyras de Flonzaley, März 2016]

Inniglich berührend in sehr guter Interpretationsqualität

Julius Röntgen
Werke für Violine und Violoncello (3 CD-Box)
Label:
Art.-Nr.: CTH2628/3, EAN: 4003913126283

CTH26283

Musik für Solostreicher ist unter musikalischen Laien häufig als schwierig und akademisch verrufen. Während das bei der Musik Johann Sebastian Bachs wahrscheinlich vor allem daran liegt, dass man zwar sehr viele aber verschwindend wenige wirklich gute Aufnahmen seiner Musik für Solovioline und -Cello findet, so liegt es bei musikgeschichtlich späteren Komponisten durchaus wohl auch manchmal daran, dass diese sich beim Messen mit ihrem großen Vorbild Bach, einfach als untalentiert und uninteressant herausstellten. Monolithen wie die Solosonaten des Belgiers Ysaÿe sind eben das, was sie sind: Monolithen – herausragende Ereignisse der Musikgeschichte, echte Jahrhundertwerke, die nun einmal nicht alle Tage und von jedem komponiert werden.

Wenn dann ein CD-Label daherkommt, und erklärt, man habe praktisch unbekannte Musik für Solostreicher anzubieten, die sich auch mit großen Vorbildern der Gattung messen kann, dann ist Skepsis selbst dann angebracht, wenn als Komponist Julius Röntgen einem vom Cover anschaut. Mit entsprechender Skepsis ging ich also diese Box an: Solomusik für Violine und für Cello sowie für die Kombination aus beiden Instrumenten, und das auf drei CDs. Was würde mich da erwarten?

Einerseits ist in einem solchen Fall davon auszugehen dass der Komponist es wirklich ernst meinte, und sich intensiv mit der Gattung Solostück auseinandergesetzt hat. Andererseits verheißt das, ehrlich gesagt, auch Mühsal: drei CDs mit Musik für Solostreicher. …und schon war auch ich den gängigen Klischees verfallen. Zu viel bekommt man wohl als Rezensent auf den Tisch, was der Erwähnung eigentlich streng genommen nicht wert ist.

Zum Glück wurde ich bei dieser Box eines Besseren belehrt. Vor allem die Musik für Solo-Cello ist hier erwähnenswert. Julius Röntgen hat außerordentlich inspirierte, eigentlich für ein breites Publikum genießbare Werke komponiert, die von der Cellistin Katharina Troe wirklich begnadet dargeboten werden. Mit viel, viel Musikalität, einem sicheren Händchen für flüssige Phrasierung, und einer Innigkeit, die man bei Musikern heute nur selten findet, macht sie vor allem für CD 2 dieser 3-CD-Box zu etwas ganz Besonderem. Hier trifft die stärkste Interpretin dieses Sets auf die stärkste Musik, die Röntgen für Solostreicher komponiert hat.

Auf CD 1 liefert Oliver Kipp ebenfalls einen guten Job ab, wirkt aber vor allem aus technischer Perspektive manchmal um eine Nuance bemüht. Dieser leichte Makel wird jedoch auch von Kipp durch eine Musikalität und Hingabe wettgemacht, die in heutiger Zeit einfach etwas Besonderes ist.

Auf CD 3 spielen beide im Duo, was allerdings offenbart, dass es sich da um zwei recht unterschiedliche musikalische Typen handelt. Auch den Klang der Instrumente finde ich im Duo nicht ganz zueinander passend. Kipp spielt eine brillante, „Stradivari-like“ klingende Violine, Katharina Troe hat einen Celloklang, den ich als „samtig“ beschreiben würde, etwas zurückhaltender, vielleicht auch mit ein wenig Understatement gesegnet, was mir an ihr sehr gut gefällt.

Bleibt abschließend die Frage, ob man diese Box, die immerhin rund 45 € kostet, auch kaufen sollte. Und ich würde sagen: das sollte man auf jeden Fall! Röntgen erweist sich als ein sehr interessanter Komponist. Im Gegensatz zu vielen anderen aus der Zeit, die ihre Hörer mit Solowerken plagten, hatte Röntgen wirklich etwas beizusteuern. Wenn er sich am Vorbild Bach rieb, und das ist durchaus nicht in allen Werken der Fall, die auf dieser CD erklingen (Gott sei Dank!), so hatte Röntgen wirklich etwas zur Musikgeschichte hinzuzufügen, so blitzte die Inspiration dieses ungewöhnlichen Komponistentalents auf und bildete eine eigene, starke Stimme aus. Während mich persönlich aber die symphonische Musik Röntgens nie wirklich berühren konnte, hat es diese, auf das einzelne Streichinstrument reduzierte Kammermusik vom ersten Ton an geschafft.

