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Dowland, Britten und Henze royal

Musicaphon M 56975; EAN: 4 012476569758

Ein ambitionierteres Programm auf einer Gitarren-CD kann man sich wohl kaum vorstellen: Es erinnert sehr an das letzte Konzert, das ich von Julian Bream hier in München hörte: Werke von Luis Milán, Henzes Royal Winter Music und Villa-Lobos‘ Etüden, also ein richtiges Konzert, das nicht – wie damals üblich – aus einer Abfolge von mehr oder weniger abgeklapperten „Stückchen“ in ideenloser Reihenfolge bestand. Glücklicherweise hat sich die Situation in den letzten Jahren total gewandelt. Zu erwähnen ist hier beispielsweise der Neuseeländer Gunter Herbig, der mit seinen Einspielungen neue Maßstäbe setzt, sogar auf der E-Gitarre (wie bei seiner Einspielung der Musik von Georges Gurdjieff).

Auch diese CD des Musikers – ich schreibe extra nicht: Gitarristen – Stefan Koim gehört zu den besten Beispielen seit langem und zeugt von hoher Musikalität. Sehr überzeugend vermittelt das Programm zwischen Werken John Dowlands – einzigartig bis heute – und zwei Stücken des 20. Jahrhunderts von Benjamin Britten und Hans Werner Henze, und ebenso überzeugend wird die Musik gespielt. Dass die Gitarre endlich den Platz findet, der ihr auch in der Klassik zukommt, dafür ist diese CD ein gelungenes Beispiel. Noch immer versuchen andere Gitarristinnen und Gitarristen durch bloße Schnelligkeit und oberflächliches „Runterspielen“, den Charme des Instruments zu transportieren, was sehr oft nicht gelingt und langweilt! Aber die sehr überlegte, durchgehörte und auch in den schwierigsten Momenten klare und beeindruckende Realisation dieser Stücke – angefangen von der vertrackten Polyphonie der Fantasien und Tänze des John Dowland bis hin zur von Shakespeare angeregten Royal Winter Music von Henze und zu Brittens Komposition Nocturnal – ist eine Sternstunde der Musik. Dem jungen Musiker, der auf mehreren Instrumenten zu Hause ist, wünsche ich eine so glanzvolle Zukunft, wie er es nach den beiden CDs, die ich von ihm bisher hörte, deutlich verdient.

[Ulrich Hermann, Juni 2021]

Lacrimae Lyrae – Tears of Exile

Fuga Libera Fug 763 (Outhere Music), EAN: 5400439007536

Crossover mit der Musik von John Dowland (1562-1626) gab und gibt es in allen möglichen – auch instrumentalen – Zusammenstellungen. Ob mit modernen Instrumenten oder historisch, die Musik des „Golden Age of English Music“ hat ihre Faszination bis heute bewahrt: Auch Sting hat ja vor Jahren ein Dowland-Projekt in sein Repertoire aufgenommen.

Aber diese Zusammenstellung mit dem griechischen Lyra-Spieler Sokratis Sinopoulos spielt in einer ganz anderen, eigenen Liga – um es flapsig auszudrücken. Anders als bei der Geige oder Gambe wird bei der griechischen Lyra nicht auf die Saite gegriffen sondern – neben ihr, das heißt, die Saite berührt den Nagel der entsprechenden linken Hand. Das erzeugt einen Ton, der sofort  ein wenig „schnarrt“, der Obertongehalt ist ähnlich wie bei einer Sitar. Und indem Sinopoulos ein absoluter Könner auf seinem Instrument ist, mit allen Segnungen des Orients – was man vor allem an seinem Melodie-Gefühl und der Agogik merkt –, ist es ein sehr aufregendes und beeindruckendes Zusammentreffen mit dem französischen Gamben-Ensemble L’Achéron.

