Archiv für den Monat: August 2017

Die verspielte Seite des Bad Boy

Capriccio, C5309; EAN: 8 45221 05309 7

Musik von George Antheil ist auf vorliegender CD mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter Karl-Heinz Steffens zu hören. Neben der Erstfassung von A Jazz Symphony (1925) und dem Ersten Klavierkonzert, jeweils mit dem Solisten Frank Dupree, erklingt die Orchestersuite zu Capital of The World und Archipelago „Rhumba“.

George Antheil wusste, wie man sich selbst darstellen kann: Mit schockierenden Klavierauftritten, bei welchen nicht selten ein Revolver auf dem Klavier lag, mit eigenwilligen Ensemblebesetzungen, die auch mal 16 selbstspielende Klaviere und Flugzeugsirenen vorsehen, und mit verbaler Propaganda, welche ihn sich selbst in seiner Autobiographie als „Bad Boy of Music“ präsentieren ließ.

Neben einer Handvoll solch ohrenbetäubender Werke wie dem berühmten Ballet mécanique oder der Airplane Sonata schrieb Antheil allerdings auch eine überraschend große Menge Musik, die sein selbstgeschaffenes Image so überhaupt nicht bestätigen will. Vor allem der Jazz, welcher damals mehr als heute als reine Populärmusik galt, reizte ihn, so dass er ihn immer wieder in seine Musik einband, subtil wie in späteren Jahren in seiner Fünften Symphonie (Joyous) oder offenkundig wie in der „A Jazz Symphony“ oder in der auf gleichem Material beruhenden „Jazz Sonata“. Aber auch die Operette und der Wiener Walzer zogen Antheil an, in Wien wollte er neben Alban Berg unbedingt die Bekanntschaft von Franz Lehár und Emmerich Kálmán machen – was auch in seine Musik einging!

Beide dieser unorthodoxen Einflüsse der – im damaligen Denken – „leichten Muse“ schlagen sich in der Erstfassung der Jazz Symphony von 1925 nieder. Das Paul Whiteman (Dirigent der Uraufführung von Gershwins Rhapsody in Blue) gewidmete und im Übrigen ausdrücklich nicht in die Nummerierung der großen Symphonien aufgenommene einsätzige Orchesterwerk kombiniert futuristische Techniken wie Clusters mit möglichst originalgetreu nachzustellenden Jazzeffekten – über dem Trompetensolo steht gar geschrieben: „Use all the tricks of the trade“, und im Vorwort zur Zweitfassung von 1955 hob der Komponist hervor, dass die Uraufführung von einem „all-negro orchestra assembled by Handy“ (William C. Handy, 1873-1958, Komponist, Trompeter und Bandleader, der oft als „Vater des Blues“ bezeichnet wurde) gespielt wurde. Die Orchestration weist ebenfalls „native american“-Züge auf, zwei Banjos und eine Steamboat Whistle werden zum Einsatz gebracht. Zugleich ist die Symphonie ein Rundumschlag gegen andere dem Jazz nahestehende Werke wie Milhauds La création du monde, Gershwins Rhapsody in Blue oder Joplins Entertainer, die alle aufgegriffen – wenngleich nie wörtlich zitiert – und pfiffig persifliert werden. Als Finale erklingt ein Walzer, der beinahe von Lehár herrühren könnte, endete er und damit das ganze Werk nicht in einem übermäßigen Dreiklang, was den Hörer etwas verdutzt zurücklässt.

Angedeutete Zitate, die offensichtlich scheinen und doch nicht wörtlich erklingen, finden sich ebenfalls im Klavierkonzert von 1922, das anmutet, als würde es unter dem Einfluss Strawinskys stehen. Tatsächlich machte Antheil kurz zuvor Bekanntschaft mit dem Russen, und so erklären sich Anlehnungen an Le sacre du printemps und noch mehr an Petruschka, was ja ursprünglich ein Klavierkonzert hätte werden sollen und den Orchesterpianisten vor horrende solistische Anforderungen stellt.

Russische Idole sind auch in der Suite aus dem Ballett Capital of the World erkennbar, die Klangwelt von Prokofieff ist nicht fern, und der letzte Satz, Knife Dance and Farruca, erinnert nicht nur durch den Titel an Chatschaturjans Säbeltanz. Noch mehr als bei den vorherigen Werken sticht der Kontrast zwischen Bad Boy und Komponist leichter Musik ins Auge, Antheil komponierte tatsächlich neben dem Ballett auch ca. dreißig Filmmusiken. Etwas Exotisches schwingt in dieser Musik – gerade auch im abschließenden Archipelago „Rhumba“ – mit: farbenfroh, beschwingt, parlierend. Antheil war eben nicht nur der Schock-Pianist und Komponist einer Hand voll wilder Ausnahmewerke, sondern auch begabter Schöpfer unbeschwerter, exotischer und farbenprächtiger Musik für leichteren Hörgenuss.

Sichtlich Spaß haben die Musiker der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter Karl-Heinz Steffens. Das Orchester trägt nicht zu dick auf in all den üppigen Passagen, bleibt transparent und luminös, und lässt sich dabei nicht die dankbaren Effekte entgehen, die Antheil in seinen Partituren offeriert. Zumal die Tiefen sind präsent und schmettern bei Bedarf voluminös hervor. Unerwartete Umschwünge kommen so unvermittelt zum Zug, dass der Hörer geradezu ins Stocken gerät, und allgemein erhält die Musik ihre unverbrauchte Frische.

Feinfühlig im Anschlag und subtil in der Klangwahrnehmung ist der junge Pianist Frank Dupree als Solist in A Jazz Symphony (gut abgestimmt mit den anderen zwei Pianisten Adrian Brendel und Uram Kim) sowie im Klavierkonzert. Er kennt seine Funktion im Orchester und kann sich auch bei Bedarf zurückhalten, selbst zur Begleitung werden oder gleichberechtigt in ein Wechselspiel einstimmen. Flächig Komponiertes lädt er nicht expressiv auf, was der Musik allerdings auch entgegenkommt, und gestaltet dafür umso individueller in den sanfteren Passagen. Er realisiert den klaren Kontrast zwischen den harten non-legato-Stellen und den unentschieden zärtlichen Ruhepunkten.

Den rundum informativen und auf mir bislang nicht bewusste Aspekte hinweisenden Booklettext verfasste der Wiener Musikforscher Christian Heindl.

[Oliver Fraenzke, August 2017]

Alte Bekannte – Piano Concertos of the 20s

Label: Hänssler Classic / Vertrieb: Hänssler – Art.-Nr.: HC16065 / EAN: 881488160659

Michael Rische (Klavier); WDR Sinfonieorchester Köln, Bamberger Symphoniker, Radio-Sinfonieorchester Berlin; Dirigenten: Gunter Schuller (Schulhoff), Steven Sloane (Honegger, Copland), Israel Yinon (Ravel), Christoph Poppen (Antheil), Wayne Marshall (Antheil, Gershwin)

Diese Einspielungen des ausgezeichneten Pianisten Michael Rische sind bereits in den 2000er-Jahren zum ersten Mal erschienen, damals beim recht kurzlebigen Low Budget-Label Arte Nova der BMG. Nun sind wahrscheinlich die Rechte an den Aufnahmen wieder frei geworden, und Rische hat die Einspielungen nun bei seinem heutigen Label Hänssler Classic unterbringen können.