Ich bin begeistert, und empfehle deshalb diese wunderbare Musik jedem Hörer, für den Musik mehr ist, als bloße Hintergrundbeschallung. Diese CD-Box wird viele Jahre zu begeistern wissen und hiterlässt dankbare, beglückte Hörer. Man kann sich mit diesen Werken immer wieder neu beschäftigen, und von der Interpretation wird man definitiv nicht enttäuscht. Insofern sind die 45 €, die diese Box kostet, eine Investition im besten Wortsinne: Man kann über die Zeit nur gewinnen.

 [Grete Catus, März 2016]

Aus der weiblichen Perspektive

Im Rahmen des Festivals Art in Perspective spielt Yamilé Cruz Montero ein Programm mit „Komponistinnen aus aller Welt“. Die meisten der gespielten Werke sind Uraufführungen, die für das Festival in Auftrag gegeben worden sind. Die Komponistinnen sind Miriel Cutiño und Keyle Orozco aus Kuba, Tania León aus Kuba / USA, Elena Tarabanova aus Russland / Deutschland, Verena Marisa aus Deutschland, Anna Korsun aus Ukraine / Deutschland, Leticia Armijo und Lilia Vázquez aus Mexiko und Diana Syrse aus Mexiko / Deutschland.

Die Frauen in der Zeitgenössischen Kunst, darum dreht sich das neu gegründete Festival „Art in Perspective“ von Diana Syrse und Eva Schabatin. An zwei Tagen werden Frauen in vielen Bereichen der Kunst präsentiert sowie ihre Probleme und Benachteiligungen dargestellt. Im Pyramidensaal des neuen Gebäudes der KHG-TUM in der Karlsstraße 32 in München gibt es Tanz, Musik, Ausstellungen und Podiumsrunden.

In der ersten Programmhälfte am 11. März besteht der Ablauf hauptsächlich aus einer großen Podiumssitzung, in der Frauen aus verschiedenen Zweigen der Kunst vorgestellt werden und über ihre Probleme und Herausforderungen als Künstlerinnen sprechen sowie darüber, warum sie trotz der schwierigen Voraussetzungen ihr Leben der Kunst widmen. Zuvor werden allerdings von Diana Syrse noch zwei CDs der Reihe „Colección Murmullo de Sirenas“ beworben, welche ausschließlich Musik von Komponistinnen Mexikos beinhalten. Leider ist die Zeit nicht ausreichend, um in die Musik auch hineinzuhören, doch kann man sie direkt an der Abendkasse erwerben und nach ausgiebigem Hörgenuss derselben lässt sich sagen, dass darauf wirklich interessante und einprägsame moderne Musik zu hören ist, die sich auch empfehlen lässt. Auch gibt es noch ein kurzes Klavierintermezzo, bei welchem die elfjährige Viktoria Vanninger eine kurze popmusikalische Eigenkomposition vorträgt, die schon im jungen Alter ein erstaunliches Gespür für Harmoniechangierungen aufweist.

