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Romantische Musik für Violoncello und Gitarre

Ars Produktion, ARS 38 620, EAN: 4 260052 386200

Unter dem Titel „Amoroso“ präsentieren Nicole Peña Comas (Cello) und Damien Lancelle (Gitarre) ein einstündiges Programm von 18 Arrangements für Cello und Gitarre. Dabei handelt es sich um eine bunte Mischung von Genrestücken und Liedbearbeitungen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Wenn die aus der Dominikanischen Republik stammende, mittlerweile in Wien lebende Cellistin Nicole Peña Comas auf ihrem neuen Album romantische Musik für Violoncello und Gitarre vorstellt, dann ist dies insbesondere aus zwei Gründen ausgesprochen reizvoll. Zum einen erweist sich die erst einmal eher randständige Kombination von Violoncello und Gitarre als sehr apart; die beiden Instrumente ergänzen sich vorzüglich zu einem ebenso warmen wie intimen, im besten Sinne hausmusikartigen Klangbild. Die Bandbreite ist hier wesentlich größer als man annehmen könnte, so haben etwa Marek Jerie und Konrad Ragossnig bereits vor Jahren ein Werk wie Schuberts Arpeggione-Sonate exquisit in dieser Besetzung dargeboten. Zum anderen ist die Wahl des Repertoires aus cellistischer Sicht erfreulich, weil hier u.a. eine Reihe von Piècen des Cellisten August Nölck (1862–1928) vorgestellt werden, der manchem Celloschüler ein Begriff sein dürfte, dessen Werk aber diskographisch eher spärlich erschlossen ist. Die Gitarre spielt Peña Comas’ Ehemann Damien Lancelle, aus dessen Feder auch die Bearbeitungen stammen.

Nölcks Amoroso, eine Valse lente, mit der die CD beginnt und nach der sie auch benannt ist, repräsentiert exemplarisch die beiden Schwerpunkte des Programms (und bildet insofern einen ungemein passenden Anfang). Im Vordergrund steht der Themenkreis Liebe, etwa in Form von Liebesliedern oder Liebesgrüßen, aber auch im weiteren Sinne wie in Berceusen, Serenaden, „sentimentalen“ oder „(ap-)passionierten“ Stücken. Dies umfasst Klassiker wie Elgars Salut d’amour, Kreislers Liebesleid, zwei Liedbearbeitungen aus Schumanns Myrthen, Tschaikowskis Valse sentimentale und sogar ein Arrangement von Liszts drittem Liebestraum. Mit zwei sehr hübschen Arrangements von Liedern von Satie und Poulenc ist auch Frankreich in der Sammlung enthalten, mit Amy Beachs Berceuse op. 40 Nr. 2 zudem eine kleine Seltenheit aus Amerika.

Der zweite Schwerpunkt des Programms liegt wie erwähnt auf selten gespielter Musik von Cellisten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, und so kann die CD auch als eine kleine Nölck-Hommage betrachtet werden. Vorgestellt werden insgesamt sechs seiner Stücke, im Original allesamt für Violoncello und Klavier komponiert, hübsche, gefällige, unmittelbar ins Ohr gehende kleine Piècen, die gerne mit nationalem Kolorit arbeiten, siehe etwa die Spanische Serenade (wobei auch das Ständchen einen spanischen Einschlag aufweist), die Mazurka und natürlich die die CD beschließende Ungarische Czárdas-Fantasie, das mit etwa sieben Minuten umfangreichste und virtuoseste Werk dieser Zusammenstellung. Daneben haben auch zwei Stücke des Cellisten Georg Goltermann (1824–1898, sein Cellokonzert Nr. 4 ist beliebte Unterrichtsliteratur) Eingang in das Programm gefunden. Irgendwo zwischen den beiden Polen der CD darf man schließlich Saint-Saëns’ ebenso beliebtes wie effektvolles Allegro appassionato ansiedeln.