Die Einspielungen sind heute so vorzüglich wie ehedem und bieten überwiegend seltenes Repertoire in sehr geschmackvollen Darbietungen. Während bei Arte Nova zwei Einzel-CDs im Angebot waren, ergeben beide Alben in der Hänssler-Ausgabe sinnvollerweise nun eine auch preislich attraktive Doppel-CD. Das Motto der Erstausgabe „Piano Concertos of the 20s“ ist gleichgeblieben und bereitet heute ebenso viel Hörvergnügen wie vor etwa 15 Jahren.

Es sind aber auch tolle Stücke, die es in diese Auswahl geschafft haben! Da wäre mit Erwin Schulhoffs „Konzert für Klavier und kleines Orchester“ aus dem Jahr 1923 zum Beispiel eine Art deutsche Alternative zu Dmitri Schostakowitsch. Der geniale Komponist Erwin Schulhoff, der 1942 auf tragische Weise in einem tschechischen Lager für politische Gefangene umkam, war zunächst einer der wenigen Vertreter eines musikalischen Dadaismus, wandelte später seinen Stil aber zu einer sehr gelungenen Mischung aus Expressionismus und Anklängen an die Spätromantik des Fin de Siècle. Sein Klavierkonzert zeigt Schulhoff als einen ungeahnt melodiebetonten Komponisten, der hier ein Stück schrieb, das reichlich Brillier-Potenzial für den Solisten bereithält und des Öfteren an Ravels Klavierkonzerte erinnert, zumal dieser mit Schulhoff auch seinen „jazzigen“ Einschlag gemeinsam hatte.

Auch Aaron Coplands Klavierkonzert von 1926 hat den Jazz inhaliert und gilt als eines der bedeutenden, wenn auch nicht gerade typischen Werke dieses bekannten US-Komponisten. Coplands typischer „Cowboy- Sound“ trifft in diesem Konzert auf die vielleicht im engeren Sinne modernste Musik, die dieser Komponist bis zu jenem Zeitpunkt vom Stapel gelassen hatte. Das Konzert ist als solches vordergründig nicht das, was man als „großer Wurf“ bezeichnen würde: Den Klavier-Solopart kann man kaum als sonderlich dankbar bezeichnen. Er ist schwierig in der Ausführung, kann hingegen kaum mit Passagen glänzen, die dem Publikum im Gedächtnis bleiben würden und wird überdies sogar häufig von dem vermeintlich viel interessanteren Geschehen im Orchester überflügelt. Bei näherer Betrachtung zeigt sich hier aber eine bemerkenswert visionäre Komponente: Man könnte fast der Ansicht sein, dass Copland in dem beinahe unauffälligen Klavierpart vielleicht doch manches von dem vorweggenommen hat, was wir später von Komponisten wie Morton Feldman und Philip Glass zu hören bekamen. Und ein wenig Satie-Anarcho-Feeling kommt in diesem Konzert auch auf. An sich ein herrlich schräges Stück!

Arthur Honeggers lediglich etwa elf Minuten kurzes „Concertino“ von 1924 ist ebenfalls ein ganz ungewöhnliches Stück. Mit dem für die damalige Phase Honeggers typischen Neoklassizismus entfaltet sich ein für die Group des Six ganz typisches Stück voller an Sarkasmus grenzender Heiterkeit. Es gehört sicherlich nicht zu den Meilensteinen des Honegger’schen Schaffens, das gewichtigere Meisterwerke kennt. Aber es ist doch ein auffälliges, reizendes Stück, in das der schweizerische Maestro sogar eine klassische Dreiteilung „schnell – langsam – schnell“ einzubauen vermochte. Originell!

Mit dem berühmten Klavierkonzert in G von Maurice Ravel wird das Doppelalbum seinem Titel ausnahmsweise untreu, denn das Stück stammt bereits aus dem Jahr 1930. Es existieren zahllose Referenzeinspielungen dieses Werks und im Spiegel derselben schlägt sich die vorliegende Einspielung sehr gut, wobei insbesondere im langsamen zweiten Satz deutlich wird, was für ein geschmackvoller, stilsicherer Pianist Michael Rische ist, der hier überzeugend dafür eintritt, dass wir es eben nicht mit einem Schmachtfetzen zu tun haben, wie es viele (gerade besonders namhafte) Pianisten gelegentlich missverstehen. Damit endet CD1 des Doppelpacks.

CD 2 widmet sich etwa je zur Hälfte George Antheil und George Gershwin. Die beiden Georges könnten abgesehen vom Vornamen unterschiedlicher kaum sein: Während Antheil Spaß an der Provokation und an der radikalen Moderne hatte, das Publikum immer wieder vor den Kopf stieß und (nach meiner Empfindung ganz unerklärlich) als „amerikanischer Schostakowitsch“ in viele Musiklexika einzog, ist Gershwin zwar vielleicht mehr als alle anderen Komponisten dieser Sammlung ein von Jazz geleiteter Komponist gewesen, doch lag ihm die Provokation fern. Er war vielmehr auf größtmögliche Breitenwirksamkeit seiner Musik bedacht und hat viele Stücke geschrieben, die wir heute sehr zu Recht als „Standards“ empfinden. Dazu zählt natürlich auch das „Concerto in F“ von 1925.

Bevor es dazu aber kommt, tauchen wir mit dem Ersten Klavierkonzert und der zu Antheils Lebzeiten sehr umstrittenen „Jazz Symphony“ in den bis heute außergewöhnlich anmutenden Klangkosmos George Antheils ein. Die Bamberger Symphoniker hatten hierbei allerdings nicht ihren besten Tag und standen zum damaligen Zeitpunkt ihren Kollegen vom WDR Sinfonieorchester Köln, das CD1 dieses Sets eingespielt hatte, doch in Präzision aber auch in schierer Klangästhetik um einiges nach.

Mit der schrägen „Jazz Symphony“ übernimmt dann das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Wayne Marshall und kann gleich mit mehr Dynamik und Verve punkten, wenngleich in einer unvorteilhaft halligen Aufnahme, die Antheils frecher Musik einiges an Schärfe und Chaos-Potenzial nimmt.

Bei dem Gershwin-Konzertboliden passt diese Klanglichkeit aber wiederum sehr gut und erinnert an manche RCA Living Stereo-Aufnahmen aus der Frühzeit der Stereo-Technik. Auch da mochte man zu diesem Repertoire so eine große „larger than life“-Bühne.

Fazit: Die eingespielten Stücke sind ohne Ausnahme interessant, der Solist der Aufnahme ist ausgezeichnet, die beteiligten Orchester, Dirigenten und Tonmeister zeigen eine gewisse Schwankungsbreite innerhalb grundsätzlich überzeugender Grenzen. CD1 macht allerdings wesentlich mehr Spaß als CD2.

Gut, dass diese lange vergriffenen Aufnahmen wieder erhältlich sind, wenn auch mit einem denkbar missratenen Cover-Artwork.

[Grete Catus, August 2017]

Rubbra spielt Rubbra

Label: Lyrita; Vertrieb: Naxos; EAN: 5020926113429 / Art.-Nr.: REAM1134

Edmund Rubbra ist einer jener britischen Komponisten, die so gar nicht in das Klischee vom pastoralen Spätromantiker passen wollen, das man den britischen Musikgrößen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Britten ausgenommen) stets gern und stets unreflektiert ans Revers heftet.

Rubbra ist ein Komponist, der weder im Fahrwasser Elgars Großbritanniens Glanz und Gloria verbreiten wollte, noch im Umkreis der Volksliedsammler unterwegs war, noch im Umfeld der Neuerer um Britten oder Tippett zu suchen ist. Rubbra ist im Wesentlichen Rubbra. Und das hat es ihm schon zu Lebzeiten nicht unbedingt leicht gemacht. Seine zuweilen schrullige, mit Versatzstücken aus fernöstlicher Musik ebenso wie mit einem chromatischen Blick zurück über die Schulter der Musikgeschichte angereicherte Musik lebt von einem der außergewöhnlichsten Personalstile in der Musik des 20. Jahrhunderts.