Nach der Pause beginnt das Klavierrezital von Yamilé Cruz Montero, die sich der extremen Herausforderung stellt, zehn ganz neue Werke an einem Abend zu spielen, ohne auch nur ein etabliertes und allgemein bekanntes Werk hinzuzufügen. Das Konzert beginnt mit der „Pieza Rapsodiosa“ von Miriel Cutiño (Kuba), einem virtuosen und zerrissenen Stück von höchster Schwierigkeit, das sich als klangschön und eingängig zeigt, wenngleich auch ohne die erwarteten kubanisch-rhythmischen Elemente und ohne besonderen inneren Zusammenhang. „Der Kranke“ von Elena Tarabanova (Russland/Deutschland) folgt, ein noch zersprengteres Werk über den Zwiespalt eines sterbenden Körpers und der auch nach dem Tod noch unruhigen Seele, wobei die Musik zwischen Popmusikelementen und herben Dissonanzen hin und her schwankt. Die vergleichsweise anerkannteste Musik stammt von Tania León (Kuba/USA), heute bereits eine Komponistin älterer Generation, die sich zumindest in ihrem Heimatland einer breiteren Bekanntheit erfreut: „Tumbao“, eine knackig prägnante Miniatur von brillantem Rhythmus, beißendem Witz und Humor, sowie „Momentum“, etwas ruhiger, doch in ähnlichem Stil. Das nächste Stück ist quasi ein Heimspiel, Verena Marisa studierte in München Komposition und Filmmusikkomposition, ihr „between lives“ zeigt entsprechend eine besonders hohe handwerkliche Beherrschung auch der neuesten Klangerzeugungsmöglichkeiten, es ist das freieste und geräuschlastigste Stück des Abends. Ganz das Gegenteil ist „De Chismes y Confidencias“, das eher durch Traditionsverbundenheit aufwartet. In dieser Komposition von Keyla Orozco (Kuba) herrscht auch der musikalische Scherz vor, denn sie bildet nicht nur ein Orchesterkonzert ab, sondern auch die Geräusche des Publikums davor sowie das Auftreten und Anklopfen des Dirigenten. Für die Pianistin wohl das anstrengendste Werk des Abends ist „Acqua“ von Anna Korsun (Ukraine/Deutschland), ein aus spärlichem Material zusammengepuzzeltes Stück aus nicht enden wollenden Glissandi und eher willkürlichen gesetzten Akkorden. Wieder traditionsverbunden und eine das typische Landesgefühl evozierende Musik ist „Andiamos“ der Mexikanerin Leticia Armijo, welches in herrlicher Verträumtheit den Hörer in den Bann zieht. „Scratch Cat!“ ist eine rockige Toccata der Festivalveranstalterin Diana Syrse, voll von vorwärtstreibenden Rhythmen und wohl die interessanteste der Uraufführungen des Abends. Für die letzte Komposition, „Destellos des Alba“ der Mexikanerin Lilia Vásquez, holt sich die Pianistin noch einige Mitglieder des Ensemble Zeitsprung unter dem Dirigat von Markus Elsner ins Boot (Dirigent, Violinist und Flötist sind die einzigen drei Männer, die heute auf der Bühne stehen). Das Ensemble ist von höchster Qualität und von einer besonderen Klangverliebtheit, die jede Phrase auf natürliche Weise entstehen lässt. Gemeinsam schweben die Musiker in den harmonischen Phantasien dieser Morgenidylle, die den heutigen Abend beschließt.

Eine wahre Entdeckung ist die Pianistin Yamilé Cruz Montero, die durch hochmusikalisches und sehr feinfühliges Klavierspiel beeindruckt. Trotz des leicht schepprigen und nicht ganz lupenrein gestimmten Flügels erschließt sie ungeahnte Nuancen in der Musik. In all den divergierenden Kompositionen und bei dem ganz unterschiedlichen musikalischen Gehalt sucht und forscht sie, um überall das Bestmöglichste entstehen zu lassen. Sogar dem glissandoüberlaufenden Acqua entlockt sie feinste Schattierungen und eine perlige Geschmeidigkeit, die ihresgleichen sucht. Fantastisch ist Cruz Monteros Gespür für Rhythmik, die stechend scharf und trotz immenser Herausforderungen vollkommen präzise ist. Respekt gebührt ihr auch alleine schon für die Tatsache, sich so sehr für Neues und Unbekanntes einzusetzen, eine solche Anzahl an Uraufführungen von hoher Komplexität auf sich zu nehmen für einen Auftritt in kleinem Rahmen.

So ist der Abend des elften März eine wahre Fundgrube von Neuentdeckungen und interessanten Erfahrungen. Gerade die Stücke von Tania León und Diana Syrse werden mir persönlich noch länger im Kopf bleiben – und natürlich die wunderbare Pianistin.

[Oliver Fraenzke, März 2016]

Ein Programm, zwei Dirigenten

Das erste Programm der Munich Young Classical Players wird gleich an drei kleinen Spielstätten in München dargeboten, am 6. März in der Moor Villa, am 10. März im Bürgersaal Fürstenried sowie am 17. März im Kleinen Theater Haar. Für The New Listener höre ich die zweite Vorstellung mit einem Programm bestehend aus Joseph Haydns Ouvertüre in D Hob. Ia:7 und seiner Symphonie Nr. 87 in A-Dur Hob. I:87, der Symphonie Nr. 40 g-Moll KV 550 von Wolfgang Amadeus Mozart und der 5. Symphonie in B-Dur D 485 von Franz Schubert. In der ersten Hälfte wird das Dirigat von Sergey Lunev übernommen, die Symphonien von Haydn und Schubert leitet Maximilian Leinekugel.

Die Munich Young Classical Players wurden dieses Jahr erst gegründet von den beiden Dirigenten Sergey Lunev und Maximilian Leinekugel aus Studenten der Münchner Musikhochschule und anderen Musikern mit (beziehungsweise: in) hoher musikalischer Ausbildung. Ziel ist es, auch in kleinen Konzerthäusern Musik auf spieltechnisch hohem Niveau aufzuführen – Zentrum dabei soll vorerst München bleiben.

