Leicht bis abgründig

DUX 1286; EAN: 5 902547 012865

Die drei erhaltenen Streichquartette des polnischen Komponisten Szymon Laks sind auf der neuesten CD des Messages Quartet für DUX zu hören.

Die Musik von Szymon Laks (1901-1983) erfreut sich immer größerer Beliebtheit, wie eine ansehnliche Auswahl aktueller CD-Einspielungen für unterschiedliche Labels beweist. Dies war vor wenigen Jahren noch vollkommen anders, bis der in Berlin lebende Musikforscher Frank Harders-Wuthenow beinahe im Alleingang unter Beihilfe von Laks‘ Sohn André den vergessenen Meister entdeckte und sich dafür einsetzte. Harders-Wuthenow ist auch die treibende Kraft hinter der bahnbrechenden CD-Reihe „poland abroad“ (bei EDA), und er gab (gemeinsam mit Elisabeth Hufnagel) Laks‘ Autobiographie über seine Jahre in Auschwitz heraus, welche der genaueste und in gewisser Weise auch neutralste mir bekannte Bericht über das Musikleben in den NS-Konzentrationslagern ist.

Äußerst wünschenswert wäre, dass der Boom, der derzeit um diesen polnischen Komponisten herrscht, anhält und noch mehr Werke umfassen möge. Die drei Quartette wurden im vergangenen Jahr gleich zwei Mal in Gänze aufgenommen, zudem erschien erst kürzlich bei Chandos (Chan 10983) das Vierte Quartet mit dem ARC Ensemble. Auf den ersten Blick verwundert, dass die Quartette mit den Nummern drei bis fünf versehen sind – doch liegt des Rätsels Lösung darin, dass das Dritte Quartett 1945 geschrieben worden ist: Die ersten beiden Streichquartette entstanden vor Laks‘ Zeit in Auschwitz – sein Sohn vermutet in seinem Vorwort zur CD, sie seien aus den Jahren 1928 und 1932 – und sind verschollen.

Das Dritte Quartett „schockiert“ auf mehreren Ebenen: vor allem dadurch, dass es nicht schockiert. Für ein 1945 von einem KZ-Überlebenden komponiertes Werk enthält es erstaunlich viele Lichtblicke, spiegelt zu keiner Zeit die Schrecken der vergangenen Jahre wieder und ebenso wenig die Freude, überlebt zu haben. Es wirkt gar distanziert von allem, was das äußere Leben des Komponisten angeht: L’art pour l’art in französischem Verständnis. Auch klingt es nicht wie ein Werk der Mitte des 20. Jahrhunderts, scheint fast eher dem 19. Jahrhundert zu entstammen mit seinem Folklorismus – wenngleich sehr individuell integriert – und seiner tonalen Schlüssigkeit. Überwiegend leicht beschwingt klingt das Vierte Quartett, das 1965, drei Jahre nach seiner Fertigstellung, den Queen Elisabeth-Wettbewerb gewann. Laks macht ausgiebigeren Gebrauch von Tonerzeugungstechniken des 20. Jahrhunderts und im Mittelsatz von dissonant dichten Akkordstrukturen, und doch würde man eine wesentlich frühere Entstehungszeit vermuten. Die Musik ist keineswegs „veraltet“, sie ist in einem sehr individuellen und ausgefallenem Stil geschrieben, der nicht zu seinen Zeitgenossen passen mag. Ein Jahr später beendete Laks sein Fünftes Quartett, das sein letztes bleiben sollte, unvergleichlich komplexer und dichter als seine Vorgänger, düsterer und bedrohlicher in der Aussage, besonders den russischen Komponisten des 20. Jahrhunderts nahestehend, allen voran Schostakowitsch.

Das Messages Quartet spielt die drei Werke beherzt und offen, gerade heraus nach vorne gerichtet. Dies mag deren luminöser Klarheit entgegenkommen, geht jedoch auf Kosten der vagierenden und doppelbödig brodelnden Passagen. Die Nüchternheit der Darbietung bewahrt das Dritte Quartett davor, tatsächlich romantisch zu wirken. Die Stimmen sind gleichwertig und ineinandergreifend verwirklicht, wobei der Fokus auf das im jeweiligen Moment musikalisch zentral Geschehende oft vernachlässigt wird, was zur Folge hat, dass immer wieder melodische und harmonische Nuancen unhörbar bleiben.

[Oliver Fraenzke, August 2017]

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