Alle Beiträge von Ulrich Hermann

Dowland, Britten und Henze royal

Musicaphon M 56975; EAN: 4 012476569758

Ein ambitionierteres Programm auf einer Gitarren-CD kann man sich wohl kaum vorstellen: Es erinnert sehr an das letzte Konzert, das ich von Julian Bream hier in München hörte: Werke von Luis Milán, Henzes Royal Winter Music und Villa-Lobos‘ Etüden, also ein richtiges Konzert, das nicht – wie damals üblich – aus einer Abfolge von mehr oder weniger abgeklapperten „Stückchen“ in ideenloser Reihenfolge bestand. Glücklicherweise hat sich die Situation in den letzten Jahren total gewandelt. Zu erwähnen ist hier beispielsweise der Neuseeländer Gunter Herbig, der mit seinen Einspielungen neue Maßstäbe setzt, sogar auf der E-Gitarre (wie bei seiner Einspielung der Musik von Georges Gurdjieff).

Auch diese CD des Musikers – ich schreibe extra nicht: Gitarristen – Stefan Koim gehört zu den besten Beispielen seit langem und zeugt von hoher Musikalität. Sehr überzeugend vermittelt das Programm zwischen Werken John Dowlands – einzigartig bis heute – und zwei Stücken des 20. Jahrhunderts von Benjamin Britten und Hans Werner Henze, und ebenso überzeugend wird die Musik gespielt. Dass die Gitarre endlich den Platz findet, der ihr auch in der Klassik zukommt, dafür ist diese CD ein gelungenes Beispiel. Noch immer versuchen andere Gitarristinnen und Gitarristen durch bloße Schnelligkeit und oberflächliches „Runterspielen“, den Charme des Instruments zu transportieren, was sehr oft nicht gelingt und langweilt! Aber die sehr überlegte, durchgehörte und auch in den schwierigsten Momenten klare und beeindruckende Realisation dieser Stücke – angefangen von der vertrackten Polyphonie der Fantasien und Tänze des John Dowland bis hin zur von Shakespeare angeregten Royal Winter Music von Henze und zu Brittens Komposition Nocturnal – ist eine Sternstunde der Musik. Dem jungen Musiker, der auf mehreren Instrumenten zu Hause ist, wünsche ich eine so glanzvolle Zukunft, wie er es nach den beiden CDs, die ich von ihm bisher hörte, deutlich verdient.

[Ulrich Hermann, Juni 2021]

Strahlende Impressionen

Berlin Classics, 0301708BC; EAN: 885470027082

Sophie Dervaux (Fagott) und Selim Mazari (Klavier) widmen sich auf ihrem bei Berlin Classics erschienenen Album Impressions französischen Kompositionen des 19. und 20. Jahrhunderts.

Ich weiß schon, warum das Fagott zu meinen Lieblingsinstrumenten gehört. Noch dazu, wenn es von solch einer Könnerin gespielt wird! Sophie Dervaux präsentiert auf ihrer CD Stücke französischer Komponisten, die ihr als Französin natürlich besonders liegen. Im Booklet betont sie in einem Interview, wie wichtig es ihr ist, die verschiedenen Möglichkeiten des Fagotts zu zeigen, von den tiefsten Basslagen bis hin zu ungewöhnlichen melodischen Possibilitäten.

Verständlicherweise kommen Bearbeitungen solcher „Reißer“ wie Debussys Clair de Lune, Faurés Après un Rêve und Ravels Habanera dran. Aber eben auch in Deutschland weniger Bekanntes wie die 1918 komponierte dreisätzige Sonate op. 71 von Charles Koechlin (1867–1950), die Transkription des Liedes A Chloris von Reynaldo Hahn (1874–1947), oder die Sarabande von Henri Dutilleux (1916–2013), ein Frühwerk von einem der außergewöhnlichsten Komponisten des modernen Frankreich. Den Abschluss bildet die Komposition Interferences von Roger Boutry (1932–2019), bei der Sophie Dervaux in Bereiche des Instruments vorstößt, die extrem ungewöhnlich sind und einen schönen Kontrapunkt bilden zur Sonate op. 168 von Camille Saint-Saëns (1835–1921).

Die Arrangements stammen von der Musikerin selber und von ihrem Lehrer Carlo Colombo. Der Pianist Selim Mazari, der „begleitet“, ist ein adäquater Partner, sehr sensibel und bereitet damit genau das „Silbertablett“ vor, auf dem die Solistin wunderbar zum Strahlen kommt. Es ist eine wunderbare CD, die hoffentlich diesem Instrument noch viele Türen öffnen kann.

[Ulrich Hermann, Juni 2021]

[Rezensionen im Vergleich 2] Trio Montserrat: German Counterpoint

Aldilà Records, ARCD 014; EAN: 9 993643 980143

Ausgehend von der polyphonen Kunst von Altmeister Johann Sebastian Bach in einer Bearbeitung von Wolfgang Amadeus Mozart (KV 404a) von 1782 spielen die drei katalanischen Musiker Joel Bardolet (Violine), Miquel Córdoba (Viola) und Bruno Hurtado (Violoncello) Stücke dreier deutscher, ziemlich unbekannter Meister des 20. Jahrhunderts:

Eine Trio-Sonate des Dresdner Komponisten Paul Büttner (1870–1943) von 1930,

Eine Kammersonate in drei Sätzen von Heinz Schubert (1908–1945), 1934-1937 geschrieben,

und ein Streichtrio von Reinhard Schwarz-Schilling (1904–1985) aus dem Jahr 1983.

Das Programmheft von Christoph Schlüren weist mit Recht darauf hin, dass gerade diese Besetzung dem Komponisten ein Höchstmaß an Können und Intuition abverlangt, steht doch außer den drei verschiedenen Tönen eines Akkords kein vierter zur Verfügung, wenn die Dreistimmigkeit als gegeben vorausgesetzt wird. Dass dabei die Polyphonie dennoch ein gegebenes Kompositions-Mittel der Wahl ist, demonstriert das Trio Monserrat auf hervorragende Weise.