Spieltechnisch liegt die Qualität tatsächlich recht weit oben, die Musiker sind größtenteils auf einem beachtlichen Niveau und halten trotz der kurzen Zeit, die das Kammerorchester besteht, erstaunlich gut zusammen. Die Besetzung ist ziemlich klein, es gibt nur je drei erste und zweite Geigen, die Kontrabasssektion besteht gar aus nur einem einzigen Spieler, dafür ist ein ziemlich vollständig besetzter doppelter Bläsersatz vorhanden. Diese Ungleichheiten der Aufstellungen werden jedoch gut kaschiert, so dass das Verhältnis erstaunlich ausgewogen erscheint. Der Klang ist entsprechend recht trocken, da sich drei Geigen pro Stimme schlecht mischen, was durch große Präsenz und größtenteils reine Intonation wettgemacht wird. Besonders hervorzuheben ist zweifelsohne der grandiose Kontrabassist, der dem ganzen Streicherapparat eine solide Klanggrundlage schenkt, sein spiel ist exakt und sauber, auch gehört er zu den wenigen Streichern, die das Vibrato einmal vernünftig einsetzen (ein übermäßiges Vibrato ist bekanntlich der ständige Begleiter von vor allem hohen Violinen und Celli, letztere meist mit noch größerem und störenderem Ambitus). Auch der gesamte Bläserapparat glänzt durch Präzision und durch einen gediegenen Klang.

Nach der kurzen, aber typisch Haydn’schen Ouvertüre in D wagt sich das frisch gegründete Orchester unter Leitung von Sergey Lunev direkt an Mozarts Symphonie Nr. 40 in g-Moll, ein vielgespieltes und somit mit hohen Erwartungen versehenes Stück mit hohen technischen und inhaltlich-musikalischen Anforderungen. Dieses Werk des späten Mozart wird durch seinen dunklen und teils doppelbödig erscheinenden Charakter ausgezeichnet, es wirkt nur bei genauestem Verständnis von Dynamik, Phrasierung und Tempi. Sergey Lunev dirigiert es vor allem aus den Unterarmen heraus, dennoch mit ausladenden Gesten, und spornt das Orchester damit immer wieder an; seinem Schlag ist leicht zu folgen. Das Tempo gerät jedoch immer wieder ins Bröckeln und weist Inkonsistenzen auf, das Andante ist um einiges zu schnell, dafür fällt die Geschwindigkeit im Trio des Menuetts rapide ab. Das eh schon schnell begonnene Finale (eine Herausforderung vor allem für die Streicher) wird immer noch rasender, was es den Kammerorchestermusikern nicht einfach macht, da noch mitzuhalten. Obgleich die hohen Fähigkeiten der Musiker hier deutlich werden, macht das Stück stellenweise den Eindruck, nur auf Durchkommen geprobt zu sein. Einen schönen Klang macht dafür vor allem der Kopfsatz her, und auch das Allegretto-Menuett gerät knackig und frisch.

Nach der Pause steht Maximilian Leinekugel am Dirigentenpult. Der 1995 geborene Student, der bereits zwei Jahre Gaststudent in Dirigieren an der Musikhochschule war, leitet Schubert und erneut Haydn. Die Haydn-Symphonie avanciert zum Höhepunkt des Abends, hier wird die intensive Arbeit auch an musikalischer Struktur, dem atmenden und pulsierenden Bogen und vor allem an nuancierter Dynamikabstufung deutlich. Leinekugels Leitung geschieht hauptsächlich aus dem Oberarm, seine Gesten sind ausgearbeitet und sehr schwungvoll mit vielen kleinen Schnörkeln. Er geht viel mehr als Lunev auch aus seiner aufrechten Position heraus, mal krümmt er sich und geht in die Knie, mal bewegt er sich förmlich auf sein Ensemble zu. Die Orchestermusiker folgen gerne seiner Einladung zur aktiven Gestaltung dieser Symphonie und holen das beste heraus, was einem so frisch gegründeten Ensemble nur irgend möglich ist.

