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Der späte Triumph des Verfolgten

51 Jahre nach dem Tode des Komponisten erlebte Hans Hellers Requiem für den unbekannten Verfolgten im Rahmen des Festkonzerts der ACHAVA Festspiele Thüringen am 23. September 2021 durch den MDR-Rundfunkchor und das MDR-Sinfonieorchester unter der Leitung von Dennis Russell Davies seine Uraufführung. Thematisch passend ging dem Werk Leonard Bernsteins Symphonie Nr. 1 Jeremiah voraus (Mezzosopran: Solenn‘ Lavanant-Linke). Eröffnet wurde das Konzert mit einer weiteren Uraufführung: Silvius von Kessels Heller-Suite für Orgel, gespielt vom Komponisten selbst.

Die Aufführung eines großen chorsymphonischen Werkes ist mittlerweile offensichtlich zu einem traditionellen Bestandteil der seit 2015 jährlich in Thüringen veranstalteten ACHAVA Festspiele geworden. Das diesjährige Festkonzert, das am 23. September im Dom St. Marien zu Erfurt stattfand, kann getrost als eines der bedeutendsten Ereignisse in der noch jungen Geschichte des jüdischen Kulturfestivals bezeichnet werden, denn es verhalf erstmals überhaupt einer Komposition zu klingender Existenz, die mehr als fünf Jahrzehnte auf ihre Uraufführung hatte warten müssen: dem Requiem für den unbekannten Verfolgten von Hans Heller. Bestrebungen, das Schaffen Hellers in Thüringen bekannt zu machen, lassen sich seit einiger Zeit erkennen. Bereits 2011 war eine Ouvertüre des Komponisten in Hellers Geburtsstadt Greiz zu Gehör gebracht worden und hatte Eindrücke vom Stil des 1969 gestorbenen Schreker-Schülers vermittelt. Diese wurden durch mehrere Klavier- und Liederabende in den vergangenen Jahren vertieft, so durch die Konzerte 2020 und 2021 in der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar, die gleichfalls mehrere Uraufführungen boten.

Die Premiere des Requiems markiert zweifelsohne einen vorläufigen Höhepunkt in der Geschichte der Entdeckung dieses Komponisten. – Es ist eine Entdeckung, denn von einer Wiederentdeckung lässt sich in Hellers Fall kaum sprechen: Nur ein kleiner Teil seiner Kompositionen wurde zu seinen Lebzeiten öffentlich gespielt, und zahlreiche Werke warten immer noch darauf, ein erstes Mal zu erklingen. Die Frage, warum sein Schaffen keine weitere Verbreitung fand, wird freilich erst durch intensivere Forschungen zum Lebenslauf des Künstlers in der gebotenen Ausführlichkeit beantwortet werden können, doch geben die bislang an die Öffentlichkeit getretenen Werke des Komponisten und die aus seiner Biographie bekannten Fakten bereits einigen Aufschluss. Natürlich ist hier zunächst die Machtübernahme der Nationalsozialisten zu nennen, die Heller nach 1933 eine Weiterführung seiner Laufbahn in Deutschland unmöglich machte. In der Emigration vermochte er nie endgültig Fuß zu fassen und blieb künstlerisch isoliert, was im Wesentlichen auch für die Zeit nach seiner Rückkehr nach Deutschland gilt. Schließlich lässt sich auch sein Kompositionsstil selbst als Grund anführen: Zeugten bereits die Klavierwerke und Lieder von einer sehr persönlichen Stimme, so bietet das Requiem für den unbekannten Verfolgten vollends das Bild eines Komponisten, der sich nur schwer in eine der künstlerischen Strömungen seiner Zeit einordnen lässt.

Wer war Hans Heller?

Hans Hellers Biographie ist auf mehreren Ebenen von Bruchlinien durchzogen. Am 15. Oktober 1898 im ostthüringischen Greiz geboren, wuchs er in einer assimilierten jüdischen Familie auf. Seine musikalische Begabung zeigte sich früh, sodass er durch Auftritte als Geiger oder Pianist bereits als Jugendlicher zu lokaler Bekanntheit gelangte. Die erste große Zäsur seines Lebens setzte der Erste Weltkrieg: Gerade 18 Jahre alt geworden, wurde er 1916 zur Armee eingezogen. Im letzten Kriegsjahr wurde er von einem Granatsplitter am Ellenbogen verletzt, wodurch er den getroffenen Arm nur noch eingeschränkt bewegen konnte. Obwohl ihm die erhoffte Laufbahn als Pianist unmöglich geworden war, vertiefte er seine Kenntnisse des Klavierspiels ab 1920 am Leipziger Konservatorium unter Anleitung Robert Teichmüllers und Carl Adolf Martienssens. Daneben studierte er Musiktheorie bei Stephan Krehl. 1924 zog er nach Berlin und wurde im folgenden Jahr Kompositionsschüler Franz Schrekers, was er bis 1929 blieb. Mit Schreker und dessen Frau Maria pflegte Heller bald auch privat freundschaftliche Kontakte. In Berlin wurde er mit Arnold Schönberg, Alban Berg, Paul Hindemith und Ernst Krenek bekannt. 1927 heiratete er die aus Hannover stammende Pianistin Ingrid Eichwede, die er noch aus seiner Zeit in Leipzig kannte. Das einzige Kind des Paares, der Sohn Peter, der sich später der Malerei widmete, kam 1929 zur Welt.