Für mich am leichtesten zugänglich – abgesehen von den drei Kompositonen von Bach/Mozart, die der „normalen“ Tonalität am verbundensten sind – ist die Musik von Paul Büttner, an dem mich immer wieder sein unerschöpflicher melodischer Erfindungsreichtum begeistert. Obwohl doch die Melodie im 20. Jahrhundert ausgedient zu haben schien. Nicht nur bei diesen Stücken, in denen Büttner mit der Form des Kanons spielt, auch bei seinen Symphonien ist die melodische Komponente verblüffend und faszinierend. Auch die Tonalität hat, bei aller Polyphonie, noch lange nicht ausgedient, was natürlich im damaligen Mainstream nicht zum Ansehen der Büttner’schen Musik betrug. Namhafte Dirigenten wie Arthur Nikisch oder Fritz Busch, die sich seiner Werke annahmen, konnten daran nur wenig ändern. So ist und bleibt Paul Büttner einer, dessen Musik noch immer zu entdecken ist. Wozu diese CD ihren dankenswerten Beitrag leistet.

Heinz Schubert, leider viel zu jung gestorben, ist sicher der, dessen Musik am weitesten und kompromisslosesten in die Zukunft wies. Auch wenn sein Nachname sich bis heute als eine allzu schwere Bürde erweist, ist sein Genie unbestreitbar, was auch bei dieser Kammersonate zu hören ist. Gerade bei der „Begrenzung“ auf das Streichtrio ist es verblüffend, welche neuartige Musik und neue Energien Violine, Viola und Violoncello hervorbringen. Vor allem dann, wenn diese von drei Meistern ihres Instruments „in statu nascendi“ gespielt werden. Beeindruckend die Intensität und das Zusammenspiel auch bei schwierigsten rhythmischen und harmonischen Verbindungen.

Heinrich Kaminski (1886–1946), der Lehrer von Reinhard Schwarz-Schilling, sah sich in seiner Musik sicher auch als legitimer Nachfahre des großen Bach. Diese Wertschätzung übertrug sich auf seinen Schüler, was im Streichtrio aus dessen vorletztem Lebensjahr deutlich zu hören ist. Insofern ist der Titel der CD „Deutscher Kontrapunkt“ mehr als gerechtfertigt. Alle drei Komponisten berufen sich in ihren Werken auf den großen Vorgänger Bach, der natürlich die Musik des ganzen 20. Jahrhunderts beeinflusste, direkt oder später auch via Cross-Over in den verschiedensten Formen.

Abgesehen von den merkwürdigen Strömungen der sogenannten 12-Ton Musik nach Schönberg, denen ja auch eine große Anzahl „ausgedachter“ Musik angehörte und noch immer angehört, ist die tonale oder auch die freitonale Musik z. B. eines Anders Eliasson (1947–2013) oder heute eines Robert Groslot (geb. 1951) allen „Seilschaften“ der „Neuen Musik“ zum Trotz eine nie versiegende Quelle der Musenkunst MUSIK. Quod erat demonstrandum.

[Ulrich Hermann, Februar 2021]

Auf Abstand in Höchstform

Münchner Kammerphilharmonie dacapo

Junge Solisten I

Konzert am Sonntag, 27. September im Künstlerhaus

Werke von Wolfgang Amadeus Mozart, Felix Mendelssohn Bartholdy und Ludwig van Beethoven

Xenia Bergmann, Violine

Nima Mirkhoshhal, Klavier

Leitung: Franz Schottky

Endlich! Endlich! Wieder nach einem halben Jahr ein Konzert der Kammerphilharmonie. Wie üblich als Auftakt ein Konzert im coronabesetzten (also mit grossem Abstand) Künstlerhaus mit zwei jungen Solisten.

Zu Beginn eine Ouvertüre des 11-jährigen Mozart zum Singspiel „Apoll und Hyazinth“. Kurz und dennoch schon typisch „mozartisch“ als Hors d’oeuvre. Dann kam die 17 Jahre alte Xenia Bergmann auf die Bühne und spielte vom berühmten E-Moll-Violinkonzert von Felix Mendelssohn-Bartholdy den ersten und den zweiten Satz. Vor allem der zweite, langsame Satz gelang ihr überragend schön, mit weichem, vollem Geigenton auf ihrer Mittenwalder Sandner-Geige.

Natürlich begleitete die Kammerphilharmonie äußerst aufmerksam und ließ dieses Paradestück aufglänzen. Die Bravos und der Beifall waren mehr als gerechtfertigt.

Immer mehr vermag das Musizieren der Kammerphilharmonie unter ihrem Dirigenten Franz Schottky mich in den Bann der Musik dieses Meisters zu ziehen, das bewegt mich von Mal zu Mal intensiver. (Denn ich kenne genügend langweilige Aufführungen von Mendelssohns Musik!)

Nach einem kurzen Umbau ertönte in der Fassung für Streichorchester und Klavier von Vinzenz Lachner (1811-1893) der erste Satz aus Beethovens Klavierkonzert Nr. 1 in C-Dur op.15. Beim Einsatz des Pianisten gab es einige schwierige Momente, dann aber spielte der 23-jährige Nima Mirkoshhal sein ganzes stupendes Können und seine ganze Musikalität aus. Wieder einmal war das Live-Erlebnis berührender als jede noch so perfekte CD-Einspielung, denn der Musik beim Entstehen zu lauschen, ist doch etwas ganz Anderes. Die Kadenz, die Nima Mirkoshhal aus den beiden ursprünglichen Kadenzen kühn zusammenfügte, überzeugte restlos! Großer Beifall und viele Bravos!

Nach erneutem Umbau dann der Höhepunkt des Abends: Mozarts berühmte g-Moll-Sinfonie Nr. 40 KV 550. Wieder ergänzten die Bläser die Streicher der Münchner Kammerphilharmonie dacapo. Und es wurde eine bewegende Darbietung dieser vielleicht melancholischsten Mozart-Symphonie. Trotz des coronabedingten größeren Abstands zwischen den einzelnen Musikerinnen und Musikern ließ die Aufführung alle Beteiligten zur Höchstform auflaufen. Wieder einmal war zu spüren, was uns allen in den vergangenen Monaten so schmerzlich gefehlt hat: Diese Dimension des geistigen und seelischen Erlebens, eben Frau Musica.