Abschluss des Abends ist die fünfte Symphonie von Franz Schubert, ein Werk von subtiler Komplexität und Vielschichtigkeit, das von den meisten leider unterschätzt und fast immer sehr oberflächlich dargeboten wird. Wahrhaftig wirkt das Werk bereits nach kurzer Übezeit, doch ein kurzer Blick in die Partitur genügt, um festzustellen, wie viel mehr doch dahinter steckt. Auch hier wird wieder viel Arbeit an Details sichtlich, wenn auch das Orchester teilweise an seine Grenzen stößt mit den hohen Anforderungen Schuberts, beispielsweise den Anfang tatsächlich Pianissimo zu spielen, die Stimmpolyphonie im zweiten Satz glaubhaft zur Geltung zu bringen oder auf kürzeste Distanz viele Sforzati einzeln aus der Melodie herauszumeißeln. Doch werden gerade die Randsätze sehr prägnant genommen, und auch das Allegro molto-Menuett hat beschwingten Charme.

Die jungen Musiker der Munich Young Classical Players sind auf einem hohen Niveau und werden sich unter guter Leitung sicherlich sehr bald zu einem Kammerorchester mit starkem Zusammenhalt und Liebe zum Detail entwickeln können. Sie schlagen bereits bei ihren ersten Konzerten einen ausgezeichneten Weg ein, den fortzuführen sich lohnen wird.

[Oliver Fraenzke, März 2016]

Eine Referenz – Zum dritten Male

Claudio Monteverdi: Vespero della Beata Vergine
Sir John Eliot Gardiner, Leitung
The Monteverdi Choir
The English Baroque Soloists
Les Pages du Centre de Musique Baroque de Versailles (Ltg. Olivier Schneebeli)
DVD und Blue-ray 105 Min., 2014
© ALPHA Classics/Outhere Music 2015
ALPHA 705
EAN  3  760014  197055

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Wenn ein „Hochkaräter“ auf dem Gebiet der Alten Musik wie Sir John Eliot Gardiner ein solch bedeutendes Werk des Seicento wie Monteverdis Marienvesper zum dritten Mal einspielt, dann ist das so, wie wenn Nikolaus Harnoncourt zum dritten Mal Bachs Matthäus-Passion vorlegt oder Herbert von Karajan Beethovens Sinfonien-Zyklus zum vierten Mal (es gibt natürlich noch viele andere Beispiele). Dafür muss (sollte) es gewichtige Gründe geben, und die Erwartungen dürfen hoch sein zu Recht. Dazu darf man außerdem noch wissen, dass nach eigenem Zeugnis Monteverdi Gardiners „favorite composer“ ist, und dass mit Gardiners Aufführung der Marienvesper vor 50 Jahren am King’s College in Cambridge sozusagen „alles begann“. Damals, noch als Student der Arabistik und Mediävistik, begann Gardiner seine Karriere als Musikhistoriker und Praktiker für Alte Musik wie wir ihn heute kennen. Und aus dieser  seiner ersten Produktion heraus gründete er auch seinen deshalb so genannten Monteverdi Choir. Genaueres dazu, auch zum Komponisten, seiner Marienvesper und den einschlägigen aufführungspraktischen Fragen kann man dem überaus informativen und auch unterhaltsam zu lesenden Booklet-Text zu dieser neuesten Einspielung entnehmen, offenbar einer Niederschrift von Gardiners Einführungsvortrag 2014 anlässlich der Jubiläumsaufführung der Marienvesper, am gleichen Ort und auf den Tag genau nach fünfzig Jahren. Wer noch mehr aus erster Hand erfahren will, der sehe sich auf YouTube das 20-minütige Video „J.E. Gardiner talks about Monteverdi: Marien Vesper 1610“ an, hochgeladen 2013, aber offenbar zu seiner zweiten Einspielung von 1989 gehörend, dem Live-Mitschnitt eines Konzerts im Markus-Dom, seit 2003 auch als DVD optisch zugänglich (seine erste Einspielung, noch aus der Vinyl-Ära, stammt von 1974).