Die Bearbeitungen sind insgesamt gekonnt gearbeitet und klanglich gut auf die Kombination beider Instrumente abgestimmt. Neben der Transkription des Klavierparts auf die Gitarre beweisen die Arrangements auch Sinn für allerhand reizvolle Details wie etwa die sanften Cello-Pizzicati am Ende der Widmung aus Schumanns Myrthen, die dem Schluss eine leicht weihevolle Aura verleihen, oder die effektvoll-dramatischen Akzente, die in der Czárdas-Fantasie wohl durch Einsatz von Rasgueado erzeugt werden. Das auf den ersten Blick womöglich ungewöhnlichste Arrangement dürfte wohl dasjenige von Liszts Liebestraum Nr. 3 sein, ist diese Musik doch erst einmal deutlich vom Klavier her gedacht. Für Cello und Gitarre bearbeitet verwandelt sich das Stück in eine Art langsamen Walzer in D-Dur, der sich gut in den Kontext dieser CD fügt.

Peña Comas spielt ihren Part mit warmem, rundem, gesanglichem Ton, schön etwa gleich das einleitende Amoroso oder die Bearbeitungen der Lieder von Schumann, Satie und Poulenc, um nur einige Beispiele zu nennen. Die romantische Seite dieser Musik kostet sie voll aus, auch zum Beispiel in Form von bewusst eingesetzten Glissandi (vgl. etwa Goltermanns Capriccio). Lancelle begleitet sie ausgesprochen einfühlsam, und so ergibt sich oftmals ein sehr schönes Dialogisieren der beiden Instrumente. Das Begleitheft der CD liefert neben einem kurzen Geleitwort die Biographien der beiden Künstler. Der Korrektheit halber sei erwähnt, dass Nölcks Mazurka genau genommen sein op. 120 Nr. 5 ist; auch dies also Teil einer Kollektion von kleineren Vortragsstücken. Der Klang der CD entspricht dem sehr guten Standard moderner Produktionen.

Insgesamt ein sehr hübsches, kammermusikalisch-intimes Programm, von dem man sich gut unterhalten fühlen darf.

[Holger Sambale, Januar 2023]

Das Palazzetto Bru Zane ehrt Camille Saint-Saëns und César Franck

Camille Saint-Saëns: Phryné

Bru Zane, BZ 1047; EAN: 8 055776 01002 1

César Franck: Sämtliche Lieder und Duette

Bru Zane, BZ 2003; EAN: 8 055776 01003 8

Für Musikinteressierte mit Faible fürs französische Repertoire ist das Palazzetto Bru Zane eine Fundgrube sondergleichen. Versteckt in einer kleinen Gasse nahe der imposanten Kirche San Rocco, belebt das in Venedig ansässige Musikzentrum das kompositorische Erbe zwischen 1780 und 1920. Die Pharmaunternehmerin Nicole Bru entdeckte das verfallene Gebäude, das früher als Sommerhaus der Adelsfamilie Zane diente, ließ es wiederherstellen und funktionierte es als Sitz für die von ihr finanzierte Stiftung um. Heute ist dort ein Stamm von 15 Mitarbeitenden administrativ beschäftigt, während in Paris der künstlerische Leiter Alexandre Dratwicki mit einer fünfköpfigen Crew die Forschungen vorantreibt. Hundertvierzig Jahre Musik wollen gesichtet und aufgearbeitet werden, bevor sie in Publikationen, Konferenzen, Konzerten und Bühnenproduktionen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Hinzu kommt ein eigenes Label, das in einer feinen, verschwenderisch ausgestatteten CD-Buch-Reihe überwiegend Opern und Operetten, aber auch Porträts von kaum bekannten Komponistinnen und Komponisten produziert. Oft geben Jubiläen den Impuls zur näheren Auseinandersetzung, 2021 galt sie Camille Saint-Saëns anlässlich seines 100. Todestags. Alexandre Dratwicki und sein Team konzentrierten sich dabei auf die – vom Repertoirehit Samson et Dalila abgesehen – vergessenen Opern des in jeder Gattung versierten Vielschreibers. Belebt wurde etwa das Künstlerdrama Le Timbre d’Argent, die Renaissancetragödie Proserpine und das Römerspektakel Les Barbares. In die Antike, die für den 1835 geborenen Komponisten zeitlebens eine Quelle der Inspiration bedeutete, führt auch die gerade auf CD erschienene Oper Phryné aus dem Jahr 1893. Sie spielt im alten Griechenland und erzählt davon, wie ein als Tugendwächter auftretender Würdenträger die Kurtisane Phryné zu verführen sucht. Sie aber ist bereits mit dessen armen Neffen liiert und stellt den Alten in aller Öffentlichkeit bloß. Um sich aus der Affäre zu ziehen, sieht er sich gezwungen, dem Verwandten sein halbes Vermögen zu vermachen. Phryné ist das einzige heitere unter Saint-Saëns‘ Bühnenwerken und war wohl deshalb neben Samson am erfolgreichsten. Durchzogen vom Geist einer Operette besitzen die Melodien Esprit, Anmut und im Chorfinale des ersten Aktes eine mitreißende Rasanz. Die Aufnahme, die statt der originalen Dialoge die nachkomponierten Rezitative von André Messager benutzt, bietet mit Hervé Niquet einen Könner im französischen Fach auf, der so vital wie elegant dirigiert und die orchestralen Valeurs mit ihren aparten Bläsereinsätzen auskostet. Florie Valiquette singt eine verführerische Phryné mit kokett geträllerten Koloraturen, Cyrille Dubois schwärmt für sie in seiner Arie mit tenoraler Geschmeidigkeit und Thomas Dolié gibt dem Onkel gestandene Buffokonturen. Mit Phryné endet die Saint-Saëns-Reihe vorläufig, doch ist als Nachschlag die wegen der Pandemie verschobene Einspielung der Griechentragödie Déjanire geplant.