Während Heller sich Anfang der 30er Jahre in Berlin als Komponist zu etablieren begann, erlebte er, wie der Nationalsozialismus zu immer stärkerem Einfluss gelangte. Über den Charakter der braunen Bewegung machte er sich keine Illusionen und bereitete frühzeitig die Emigration seiner Familie vor. 1933 zogen die Hellers nach Paris. Obwohl Heller bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs weiter komponierte, fand er keinen Anschluss ans französische Musikleben. So gelangte auch seine in Paris komponierte Zweite Symphonie dort nicht zur Aufführung (und wartet auf eine solche bis heute).

1939 begann für den Komponisten die furchtbarste Zeit seines Lebens. Beinahe fünf Jahre lang wechselten Gefangenschaft, Flucht und Verstecken einander ab. Zunächst wurde er nach Kriegsbeginn – wie zahlreiche Juden, die vor den Nazis nach Frankreich geflohen waren – als Deutscher auf Befehl der französischen Regierung verhaftet und in ein Arbeitslager in der Nähe von Nîmes deportiert. Die Niederlage Frankreichs hatte seine Auslieferung an die Gestapo zur Folge. Nur durch einen Irrtum seiner Wächter entging er der Deportation nach Osten, kurz darauf gelang ihm die Flucht. Wieder mit seiner Familie vereint, wurde er von französischen Widerstandskämpfern in einem Bergdorf in den Cevennen versteckt. Nach der Besetzung Südfrankreichs durch die Wehrmacht fiel Heller im Januar 1944 den Deutschen erneut in die Hände und wurde zur Schwerstarbeit beim Bau militärischen Anlagen gepresst. Als er im März in ein Vernichtungslager deportiert werden sollte, schaffte er es ein weiteres Mal, im letzten Moment zu fliehen. Den Rest der Besatzungszeit, bis August 1944, verbrachten die Hellers in äußerster Zurückgezogenheit in einem Versteck bei Nîmes.

1946 wanderte die Familie in die Vereinigten Staaten aus. Heller nahm seine Komponistentätigkeit wieder auf und schuf ein pazifistisches Oratorium in englischer Sprache nach alttestamentarischen Texten, Nation Shall Not Lift Up Sword Against Nation für Bariton, gemischten Chor und Orchester, das aber in Amerika ebenso wenig zur Aufführung gelangte wie andere seiner Werke. Da die Hellers ab 1953 die meiste Zeit wieder in Deutschland verbrachten, wurde ihnen die 1952 verliehene US-Staatsbürgerschaft 1959 aberkannt. In Berlin kam es 1955 zur Uraufführung von Nation Shall Not Lift Up Sword Against Nation durch den Chor der St.-Hedwigs-Kathedrale und das RIAS-Symphonieorchester – die erste und einzige Aufführung eines seiner großen Werke zu Lebzeiten Hans Hellers. Der Komponist starb am 9. Dezember 1969 in Berlin.

Das entdeckte Requiem

Die Vorgeschichte der nächsten Aufführung eines chorsymphonischen Werkes begann 2018, als Jascha Nemtsov, Professor für Geschichte der jüdischen Musik an der Weimarer Musikhochschule, gemeinsam mit Hellers Neffen, dem Osteuropa-Historiker Wolfgang Eichwede, das Musikarchiv der Berliner Akademie der Künste besuchte, um den Nachlass des Komponisten in Augenschein zu nehmen, welcher auf Vermittlung Eichwedes dem Archiv übergeben worden war. Nachdem sich Nemtsov, mit dem Partiturmanuskript in der Hand, der RIAS-Aufnahme der Oratorienaufführung von 1955 gewidmet hatte, war er nach eigenen Worten davon überzeugt, „soeben große Musik gehört und gelesen“ zu haben. Eine weitere Komposition Hellers zog gleichfalls seine Aufmerksamkeit auf sich: das Requiem für den unbekannten Verfolgten. Nemtsov nennt das für gemischten Chor und großes Orchester geschriebene Werk das „musikalische Vermächtnis“ des Komponisten. Rasch stand für ihn fest, das niemals gespielte Stück den ACHAVA Festspielen zur Uraufführung vorzuschlagen. 2021 konnte das Vorhaben schließlich umgesetzt werden.