Vorliegende Aufnahme nun muss kurz nach besagter Jubiläumsaufführung entstanden sein, aber nicht in Cambridge, auch nicht in San Marco, sondern in der wunderbaren hochbarocken Schlosskapelle von Versailles, vielen bekannt als Aufführungsort großer Werke aus Renaissance und Barock durch Spezialisten wie Ton Koopman, Paul McCreesh, Hervé Niquet, William Christie oder Paul Van Nevel, um nur einige zu nennen. Alpha hat ins Digipack gleich zwei Scheiben gelegt: eine DVD und das Gleiche auch nochmal als Blue-ray Disc. Bezüglich der rein musikalischen Güte bleibt die Aufnahme von 1989 immer noch frisch und konkurrenzfähig, nicht aber hinsichtlich der akustischen und optischen Qualität. Hier hat Gardiner höchst überzeugend seine Auffassung darüber demonstriert, wie man Auge und Ohr mit barockem Auftrumpfen von Pracht und Prunk überwältigen kann. Offenbar wurde die Live-Aufführung der Vesper zur „Original-Tageszeit“ gemacht, sodass man gut zusehen kann, wie die letzten Sonnenstrahlen des Spätnachmittags allmählich abgelöst werden vom Chiaroscuro des blau werdenden Lichts von Draußen und dem Gold der beleuchteten Altäre. Langsam navigieren dazu die Kameras über Marmor, korinthische Säulen und die herrlichen Fresken in den Deckengewölben, nach Voltaire alles „ein erstaunlicher Firlefanz“. Der Topos vom „strahlenden D-Dur des Anfangsakkords“ ist hier kein leerer Gemeinplatz, und wenn die Echo-Solisten im „Audi Coelum“ von der gegenüberliegenden Empore zu hören sind, dann glauben wir, dass Monteverdi, der damals mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kompositions- und Instrumentierungsmitteln „Eindruck schinden wollte“ (so Gardiner), sicher auch von Techniken wie Surround Sound ( DTS-HD  5.1) gerne Gebrauch gemacht hätte. Ein Vorteil der Blue-ray Disc ist hier, dass man „in Echtzeit“ zwischen 5.1 und 2.0 hin- und herschalten und so den Klang experimentierend vergleichen kann: Einmal hört man die Chöre nahe und unmittelbar, das andere Mal den Echo-Chor in entfernter diffuser Akustik, was dafür aber sehr „sphärisch“ aber eben auch „echt“ klingt, so, als säße man als Zuhörer im Kirchenschiff. Darum verstehe ich den Amazon-Rezensenten nicht wegen seines Punktabzugs ob vermeintlicher „akustischer Schwächen“ („man wähnt sich im Raum irgendwo zwischen Stehpult und den Celli …“). Lediglich den im Begleitheft besonders hervorgehobenen „Binaural Sound“ (eine mit modernen Simulationsprozessoren weitergeführte Technik der früheren Kunstkopf-Stereophonie) konnte ich mit meinen primitiven I-Phone-Headphones nicht so richtig würdigen.

Es werden aber nicht nur schöner Bombast und Firlefanz geboten: Gerade in seinen zwischen die liturgisch originären Teile der Vesper eingestreuten monodisch und solistisch besetzten Concerti zu Texten aus dem Hohen Lied, von Gardiner als „Monteverdis Joker“ bezeichnet, verstehen er und die Musiker, auch das Herz zu rühren mit subtilerer Schönheit. Leider weder im Booklet noch beim Abspann konnte ich herausfinden, wer von den Solisten nun welche Solopassagen gesungen hat – das war bei der Aufnahme von 1989 besser dokumentiert, ist aber nicht entscheidend für die Bewertung …

Besonders hervorheben möchte ich noch die drei hervorragenden Zinkenisten. Etwas Besseres in dieser Kunst habe ich bisher noch nicht gehört. Sie tragen ganz wesentlich zu diesem festlichen Sound bei.

Ich denke, man kann mit Fug und Recht sagen, dass Sir Eliot Gardiner  hier eine neue Referenz-Einspielung gelungen ist, zum Kauf auch denjenigen zu empfehlen, die bereits seine San-Marco-Aufnahme besitzen.

[Hans von Koch, März 2016]

Guitar Gala Night

Guitar
GALA NIGHT
Amadeus Guitar Duo . Duo Gruber & Maklar

Michael Praetorius (12571-1621)
Luigi Boccherini (143-1805)
Mauro Giuliani (1781-1829)
Dale Kavanagh (geb. 1968)
Manuel de Falla (1876-1946)
Alexander Borodin (1833-1887)

Naxos 8.551370
EAN: 7 30099 13703 4

„Klang ist noch keine Musik! Klang  k a n n Musik werden!
(Sergiu Celibidache 1914-1996)

So lautet das Fazit über diese CD mit nicht nur zwei, sondern sogar vier Gitarren. Das klingt – wie man seit den „Los Romeros“ weiß – sehr beeindruckend. Wenn schon eine Gitarre – Meister Julian Bream zeigte es immer wieder in seinen Konzerten – so schön klingt, wie  dann erst deren vier!