Aktuell aber gilt es den 200. Geburtstag von César Franck zu feiern. Der musikalische Werdegang des 1822 in der belgischen Stadt Liège geborenen und 1890 nach einem Unfall in Paris gestorbenen Komponisten, weist einige Gemeinsamkeiten zu Saint-Saëns auf. Beide galten als Klavierwunderkinder, waren renommierte Organisten und verschrieben sich als Gründungsmitglieder der „Societé Nationale de Musique“ der Pflege der französischen Musik. Stilistisch aber entfremdeten sie sich voneinander. Ein Beispiel dafür ist die Uraufführung von Francks Klavierquintett 1880, das Saint-Saëns gewidmet werden sollte. Der übernahm zwar den Pianopart, schlug die Zueignung aber aus, weil er den ungewohnten Klängen nichts abgewinnen konnte. Doch jene Synthese von französischen und deutschen Elementen, von Wagner-Einflüssen und romanischer Emotionalität trug entscheidend zur Entwicklung der französischen Musik bei und wurde durch Francks illustre Schülerschar, die sogenannte „bande à Franck“, fortgeführt. Denn auch das war César Franck: ein undogmatischer Lehrer, hochverehrt von seinen Studenten, zu denen Ernest Chausson, Henri Duparc, Vincent d’Indy und Claude Debussy zählten.

Ungeachtet seiner musikhistorischen Bedeutung ist nur wenig aus Francks umfangreichen Schaffen ins Repertoire eingegangen: neben den Orgelwerken sind es die Symphonischen Variationen für Klavier und Orchester, die Sinfonie in d-Moll und die Violinsonate. Das will das Palazzetto Bru Zane ändern. Mit einem sich bis zum Sommer hinein erstreckenden Festival begibt es sich auf eine Entdeckungsreise in „The World of César Franck“. Eingeläutet wird sie in Venedig mit zwei intelligent konzipierten Kammermusik-Programmen – fein aufeinander abgestimmt und dennoch kontrastreich durch die Kombination von Franck-Meisterwerken mit bislang unterschätzten weiblichen Kompositionen. Das Eröffnungskonzert, das im Festsaal des Palazetto stattfindet, konfrontiert das Klaviertrio Nr. 1 in fis-Moll – das erste der als Opus 1 bezeichneten drei Trios concertant, die der 17-Jährige 1839 am Konservatorium begonnen hatte – mit Pauline Viardots eher konventionellem Duo für Geige und Klavier und drei so bewegten wie geistvollen Miniaturen von Lili Boulanger. Bestritten wird es von der jungen Geigerin Anna Agafia und dem Cellisten Ari Evan unter der Anleitung des renommierten Pianisten Frank Braley, die als Trio-Formation debütieren, dabei aber noch auf der Suche nach der rechten Balance sind – bedingt wohl auch wegen einer Verletzung Evans.