Ein ganz eigener Querkopf schreitet auch in der „Sinfonie Concertante“ Op. 38 selbstbewusst und etwas rumpelig durch das Orchester. Es ist der Komponist selbst, der hier als Solist am Klavier seine eigene Komposition mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra unter Leitung Hugo Rignolds vorträgt. Es ist, man ahnt es, ein Stück mit vielen Gesichtern: Antik wirkende Satzbezeichnungen wie „Fantasia“ und „Saltarella“ beinhalten Musik, die wirkt, als hätte sich der kompositorischer Geist Rubbras in einem einzigen Rausch über das Notenpapier ergossen: Sich stetig abwechselnde Ideen, Versatzstücke fast, kaum etwas wird motivisch fortgeführt, entwickelt, vieles wirkt wie akustisch in den Raum gestellt, sehr plakativ. Wüsste man nicht, dass diese Musik von einem Engländer geschrieben wurde, hätte man sie auch problemlos als Musik eines indischen Kolonialkomponisten akzeptiert.

Die „Sinfonia Concertante“ ist eine alte Gattung, war sehr beliebt bei den Komponisten der Mannheimer Schule und Frankreichs des 18. Jahrhunderts, Mozart griff die Gattung auf, bis sie im 20. Jahrhundert – kurios genug – ausgerechnet in Großbritannien viele Anhänger fand, darunter neben William Walton, der vielleicht das bekannteste moderne Beispiel für die Gattung lieferte, eben auch Edmund Rubbra. Er verstand die Gattung weniger als Konzert (wie es viele seiner Kollegen ziemlich unverhohlen taten), sondern stärker im Sinfonie-Sinne, bei der das solistische Klavier gleichzeitig auch Ensemblefunktionen innehat. Sehr originell, sehr eigen, sehr ungewöhnlich… Rubbra eben.

Es folgen die „Prelude and Fugue on a theme of Cyril Scott“ Op. 69 sowie eine Eigenkomposition Cyril Scotts, die Edward Rubbra als Pianist solo vorträgt. Cyril Scott war Rubbras großes Idol und sein Privatlehrer, nachdem der 17-jährige Rubbra ein Konzert mit Musik Scotts organisiert hatte und dadurch dem Meister positiv aufgefallen war. Bemerkenswert ist, wie viel Seele, welche Innigkeit Rubbra als Interpret in seinen Scott-Vortrag legt. Er wirkt hier als Pianist wie ausgewechselt. Keine Spur mehr vom rumpelig-hemdsärmeligen Stil, den Rubbra bei der Interpretation seiner eigenen Kompositionen pflegt. Hier ist plötzlich ein Pianist, der um Kantabilität, feinste dynamische Abstufungen, Empfindungstiefe bemüht ist. Das Cyril Scott-Stück „Consolation“ ist freilich auch ein sehr dankbares Objekt, um diese Vortrags-Charakteristika ausgiebig zu demonstrieren.

Nachdem wir bis hierhin Rubbra selbst als Interpreten hören konnten, begegnet uns im Violinkonzert Solist Endré Wolf mit dem BBC Symphony Orchestra, dirigiert von Rudolf Schwarz. Die Einspielung von 1960 ist die älteste und klanglich problematischste in diesem Set aus BBC-Mitschnitten, die nur dank der privaten Rundfunkaufnahmen des Lyrita-Gründers Richard Itter überlebt haben. Die beiden anderen, die klanglich durchaus zu gefallen wissen, datieren auf 1967. Es fällt schwer, das Stück zu beurteilen angesichts eines Aufnahmeklangs, bei dem Teile des Orchesters wie verschluckt zu sein scheinen, während die Solostimme im Mono-Mix alles andere überdeckt. Doch eines ist klar: Die Interpretation ist hier alles andere als ideal. Endré Wolf besitzt vor allem in den anspruchsvollen Doppelgriffen und Modulationen keine sichere Intonation. Es ist schwierig, sich das mit Genuss anzuhören. Solostimme und Orchester wirken nicht nur klanglich sondern auch interpretatorisch wie zwei getrennte Einheiten. Das macht einfach keinen Spaß.

Für Rubbra-Fans dürfte sowieso die andere Hälfte des Albums interessanter sein, wo der Komponist als Interpret eigener Werke und Werke seines Mentors Cyril Scott in Erscheinung tritt. Und dieser Teil des Albums darf auch in der Tat musikhistorische Bedeutung für sich verbuchen und ist für damalige BBC-Verhältnisse mit sehr gutem Klangbild produziert. Soweit also eine Empfehlung für Fans britischer Musik abseits ausgetretener Pfade.

[Grete Catus, August 2017]

Leicht bis abgründig

DUX 1286; EAN: 5 902547 012865

Die drei erhaltenen Streichquartette des polnischen Komponisten Szymon Laks sind auf der neuesten CD des Messages Quartet für DUX zu hören.

Die Musik von Szymon Laks (1901-1983) erfreut sich immer größerer Beliebtheit, wie eine ansehnliche Auswahl aktueller CD-Einspielungen für unterschiedliche Labels beweist. Dies war vor wenigen Jahren noch vollkommen anders, bis der in Berlin lebende Musikforscher Frank Harders-Wuthenow beinahe im Alleingang unter Beihilfe von Laks‘ Sohn André den vergessenen Meister entdeckte und sich dafür einsetzte. Harders-Wuthenow ist auch die treibende Kraft hinter der bahnbrechenden CD-Reihe „poland abroad“ (bei EDA), und er gab (gemeinsam mit Elisabeth Hufnagel) Laks‘ Autobiographie über seine Jahre in Auschwitz heraus, welche der genaueste und in gewisser Weise auch neutralste mir bekannte Bericht über das Musikleben in den NS-Konzentrationslagern ist.

Äußerst wünschenswert wäre, dass der Boom, der derzeit um diesen polnischen Komponisten herrscht, anhält und noch mehr Werke umfassen möge. Die drei Quartette wurden im vergangenen Jahr gleich zwei Mal in Gänze aufgenommen, zudem erschien erst kürzlich bei Chandos (Chan 10983) das Vierte Quartet mit dem ARC Ensemble. Auf den ersten Blick verwundert, dass die Quartette mit den Nummern drei bis fünf versehen sind – doch liegt des Rätsels Lösung darin, dass das Dritte Quartett 1945 geschrieben worden ist: Die ersten beiden Streichquartette entstanden vor Laks‘ Zeit in Auschwitz – sein Sohn vermutet in seinem Vorwort zur CD, sie seien aus den Jahren 1928 und 1932 – und sind verschollen.