Hellers Requiem entstand im Wesentlichen 1964/65, doch überarbeitete der Komponist die Partitur bis in seine letzte Lebenszeit hinein. Nach Auskunft Werner Grünzweigs, Leiter des Musikarchivs der Akademie der Künste, wirkt die Handschrift sehr benutzt und erweckt optisch keineswegs den Eindruck eines Manuskripts, das jahrzehntelang von keinem Dirigenten in die Hand genommen worden war. Das Werk hat Heller buchstäblich nicht losgelassen. Es ist keine unvollendete Komposition in dem Sinne, das etwas an ihr fehle oder nicht fertig ausgearbeitet sei – einen Schlussstrich konnte der Komponist aber letztlich nicht unter seine Arbeit ziehen. „Der Holocaust wurde für ihn zu einer Obsession“, hatte Hellers 2002 gestorbener Sohn Peter über seinen Vater geschrieben – eine Obsession, die sich offensichtlich im unablässigen Feilen an der Requiem-Partitur niedergeschlagen hat.

Der Komposition liegt ein lateinischer Text zugrunde, der jedoch nur zum Teil der traditionellen katholischen Totenmesse folgt. Es fehlen das Sanctus, Benedictus und Agnus Dei. Anstelle des Dies irae findet sich ein „In die illa“ überschriebener Satz, dem eine Zusammenstellung apokalyptischer Passagen aus Altem und Neuem Testament zugrunde liegt. Vom Hergebrachten weicht Heller auch dadurch ab, dass er das Kyrie an vorletzter Stelle einordnet. Rein textlich betrachtet gehört das Stück damit in die Nähe von Werken wie dem Deutschen Requiem von Brahms oder dem War Requiem Benjamin Brittens.

In wie fern kann es als religiöses Werk gelten? Bereits die im Titel inbegriffene Widmung an den „unbekannten Verfolgten“ zeigt, dass Heller die liturgischen und biblischen Texte benutzt, um zu einer Aussage zu gelangen, die weder im Rahmen christlicher Liturgie, noch überhaupt im Rahmen des Christentums zu verbleiben gedenkt. Die jüdischen Wurzeln des Christentums werden durch die Verwendung alttestamentarischer Texte angedeutet, ohne dass sich deswegen von einem spezifisch jüdischen Requiem sprechen ließe. Definitiv ist es kein Werk, das aus dem Zustand eines Ruhens in einer Religion heraus geschrieben ist. Wolfgang Eichwede, der längere Zeit mit Hans und Ingrid Heller im selben Haus gewohnt hat, erinnert sich seines Onkels als eines ernsten, intellektuellen Mannes, der sich mit der Geschichte der Religionen beschäftigte, sich namentlich für die Jesusforschung interessierte und sich intensiv mit Jesaja auseinandersetzte. Zu seinem Judentum sei Heller allerdings, nach eigener Aussage, „durch den Holocaust gekommen“, so Eichwede. Vielleicht ist das der Schlüssel zum religiösen Gehalt des Werkes. Wir haben die Komposition eines Menschen vor uns, den ein furchtbares Schicksal zur Beschäftigung mit religiösen Fragen bringt.

Das Konzert

Das Konzert, in welchem Hans Hellers Requiem zum ersten Male der Öffentlichkeit präsentiert wurde, war ganz auf das Stück als dem Hauptwerk des Abends ausgerichtet. Zu Beginn erklang eine eigens zu diesem Anlass komponierte Heller-Suite für Orgel des Erfurter Domorganisten Silvius von Kessel, die der Komponist selbst vortrug. Das Stück besteht aus fünf kurzen Sätzen, die auf die Lebensstationen Hellers Bezug nehmen. Das thematische Material entnahm Kessel zwei Klavierwerken Hellers: dem Divertimento und der Little Suite. Beide Themen enthalten alle zwölf Töne der chromatischen Tonleiter. Kessel verarbeitet sie teils in Originalgestalt, teils sehr frei. Es begegnet eine Vielzahl musikalischer Idiome, besonders fällt eine Anlehnung an französische Orgelmusik – teils mehr zu Vierne, teils mehr zu Messiaen tendierend – auf.

Danach ergriff das MDR-Sinfonieorchester das Wort, um unter der Leitung Dennis Russell Davies‘ die Erste Symphonie von Leonard Bernstein Jeremiah zu spielen (im letzten Satz kam die kräftige Mezzosopranstimme Solenn‘ Lavanant-Linkes dazu). Hierbei zeigte sich, dass sich der Erfurter Dom – ungeachtet seiner Symbolwirkung, gerade im Falle eines Konzerts wie diesem – zu Orchesterkonzerten wegen seines sehr langen Nachhalls nicht sonderlich eignet. Bernsteins Symphonie, 1942 mitten im Zweiten Weltkrieg entstanden, thematisiert in ihren drei Sätzen die Verwüstung des jüdischen Tempels in Jerusalem und mündet in einen Klagegesang Jeremiae. Dennoch strahlt sie mit ihren milden Dissonanzen und der lichten Instrumentierung über weite Strecken eine geradezu mediterran anmutende Ausgewogenheit aus – ein Eindruck, der sich rückwirkend angesichts der Klänge des Hellerschen Requiems noch verstärkte.