Ob die sieben Pavanen, die der Dowland’schen Komposition ihren Name geben, oder die dazwischen eingeschobenen Tänze, Dowlands Gönnern gewidmet, die Stücke bekommen in der Ausführung dieser fünf Musiker eine neue Bedeutung, neue Klanglichkeit und damit neue Spannung, wie sie Dowlands Musik durchaus angemessen ist. Ebenso die improvisatorischen Einschübe, angeregt von der dichten Polyphonie des Originals, die zeigen, wie zeitlos und selbstverständlich die Ideen und Klänge von einst und jetzt miteinander eine faszinierende und höchste anregende Verbindung eingehen können.

Wobei anzumerken ist, dass sich die vier Gamben-Spieler durchaus nicht immer nur an ihre sonst üblichen durchgängigen Melodien anhand der Noten halten, sie variieren ihre „Begleitung“ in reichem Maß und bilden zusammen mit dem äusserst überzeugenden Melodie-Spiel der Lyra ein neuartiges Ganzes, das die Unsterblickeit der Musik des John Dowland wieder einmal eindrucksvollst zu Gehör bringt.

[Ulrich Hermann, September 2019]

Laute? Ein sanftes Instrument

Fantasia Bellissima; Bernhard Hofstötter, Laute; Werke aus der Lemberg Lautentabulatur von Anonymii, John Dowland (1562-1626), Claudin de Sermisy (1490-1562), Pierre Sindrin (1490-1561) und anderen.

Schon beim ersten Ton springt die Faszination dieser „alten“ Musik über, füllt der intime, weiche Lautenklang der siebenchörigen Laute, die Bernhard Hofstötter da „traktiert“, den Raum und das Ohr. Anders als bei den allermeisten klassischen Gitarristen – deren CDs ja vor allem die Firma NAXOS so inflationär anbieten zu müssen scheint – erklingt auf dieser CD mit dem ansprechenden Titel Fantasia Bellissina wirklich Musik und nicht nur zusammenhanglose einzelne Klänge oder Noten. Die in allen Stücken überzeugend gestaltete Polyphonie wird höchst musikalisch ausmusiziert, der Klang bleibt auch bei schnellen Rasguado-Stellen – die es in dieser Zeit durchaus auch bereits gibt –  weich und voll, die Rhythmen tänzerisch erfüllt und die ruhige Verzauberung der „Alten Musik“ kann sich ganz und voll entfalten und den Hörer mitnehmen in die Zeit zwischen dem fünfzehnten und dem siebzehnten Jahrhundert. Solche hochchromatischen Werke wie die „Forlorn Hope Fancy“ von John Dowland  sind ein Höhepunkt dieser Scheibe. Aber auch die anderen Stücke – Valentin Greff Bakfark (1507-76), der übrigens auch als Geheim-Agent unterwegs war in ganz Europa, ist mit einem Stück vertreten, ebenso Clément Jannequin (1485-1558), Joan Ambrosio Dalza (um 1508), Giovanni Pacolini (16. Jh.) oder Jacquet de Berchem (1505-1565) sowie anonyme Komponisten, deren Stücke in der Lemberger Lautentabulatur vergessen waren, bis sie ein Wiener Antiquar 1937 verkaufte und sie in Lemberg (Lwiw) in der Ukraine landeten und dort  entdeckt und nun als bemerkenswertes Zeugnis dieser großartigen Renaissance-Musik in hervorragender Realisation durch den österreichischen Musiker Bernhard Hofstötter zu meinem Leben erweckt wurden. Dass Hofstötter unter anderem auch Violine studiert hat – nebst seiner akademischen Ausbildung als Jurist –  und sehr wohl weiß, was eine Melodie ist – auch da den meisten der klassischen Gitarristen weit voraus –  und wie sie richtig und musikalisch ausgeführt wird auch auf so einem diffizilen Instrument wie der Laute, hebt diese CD – wie übrigens auch manche anderen Lauten-CDs – wohltuend heraus.

[Ulrich Hermann, Juli 2019]