Das Dritte Quartett „schockiert“ auf mehreren Ebenen: vor allem dadurch, dass es nicht schockiert. Für ein 1945 von einem KZ-Überlebenden komponiertes Werk enthält es erstaunlich viele Lichtblicke, spiegelt zu keiner Zeit die Schrecken der vergangenen Jahre wieder und ebenso wenig die Freude, überlebt zu haben. Es wirkt gar distanziert von allem, was das äußere Leben des Komponisten angeht: L’art pour l’art in französischem Verständnis. Auch klingt es nicht wie ein Werk der Mitte des 20. Jahrhunderts, scheint fast eher dem 19. Jahrhundert zu entstammen mit seinem Folklorismus – wenngleich sehr individuell integriert – und seiner tonalen Schlüssigkeit. Überwiegend leicht beschwingt klingt das Vierte Quartett, das 1965, drei Jahre nach seiner Fertigstellung, den Queen Elisabeth-Wettbewerb gewann. Laks macht ausgiebigeren Gebrauch von Tonerzeugungstechniken des 20. Jahrhunderts und im Mittelsatz von dissonant dichten Akkordstrukturen, und doch würde man eine wesentlich frühere Entstehungszeit vermuten. Die Musik ist keineswegs „veraltet“, sie ist in einem sehr individuellen und ausgefallenem Stil geschrieben, der nicht zu seinen Zeitgenossen passen mag. Ein Jahr später beendete Laks sein Fünftes Quartett, das sein letztes bleiben sollte, unvergleichlich komplexer und dichter als seine Vorgänger, düsterer und bedrohlicher in der Aussage, besonders den russischen Komponisten des 20. Jahrhunderts nahestehend, allen voran Schostakowitsch.

Das Messages Quartet spielt die drei Werke beherzt und offen, gerade heraus nach vorne gerichtet. Dies mag deren luminöser Klarheit entgegenkommen, geht jedoch auf Kosten der vagierenden und doppelbödig brodelnden Passagen. Die Nüchternheit der Darbietung bewahrt das Dritte Quartett davor, tatsächlich romantisch zu wirken. Die Stimmen sind gleichwertig und ineinandergreifend verwirklicht, wobei der Fokus auf das im jeweiligen Moment musikalisch zentral Geschehende oft vernachlässigt wird, was zur Folge hat, dass immer wieder melodische und harmonische Nuancen unhörbar bleiben.

[Oliver Fraenzke, August 2017]

Letzte Lieder

Capriccio, C5292; EAN: 8 45221 05292 2

Den „Schwanengesang“ D. 957 Franz Schuberts singt Bo Skovhus für Capriccio, sein Klavierpartner ist Stefan Vladar.

Das letzte Werk eines Künstlers wird traditionell als Schwanengesang tituliert, und wo passt dieser Ausdruck schöner als bei Schubert, dessen letztes Vermächtnis aus einer Reihe von Liedern besteht, die vermutlich zumindest teilweise zyklischen Zusammenhalt aufweist. Sieben Lieder nach Ludwig Rellstab und sechs nach Heinrich Heine finden sich im gleichen Autograph, ein letztes Lied von Johann Gabriel Seidl (Die Taubenpost), welches oft mit einbezogen wird, ist mit Sicherheit nicht für den Zyklus gedacht gewesen. Die heute übliche Zusammenstellung geht auf Tobias Haslinger, den Verleger Schuberts, zurück.

Bo Skovhus und Stefan Vladar fügen ihrer Aufnahme des Schwanengesang eigenmächtig weitere Lieder hinzu: Sehnsucht, Am Fenster und Wiegenlied aus dem Opus 105, Bei Dir allein aus dem Opus 95 nach Seidl sowie Herbst D 945 nach Rellstab. In ihrer Anordnung kommen zunächst die Seidl-Lieder, es folgen die Heine-Lieder und Rellstab setzt den Schlussstrich passend mit Abschied.

Aus der lang währenden Zusammenarbeit zwischen Bo Skovhus und Stefan Vladar sind damit CD-Aufnahmen der drei großen Liederzyklen Schuberts hervorgegangen, neben der Schönen Müllerin und der Winterreise nunmehr auch der hier vorliegende Schwanengesang. Es gibt hinreißende wie inspirierte Momente im Gesang Bo Skovhus’, der durch deutliche Textverständlichkeit besticht. Gut gelingen ihm gerade die trüben, verhaltenen Passagen, denen er stimmlich etwas geradezu Belegtes und Unheimliches verleihen kann. Hingegen verfallen die aufbegehrenden Passagen und Höhepunkte in einen flachen Opern-Gestus, der wenig zu den intimen Liedern Schuberts passen mag. Standardisiertes Vibrato und selbstdarstellerisches Dröhnen kompensiert den Eindruck der intim monologisierenden Welt, in die der Sänger uns zuvor zuvor mitgenommen hat.

Als Liedbegleiter erweist sich Stefan Vladar als aufmerksamer Zuhörer und kann auf seinen Partner adäquat eingehen. Dies überrascht positiv, gerade in Bezug auf seine letzten Aufnahmen als Konzert-Solist, in welchen nur rudimentäre Verbindung zu seinen Orchestermitstreitern erkennbar war. Verträumte Lieder wie das Wiegenlied D 867 erhalten so eine sanft erspürte Ruhe und stimmige Phrasierung. Je mehr sich die Stimmung allerdings aus der Intimität entfernt, desto eingeebneter, ruppig geschlagener und konturschwächer wird allerdings Vladars Spiel. Und doch ist erwähnenswert, wie sich sein Spiel insgesamt gewandelt hat, wie sein Ausdruck an der Seite eines Sängers selbst sängerischer wurde, und wie sich der Schwerpunkt von leerer Pianistik in Richtung sensibler Musikalität verlagert hat.

[Oliver Fraenzke, August 2017]

Kühne Harmonien und brachiale Wucht

Hyperion, CDA68205; EAN: 0 34571 29205 3

Das Klavierkonzert (1932-1936) sowie die zweite Ballade für konzertantes Klavier und Orchester (1943) des bulgarischen Komponisten Dimitar Nenov sind – jeweils in Weltersteinspielung – auf der neuesten CD von Ivo Varbanov und dem Royal Scottish National Orchestra unter Emil Tabakov für Hyperion zu hören.

Es ist bereits einige Jahre her, als ein guter Freund und Kollege mir ein Notenheft eines bulgarischen Komponisten brachte, welches mich sogleich durch seine Prägnanz, markerschütternde Gewalt und halsbrecherische Virtuosität in seinen Bann zog. Es war Klaviermusik von Dimitar Nenov, welche mich seit dem nicht mehr los und meine Umgebung zugleich scheinbar kalt ließ. Dies könnte sich vielleicht nun ändern, wo seine Musik in die kundigen Hände von Emil Tabakov fiel, einem Landsmann Nenovs und selbst substanziellen Komponisten, der auch durch sein herausragendes Dirigat aus der Masse hervorsticht. Angestoßen wurde das Projekt durch den Pianisten Ivo Barbanov, der seit 2012 nach einer mehrjährigen krankheitsbedingten Pause wieder mit ungebrochenem Eifer tätig ist.

Dimitar Nenov war in seinen jungen Jahren gefeiert als Pianist und Komponist, doch war auch als Rundfunkproduzent und nicht zuletzt als Architekt tätig, eine Reihe wichtiger Gebäude und Bahnhöfe in Bulgarien gehen auf seine Planung zurück. Mit der Etablierung des Kommunismus in Bulgarien ab 1944 geriet er als Freigeist unter Generalverdacht und wurde mehrfach öffentlich diffamiert, seine Aufnahmen wurden vernichtet und einige Werke durch fremdes Zutun bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Auch wenn sich die Intensität dieser Anfeindungen bald abschwächte, blieben die Spuren dieser Erfahrungen im Schaffen Nenovs unverkennbar bestehen. Nach seinem Tod 1953 war er dann schnell vergessen.