Das Requiem für den unbekannten Verfolgten machte den Verfasser vorliegenden Artikels zum ersten Mal mit Hans Heller als Orchester- und Chorkomponisten bekannt. Stilistisch begegnen Merkmale wieder, die man anhand seiner Lieder und Klavierwerke kennen lernen konnte: Melodisch dominiert die Chromatik bis hin zu Themen, die alle zwölf Töne umfassen (ein Zwölftonkomponist im Sinne Schönbergs war Heller nicht!), die Harmonik weicht konventionellen Akkordbildungen und dem Funktionsdenken des 19. Jahrhunderts zugunsten einer freien, dissonanten Tonalität aus. Hellers Instrumentation hat nichts Glänzendes an sich. Die Herbheit der Harmonik wird durch kein instrumentales Kolorit gemildert, eher noch verschärft. Besonders fällt die wichtige Rolle auf, die der Komponist dem groß besetzten Schlagzeug zumisst. Es bildet hier eine vom restlichen Orchester beinahe unabhängig agierende zweite Ebene, aus welcher regelmäßig militärisch anmutende Rhythmen auftauchen. Schon allein deshalb bleibt die Bitte „Requiem aeternam dona eis domine“, mit welcher der Chor nach einer längeren Instrumental-Einleitung einsetzt, ein frommer Wunsch: Das Werk findet nicht zur Ruhe, auch wenn die Sehnsucht danach beständig durch die chromatischen Melodien und dissonanten Akkordtürme hindurch spürbar ist. Dass Heller an den Chor höchste Ansprüche stellt, braucht angesichts des Kontextes wohl kaum gesondert erwähnt zu werden. Die akustischen Probleme der Spielstätte, die bereits in der Bernstein-Symphonie spürbar waren, wurden bei der Aufführung des Requiems noch stärker deutlich, was zumindest im Verfasser dieser Zeilen den Wunsch nährte, dieser kompromisslosen, düsteren Ausdrucks- und Bekenntnismusik unter besseren äußeren Bedingungen wieder zu begegnen.

Dass Hans Heller nach seiner Entdeckung nicht wieder in Vergessenheit gerät, sollen eine erste Buch- und CD-Veröffentlichung im kommenden Jahr sicherstellen. Man kann nur wünschen, dass dadurch das Interesse an diesem Komponisten wachgehalten wird. Angesichts seines Requiems darf davon ausgegangen werden, dass weitere beeindruckende Stücke von ausgeprägter Eigenart im Archiv der Akademie der Künste Berlin darauf warten, zum ersten Mal vor einem Publikum zum Klingen gebracht zu werden.

[Norbert Florian Schuck, Oktober 2021]

Inspirationen für das Horn

TYX Art, 19142; EAN: 4 250702 801429

Auf ihrem Album „Melodies“ präsentieren Hervé Joulain und Ariane Jacob siebzehn Originalthemen für Horn. Auf dem Programm stehen Kompositionen von Reinhold Glière, Alexander Glasunov, Camille Saint-Saëns, Richard Strauss, Maurice Ravel, Luigi Cherubini, Paul-Henri Büsser, Leonard Bernstein, Franz Strauss, Leone Sinigaglia, Nicolaus Freiherr von Krufft, Emmanuel Chabrier, Alexander Scriabin, Jean-Michel Damase, Vincent d’Indy und Laurent Couson.

Das Horn wäre eines der idealsten Instrumente, um sich als Komponist singenden Ausdruck zu verschaffen: nicht nur besitzt es einen enorm umfangreichen Ambitus, auch kommt es nah an die menschliche Stimme heran und offenbart unzählige Möglichkeiten der Klanggestaltung. Dennoch wird es, während ihm im Orchester oft die schönsten Themen zufallen, nur selten als Solo- oder Duoinstrument verwendet. Gemeinsam mit der Pianistin Ariane Jacob geht der Hornist Hervé Joulain auf Entdeckungstour und präsentiert siebzehn Originalthemen für sein Instrument. Dabei gelingen durchaus einige lohnenswerte Funde.

Tatsächlich am wenigsten überzeugt ausgerechnet die einzige Melodie, die ein jeder kennt: Ravels Pavane pour une infante défunte. Ursprünglich als Klavierstück geschrieben, vertraut Ravel in der Orchesterfassung dem Horn die Melodie an, was bei der Streicherbegleitung für hinreißende Effekte sorgt; mit Klavier allerdings wirkt der Unterboden kahl, auch fehlt die fragile Tragfähigkeit, welche Ravels Musik erst ausmacht.