Franz Schottky und „seiner“ Münchner Kammerphilharmonie dacapo – die übrigens dieses Jahr ihr 20jähriges Bestehen feiert – haben es wieder einmal zum Geschenk werden lassen, was das Genie Wolfgang Amadeus Mozart der ganzen Welt mit seiner Musik als Vermächtnis hinterlassen hat. Auf weitere Konzerte sehnlichst hoffend…

[Ulrich Hermann, September 2020]

Mozart-Matinée mit Beethoven

Mit der Ouvertüre zu Mozarts Oper „Idomeneo“ begann die Mozart-Matinée am 1.März 2020 im Münchener Herkulessaal. Der Konzertschluss von Carl Reinecke wird normalerweise dann gespielt, wenn das Stück konzertant aufgeführt wird. Mozart selbst hielt „Idomeneo“ zeitlebens für seine beste Oper. Mit einem Beginn, der an die später entstandene Zauberflöten-Ouvertüre erinnert, ist es – allen gutgemeinten Ratschläge des Vaters Leopold zum Trotz – ein ausgewachsener Geniestreich des 25-Jährigen. Die auf Beethoven-Orchestergröße angewachsene Kammerphilharmonie begann direkt, mit gelassener Noblesse das Meisterwerk entstehen zu lassen. 

Zum Beethoven-Jahr erklang dann, trotz Mozart-Matinée, das berühmte Tripel-Konzert op. 56. Es ist in der Klassik einzigartig geblieben als Klaviertrio mit Orchester. Das Yoo Trio aus Seoul – die drei Damen spielen in der Besetzung schon lange zusammen – und die Münchner Kammerphilharmonie dacapo machten diese drei Sätze zum Erlebnis. Beethoven ist und bleibt einer der größten Melodiker. Das Cello-Solo des zweiten Satzes geriet himmlisch. Es ist gut, dass diese wunderbare Musik in München hoffentlich in diesem Jahr noch öfter zu hören sein wird. Allerdings fällt mir immer wieder auf, dass die Rolle der Geige – auch wenn sie so mit Einsatz von Leib und Seele gespielt wird, wie von Frau Isul Kim, gegenüber den beiden anderen Instrumenten doch klanglich benachteiligt wirkt, aber das mag auch an den modernen Instrumenten liegen. Jedenfalls hat sich Beethoven den Klavierpart sicher selbst auf die Finger geschrieben, über mangelnde Virtuosität kann sich die Spielerin nicht beklagen. Das Orchester erfüllte seinen Part mit größter Hingabe und ließ wieder einmal erkennen, warum es seit 20 Jahren seinen verdienten Platz im Münchner Konzertleben hat. 

Nach der Pause erklang Mozarts Es-Dur Symphonie Nr. 39. Von den drei letzten Symphonien ist sie als Mozarts „Schwanengesang“ die unbekannteste. Allerdings spricht aus ihr – vor allem im zweiten, dem langsamen Satz, durchaus Mozarts immer unterschwellig vorhandene Melancholie eine sehr deutliche, herzbewegende Sprache. Natürlich ist dieses Meisterwerk in allen vier Sätzen erstaunliche Musik, die Franz Schottky ganz und gar uneitel mit den Musikern „aus der Taufe hob“. Alle Beteiligten gaben ihr Bestes, um dieser göttlichen Musik die Bedeutung zu geben, die sie hat. Und wieder wurde deutlich, dass in diesen sehr merkwürdigen Zeiten mit allen Hochs und Tiefs, die Mutter Erde derzeit durchmacht, die Musik eine andere Dimension erlebbar werden lässt. Und wozu die Musen immer schon da waren: die Reise nach innen, in gänzlich andere Bereiche, zu begleiten, die vom öden Tagesgeschehen so unendlich weit entfernt sind, und doch so unendlich notwendig für unser Seelenheil.

[Ulrich Hermann, März 2020]

Tänze und Lieder aus Armenien

Simax, PPC9080; EAN: 7033662090808

Die armenische Kultur ist in jeder Hinsicht etwas ganz Besonderes, auch wegen ihrer jahrtausendealten Geschichte, sowohl was die Glaubensrichtungen – etwa frühestes Christentum mit den dazugehörigen Bauwerken – als auch die ungeheuer reichhaltige Musik und Literatur angeht.  Vieles ist bei uns bis heute unbekannt geblieben, oder gibt zu heftigsten Auseinandersetzungen Anlass: Siehe der Völkermord an den Armeniern. Natürlich ist davon der armenische Komponist Komitas (eigentlich Soghomon Soghomonyan) nicht unbeeinflusst geblieben.

Die eben erschienene CD mit Musik von ihm wird zum Leben erweckt von der Pianistin Mariam Kharatyan und Vigen Balasanyan, der bei einigen Stücken die Melodien auf den Instrumenten Duduk und Blul spielt. Das Booklet, verfasst von der Pianistin selbst, gibt Aufschluss über den Komponisten, aber auch über die Möglichkeiten, die das Klavier hat, diese typisch armenischen – meist der Volksmusik entlehnten – Phrasierungen, Melismen, Umspielungen und mehr zu realisieren. Wir hören eine Musik, die in allen Belangen, vor allem melodisch, aber auch rhythmisch und harmonisch sich von der uns vertrauten klassischen Musiksprache entfernt. Natürlich spielen die orientalischen Einflüsse dabei eine grosse Rolle.

Die Blas-Instrumente sind in ihrem Klang der menschlichen Singstimme abgelauscht, was klar ist, aber es kommt eine Dimension dazu, die von uralter Einstimmigkeit zehrt, was diesen Melodien ihre ganz eigentümliche Färbung und Stimmung verleiht.

Dass die Aufnahme des norwegischen Labels tadellos ist, versteht sich von selbst.

Also eine wunderbare Möglichkeit, sich die Musik dieses aussergewöhlichen Komponisten – der ja auch ein „geistlicher Herr“ war, kennen und schätzen zu lernen.

[Ulrich Hermann, Februar 2020]

Matinee Neujahrskonzert Vivaldi und Johann Strauss (Sohn)

Sonntag, 12. Januar 2020 Herkulessaal Kammerphilharmonie dacapo

Antonio Vivaldi (1676-1741) Die Vier Jahreszeiten (Solist: Simon Luethy, Stefan Moser, Cembalo

Stücke von Johann Strauss (1825-1899)

Es gibt die Welt, so wie sie sich derzeit darstellt, oder dargestellt wird. Und dann gibt es die völlig andere, die kaum Schlagzeilen macht, die aber der ungeheuer wichtige Gegenpol ist, ohne den man in absolute Verzweiflung fallen könnte.