Der folgende Abend, diesmal in der prächtigen Scuola Grande San Giovanni Evangelista, präsentiert das bereits arrivierte Quatuor Hanson und den Klaviersolisten Ismaël Margain, dessen traumwandlerisches, sich gegenseitig befruchtendes Zusammenspiel vor emotionaler Hochspannung vibriert. Vorgetragen wird Francks bereits erwähntes Klavierquintett f-Moll, bestehend aus drei leitmotivisch miteinander verknüpften Sätzen mit süffigen Themen, kühn oszillierenden Harmonien und sinfonisch dichten Steigerungen. Die sich anschließende Grande Fantaisie-Quintette komponierte eine heute völlig Unbekannte: Rita Strohl, Jahrgang 1865, machte durch spirituell durchdrungene Werke von sich reden, geriet aber nach ihrem Tod 1941 in Vergessenheit. Ihr Ensemblestück ist eine weniger komplexe Variante der Gattung, bemerkenswert aber wegen der melodischen Dominanz des Klaviers im Kontrast zum Streicher-Unisono.

Wie geht es in den nächsten Monaten weiter in der Welt von César Franck? In Venedig stehen Kammermusikkonzerte im Zentrum, während in Paris großdimensionierte Orchesterwerke erklingen. Dort erlebt auch die zwischen 1879 und 1885 entstandene, zu Francks Lebzeiten nie aufgeführte Oper Hulda – ein blutrünstiges Drama um Rache und Verrat, das im frühmittelalterlichen Norwegen spielt – ihre konzertante Premiere mit Folgeaufführungen in Brüssel und Liège.

Schon jetzt aber kann man sich in César Francks Vokalkosmos vertiefen: beim Hören der gerade erschienenen Doppel-CD mit sämtlichen Klavierliedern und -duetten. Sie spielten keine Hauptrolle in seinem Oeuvre, begleiteten ihn aber mit Unterbrechung während der gesamten, rund 50-jährigen Schaffensphase. Daraus resultiert die Bandbreite der von Franck verwendeten Formen, die später in der typischen französischen „Mélodie“ gipfelten, perfektioniert durch Franck-Schüler wie Chausson und Duparc. Vom Charakter her dominieren gefühlvolle, atmosphärisch dunkle Lieder, wechselnd im Gewand von Romanzen, Strophengesängen, Balladen und – als Besonderheit – von kleinformatigen patriotischen Kantaten.

Mit Véronique Gens, Tassis Christoyannis und dem Pianisten Jeff Cohen sind drei Stützen aus dem Stammensemble des Palazzetto Bru Zane an dem Projekt beteiligt. Der griechische Bariton hat sich schon seit längerem als französischer Lied-Spezialist etabliert, etwa mit Kollektionen von Édouard Lalo, Benjamin Godard und Reynaldo Hahn. Durch variantenreiche Dynamik, wechselndes Kolorit der Stimmungen und plastische Artikulation lotet er den Charakter der Stücke aus, beispielhaft etwa in La Vase brisé mit einer ganzen Palette von Pianoschattierungen. Sechs Duette runden die Anthologie ab. Es sind getragene Duos mit religiösem Hintergrund, in denen die Stimmen meist parallel geführt werden. Véronique Gens, ist für diesen kleinen Zyklus eine Luxusbesetzung. „Gott hat mich mit einer einzigen Gnade beschenkt, nämlich der Verbindung zu Cesar Franck“. Diesen Ausspruch von Henri Duparc aus dem Jahr 1903 zitiert das Palazzetto Bru Zane in seiner Festival-Vorschau. Solche Verbindung selbst herzustellen, dazu bieten die vielfältigen Veranstaltungen reichlich Gelegenheit.