Die meines Erachtens größte Errungenschaft dieser CD ist die Entdeckung von Nicolaus Freiherr von Krufft. Wenngleich Komponieren eine Freizeitbeschäftigung für ihn war, zeigt er profundes technisches Handwerk (er lernte bei Johann Georg Albrechtsberger, aus dessen Schule auch Beethoven, Hummel und Czerny hervorgingen) und – viel wichtiger – einen ausgeprägten Personalstil, der sogar Klangsphären erreicht, wie wir sie sonst ausschließlich und deutlich später von Chopin kennen. Diese verbindet er mit verspielter, klassischer Leichtigkeit und einem geschlossenen Formkonzept.

Des Weiteren lohnt sich die Beschäftigung mit den hier zu hörenden Komponisten Paul-Henri Büsser und Leone Sinigaglia, die heute beinahe vergessen sind. Als einer der bekanntesten Hornisten seiner Zeit komponierte Franz Strauss auch für sein Instrument, wobei er nur recht wenig auszusagen hatte. Lohnenswerter gestaltet sich da der Beitrag seines Sohns Richard Strauss, der das zu hörende Andante seinem Vater zur Silberhochzeit zueignete und in diesem Jugendwerk bereits handwerkliches Können und musikalische Substanz zu einen weiß. Erstaunt war ich, Scriabin unter den Komponisten dieser CD zu lesen, von dem mir kein Kammermusikwerk bekannt war: die Romanze op. 40 offenbart eine interessante Verbindung einer kantablen Melodiestimme mit einem harmonisch ausschweifenden Klavier, wobei der Gesamteindruck eher zu seinem der Romantik verpflichteten Frühwerk tendiert. Klanglichen Reiz entwickeln die spätromantischen Weisen von Glière und Glasunov aus Russland sowie Saint-Saëns aus Frankreich. Besonderen Eindruck hinterlässt das Larghetto von Chabrier, ein echt französisches Stück von reinem Ausdruck und inniger Lieblichkeit.

Hervé Joulain erweist sich als vielseitiger und flexibel veranlagter Hornist, der sowohl die klassisch leichten, romantisch verträumten wie frühmodern expressiven Stücke adäquat umzusetzen weiß. Bei den impressionistisch anmutenden Weisen könnte der Pianissimobereich etwas mehr ausgekostet werden, ansonsten lässt sich absolut nichts an seinem Spiel aussetzen. Joulain behält eine Wärme und Menschlichkeit, die in ihren Bann zieht, spielt mit vollem, weichem und sanglichem Ton. Ariane Jacob bleibt am Klavier eher nüchtern, gibt den Stücken so gewisse Distanz: das farbenfrohe Aufblühen überlässt sie größtenteils dem Horn, was teils interessante Effekte bringt. Dennoch spielt sie keineswegs unbeteiligt. Hoch konzentriert schafft sie so formalen Zusammenhalt mit weichen Übergängen.

[Oliver Fraenzke, August 2020]

Zwischen Tango, Klezmer und Klassik

Kaleidos, KAL 6345-2; EAN: 4 260164 634527

Auf der CD „springtime“ des Trios con abbandono hören wir Musik zwischen den Stühlen, von Klassik bis Tango und Klezmer, alles bearbeitet für Klarinette, Cello und Akkordeon. Das Programm bilden Astor Piazzollas Vier Jahreszeiten, Richard Gallianos Tango pour Claude, Lisboa von Peter Ludwig, eine überlieferte Klezmer-Suite, August Nölcks Ungarische Czárdás-Fantasie, eine Bearbeitung von Beethovens Wut über den verlorenen Groschen, die Klarinettensonate von Bernstein, Off Pist von Svante Henryson und Leroy Andersons Typewriter.

Die Kombination aus Akkordeon, Klarinette und Cello klingt zunächst etwas eigentümlich, obgleich alle drei Instrumente in Tangoensembles öfter zusammen erklingen; selten aber im Trio. Das Trio „con abbandono“ machte es sich zur namensgebenden Aufgabe, mit voller „Hingabe“ Musik verschiedener Welten zu verknüpfen und sie in teils witzigen und skurrilen Arrangements auch an ein Publikum zu vermitteln, das in dieser Musik nicht unbedingt beheimatet sein muss. Das Resultat ist ein heterogener Mix verschiedener Stile, die sich durch den charakteristischen Klang der drei Instrumente klanglich annähern. Der Musik lässt sich leicht folgen und kleine Gags heitern die Stimmung auf; dennoch ist die CD nichts fürs reine Hintergrundhören, denn dafür sind die meisten der Stücke zu komplex. Geschickt bindet das Trio auch moderne Musik ein, die normalerweise nicht in solch ein Programm passen würde: In diesem Falle Bernsteins Klarinettensonate, die oftmals stark an Strawinskys Sacre du Printemps gemahnt. Spannend gestaltet sich das eigene Arrangement von Piazzollas Vier Jahreszeiten, in welchem die Musiker die Vorlagen Vivaldis teils wörtlich einbinden als Gegenwelt zum Tango. Die Bearbeitung von Beethovens Wut über den verlorenen Groschen durch Brack Owlbick offenbart einige lustige Momente wie einschlafende Musiker, die jedoch ihre Inspiration nicht aus der Musik, sondern von außen ziehen, und somit recht gewollt erscheinen. Überraschend souverän gibt sich Otto Eckelmanns Arrangement von Andersons The Typewriter, der eigentlich auf den Klang mehrerer Instrumente angewiesen ist: Anderson gelang ein Welterfolg mit der abgedrehten Idee, die Schreibmaschine als eine Art Orchestersolist fungieren zu lassen.