Ich spreche vom Neujahrskonzert der Kammerphilharmonie dacapo am vergangenen Sonntag im Herkuslessaal. Den ersten Teil bildete, wie üblich bei den Neujahrskonzerten der Kammerphilharmonie Vivaldis Vier Jahreszeiten. Der Solist war der kaum zwanzigjährige Geiger Simon Luethy. Ja, das Stück ist ein „Reisser“, ganz klar, aber es wieder und wieder live erleben zu dürfen, zu entdecken, dass es immer neue – bisher nicht gehörte – Zusammenhänge, Verbindungen, Klänge gibt, die bewegen und tatsächlich die anderen Seiten der Welt darstellen, ist Mut machend und zeigt, dass es neben dieser so oft deprimierenden Alltäglichkeit eben doch die andere Seite gibt, für die die neun Musen „gerade“ stehen. Und alles, was mit ihnen zusammenhängt an Kunst und Kultur.

Wie Simon Luethy zusammen mit der Kammerphilharmonie dacapo und ihrem Leiter Franz Schottky dieses Stück zum Erlebnis werden lassen, das ist wieder und wieder Musik „in statu nascendi“, wie der alte Lateiner sagen würde. So unmittelbar, so direkt die lauschenden Besucherinnen und Besucher im vollbesetzten Herkulessaal erreichend und das erleben lassend, was dieser „Preto Rosso“ – so Vivaldis Spitzname, seiner roten Haare wegen – vor über 260 Jahren zum ewigen Thema Jahreszeiten in Musik zu fassen hatte. Das ist und bleibt ein Geniestreich ersten Ranges. Daran orientierte sich eben auch dieses Neujahrskonzert. Und, dass Sinmon Luethy seine Gagliano-Geige – er spielt einen französischen Satori-Bogen -zwischen den einzelnen Sätzen immer wieder kurz und gelassen nachstimmte, lag eben an der besonders sensiblen Qualität seines Instrumentes. Was übrigens besonders eindrucksvoll gelang, waren die Passagen, wo Sologeige und Solocello – Elizabeta Varga – zusammen die intensivsten Zwiegespräche hatten.

Nach der Pause dann Musik von Johann Strauss Sohn, wie sie in einem Neujahrskonzert einfach dazu gehört. Allerdings auch da nicht die allbekannten Schmonzetten, nein, da war Franz Schottky auf Entdeckungsreise gegangen Er präsentierte mit der glänzend aufgelegten Kammerphilharmonie einige selten oder noch nie gehörte Stücke, wie zum Beispiel den Banditen-Galopp op. 378 oder die Polka Francaise op. 336 „Im Krapfenwald‘l“.

In der Zugabe, die natürlich der Radetzky-Marsch sein musste, wechselte die erste Viola- Spielerin Shinnie Lee von der Bratsche zum Schlagzeug und animierte auch so das Publikum zum üblichen Mitklatschen. Ein äußerst aufmerksames, begeistertes Publikum kam in den Genuss, das neue Jahr 2020 mit einer besonders gelungenen Matinee begrüßen zu können, und das ist doch ein wundervoller Auftakt. Franz Schottky bedankte sich bei seinen Musikerinnen wie üblich wieder damit, dass er – der das ganze Programm wieder aufs Amüsanteste moderierte – die ihm zugedachten Blumen großzügig verteilte. Schon am 2. Februar geht es weiter mit einer „Matinee der Romantiker“.

[Ulrich Hermann, Januar 2020]

Gerade im Winter: Komm, holder Lenz

Stadttheater Schweinfurt Samstag 23. November 2019 19 Uhr 30

Die Jahreszeiten: Oratorim von Joseph Haydn (1732-1809)Text:  Gottfried van Swieten (1733-1803)

Hanne, Sopran: Anna Nesyba / Lukas, Tenor: Falk Hoffmann / Simon, Bass: Eric Fergusson – Liederkranz Schweinfurt, Konzertchor Bad Kissingen, Orchester Ensemble Würzburg (Leitung: Matthias Göttemann, Hermann Freibott)

Zu Beginn begrüsste Matthias Göttemann die Gäste und die Musikerinnen und Musiker, wies auf das heutige Jubiläum des Schweinfiurter Chores und die Patenschaft für den Bad Kissinger Konzertchor hin, musste allerdings auch ansagen, dass der Tenor des Abends, Falk Hoffman, indisponiert sei, und deswegen ein Teil seiner Rezitative und Arien von seiner Kollegin und seinem Kollegen übernommen würden.

Dann übergab er die Stabführung dem Kissinger Chorleiter, der den ersten Teil, den Frühling, leitete. Darin natürlich auch die berühmte Arie der Hanne „Komm, holder Lenz“, die schon eine  erste Glanzleistung der Solistin war.

Zum zweiten Teil, allen übrigen Jahreszeiten, kam dann Matthias Göttemann als Dirigent, und der Sommer brachte dann alle Beteiligten so richtig in Schwung. Auch wenn der Text des Librettos von Baron van Swieten teilweise doch sehr gewöhnungsbedürftig ist: was Joseph Haydn daraus gemacht hat, ist bewundernswert. In allen Stilrichtungen ist er zu Hause, schreibt Fugen, die den Händelschen nicht nachstehen, kann aber auch harmonisch zum Äussersten greifen, neben den Secco-Rezitativen stehen welche, die vom Orchester begleitet werden, neben hellsten Melodien und Klängen für den Sommer stehen dunkle und düstere Klänge für Herbst und Winter, ein unaufhörlicher Strom an schönster Musik und ohrwurmhaften Melodien ergiesst sich während der anderthalb-stündigen Darbeitung der entzückten und auch immer wieder verblüfften Zuhörerschar im fast ausverkauften Schweinfurter Theater.

Natürlich war man gespannt, wie der Fast-Ausfall des Tenorsolisten überbrückt werden könnte, aber tatsächlich ließen Anna Nesyba und Eric Fergusson keine Zweifel aufkommen, dass sie in der Lage waren, sich dieser schwierigen Aufgabe sehr gekonnt zu stellen. Von Enrico Caruso heisst es, dass auch er in der „Met“ mal die Partie eines verhinderten Bass-Kollegen mit übernahm.

Und zu den Trio-Stücken gesellte sich Falk Hoffmann – so gut seine Indisponiertheit es zuließ – dazu.