Karin Coper [April 2022]

Strahlende Impressionen

Berlin Classics, 0301708BC; EAN: 885470027082

Sophie Dervaux (Fagott) und Selim Mazari (Klavier) widmen sich auf ihrem bei Berlin Classics erschienenen Album Impressions französischen Kompositionen des 19. und 20. Jahrhunderts.

Ich weiß schon, warum das Fagott zu meinen Lieblingsinstrumenten gehört. Noch dazu, wenn es von solch einer Könnerin gespielt wird! Sophie Dervaux präsentiert auf ihrer CD Stücke französischer Komponisten, die ihr als Französin natürlich besonders liegen. Im Booklet betont sie in einem Interview, wie wichtig es ihr ist, die verschiedenen Möglichkeiten des Fagotts zu zeigen, von den tiefsten Basslagen bis hin zu ungewöhnlichen melodischen Possibilitäten.

Verständlicherweise kommen Bearbeitungen solcher „Reißer“ wie Debussys Clair de Lune, Faurés Après un Rêve und Ravels Habanera dran. Aber eben auch in Deutschland weniger Bekanntes wie die 1918 komponierte dreisätzige Sonate op. 71 von Charles Koechlin (1867–1950), die Transkription des Liedes A Chloris von Reynaldo Hahn (1874–1947), oder die Sarabande von Henri Dutilleux (1916–2013), ein Frühwerk von einem der außergewöhnlichsten Komponisten des modernen Frankreich. Den Abschluss bildet die Komposition Interferences von Roger Boutry (1932–2019), bei der Sophie Dervaux in Bereiche des Instruments vorstößt, die extrem ungewöhnlich sind und einen schönen Kontrapunkt bilden zur Sonate op. 168 von Camille Saint-Saëns (1835–1921).

Die Arrangements stammen von der Musikerin selber und von ihrem Lehrer Carlo Colombo. Der Pianist Selim Mazari, der „begleitet“, ist ein adäquater Partner, sehr sensibel und bereitet damit genau das „Silbertablett“ vor, auf dem die Solistin wunderbar zum Strahlen kommt. Es ist eine wunderbare CD, die hoffentlich diesem Instrument noch viele Türen öffnen kann.

[Ulrich Hermann, Juni 2021]

Inspirationen für das Horn

TYX Art, 19142; EAN: 4 250702 801429

Auf ihrem Album „Melodies“ präsentieren Hervé Joulain und Ariane Jacob siebzehn Originalthemen für Horn. Auf dem Programm stehen Kompositionen von Reinhold Glière, Alexander Glasunov, Camille Saint-Saëns, Richard Strauss, Maurice Ravel, Luigi Cherubini, Paul-Henri Büsser, Leonard Bernstein, Franz Strauss, Leone Sinigaglia, Nicolaus Freiherr von Krufft, Emmanuel Chabrier, Alexander Scriabin, Jean-Michel Damase, Vincent d’Indy und Laurent Couson.

Das Horn wäre eines der idealsten Instrumente, um sich als Komponist singenden Ausdruck zu verschaffen: nicht nur besitzt es einen enorm umfangreichen Ambitus, auch kommt es nah an die menschliche Stimme heran und offenbart unzählige Möglichkeiten der Klanggestaltung. Dennoch wird es, während ihm im Orchester oft die schönsten Themen zufallen, nur selten als Solo- oder Duoinstrument verwendet. Gemeinsam mit der Pianistin Ariane Jacob geht der Hornist Hervé Joulain auf Entdeckungstour und präsentiert siebzehn Originalthemen für sein Instrument. Dabei gelingen durchaus einige lohnenswerte Funde.

Tatsächlich am wenigsten überzeugt ausgerechnet die einzige Melodie, die ein jeder kennt: Ravels Pavane pour une infante défunte. Ursprünglich als Klavierstück geschrieben, vertraut Ravel in der Orchesterfassung dem Horn die Melodie an, was bei der Streicherbegleitung für hinreißende Effekte sorgt; mit Klavier allerdings wirkt der Unterboden kahl, auch fehlt die fragile Tragfähigkeit, welche Ravels Musik erst ausmacht.