Musikalisch nähren sich die drei Musikerinnen Beate Funk, Anne-Lise Atrsaie und Claudia Quakernack (in zwei Titeln unterstützt von Yoana Varbanova am Schlagwerk) von der Leidenschaft, also von beschwingtem und mitreißendem Spiel. Bei einem rein „ernsten“ Programm bliebe noch mehr die Nüchternheit zu wünschen, selbst nicht zu sehr involviert zu sein und sich zu sehr mitreißen zu lassen, sondern von innen heraus die Emotion zu übermitteln; doch für solch einen Blumenstrauß größtenteils eingängiger Musik passt ihre Einstellung vortrefflich, sie animieren dadurch den Hörer. Klanglich bleiben alle drei Musikerinnen durchgehend präsent und stimmen sich dynamisch durchweg aufeinander ab, wirken wirklich als Trio zusammen.

[Oliver Fraenzke, August 2019]

Vier Legenden in einer Box

Major 744106; EAN: 8 14337 01441 4 (Kleiber: Major 705608; EAN: 8 14337 010656 – Solti: Major 711708; EAN: 8 14337 01117 8 – Bernstein: Major 735908; EAN: 8 14337 01359 – Karajan: Major 737608; EAN: 8 14337 01376 9)


Great Conductors: Carlos Kleiber, I’m lost to the world; Sir Georg Solti, Journey of a lifetime; Leonard Bernstein, larger than life; Herbert von Karajan, Maestro for the screen – Filme von Georg Wübbolt

Vier legendäre Dirigenten erleben wir aus der Perspektive von Georg Wübbolt, der prominente Stimmen und Angehörige der Künstler vor die Linse holt, um ein umfassendes Bild zu schaffen. Die Filme erschienen alle bereits einzeln, nun gibt es sie in einer Box: Carlos Kleiber: I’m lost to the world, Sir Georg Solti: Journey of a lifetime, Leonard Bernstein: larger than life, Herbert von Karajan: Maestro for the screen.

Unterschiedlicher könnten die vier Dirigenten kaum sein, denen diese Box gewidmet ist: Der weltferne, im Schatten seines Vaters stehende Carlos Kleiber, der Kriegsemigrant und spätere Sir Georg Solti, der feierwütige Leonard Bernstein und der egozentrische Bühnenmensch Herbert von Karajan. Doch was verbindet diese Größen, die wohl den meisten Klassikhörern ein Begriff sein dürften? Es ist ihr Perfektionismus, ihre Liebe zum Detail und ihre Einmaligkeit der Ausstrahlung. Sie rufen Kontroversen hervor, machten sich nicht selten unbeliebt bei den Musikern, nur um ihre Ideologie durchzusetzen und alles für die Musik zu geben.

Georg Wübbolt belichtet die Persönlichkeiten der Dirigenten auf seine eigene und wiedererkennbare Weise, sein Stil zieht sich durch alle Dokumentationen durch und verbindet sie gleich einem roten Faden. Zentral für ihn ist, Angehörige, Freunde und Mitstreiter zu Wort kommen zu lassen, die auch die dunklen Seiten nicht verbergen. Darüber hinaus unterstreicht er das Gesagte durch wohl gewählte Aufnahmen von Konzerten und Proben, was bestimmte Aspekte hervorhebt.

Carlos Kleiber: I am lost to the world

„Carlos Kleiber dirigiert nur, wenn sein Kühlschrank leer ist“, gehört zu den bekanntesten Klischees um seine Persönlichkeit. Tatsächlich trat Kleiber mit zunehmendem Alter seltener auf und beschränkte sein Repertoire auf ein immer schmaleres Repertoire, verlangte im Gegenzug allerdings immer höhere Gagen. Er wusste um seinen Rang. Und zeitgleich zweifelte er, verglich sich stets mit seinem übermächtig erscheinenden Vater, dessen Dirigierstil diametral entgegengesetzt war zu seinem eigenen. Der Vater riet Carlos auch von einem Studium der Musik ab, ließ ihn sich für Chemie einschreiben, da ihm die Schwierigkeiten der Musikerlaufbahn selbst nur zu sehr bewusst waren – doch Carlos schwor den Naturwissenschaften schnell ab, zu stark zog ihn das Kapellmeisterpult an. Wo Erich Kleiber minimalistisch und exakt dirigierte, die Kraft aus seiner geistigen Präsenz und seinem eisernen Willen zog, fokussierte sich Carlos auf die Intention des Komponisten, die ihm mehr bedeutete als die genaue Ausführung des Notentextes – dafür bediente er sich einer impulsiven, emotionalen Schlagtechnik, die den Hörer gefangen hielt. Kleibers Bewegungen zeichneten sich durch horizontale Linien aus, welche den Fluss der Musik beschrieben.