Von besonderem Reiz waren natürlich die Stellen, wo beide Chöre ihr Können unter Beweis stellen konnten.  Angefeuert vom überzeugenden und mitreissenden Dirigat von Matthias Göttemann liefen allen Beteiligten – Musiker, Solisten und Chöre – zu absoluter Hochform auf.

Wieder einmal stellte sich der „Alte Pappa Haydn“, der doch allzuoft im Schatten Mozarts und Beethovens steht, als nicht nur ebenbürtig sondern aus genauso einzigartig in seinen Werken dar wie diese.

Ein großartiger Abend der mit großem Beifall und vielen Blumen das Publikum beschenkt in den Abend entließ.

Ulrich Hermann November 2019 München

Finesse & Bravour


Konzert am 11. November 2019 im Herkulessaal
Münchner Kammerphilharmonie dacapo

Musik von Gioachino Rossini (1792-1868), Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791),

Frédéric Chopin (1810-1849) und Maurice Ravel (1875-1937)

Jördis Bergmann, Violine
Ulrich Roman Murtfeld, Klavier
Franz Schottky, Dirigent

Mit Rossinis Ouvertüre zum „Barbier von Sevilla“ begann das sonntägliche Konzert der
Münchner Kammerphilharmonie dacapo gleich mit einem Reißer, der den vollen Herkulessaal in die rechte Stimmung versetzte. Nicht überhastet, alle Finessen auskostend, servierte uns Franz Schottky mit großem Orchester diesen „Evergreen“. Dabei war die „Ansprache“ des Dirigenten dazu eine gelungene Einführung, wie immer.
Beim letzten Violinkonzert von Mozart in A-Dur verkleinerte sich die Besetzung natürlich, und die Solistin betrat die Bühne: die junge Jördis Bergmann mit ihrer Mittenwalder Sandner-Geige und dem Bogen des Franzosen Louis Morizot. Kurz vor seinem 20. Geburtstag vollendete Mozart sein fünftes und damit letztes seiner Violinkonzerte, viele halten es für sein bestes. Jedenfalls ist es bei Solistin, Dirigent und Orchester in besten Händen. Mozarts Musik ist eigentlich unbeschreiblich – wem sag ich das? – aber was da vor allem im zweiten Adagio-Satz von Mozarts ganz anderer, der zutiefst melancholischen Seite des oft so heiteren Götterlieblings, zu Tage trat und zu hören war, das berührte ganz besonders tiefe Regionen. Natürlich endete der dritte Satz dieses Konzerts in der „Liebes-Tonart“ A-Dur nach einem kleinen verschmitzten Ausflug in die Musik des osmanischen „Erbfeindes“ in heiterster Gelassenheit.


Nach der Pause erklang Frédéric Chopins Meisterwerk, die Variationen für Klavier und
Orchester über „La ci darem la mano“ aus Mozarts „Don Giovanni“. Mit diesem Stück hatte der 17-jährige Chopin sich durchgesetzt, auch Robert Schumann huldigte ihm dann in seiner „Neuen Musikzeitung“. Natürlich wäre der Komponist nicht Chopin, würde er die Melodie einfach nehmen und ein paar Variationen daraus machen, wie es ja damals durchaus auch Mode war. Er tastet „Reich mir die Hand, mein Leben“ sofort nach seinen harmonischen und melodisch-strukturellen Möglichkeiten ab, und entwickelt so ein wahres Feuerwerk an pianistischen und orchestralen Möglichkeiten. Es ist faszinierend, zu hören, wie weit sich Chopins Musik seit Mozarts Tod, der ja knapp drei Jahrzehnte her war, im Weiteren entwickelt hatte. Ulrich Roman Murtfeld gab dem Klavierpart Finesse und Bravour, das Orchester war nicht einfach nur „Begleiter“, sondern Partner im gemeinsamen Entstehen-Lassen dieser Komposition, die Chopin noch vor seinen beiden Klavierkonzerten schrieb.
Als Zugabe – und gelungene Überleitung zu Ravels Musik – spielte der Pianist nach
großem Beifall eine Prélude von Claude Debussy.


Im letzten Teil vergrößerte sich das Orchester noch einmal, auch die Harfe kam zum Zug. In jedem von uns ist französische Musik, so erinnerte bei seiner Ansage Franz Schottky an seinen Lehrer Sergiu Celibidache, von dem dieser Hinweis auch in Bezug auf die Finesse und orchestrale Bravour des „Tombeau de Couperin“ von Maurice Ravel stammt. Und wirklich, was da an Klangfülle, rhythmischer „Vertracktheit“ und melodiösen Schimmern vernehmbar wird, ist einfach überwältigend. Alle Teile des Orchesters, aber ganz besonders die Bläser-Gruppe, steigerten sich fast in einen Spiel- und Klangrausch – allerdings sind alle Instrumente in ihren grandiosen Möglichkeiten stark gefordert in diesem „Klagegesang“ für den französischen Altmeister Francois Couperin, der übrigens am 10. November Geburtstag hatte. Ravel schrieb dieses Orchester–Wunderwerk mitten im Krieg 1916, wovon glücklicherweise nichts zu hören und zu spüren ist. Die Münchener Kammerphilharmonie dacapo zeigte sich in absoluter Höchstform und ließ dieses Sonntags-Konzert zu einem ganz besonderen Erlebnis werden. Vielen Dank!
Großer Beifall, Blumen – die wie gewohnt einigen auszuzeichnenden Solistinnen und
Solisten gewidmet wurden.


Im Übrigen … aber das wissen Sie ja selbst.

[Ulrich Hermann, November 2019]

Die Kunst der „Kunst der Fuge“

Freitag, 25. Oktober 2019 in Salzburg, Campus der Rudolf Steiner-Schule, Dorothea Porsche Saal – Konzert „Kunst der Fuge“ ; Christoph Schlüren, Dirigent; Salzburg Chamber Soloists (Leitung: Lavard Skou-Larsen); Werke von Bach, Schwarz-Schilling, Schumann und Aho

Johann Sebastian Bach: Die Kunst der Fuge – Contrapunctus I – XI; Finale, Quadrupelfuge, unvollendet; Choral, Vor Deinen Thron trete ich hiermit; Spiegelungen I und II a 4; Robert Schumann (1810-1856) Orgelfuge g-Moll über BACH Op.60/3 a 4 2019 transkribiert von Dan Turcanu; Reinhard Schwarz-Schilling (1904-1985) Studie über BACH a 3; Finale Quadrupelfuge, 2012 vollendet von Kalevi Aho (geb.1949)

Er ist und bleibt das A&O der Musik, Johann Sebastian Bach. Das ist die ganz einfache (?) Feststellung nach dem gestrigen Konzert im Dorothea Porsche Saal im Salzburger Odeion.

