S(w)ingende Klarinette

cpo 555 154-2; EAN: 7 61203 51542 4

Drei zeitgenössische Klarinettenkonzerte auf im Grenzbereich zwischen Jazz und Klassik sind auf „Symphonic Jazz with Andy Miles“ zu hören. Die Musik stammt von Jorge Calandrelli, Daniel Freiberg und Jeff Beal, es spielt das WDR Funkhausorchester Köln, bei den ersten beiden Kompositionen geleitet von Wayne Marshall und bei der dritten von Rasmus Baumann.

Der Jazz übte gleich nach seinem Aufkommen eine besondere Faszination auf klassische Komponisten aus – und umgekehrt. Der Komponist übte sich in den swingenden Rhythmen und kühnen Harmonien, der Jazzer in der Konstruktion klassischer Formen. So entstand, es kann nicht verwundern, eine unüberschaubare Vielzahl an Werken zwischen den Genres, nicht selten unter Einbezug lateinamerikanischer Musik, die dem Jazz in mancherlei Hinsicht nahe steht. Milhaud, Gershwin, Antheil, Strawinsky, Schulhoff, Tansman, Zimmermann, Liebermann, Mingus, Honegger, Bernstein, Copland, Ravel, Ellington, Nussa bis hin zu Keith Jarrett, Terje Rypdal, Chick Corea, Michael Daugherty und den ClazzBrothers: die Liste lässt sich sowohl von der Klassik- als auch von der Jazzseite aus beinahe beliebig erweitern. Die stilistische Bandbreite hierbei ist enorm, es entstanden ganz neue Kombinationen und individuelle Stilmischungen, man denke alleine an die avantgardistisch, beinahe ironisch anmutende Erstfassung von Antheils „A Jazz Symphony“, die Gershwin und Milhaud gnadenlos auf die Schippe nimmt, oder an Ernán-López Nussas stilvolle kubanische Bearbeitungen klassischer Werke. Ähnliche Umarbeitungen gingen jüngst online viral durch den Pianisten Joachim Horsley.

Drei zeitgenössische Werke aus dieser ‚Grauzone’ zwischen Klassik und Jazz befinden sich auf vorliegender Platte, jeweils in Form eines Klarinettenkonzerts. Jorge Calandrelli (geb. 1939) und Daniel Freiberg (geb. 1957) geben jeweils explizit einen Jazzklarinettisten als Solisten an, Jeff Beal (geb. 1963) verlangt keine spezifische Klarinette. Calandrelli präsentiert ein weites Spektrum der Interferenz zwischen den Genres, wobei er eine Vielzahl mitreißender Momente heraufbeschwört, die Gesamtform dadurch allerdings eher ins Episodische zerfasert. ’Latin American Chronicles’ heißt das Konzert von Freiberg, das nicht nur durch groovende lateinamerikanische Rhythmen besticht, sondern auch durch eine geschickte Integration der harmonischen und melodischen Klangwelten Lateinamerikas in die symphonische Form. Formal am interessantesten gestaltet sich das Konzert von Beal, dessen erster Satz spezifsch dadurch für sich einnimmt, dass er Jazzelemente sauber in das klassische Formmodell einarbeitet und eine geradezu spielerische Leichtigkeit der Formbewältigung präsentiert. Der dritte Satz ist eigentlich nur der zweite Teil des zweiten Satzes und er lässt verdutzen: Haben die ersten zwei Sätze (’Riches to Rags’ und ’Famines to Feasts, part one’) symphonische Längen, so bricht das Finale (’Famines to Feasts, part two’) nach lediglich anderthalb Minuten ab und lässt den Hörer fassungslos zurück – welch ein schelmischer Zug, der bei genauer Betrachtung sogar noch musikalischen Sinn ergibt!

Dass Beals Konzert in seiner formalen Qualität so hervorsticht, kann zu einem gewissen Teil aber auch den Musikern zu verdanken sein: Rasmus Baumann – welcher nur dieses Konzert dirigiert – erfasst die Musik wesentlich organischer und mehrdimensionaler als Wayne Marshall, dessen Dirigat flach und kontrastlos erscheint, es gibt bei ihm kaum sinnerfüllte Gestaltung der Phrasen und allgemein der gesamtmusikalischen Entwicklung.

Als Solist glänzt Andy Miles mit atemberaubender Souveränität und feinem Gespür für jeden einzelnen Moment. Die technische Spitzenleistung lässt er dabei durch seinen spielerischen Frohsinn, durch pure Freude an der Musik vergessen.

[Oliver Fraenzke, August 2017]

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