Sir Georg Solti: Journey of a Lifetime

Als die Nationalsozialisten in Österreich einmarschierten und die Ungarn eine Übernahme ihres Landes fürchteten, verzeichnete Georg Solti gerade erste Erfolge als Assistent von Bruno Walter und Arturo Toscanini in Salzburg, nachdem er sich unter anderem bei Béla Bartók, Ernst von Dohnányi, Zoltán Kodály und Leó Weiner ausbilden ließ. Die Rechte der Juden wurden beschränkt, das Auftreten verboten, weshalb Solti nach London emigrierte und dort schon bald die Leitung des London Philharmonic Orchestras übernahm, zudem seinen Namen von György zu Georg änderte. Von England kam er über die Schweiz nach Deutschland, wirkte als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper. 1947 begann Solti, für Decca aufzunehmen und schuf von da an bis zu seinem Tod hunderte Referenzaufnahmen, widmete sich längere Zeit hauptsächlich den Schallplattenaufnahmen. 1961 kehrte er nach London zurück, leitete das Royal Opera House und wurde 1972 britischer Staatsbürger, nahm allerdings zuvor schon 1969 eine Stelle als Chefdirigent des Chicago Symphony Orchestras an, womit er sich nach jahrelanger Operntätigkeit nun der Symphonik verschrieb. Bis zu seinem Lebensende 1997 wirkte Solti zeitgleich in verschiedenen Ländern und selbst ein Herzinfarkt konnte ihn nicht von seinen Tätigkeiten abhalten; die Folgen dessen sollten schließlich sein Leben kurz vor seinem 85. Geburtstag beenden.

 Herbert von Karajan: Maestro for the screen

Georg Solti und Herbert von Karajan waren Konkurrenten, ohne sich begegnen zu müssen: Ihre Schallplatten galten als Referenz, wodurch der Vergleich naheliegt. Angeblich kaufte Karajan jede neue Aufnahme von Solti und umgekehrt, um jeweils die Darbietung des anderen zu studieren.

Karajan lebte für die Technik und die Reproduktion seines künstlerischen Werks, Aufnahmen sollten ihn unsterblich machen. Sein Leben lang forschte er nach immer besseren Aufnahmemöglichkeiten, Kameraperspektiven und Wegen der Selbstdarstellung. Mit unterschiedlichen Produzenten probierte Karajan sich aus, Reichenbach, Clouzot und Niebeling loteten das Gleichgewicht zwischen Bild und Ton neu aus. Später war es der Maestro selbst, der die Filme schnitt und sich so selbst in Szene setzen konnte: Wer erkennt nicht die berühmte Locke und die geschlossenen Augen, die zarten wie präzisen Handbewegungen? Karajan gründete seine eigene Filmproduktion, Telemondial, wodurch die Berliner Philharmoniker zu einem der reichsten Orchester weltweit wurde. Die letzten Jahre seines Lebens arbeitete Karajan an seinem Vermächtnis: der Aufnahme und Wiederaufnahme eines riesigen Repertoires, wodurch noch lang nach seinem Tod sein Ruhm weiterleben sollte – und dies noch immer tut.

Leonard Bernstein: Larger Than Life

Zu den großen Jubilaren dieses Jahr gehört neben Claude Debussy und Gottfried von Einem auch der 1918 geborene Leonard Bernstein, eine zerrissene und kontroverse Figur, die als Dirigent, Pianist, Komponist, Lehrer und Moderator in Erinnerung bleibt. Über Nacht wurde Bernstein berühmt, als er für Bruno Walter einspringen musste und in dieser spontanen Rolle das Publikum in den Bann riss. Auf Einladung Georg Soltis leitete er als erster Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg das Orchester der Bayerischen Staatsoper. Die deutschsprachigen Länder etablierten sich als eine Art zweite künstlerische Heimat für Bernstein, er war regelmäßiger Gastdirigent beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und den Wiener Symphonikern. Unsterblich machten ihn zwei seiner Kompositionen, West Side Story und Candide, sowie allgemein seine Bühnenwerke; seine reine Instrumentalmusik hingegen erreichte nie an diesen überwältigenden Erfolg. Bernstein erwies sich als phänomenaler Pädagoge, galt nicht nur als erstklassiger Lehrer, sondern brachte viele Kinder und Jugendlichen durch die „Young People’s Concerts“ und „Omnibus“ an die klassische Musik heran. Die letzten Jahre über verschrieb er sich vermehrt der Lehrtätigkeit – Bernstein wollte sein Wissen weitergeben, bevor er stirbt. Einmalig war Bernsteins Vertrauen in seine Musiker, wenn er plötzlich mitten im Konzert das Dirigieren aufhörte und nur der Musik lauschte: Hier entstand eine Verbindung, welche bis heute ihresgleichen sucht.