Nach einer Einführung mit dem Dirigenten des Abends, Christoph Schlüren, begann um 19 Uhr mit dem Contrapunctus 1 ein Abend der überwältigenden Musik. Die Salzburger Chamber Soloists mit ihrem Konzertmeister Lavard Skou-Larsen musizierten unter der Leitung des Münchener Dirigenten Christoph Schlüren ein intensives Programm mit ausgewählten Stücken aus dem letzten Meisterwerk Bachs, der „Kunst der Fuge“. Und was für eine Kunst sich da entfaltetete! Immer neue und unvermutete Aspekte des Eingangs-Themas wurden aufgeblättert und im Entstehen aus der Taufe gehoben. Geleitet vom gelassenen und dennoch energischen Dirigieren wurde dieser Riesen-Kosmos aus Klängen, Rhythmen, Harmonien und Stimmführungen von den mit intensivstem geistig-seelisch-musikalisch spielenden Musikerinnen und Musikern zum hörgewaltigen Erleben. Was waren in den vertracktesten Kombinationen, den ausgefeiltesten Zusammenklängen, den kraftvollsten Durchdringungen der einzelnen Stimmen für Offenbarungen vor unsere Ohren, Augen und Herzen gestellt.

Alle 11 Contapuncti – jeder einzelne eine eigene Welt – offenbarten nicht nur die unglaubliche und immer wieder aufs Neue faszinierende Meisterschaft des „Alten Bach“, sie gaben im zweiten Teil auch den Nährboden für zwei Kompositionen von  Robert Schumann und Reinhard Schwarz-Schilling und regten eben auch den finnischen Komponisten Kalevi Aho 2012  zu der Vollendung der letzten Fuge an. Welche Steigerung auch oder gerade heute möglich ist, zeigte dieser Komponist und mit ihm die auf allerhöchstem Niveau Spielenden. Die schier bis zu einer unmöglich scheinenden Ausbreitung der Kontrapunktik und der musikalischen Energie ließ einen denkwürdigen Abend ausklingen, der sicher zum allertiefsten gehört, was ich bisher in meinem Leben erleben durfte.

Dank an alle Beteiligten für diesen Abend!

[Ulrich Hermann, Oktober 2019]

Jung wie Papa Haydn

„dacapo präsentiert junge Solisten I“: Konzert der Münchner Kammerphilharmonie dacapo am 20. Oktober 2019 im Künstlerhaus. – Zwantje Bergmann, Mezzosopran; Julia Gassner , Klarinette; Carmen Steinmeier, Harfe; Franz Schottky, Dirigent

Musik von Antonio Caldara (1670-1736), Giuseppe Giordani (1751- 1788), Giacomo Carissimi (1605-1674), Francesco Durante (1684-1755), Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), Reinhold Gliére (1875-1956) und Joseph Haydn (1732-1809).

Welch ein Beginn einer Konzert-Saison mit der Münchner Kammerphilharmonie dacapo! Zuerst stellte Dirigent Franz Schottky die erste Solistin vor, die Sängerin Zwantje Bergmann. Sie sang vier Lieder aus dem Frühbarock und Barock, bis heute durchaus im Repertoire, und dem weichen und wohlklingenden Mezzosopran sehr angemessen. Delikat und sehr einfühlsam begleitet, eröffneten diese musikalischen Kostbarkeiten den Abend. An ihrem dunkelgrünen langen schulterfreien Kleid merkte man, dass sie nicht nur Sängerin ist, sondern auch als Tänzerin schon einige Pokale errungen hat. Wann bekommen wir ihren ersten Liederabend zu hören, diese Frage stellte sich mir nach diesem gelungenen Auftritt mit der Kammerphilhamonie.

Dann vergrößerte sich für das nächste Stück von Mozart das Orchester. Julia Gassner war die Solistin mit ihrer Dietz-Klarinette für die beiden ersten Sätze des berühmten Klarinetten-Konzerts. Natürlich ist das ein wohlstbekanntes Musikstück, aber es wieder einmal live und in so einer immens musikalischen Aufführung erleben zu dürfen, ist ein ganz besonderes Geschenk. Dass der letzte, abschließende Rondo-Satz fehlte, war um so bedauerlicher, weil vor allem der zweite Satz, das Largo, unendlich schön und stimmig gelang, von beiden Partnern, dem Orchester und von Julia Gassner. Aber vielleicht hören wir die junge Dame bei einem zukünftigen Konzert einmal mit allen drei Sätzen. (Wie Hamlet sagt: „Ś´ ist ein Ziel, aufs Innigste zu wünschen.“)

Dann vergrößerte sich die Kammerphilharmonie noch einmal zum ausgewachsenen Symphonie-Orchester. Denn das nächste Stück führte uns direkt ins zwanzigste Jahrhundert, zum Harfen-Konzert op.74 des russischen Komponisten Reinhold Glière. Die Solistin Carmen Steinmeier spielte auf ihrer Lyonhealy Harfe die ersten beiden Sätze mit Bravour, war dem Orchester immer gewachsen und machte uns mit einer sehr tonalen und eingängigen Musik bekannt, die nicht allzu oft in Konzert-Programmen auftaucht. Diese spätromantische Musik, weitab von allen Modernismen der Zeit – das Werk komponierte Glière 1938 – entlockte Orchester und Soloinstrument Klangfarben, die fast schon impressionistische Klänge früherer Zeitgenossen wie Debussy wachriefen.