Kühne Harmonien und brachiale Wucht zeichnen die Musik des Bulgaren aus, beinahe zwangsläufig schwingt ein gewisses Unbehagen mit. Selbst extravertiert ausgelassene Passagen weisen eine gewisse Doppelbödigkeit auf, eine unterschwellige Melancholie und Traurigkeit sind durchgehend bezeichnend für Nenovs Musik. Füllige Akkorde in groß besetztem Orchester geben den Werken Dichte und verleihen ihnen eine fast ausweglos scheinende, erdrückende Kraft. Gesangvolle Linien schlagen plötzlich in blanke Gewalt um, Schimmer der Hoffnung werden schnell hinweg gefegt. Diese Musik hat etwas Beängstigendes, aber in gleichzeitig Faszinierendes und Unergründliches.

Die formale Gestaltung des Klavierkonzerts umfasst riesige Dimensionen und überschreitet das beim ersten Hören Erfassbare. Das knapp 45 Minuten dauernde Werk umspannt zwar wie gewohnt drei Sätze, doch hängen diese thematisch zusammen und es entsteht die Wirkung eines einzigen, alles verbindenden Satzes. Martin Georgiev schreibt in seinem rundum informativen Booklettext, die Gesamtheit entspreche einer sehr umfassenden und weitausgreifenden Sonatenhauptsatzform, womit Nenov alles Dagewesene bis hin zu Bruckner und Mahler um Längen überbieten würde. In dieser Weise zeigt sich das Konzert natürlich beim bloßen Hören nicht erkennbar, das Konstrukt übersteigt das vom Menschen Korrelierbare um einiges. Ebenfalls groß dimensioniert ist die Ballade Nr. 2 für konzertantes Klavier und Orchester angelegt, die allgemein etwas zurückgehaltener erscheint als das bombastische Klavierkonzert und auch eine größere Ruhe ausstrahlt. Das Klavier integriert sich mehr in das Orchestergeflecht und steigt eher aus ihm empor, als einen eigenen, nur bedingt von seiner Umgebung abhängigen Part zu bilden.

Den an die Grenzen des anatomisch Bewältigbaren gehenden virtuosen Herausforderungen ist der Pianist Ivo Varbanov souverän gewachsen, auch ist ihm der trockene, nüchterne Ton zu eigen, der für solch eine Gewaltmusik notwendig ist. Nichts wird verschönert, die Musik wird mit all ihren Kanten und Unebenheiten wiedergegeben, die sie so charakteristisch machen und ihr den diabolischen Charme verleihen. Und doch wäre in manchen, gerade in den ruhigeren Passagen wünschenswert, in der Klangqualität des Klaviers doch auch über die simple Tastenebene hinauszuwachsen, Höhepunkte trompetenartig hervorzuschmettern, tiefe Passagen Fagott-artig zu behandeln und allgemein die Melodik gesanglich aufblühen zu lassen, den Tönen Leben zu verleihen, wo dies am Platze ist. Dies wird erst auffällig durch den Unterschied zum Dirigat Emil Tabakovs, der jede Stimme für sich leben lässt und selbst in den hämmerndsten Klangkaskaden den Sinn für eine subtileree Phrasierung behält. Tabakov holt alles an Musik heraus, was diese auf den ersten Blick oberflächlich-stumpf erscheinenden Klangorgien bieten – und definitiv mehr, als man erwarten dürfte.

[Oliver Fraenzke, August 2017]

Russische Klaviertrios, etwas zu defensiv

Naxos, LC 05537; EAN: 0747313356171

Das junge, niederländische Delta Piano Trio legt auf seinem CD-Debüt eine stilvolle und klangschöne Darbietung des etwas sperrigen Tanejew-Klaviertrios vor, ergänzt durch das frühe, unvollendete Trio Alexander Borodins. Manches wirkt dabei allerdings noch ein wenig unentschlossen.

Die Musik von Sergej Iwanowitsch Tanejew (1856-1915) zeichnet sich vor allem durch sehr systematische, kontrapunktische Arbeit aus. Darin unterscheidet sich der Komponist ganz erheblich vom nationalrussisch gesinnten, sogenannten „mächtigen Häuflein“ (Balakirew, Borodin, Cui, Mussorgsky, Rimski-Korsakow), aber selbst noch vom mehr westlich geprägten Tschaikowsky. Tanejews permanente, polyphone Verdichtungen wirken oft künstlich ausgetüftelt, was bei etlichen Zeitgenossen in seiner Heimat eher auf Unverständnis stieß. Für westliche Kammermusikfans, bei denen ja für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem Brahms als das Maß der Dinge gilt, müsste Tanejew (gerade auch seine Streichquartette) aber größeres Interesse hervorrufen als noch derzeit, weist doch manches hier durchaus schon auf die Komplexität Regers oder die frühen Werke der Zweiten Wiener Schule hin, wenn auch die Harmonik hochromantisch verwurzelt und völlig tonal bleibt. So ist das fast dreiviertelstündige Klaviertrio D-dur (1908) nicht nur ein handwerklich grandioses Musikstück: Die Vielfalt der Stimmungen – besonders im zweiten Satz, der geschickt Scherzo und Variationsform verbindet – wirkt ungeheuer abwechslungsreich, und das enge Beziehungsgeflecht von Motiven und Themen hält das lange Stück satzübergreifend in bemerkenswerter Weise zusammen. Dieses auch überzeugend darzustellen, fordert von den Interpreten allerdings ein hohes Maß an Deutlichkeit sowie einen großen Atem.

Das Delta Piano Trio hat sich erst 2013 aus drei jungen Niederländern formiert, aber bereits mehrere internationale Preise gewonnen und wird u.a. von Rainer Schmidt (Hagen Quartett) gefördert. Ich habe mir nochmal die beiden bisher maßstabsetzenden Einspielungen von Tanejews op. 22, trotz ihrer geradezu überraschenden Unterschiedlichkeit, zum Vergleich angehört: Das Borodin-Trio (Chandos, 1988) sowie die Aufnahme mit Vadim Repin, Lynn Harrell und Michail Pletnjow (DG, 2005). In vielerlei Hinsicht scheint das Delta Piano Trio hier zu versuchen, gewissermaßen den ‚goldenen Mittelweg‘ zu finden. Das beginnt bei der Wahl der Tempi: Bei allen vier Sätzen des Klaviertrios sind die Borodins jeweils langsamer, Repin, Harrell & Pletnjow jeweils schneller. Das hat natürlich Konsequenzen weit über die Statistik hinaus. Kostet das DG-Trio gerade im rhythmisch vertrackten und mit teilweise staunenswerten Perspektivwechseln arbeitenden zweiten Satz die Extreme im ganz wörtlichen Sinne aus, bleiben die Borodins bei ihrer schon im Kopfsatz vorherrschenden, etwas behäbigen und akademisch wirkenden Geradlinigkeit. Bei ihnen wirkt dann der zweite Satz eher rückwärtsgewandt, wie ein zweiter Aufguss des (formalen) Vorbilds aus dem Tschaikowsky-Klaviertrio – trotz an sich offensiver Musizierhaltung. Das Delta-Trio hat im Kopfsatz mehr Eloquenz als die Borodins, spielt – das gilt für die ganze CD – immer äußerst klangschön und mit hochdifferenzierter Artikulation. Für die Verrücktheiten des Variationssatzes fehlt aber dann doch der Mut zur Waghalsigkeit, der bei Repin, Harrell und Pletnjow gerade das Faszinosum darstellt. Natürlich wird technisch alles blitzsauber bewältigt, aber die Pianistin Vera Kooper kann es bei weitem nicht mit Pletnjows Brillanz aufnehmen. Insgesamt bleiben die Niederländer in ihrer Dynamik äußerst diskret – für meinen Geschmack viel zu zurückhaltend. So gerät mancher Piano- bzw. Pianissimo-Abschnitt zu fast nichtssagendem Gesäusel, der Ernst einiger dynamischer Steigerungen – z.B. III. Satz ab Ziffer [125], wo chromatisch aufwärtsgehende Oktavsprünge schon beinahe Richard Strauss‘ Metamorphosen vorwegnehmen – wird ebenso verfehlt wie der wirklich optimistische Schluss des Finales. Andererseits wird manches nebensächliche Detail überinterpretiert (Finale, Übergang vor Ziffer [151]), was den Fluss der Musik unnötig ins Stocken bringt. Der Violinkadenz am Schluss des Andantes, eine unverhohlene Reverenz ans Tschaikowsky-Violinkonzert, fehlt der gewisse Hauch bewusster Ironie.