Aber leider ist dem eben nicht so, denn schön klingen heißt noch nicht gute Musik, dazu gehört eben doch mehr als schnelle Finger und rauschende Akkorde wie z. B. beim alten Schlachtross Boccherini und seinem „Fandango“- Aber wenn es dann ans Eingemachte – sprich Mauro Giulianis op. 130 geht, ein Thema mit Variationen, dann reichen eben 10:14 Minuten Spielzeit keinesfalls, um diese wirklich klassische Musik entstehen zu lassen. Alles wird in rasendem Tempo vorgeführt, die Melodik wird völlig vernachlässigt, es wird bloße Fingerfertigkeit demonstriert,  Klang bleibt Klang, auch da nicht besonders schön oder erlebt, einfach ausgeführt. Wer wissen und hören möchte, wie das Stück klingen kann, höre sich die Aufnahme mit Vater und Sohn Romero an, die „brauchen“ für dasselbe  Stück nämlich nicht nur dreieinhalb Minuten länger , sondern lassen auch „ gelassen“ die Musik entstehen, die übrigens in jedem Stück von Mauro Giuliani versteckt ist. Aber die harrt bis heute – wenigstens bei den meisten Gitarristen – noch auf die adäquate Entdeckung.
In einer Kritik schrieb einmal jemand: „Die Gitarristen mögen sich doch bitte nicht so anstrengen! Ein MG ist halt doch immer noch schneller!“

Aber die Vier werden ihren Weg schon machen, allein die beeindruckenden Worte über die eigene Leistung  im Booklet sprechen Bände und „Mainstream“ sind sie ja allemal, wie die Auswahl bekannter „Reißer“ auf dieser (überflüssigen) CD beweist. Aber allein der Anblick von vier Gitarre spielenden Nichtmusikern reicht den  meisten Besuchern aus, das klingt auch noch schön, ist superschnell exekutiert und alles andere – die Musik zum Beispiel – ist dann egal.

(Nachsatz: Das DING heißt ja leider nicht ganz umsonst im allgemeinen Sprachgebrach „Klampfe“ und am Lagerfeuer ist es heiß begehrt. Aber Musik diesen sechs Saiten zu entlocken ist eine verdammt schwierige und mühsame Angelegenheit. Als Sänger und Gitarrist, der ich selber bin, maße ich mir dieses persönliche Urteil über diese CD an.)

[Ulrich Hermann  Februar 2016]

Wiener Klassik mit der Wilden Gungl

Samstag, 5. März 2016 Herkulessaal

Wiener Klassik

Marie-Luise Modersohn, Oboe
Michele Carulli, Dirigent
Symphonieorchester Wilde Gungl München

Franz Schubert (1797-1828)
Ouvertüre C-Dur op.26 D 644
zu „Die Zauberharfe“ (später „Rosamunde“)
Andante – Allegro vivace

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Konzert für Oboe und Orchester
C-Dur KV 314

Allegro aperto
Adagio non troppo
Rondo Allegretto

Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Symphonie Nr. 4
B-Dur op. 60