Nach der Pause dann – wie bei den Beginner-Konzerten üblich – eine Symphonie, meist eine klassische, in der die Kammerphilharmonie alleine gefordert war. Dieses Mal stand die „Oxford-Symphonie“ Nr. 94 vom Altmeister Joseph Haydn auf dem Programm. Er steht ja oft im Urteil hinter Mozart und Beethoven zurück. Nun, dieser Abend belehrte uns wirklich eines Besseren. Unter der Leitung von Franz Schottky lief nicht nur das Orchester – alle Gruppen gleichermaßen – zu Hochform auf, die oft vernommene Rede vom „alten Pappa Haydn“ wurde auf höchstem Niveau ad absurdum geführt. Was da an bezwingendster Melodik, an vertracktester Rhythmik – besonders im Menuett-Satz – an Orchestrierungs-Finessen, an tiefgründigster Symphonik zu hören und zu erleben war, das war eine Offenbarung. Und die Ruhe und Gelassenheit – angefangen beim Einstimmen, beginnend bei den tiefen Streichern bis zum Intonieren der Bläser, bis zum ruhigen, geheimnisvollen Beginn besonders des ersten Satzes – das erzeugte genau die Atmosphäre, in der sich diese Offenbarung ereignen konnte und durfte. Verdienter und großer langanhaltender Beifall, den Franz Schottky gerne an seine Musikerinnen und Musiker weitergab.

(Mein Nachbar meinte hinterher: „Da müssen sich aber die anderen großen Münchner Orchester anstrengen, um so was zu Gehör zu bringen!“ Und Recht hat er, was auch für das Münchner Feuilleton gilt, im Übrigen…)

[Ulrich Hermann, Oktober 2019]

Musik – zeitlos

Baroque Masterpieces

Artis Gitarrenduo (Julia und Christian Zielinski); Musik von Georg Friedrich Händel (1685-1759), Francois Couperin (1668-1733), Sylvius Leopold Weiss (1687-1750), Johann Sebastian Bach (1685-1750), Antonio Vivaldi (1678-1741)

Naxos 8551420; EAN: 73009914203

Seit dem internationalen Aufstieg des Naxos-Labels haben Gitarren-CDs schon immer eine große Rolle im Repertoire gespielt. Mal gelungener, mal misslungener, denn bei der klassischen Gitarre scheiden sich die Geister. Seit Julian Bream dieses Instrument zu einem vollwertigen „Musik-Vermittler“ gemacht hat, ist es ein Liebling für alle und jeden geworden, sei es in der Klassik, sei es im Jazz oder in der Pop-Musik. Was der klassischen Gitarre nicht immer gut bekommen ist, wie man an vielen CDs sehen resp. hören kann. Denn was bei der Geige oder mehr noch bei der Flöte selbstverständlich ist, nämlich die mitvollziehbare Gestaltung der Melodie, ist bei der Gitarre für viele Spielerinnen und Spieler unerreichbar, weil äusserst schwierig zu verwirklichen, was einerseits in der leichten Handhabung und andererseits in der absolut schwierigen Verfügbarkeit wurzelt.

Soweit erst einmal die Vorrede…!

Nun ist bei Naxos eine CD erschienen, die all’ diese Schwierigkeiten sich in Luft bzw. eben in Musik auflösen lässt. Was Julia und Christian Zielinski da nämlich mit ihren zwei Gitarren erleben lassen, habe ich seit dem berühmten Duo Julian Bream/John Williams nicht mehr gehört: Musik vom Feinsten, gespielt mit allem, was dazu gehört. Vom ersten bis zum letzten Ton ein hinreißender, dergestalt auch selten gehörter wunderbarer Klang, wie ihn eben nur zwei – nicht eine – Gitarren zusammen hervorbringen können. Dazu eine Agogik, die den Melodien und ihren Harmonien alle Freiräume geben, die gerade die Barockmusik so nötig hat, soll sie nicht nähmaschinenhaft – wie so oft – abschnurren. Dass die beiden auf ihren Gitarren wirklich „singen“, was bei ach so vielen „Klassikern“ leider nie zu hören ist, hebt diese Scheibe aus dem globalen Gitarrenpool himmelhoch heraus.

Besonders gelungen sind dabei die Stücke, wo die beiden ihre ganze Innigkeit ausspielen, also die langsamen Sätze, die oft berückend schön und berührend geraten. Kommt dann die Geschwindigkeit ins  Spiel, zeigen sie natürlich ebenso ihre stupende Virtuosität. Allerdings ist das dann eben auch der Punkt, der mich als einziger stört: Dann geht darüber die strukturelle und musikalische Feinheit ein wenig den Bach runter. Nicht unzutreffend sagte einst ein Gitarrist, dem immer wieder dieser Satz eines Kritikers einfiel: „Die Gitarristen mögen sich doch bitte nicht so anstrengen, ein Maschinengewehr ist doch immer noch viel, viel schneller!“

Fazit: Endlich mal wieder eine Gitarren-CD, die Musik in sich hat. (Was man von der zeitgleich erschienenen Naxos-CD „ Beethoven on Guitar“ übrigens nicht sagen kann!)

[Ulrich Hermann, September 2019]

Lacrimae Lyrae – Tears of Exile

Fuga Libera Fug 763 (Outhere Music), EAN: 5400439007536

Crossover mit der Musik von John Dowland (1562-1626) gab und gibt es in allen möglichen – auch instrumentalen – Zusammenstellungen. Ob mit modernen Instrumenten oder historisch, die Musik des „Golden Age of English Music“ hat ihre Faszination bis heute bewahrt: Auch Sting hat ja vor Jahren ein Dowland-Projekt in sein Repertoire aufgenommen.

Aber diese Zusammenstellung mit dem griechischen Lyra-Spieler Sokratis Sinopoulos spielt in einer ganz anderen, eigenen Liga – um es flapsig auszudrücken. Anders als bei der Geige oder Gambe wird bei der griechischen Lyra nicht auf die Saite gegriffen sondern – neben ihr, das heißt, die Saite berührt den Nagel der entsprechenden linken Hand. Das erzeugt einen Ton, der sofort  ein wenig „schnarrt“, der Obertongehalt ist ähnlich wie bei einer Sitar. Und indem Sinopoulos ein absoluter Könner auf seinem Instrument ist, mit allen Segnungen des Orients – was man vor allem an seinem Melodie-Gefühl und der Agogik merkt –, ist es ein sehr aufregendes und beeindruckendes Zusammentreffen mit dem französischen Gamben-Ensemble L’Achéron.

Ob die sieben Pavanen, die der Dowland’schen Komposition ihren Name geben, oder die dazwischen eingeschobenen Tänze, Dowlands Gönnern gewidmet, die Stücke bekommen in der Ausführung dieser fünf Musiker eine neue Bedeutung, neue Klanglichkeit und damit neue Spannung, wie sie Dowlands Musik durchaus angemessen ist. Ebenso die improvisatorischen Einschübe, angeregt von der dichten Polyphonie des Originals, die zeigen, wie zeitlos und selbstverständlich die Ideen und Klänge von einst und jetzt miteinander eine faszinierende und höchste anregende Verbindung eingehen können.