Danach folgt noch eine echte Rarität, im Konzertsaal praktisch nie zu hören: Das frühe Trio (1860) von Alexander Borodin, trotz zehnjähriger Entstehungszeit unvollendet geblieben (ein Finale fehlt), dessen sich das Delta Piano Trio liebevoll annimmt. Natürlich ist dies ein eher unreifes Werk, das neben Tanejew völlig belanglos wirken muss. Immerhin können alle drei Spieler hier ihre Instrumente zum Singen bringen, gerade in der Romanze.

Trotz der vorgebrachten Einwände ist dies eine durchaus beachtenswerte Visitenkarte eines vielversprechenden Klaviertrios, das mutig relativ unerschlossenes Repertoire in Angriff nimmt, im Zusammenspiel bereits perfekt harmoniert, sich jedoch an musikalischer Ausdruckskraft sicher noch steigern kann, wenn es sich denn klanglich etwas mehr aus der Defensive traut.

[Martin Blaumeiser, August 2017]

 

S(w)ingende Klarinette

cpo 555 154-2; EAN: 7 61203 51542 4

Drei zeitgenössische Klarinettenkonzerte auf im Grenzbereich zwischen Jazz und Klassik sind auf „Symphonic Jazz with Andy Miles“ zu hören. Die Musik stammt von Jorge Calandrelli, Daniel Freiberg und Jeff Beal, es spielt das WDR Funkhausorchester Köln, bei den ersten beiden Kompositionen geleitet von Wayne Marshall und bei der dritten von Rasmus Baumann.

Der Jazz übte gleich nach seinem Aufkommen eine besondere Faszination auf klassische Komponisten aus – und umgekehrt. Der Komponist übte sich in den swingenden Rhythmen und kühnen Harmonien, der Jazzer in der Konstruktion klassischer Formen. So entstand, es kann nicht verwundern, eine unüberschaubare Vielzahl an Werken zwischen den Genres, nicht selten unter Einbezug lateinamerikanischer Musik, die dem Jazz in mancherlei Hinsicht nahe steht. Milhaud, Gershwin, Antheil, Strawinsky, Schulhoff, Tansman, Zimmermann, Liebermann, Mingus, Honegger, Bernstein, Copland, Ravel, Ellington, Nussa bis hin zu Keith Jarrett, Terje Rypdal, Chick Corea, Michael Daugherty und den ClazzBrothers: die Liste lässt sich sowohl von der Klassik- als auch von der Jazzseite aus beinahe beliebig erweitern. Die stilistische Bandbreite hierbei ist enorm, es entstanden ganz neue Kombinationen und individuelle Stilmischungen, man denke alleine an die avantgardistisch, beinahe ironisch anmutende Erstfassung von Antheils „A Jazz Symphony“, die Gershwin und Milhaud gnadenlos auf die Schippe nimmt, oder an Ernán-López Nussas stilvolle kubanische Bearbeitungen klassischer Werke. Ähnliche Umarbeitungen gingen jüngst online viral durch den Pianisten Joachim Horsley.

Drei zeitgenössische Werke aus dieser ‚Grauzone’ zwischen Klassik und Jazz befinden sich auf vorliegender Platte, jeweils in Form eines Klarinettenkonzerts. Jorge Calandrelli (geb. 1939) und Daniel Freiberg (geb. 1957) geben jeweils explizit einen Jazzklarinettisten als Solisten an, Jeff Beal (geb. 1963) verlangt keine spezifische Klarinette. Calandrelli präsentiert ein weites Spektrum der Interferenz zwischen den Genres, wobei er eine Vielzahl mitreißender Momente heraufbeschwört, die Gesamtform dadurch allerdings eher ins Episodische zerfasert. ’Latin American Chronicles’ heißt das Konzert von Freiberg, das nicht nur durch groovende lateinamerikanische Rhythmen besticht, sondern auch durch eine geschickte Integration der harmonischen und melodischen Klangwelten Lateinamerikas in die symphonische Form. Formal am interessantesten gestaltet sich das Konzert von Beal, dessen erster Satz spezifsch dadurch für sich einnimmt, dass er Jazzelemente sauber in das klassische Formmodell einarbeitet und eine geradezu spielerische Leichtigkeit der Formbewältigung präsentiert. Der dritte Satz ist eigentlich nur der zweite Teil des zweiten Satzes und er lässt verdutzen: Haben die ersten zwei Sätze (’Riches to Rags’ und ’Famines to Feasts, part one’) symphonische Längen, so bricht das Finale (’Famines to Feasts, part two’) nach lediglich anderthalb Minuten ab und lässt den Hörer fassungslos zurück – welch ein schelmischer Zug, der bei genauer Betrachtung sogar noch musikalischen Sinn ergibt!

Dass Beals Konzert in seiner formalen Qualität so hervorsticht, kann zu einem gewissen Teil aber auch den Musikern zu verdanken sein: Rasmus Baumann – welcher nur dieses Konzert dirigiert – erfasst die Musik wesentlich organischer und mehrdimensionaler als Wayne Marshall, dessen Dirigat flach und kontrastlos erscheint, es gibt bei ihm kaum sinnerfüllte Gestaltung der Phrasen und allgemein der gesamtmusikalischen Entwicklung.

Als Solist glänzt Andy Miles mit atemberaubender Souveränität und feinem Gespür für jeden einzelnen Moment. Die technische Spitzenleistung lässt er dabei durch seinen spielerischen Frohsinn, durch pure Freude an der Musik vergessen.

[Oliver Fraenzke, August 2017]

Lohnend, da zwiespältig

Lyrita, EAN: 5 020926 112125

William Wordsworth (1908-1988), britischer Komponist und hierzulande kaum bekannt.
Ein Urteil anhand dieser Einspielungen: zurecht unbekannt?

  1. Ja.

Weil seine tonal-basierte Tonsprache sich unverkennbar an großen, slawischen Vorbildern orientiert. In reiferen Jahren sich immer mehr an Klangbildern zeitgenössischer Kollegen wie Witold Lutoslawski, Miloslav Kabelac anzulehnen scheint. Man mag das unter Gleichzeitigkeit verbuchen – dieses „so nah“-Sein. Spätestens in der 1960 veröffentlichen Symphonie No. 5 a-moll erweist sich Schostakowitsch als unüberhörbares Vorbild: instrumentatorisch und hauptsächlich atmosphärisch. Klänge frostiger Verlassenheit und Trauer. Einsame Holzbläser-Soli über Streichergrund.

Und dann spricht er im Finale in britischem Zungenschlag, als fände er vom Vorbild nach Hause zurück. Die Musik ist von ernsthaftem Anliegen getrieben, stark im Ausdruck, voller plastischer Emotion. Transparent, auch im Massiven. Nahezu elegisch in ruhigen Augenblicken der Reflektion des eben Erklungenen.