Adagio – Allegro vivace
Adagio
Allegro vivace
Allegro ma non troppo

Beethovens „Vierte“ innerhalb eines Jahres drei Mal in München? BR-Symphonie-Orchester mit Herbert Blomstedt, Bruckner Akademie Orchester unter Jordi Mora, und nun – im vollbesetzten Herkulessaal der Residenz die „Wilde Gungl“ unter ihrem neuen Chefdirigenten Michele Carulli.  Dazu vor der Pause Schuberts Ouvertüre zu „Rosamunde“  und Mozarts Oboenkonzert KV 314, das ganze Konzert unter dem Titel „Wiener Klassik“ Ein hoher Anspruch also, man durfte gespannt sein…
Dass Michele Carulli nicht nur ein exzellenter Solist auf der Klarinette ist, hatte er im Sommerkonzert im Brunnenhof schon glänzend bewiesen. Aber was er mit dem Orchester in den vergangenen Monaten ge- und erarbeitet hat, das war mehr als deutlich zu hören. Mit „anima e corpore“ hatte ich damals geschrieben, um sein Dirigieren zu charakterisieren. Allerdings hatte er diesmal alle Hände frei, und schon beim ersten Stück, der scheinbar allzu bekannten Ouvertüre zu Schuberts „Rosamunde“, bekam man den Eindruck, dass dieses Stück nicht nur melodienselig daherkommt, sondern eben auch sehr temperament- und kraftvoll. Schubert hatte – wie im sehr informativen Programmheft zu lesen war – sein Können schon vorher an zwei Ouvertüren italienischen Typs erprobt, kein Wunder also, dass diese Musik voller Elan und Feuer ist.
Und noch etwas war mir beim Zuhören aufgefallen: Waren die Streicher- und zwar alle von hoch bis tief –  wirklich so weich und dennoch intensiv, wie es mir vorkam? Nicht, dass sie in den vergangenen Konzerten nicht gut gespielt hätten, aber da war etwas Neues zu hören, etwas Verändertes!
Beim Mozart’schen Oboenkonzert würde man ja weitersehen!
Als die junge Solistin in ihrem langen roten Kleid die Bühne betrat, hatte sich das Orchester ein wenig auf „Mozart-Maß“ verkleinert.  Marie-Luise Modersohn ist seit 2005 Solo-Oboistin der Münchner Philharmoniker. Schon im ersten Satz, dem Allegro aperto, wurde deutlich: das Orchester – trotz seines martialischen Namens „Wilde Gungl“ – war alles andere als wild, sondern begleitete die Solistin mit der größtmöglichen Delikatesse. Es wurde eine Sternstunde. Das Spiel der Oboistin war samtweich und melodisch, nie schrill oder unangenehm näselnd, sondern klangschön und hingebungsvoll, so schön, wie Mozarts Musik eben nur sein kann. In aller aufmerksamsten Gelassenheit bescherte das Orchester unter seinem Dirigenten Michele Carulli den drei Sätzen das Silbertablett, wie eine gute Begleitung eben sein kann und sollte. Natürlich weiß Carulli als Bläser, wie sich ein Solist die ideale Begleitung wünscht und vorstellt. Das – vor allem natürlich im klangschönsten singenden zweiten Satz – gelang ausnehmend gut, dazwischen immer wieder die kleineren oder größeren Kadenzen der Solistin, einfach wunderschön. Tosender Beifall, den Marie-Luise Modersohn mit einer Zugabe – einem der fünf Stücke für Oboe solo von Benjamin Britten (1913-1976) nach Metamorphosen von Ovid, nämlich „Pan“ – „belohnte“.  Und es war wirklich etwas Neues im Klang der Streicher, wie deutlich wurde.
Nach der Pause dann die vierte Symphonie von Ludwig van Beethoven, die Schumann ja einmal „eine griechisch schlanke Maid zwischen zwei Nordlandriesen“ genannt hat.
Aber was die „Wilde Gungl“ und Michele Carulli da zu Gehör brachten, war alles andere als ein Zwischenspiel zwischen der Dritten (Eroica) und der Fünften (Schicksalssymphonie). Schon der Beginn des ersten Satzes – geteilt in ein einleitendes Adagio und ein heftiges Allegro vivace – machte klar, dass hier Beethoven und nicht etwa ein anderer Symphoniker zu hören war. Diese Energie, diese unmittelbaren Abbrüche und Aufschwünge, diese Übergänge vom Energischsten zum fast unbewegt Ruhevollen, seine ausgefeilte Melodik und die das ganze Orchester souverän einsetzende Instrumentation und Harmonik, das ist stets aufs Neue bewegend und erhebend.  Der zweite Satz schwelgt natürlich in himmlischen Gefilden, was mich immer wieder davon überzeugt, dass Beethoven eben doch einer der größten Melodiker war und ist.
Die rhythmischen Vertracktheiten des dritten Satzes sind für ein klassisches Scherzo noch immer verwirrend und Rätsel aufgebend: Ist es nun ein Menuett oder eben doch ein „Zwiefacher“? Jedenfalls entfesselte der Dirigent mit all seinem Temperament und seiner Energie das gesamte Potential an Klang und Rhythmus in diesem Satz.
Konnte noch mehr kommen? Ja, es kam ein Finale von überschäumendem Temperament, wie es im Programmheft hieß. Und das kam dann auch, Michele Carulli verdeutlichte mit all seinem Einsatz, welch eine ungeheure Energie diese Beethoven’sche Musik in sich birgt und wie man sie – das Orchester „Wilde Gungl“  und sein Dirigent  – beschwört und erlebbar macht.
Riesengroßer Beifall, Bravo-Rufe, die eine Zugabe nach sich zogen, nämlich nochmal die Reprise des vierten Satzes, mit einer kurzen Unterbrechung, in der Michele Carulli auf die Bedeutung der Beethoven’schen Musik hinwies und sich sehr eindrucksvoll bei „seinem“ Orchester bedankte. Wenn das so weiter geht, wächst da ein nächstes – nicht mehr zu überhörendes und übersehendes – großes Orchester in der Münchner Musik-Landschaft heran, und das kann dieser Stadt und ihren Zeitungen ja nur gut tun.

[Ulrich Hermann, März 2016]