Wobei anzumerken ist, dass sich die vier Gamben-Spieler durchaus nicht immer nur an ihre sonst üblichen durchgängigen Melodien anhand der Noten halten, sie variieren ihre „Begleitung“ in reichem Maß und bilden zusammen mit dem äusserst überzeugenden Melodie-Spiel der Lyra ein neuartiges Ganzes, das die Unsterblickeit der Musik des John Dowland wieder einmal eindrucksvollst zu Gehör bringt.

[Ulrich Hermann, September 2019]

Belzebub mit E-Gitarre

ex oriente – Music by George Ivanovitch Gurdjieff; Gunter Herbig : Electric Guitar

BIS 2435, EAN: 7 318590 024355

Gurdjieff? War das nicht der Verrückte, der… und Musik hat der auch noch geschrieben?

Doch, das stimmt, auch wenn er dafür einen richtigen Komponisten: Thomas de Hartmann (1885-1956) gebraucht hat, der die Melodien, die Gurdjieff auf einer Gitarre gespielt oder ihm vorgesungen hat, in Noten aufschreiben und somit auch für andere verfügbar machen konnte. Dass dieser Prozess hin und wieder auch – wegen der Schnelligkeit Gurdjieff’scher Einfälle – chaotisch ablief, kann man im Booklet nachlesen, auch wie Gunter Herbig auf die E-Gitarre kam. Von ihm sind ja bei Naxos in den letzten Jahren zwei herausragende CDs mit der Klassischen Gitarre erschienen, eine absolute Ausnahme im Naxos’schen Gitarrenrepertoire. Aber diese neue CD ist darüber hinaus auch eine Art „Ehrenrettung“ für das sonst bei „Klassikern“ so verpönte elektrische  Instrument.

Was Gunter Herbig nämlich da an Musik entstehen lässt, an Klangreichtum und an Melodien, ist einfach ungewöhnlich. Und lässt diese Musik – urspünglich für Klavier bei Schott in vier Bänden erschienen, und von manchen Musikern eingespielt wie z.B. Keith Jarrett – nicht nur in einem völlig neuen Licht, besser Klang, erscheinen. Wie Herbig diese Kompositionen verwirklicht, ist faszinierend wie bei seinen beiden Klassik-CDs. Er lässt sich und der Musik nämlich die Zeit, sich zu entfalten, hat ein untrügliches Gefühl für den Auf- und Abbau der Melodien, den Klangraum, den diese Gebilde benötigen, und das alles in völliger Gelassenheit und dennoch spannend vom ersten bis zum letzten Ton.

Ein völlig neuer Zugang zu einer Musik, die natürlich so geheimnisvoll ist wie ihr Schöpfer selber. Was wiederum sehr anregend auf jeden wirken kann, der sich damit befasst, und dafür ist diese neue CD von Gunter Herbig der ideale Einstieg.

[Ulrich Hermann, September 2019]

Wiederentdeckung eines Unterschätzten

KAROL SZYMANOWSKI (1882-1937): Klavierwerke: Préludes op. 1, sämtliche Etüden (opp. 4 & 33), Masken op. 33, Andrea Vivanet

Naxos  8.551401; EAN 730099140133

Schon die ersten Préludes Opus 1 lassen aufhorchen: Da spielt einer nicht nur phänomenal Klavier, nein, er erweckt diese Musik des zwischen Chopin und der Moderne eingespannten, im Westen noch immer nicht so recht gewürdigten großen polnischen Komponisten Karol Szymanowski (1882-1937) zu einem Leben, das unüberhörbar aufzeigt, was für ein Schatz da zu heben ist.

Rhythmisch, harmonisch, melodisch, klanglich, keine Dimension bleibt unerfüllt bei dieser Musik. Als Nachfolge Chopins ist das ebenso zu erleben wie als Zeitgenosse der Moderne eines Debussy, Bartók oder Strawinsky, jedoch mit ganz eigener, überreicher Klang- und Musiksprache.

Dabei sah Szymanowski sich selbst – wie im sehr informativen Booklettext von Norbert Florian Schuck nachzulesen ist – als nicht gerade übermässig virtuosen Pianisten, war aber mit so vielen weltberühmten und erfolgreichen Musikern wie beispielsweise Fitelberg, Artur Rubinstein oder Artur Rodzinski befreundet, dass er seiner musikalischen Fantasie auch im Virtuosen immer freien Lauf lassen konnte.

Zunächst war Szymanowski ein Exponent des hemmungslos blühenden musikalischen Jugendstils der 1910er Jahre, wie man hier in den grandiosen drei ‚Masken‘ von 1915-16 mit ihren herrlichen Orientalismen hören kann. Doch dann lehnte er, der die Geisteswelt des Orient so sehr liebte, eine Berufung ans Konservatorium in Kairo ab, denn er meinte, seiner Heimat dienen zu müssen. Man hat es ihm zu Lebzeiten nicht gedankt, und erst posthum entdeckten die Polen ihre Liebe zu ihm. Als wiederholter Direktor des Warschauer Konservatoriums kam er zwangsläufig in Konflikte mit seinen konservativen Mitarbeitern; er gab diese Stellung resigniert wieder auf, noch dazu quälte ihn seine Tuberkulose, der er 1937 in Lausanne erlag.

Andrea Vivanet spielt diese Musik mit exorbitanter Beherrschung aller Feinheiten, einem äußerst wandlungsfähigen, stets wunderbaren Ton, einer unwiderstehlich leidenschaftlichen Liebe ohne exzessive Entgleisungen, und durchdringt auch die komplexesten Harmonien an den Grenzen der Tonalität mit klar strukturierendem Sinn und macht so das Hören dieser Kompositionen zu einem erlesenen und auf alles Weitere von Szymanowski neugierig machenden Erlebnis. Wahrscheinlich hat in den letzten Jahrzehnten diese Werke keiner so meisterhaft vorgetragen. So gespielt, gehört Szymanowski nachhaltig in den Pianistenolymp und die ‚Gefahr‘, dass Vivanet Nachahmer findet, ist erfreulich groß. Auch der Aufnahmeklang ist ausgezeichnet, so dass ich diese Scheibe nur rundum uneingeschränkt empfehlen kann.

[Ulrich Hermann, September 2019]