Was fehlt? Schwer, das in Worte zu fassen. Ein nach-vorne-gehen-Wollen, dass letztlich auf der Stelle tritt? Das Zwingende des Argumentes, das man vermisst? Der große architektonische Bogen? So deutlich in den Scherzi beider eingespielten Sinfonien: scheinbar alles da – nur: das Scherzoide, auch das angestrebte Maliziöse stellt sich nicht ein. Alles halbgar sich abarbeitend am imaginären Gerüst eines Ideals. Im letzten Satz der 1944 erschienenen Symphonie webt Wordsworth die Hymne der Sowjetunion ein. Dieses „Panzerschiff“ von Alexandrow, wie Stalin es einmal genannt haben soll. Samt Annäherungen an das Lied der Wolgaschlepper: soviel Russland in Großbritannien war selten: Zeitgeist und Solidarität mit dem geschundenen Verbündeten – aber auch, und dies zeigt die spätere, 1960 veröffentliche Fünfte: offenbar eine klangsinnliche Herzensverbundenheit.

Zu den Interpreten: was soll man sagen? Historische Live-Aufnahmen der BBC, mitgeschnitten bei Konzerten mit allem Charme des Direkten und Ungeschliffenen. Anzunehmen, prima vista bzw. mit wenig Proben dargeboten.

Aber Wordsworth mag man einiges anlasten – nicht: er mache es allen schwer.

  1. Nein!

Weil die Musik Wordsworths Zustände der Einsamkeit zeichnet und heroische Gesten des Aufbegehres, die anrühren. Meisterlich (sic!) instrumentiert, kontrolliert und durchhörbar ausbalanciert. Da mag auch mal die Solovioline über Gebühr entschweben und an der Kitschgrenze kratzen – geschenkt!

Fazit: Lohnend! Weil zwiespältig.

 [Stefan Reik, August 2017]

Sich treiben lassen

Dreizehn Tracks sind auf dem Album „The Blue Hour“ von Federico Albanese für Berlin Classics Neue Meister zu hören. Er selbst spielt beinahe alle Instrumente und bedient die Elektronik, einzig Arthur Hornig und Carlota Ibañere de Aldecoa Silvestre wirken als Cellisten mit.

„Schönheit ohne Tiefgang“ ist eine Bezeichnung, die so für das Label Berlin Classics Neue Meister geltend gemacht werden kann. Ein exemplarisches Beispiel dessen stellt „The Blue Hour“ des 1982 geborenen Italieners Federico Albanese dar. Es handelt sich um eine Musik, die sich in den Bereich der Ambientemusik einordnen lässt, auf minimalistischen Patterns aufgebaute Musik, deren statische Elemente dazu beitragen, dass der Hörer den Halt verliert und sich in den zumeist zart-melancholischen Klängen treiben lässt. Die Zeit verschwimmt und zu leicht verlieren sich die Gedanken, die Musik führt beinahe zwangsläufig ein Hintergrunddasein hinter den Stimmungsbildern und Ideen, die durch sie angeregt und bereichert werden mögen. Sei es zu einem nächtlichen Spaziergang, einer Ausstellung oder ruhig bewegten Bildern, diese Musik fügt sich ein – wer jedoch sein Hauptaugenmerk auf die Musik selbst legen und sie nicht bloß zum Abspannen nutzen will, der sucht hier vergebens: Es gibt nicht einen außergewöhnlichen Moment, keine einzige sich ins Gedächtnis einbrennende Wendung, keinen aufregenden formal zusammenhängenden Aufbau, nur Gleiten und Stillstand.

Es ist eine anregende, anmutige Grazie, die diese Musik ausstrahlt, sie bewegt oberflächlich und spielt mit den einfachsten Emotionen des Menschen. Nichts Besonderes ist in ihr, nichts zeichnet sie aus, und doch bewegt sie – vermutlich eben weil sie keinen Tiefgang besitzt und den Menschen an seiner Oberfläche unmittelbar anspricht.

[Oliver Fraenzke, August 2017]

Die Oper von der Erde?

GUSTAV MAHLER (1860-1911): Das Lied von der Erde (Fassung für Gesang und Klavier)
Alexandra von Roepke, Mezzosopran; Peter Furlong, Tenor; Christian Kälberer, Klavier

Thorofon CTH 2638; 4 003913 126382

‚Das Lied von der Erde’ – heute allbekannt in der Orchesterfassung – wurde von Gustav Mahler selbst auch für Klavier bearbeitet. Allerdings kam es zur Uraufführung dieser Fassung erst 1989 und es ist ausdrücklich kein ‚Klavierauszug’ jener Orchesterfassung, die heute längst die Konzertsäle erobert hat.

Die Frage, warum es diese „abgemagerte“ Fassung gibt, was Mahler dazu bewegt haben könnte, möchte ich mit einer Hypothese beantworten: So kommt das ‚Lied von der Erde’ noch unverstellter zum Ausdruck als in der beliebten Orchestrierung.

Und genau das ist der Ansatz meiner CD-Kritik, denn hier wird nicht das ‚Lied von der Erde’ aufgeführt, sondern eine „Oper von der Erde“. Der Pianist Christian Kälberer realisiert diese Mahler’sche Musik mit bewundernswerter Klarheit, mit Musikalität und Spürsinn für die typische Klanglichkeit in Mahlers Musik. (Auch seine Biographie im Booklet ist von seltener Zurückhaltung, Selbst-Ironie geprägt, und gipfelt in dem Satz: „…wenn diese CD-Einspielung hörbar dazu beitragen kann, ist eigentlich alles gesagt.“ Ecce homo!)

Was Kälberer betrifft, ist das auch voll und ganz erfüllt. Wie er aber als Erfüllungsgehilfen diese beiden Sängern hinzuziehen konnte  – er selbst ist für die Produktion verantwortlich –, ist und bleibt mir schleierhaft. Solch ein Danebengehen einer Einspielung ist mir selten untergekommen.

Dass man bei normal „verbildeten“ Sängern und Sängerinnen – vor allem, wenn sie aus dem Opernfach kommen – bei Liedern meist kein Wort versteht, ist man ja inzwischen gewöhnt, dass aber zwei Sänger aus dem Lied von der Erde eine „Oper von der Erde“ machen mit weite Strecken unkontrolliertem Vibrato, absoluter Text-Unverständlichkeit und einem opernhaft oberflächlichen Pathos, das den Texten und auch der musikalischen Aussage total zuwider läuft, das ist ein Höhepunkt der Unkultur. Dabei gibt es auch heute durchaus Sänger, die Stimme mit Textverständlichkeit – also Musik mit Poesie – verschwistern können, als Beispiel führe ich hier nur Herrn Gerhaher an. Und zitiere wieder einmal Hans Gal (1890-1987) aus seinem bis heute unübertroffenen Buch über Schubert: „…und man hat das Recht, bei der Erwägung einer solchen Frage an den vornehmsten Typ eines Interpreten, eines Hörers und an die vollkommenste Wortdeutlichkeit  zu denken – , so wird für ihn eine Meistervertonung eines Gedichts von höchster Vollendung ein Erlebnis sein wie kein anderes“. (S. 86)

Schade, denn mit diesem höchst musikalischen Gestalter am Klavier und zwei adäquaten Sängerinnen und Sängern könnte die Wiederentdeckung der Klavierfassung dem „Lied von der Erde“ von Gustav Mahler neue berechtigte Begeisterung bringen. So aber muss man von einem totalen Missverständnis –ausschließlich bei den beiden Gesangs-Protagonisten – sprechen. (Was übrigens bei den Biographien der beiden bestätigend hinzukommt: Name-Dropping pur.)