[Oliver Fraenzke, Juni 2018]

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Lieder der Hoffnung

Linn Records, AKD 530; EAN: 6 91062 05302 0

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„Shelter From The Storm. Songs Of Hope For Troubled Times” lautet der Titel des neuen Albums von Barb Jungr. Zusammen mit dem Jazzpianisten Laurence Hobgood, dem Kontrabassisten Michael Olatuja und dem Perkussionisten Wilson Torres performt sie Songs von Richard Rodgers, Oscar Hammerstein II, Bob Dylan, Leonard Cohen, Stephen Sondheim, Leonard Bernstein, Joni Mitchell, Peter Gabriel und David Bowie sowie Eigenkompositionen in Kollaboration mit Hobgood.

Die Stimme von Barb Jungr ist wie ein Chamäleon in der Musik und schmiegt sich jedem nur erdenklichen Stil an, so macht die als Chanson-Sängerin bekannte Musikerin Cabaret ebenso wie Blues und Soul und ist geschätzt für ihre Coverversionen von Popgrößen wie Bob Dylan oder Leonard Cohen. Auch mit ihren mittlerweile immerhin schon über 60 Jahren hat sie nichts von ihrer vollen, kräftigen und geschmeidigen Stimmkraft, an voluminösem Klang eingebüßt. Und auf „Shelter From The Storm“ beweist sie einmal wieder, welch ungeheuere Anpassungsfähigkeit ihre Stimme hat, sowohl was die verschiedensten Stile in den aufgenommenen Songs betrifft als auch in Bezug auf die Musiker – dieses Mal spielt sie ausschließlich mit in Amerika lebenden Jazzmusikern. Erstaunlich ist jedes Mal aufs Neue ihre nuancenreiche Gestaltung des Vibratos, das zu keiner Zeit mechanisch eingesetzt wird – mal tritt es nur ganz spärlich in Erscheinung, mal trägt es den Ton mit großem Ambitus direkt zum Hörer. Durch genaueste Abstimmung zur zu erzielenden Wirkung wirkt es hier als ausgesprochen mächtiges und sinnvolles Stilmittel.

Bereits im Titel als Feature angegeben ist der vielseitig begabte Jazzpianist Laurence Hobgood, ein preisgekrönter Virtuose mit äußerst differenziertem Spiel und einem progressiven, nicht in Routine verfallen wollenden Touch, der seinen Klavierstimmen immer wieder eine neue Frische verleiht. Hier am Klavier und am elektronischen Keyboard (sowie beim Pfeifen) zu hören, verleiht er den Songs einen harmonisch interessanten und vielschichtigen Instrumentalpart, der den melodischen Höhenflügen Jungrs zu folgen weiß, selber eigenständig aktiv bleibt und sich weder zu sehr in den Vordergrund drängt noch im Hintergrund verschwindet. Die erst seit kurzer Zeit bestehende Zusammenarbeit der beiden trägt jetzt schon erstaunliche Früchte und es klingt, als würden sie bereits wesentlich länger gemeinsam wirken.

Leider nur auf der CD-Innenseite genannt, aber dennoch nicht weniger bedeutsam sind Michael Olatuja am Bass und Wilson Torres am Schlagwerk. Olatuja ist zwar in der Gesamtwirkung eher im Hintergrund zu hören, doch ist sein präzises Pizzicato eine unerlässliche Stütze für die Liedkonstrukte und agiert auch in der tiefen Lage als abwechslungsreiche Stimme. Torres hat einen gewaltigen Apparat an Schlagwerk aufgetischt und kann bereits mit wenigen Klängen eine ganz eigene Atmosphäre schaffen, über der sich die übrigen Instrumente sowie die Stimme erst entfalten können. Er hat einen rhythmisch extrem genauen Groove und beherrscht auch ein zurückgehaltenes Entstehenlassen des Fundaments.

Die Songs sind allesamt in einem mittleren Tempo genommen und von fein zurückhaltendem Charakter. Kein Lied treibt sonderlich in Überschwang nach vorne, ebenso ist keines von übermäßiger Melancholie oder Niedergeschlagenheit. So versucht Barb Jungr, die Hoffnung – For Troubled Times – durch eine edle und gemessene Musik zu erreichen. Ob dieses Konzept nun auf jeden Hörer individuell wirken mag, zumindest mit ihrer Stimme kann sie doch Hoffnung und Freude verbreiten, ihr Klang schützt auch vor dem stärksten Sturm.

[Oliver Fraenzke, März 2016]