[Ulrich Hermann, Juni 2017 ]

Gehaltvoll und was fürs Ohr

Arnold Rosner: Chamber Music
Label: Toccata Classics; Vertrieb: Naxos; Kat.-Nr.: TOCC0408 / EAN: 506113444080

Der 2013 verstorbene amerikanische Komponist Arnold Rosner war mir bislang zwar nicht bekannt, aber diese CD vom britischen Label toccata classics hat dazu beigetragen, dass ich große Lust darauf bekommen habe, diesen Zustand auch über dieses Album hinaus zu ändern. Haben wir es ja doch mit einem Komponisten zu tun, der offenbar ein großes Œuvre hinterlassen hat (allein auf diesem Album reicht die Spannweite der Opus-Nummern von Op. 18 (1963) bis Op. 121 (2006). Wo diese Musik herkommt, gibt es also wahrscheinlich noch mehr zu holen.

Auf Werkebene betrachtet haben wir es (wenn man dieses Album als alleinigen Maßstab nimmt) mit einem scheinbar sehr formbewussten, konservativen Komponisten zu tun. Drei Sonaten (Je eine für Violine/Klavier, Fagott/Klavier und Cello/Klavier) sind festzustellen, außerdem eine beinahe schon neo-barock anmutende Tanz-Suite mit vier Stücken nach teils alten Satzbezeichnungen (z.B. „Sarabande“) für Solo-Cello.

Spontan gefällt mir die das Album eröffnende Violinsonate am besten, bei der sich Rosner noch als ganz klar der typischen US-Moderne verpflichteter Komponist zeigt, dessen Tonfall etwas an Roy Harris oder William Schuman erinnert. In den drei späteren Werken ist Rosner idiomatisch wesentlich eigenständiger. Vergleiche fallen durchaus schwer. Die Kompositionen sind durchweg tonal, stehen an der Schwelle von einer teils schwelgerisch-spätromantischen Melodik hin zu einem expressiveren Umgang mit der Tonalität unter Einbezug von gelegentlichen Dissonanzen und zum Teil unerwarteten harmonischen Wendungen. Rosner ist insbesondere in den späten Werken auch ein sehr individueller Umgang mit dem Kontrapunkt anzumerken.

Mir gefällt das alles außerordentlich gut. Das ist Musik, die gleich ab dem ersten Moment gefällt, auch sofort von der Faktur her interessant klingt und sicherlich auch nach Jahren noch Aspekte offenbart, mit denen man sich als Hörer (und womöglich auch als Interpret) lohnend beschäftigen kann.

Stichwort Interpreten: Hier haben wir leider eine verhältnismäßig unausgegorene Truppe beisammen. Der bekannteste Name auf der Liste der Künstler dürfte Carson Cooman sein, der selbst als Komponist von zum Teil recht interessanter Orgelmusik reüssiert. Er erweist sich hier als tadelloser Pianist, dem offenbar viel an der dargebotenen Musik liegt. Er begleitet den ausgezeichneten Fagottisten David Richmond in der sehr geschmackvollen Fagott-Sonate. Die Violinsonate und die beinahe schon etwas exzessiv kontrapunktische Cello-Sonate bestreitet am Klavier hingegen Pianistin Margaret Kampmeier. Sie treibt ihre Duopartner manchmal ganz schon vor sich her, was nicht immer überzeugt. Violinist Curtis Macomber gefällt mir unter den Solisten leider am wenigsten, wobei es mir schwerfällt dies zu begründen. Sein Spiel ist solide und technisch kaum zu kritisieren, aber es ist nicht souverän, und auch Phrasierung ist nicht die Stärke Macombers. Vielleicht ist es aber auch nur mein subjektiver Geschmack, der sich gegen Macombers Ton sträubt. Cellistin Maxine Neuman arbeitet sich auf diesem Album tapfer und absolut überzeugend durch wirklich schwierige Stücke. Dass dies für den Hörer keine Pflichtübung sondern ein Genuss wird, liegt an ihrem empfundenen, musikalischen Vortrag. Spitze!

Die Aufnahmequalität des an zwei verschiedenen Standorten mitgeschnittenen Albums ist solide, wenn auch nicht wirklich „state of the art“. Es bleibt also zu hoffen, dass dieses Album vor allem einen Anstoß für weitere Interpreten und Labels sein wird, dieses wirklich interessante Repertoire öfter aufzuführen. Das ist doch erstaunlich gehaltvolle Musik, die auch ins Ohr geht. Hat man nicht so häufig!

[Grete Catus, August 2017]

Harfen und Geigen soll’n auch nicht schweigen…

Johann Wilhelm Hertel (1727-1789): Drei Harfenkonzerte in D, G und F; Symphonie in B-Dur
Silke Aichhorn, Harfe; Kurpfälzisches Kammerorchester; Kevin Griffiths, Dirigent

CPO 777 841 – 2; EAN; 7 61203 78412 7

Fakt ist, dass Johann Wilhelm Hertel bisher fast nur SpezialistInnen bekannt war, wo er doch in Schwerin im dortigen Musikleben des 18. Jahrhundert eine wichtige Rolle spielte. Aber dank CPO – dem Label, das immer wieder für Überraschungen und vor allem Neuentdeckungen gut ist – sollte sich das mit dieser CD mit Hertels Harfenkonzerten ändern.  Die drei Konzerte und auch seine Symphonie in B-Dur lassen einen sehr gewandten Komponisten erkennen, der den Tonfall der damals verbreiteten „Empfindsamkeit“ zu bemerkenswerter Blüte brachte. Denn seine Musik ist nicht nur schön und überzeugend, sie schließt auch die Lücke – wenigstens teilweise – zwischen Bach’scher kunstvollster Polyphonie und dem Idiom der Wiener Klassik. Und daran haben die hervorragende Harfenistin Silke Aichhorn und das Kurpfälzische Kammerorchester unter seinem Dirigenten Kevin Griffiths entscheidenden Anteil.

Das ist nicht nur gut musiziert, sondern lässt diese Musik in all ihrem melodischen, harmonischen und klanglichen Reichtum aufblühen. Da stimmen Phrasierung, Zusammenspiel und Begleitung mit dem überzeugenden Spiel der Solistin überein, das ist ein echtes „Concertare“, eine wunderbare Neuentdeckung einer Musik, die einen vom ersten bis zum letzten Ton mitnimmt und mitschwingen lässt.

Natürlich ist die Harfe ein Instrument – da dem Klavier sehr ähnlich –, das reiche Möglichkeiten der Melodik und der Harmonik zusammen mit der Klanglichkeit, wie sie eben ein Instrument hat, das ohne nötige „Mechanik“ oder Klappen oder Bögen direkt mit den Fingern und eben auch dem dazu gehörigen „Fingerspitzen-Gefühl“ gespielt wird, in die musikalische Waagschale legen kann. Wenn dazu ein Komponist, wie Johann Wilhelm Hertel einer war, sein ganzes Können diesen Kompositionen mitgibt, dann ist es kein Wunder, dass diese CD eine echte Bereicherung der Musik des 18. Jahrhunderts offenbart. Es gab eben auch vor Mozart, Haydn und Beethoven eine Art klassischer Musik, die – dankenswerter Weise – heute wieder stärker in den Blickpunkt rückt.

Ich kann gar nicht sagen, welches der drei Konzerte mir am besten gefällt, alle drei – genau so wie auch die Symphonie – sind für das Ohr ein musikalischer „Schmaus“, der bezaubert und durchaus den Wunsch weckt, mehr zu hören zu bekommen vom Schweriner Meister Johann Wilhelm Hertel.

[Ulrich Hermann, Juli 2017]