Die meines Erachtens größte Errungenschaft dieser CD ist die Entdeckung von Nicolaus Freiherr von Krufft. Wenngleich Komponieren eine Freizeitbeschäftigung für ihn war, zeigt er profundes technisches Handwerk (er lernte bei Johann Georg Albrechtsberger, aus dessen Schule auch Beethoven, Hummel und Czerny hervorgingen) und – viel wichtiger – einen ausgeprägten Personalstil, der sogar Klangsphären erreicht, wie wir sie sonst ausschließlich und deutlich später von Chopin kennen. Diese verbindet er mit verspielter, klassischer Leichtigkeit und einem geschlossenen Formkonzept.

Des Weiteren lohnt sich die Beschäftigung mit den hier zu hörenden Komponisten Paul-Henri Büsser und Leone Sinigaglia, die heute beinahe vergessen sind. Als einer der bekanntesten Hornisten seiner Zeit komponierte Franz Strauss auch für sein Instrument, wobei er nur recht wenig auszusagen hatte. Lohnenswerter gestaltet sich da der Beitrag seines Sohns Richard Strauss, der das zu hörende Andante seinem Vater zur Silberhochzeit zueignete und in diesem Jugendwerk bereits handwerkliches Können und musikalische Substanz zu einen weiß. Erstaunt war ich, Scriabin unter den Komponisten dieser CD zu lesen, von dem mir kein Kammermusikwerk bekannt war: die Romanze op. 40 offenbart eine interessante Verbindung einer kantablen Melodiestimme mit einem harmonisch ausschweifenden Klavier, wobei der Gesamteindruck eher zu seinem der Romantik verpflichteten Frühwerk tendiert. Klanglichen Reiz entwickeln die spätromantischen Weisen von Glière und Glasunov aus Russland sowie Saint-Saëns aus Frankreich. Besonderen Eindruck hinterlässt das Larghetto von Chabrier, ein echt französisches Stück von reinem Ausdruck und inniger Lieblichkeit.

Hervé Joulain erweist sich als vielseitiger und flexibel veranlagter Hornist, der sowohl die klassisch leichten, romantisch verträumten wie frühmodern expressiven Stücke adäquat umzusetzen weiß. Bei den impressionistisch anmutenden Weisen könnte der Pianissimobereich etwas mehr ausgekostet werden, ansonsten lässt sich absolut nichts an seinem Spiel aussetzen. Joulain behält eine Wärme und Menschlichkeit, die in ihren Bann zieht, spielt mit vollem, weichem und sanglichem Ton. Ariane Jacob bleibt am Klavier eher nüchtern, gibt den Stücken so gewisse Distanz: das farbenfrohe Aufblühen überlässt sie größtenteils dem Horn, was teils interessante Effekte bringt. Dennoch spielt sie keineswegs unbeteiligt. Hoch konzentriert schafft sie so formalen Zusammenhalt mit weichen Übergängen.

[Oliver Fraenzke, August 2020]

Saint-Saëns in Perfektion

Naxos, LC 05537; EAN: 747313347872

Camille Saint-Saëns: Piano Concertos 4 & 5 (Egyptian); Romain Descharmes (Klavier), Malmö Symphony Orchestra, Marc Soustrot

Wie nach den ersten beiden CDs nicht anders zu erwarten, wird auch die dritte CD der neuen Naxos-Gesamtaufnahme sämtlicher Werke für Klavier & Orchester von Camille Saint-Saëns höchsten Ansprüchen gerecht. Diesmal erklingen mit Romain Descharmes und dem Malmö Symphonieorchester unter Marc Soustrot die Klavierkonzerte Nr. 4 & 5.

Für meinen Geschmack stellen die beiden letzten Klavierkonzerte von Camille Saint-Saëns gleichzeitig auch den Höhepunkt seines Schaffens für diese Gattung dar. Das vierte in c-Moll (1875) übertrifft die anderen Konzerte an Tiefgang und formaler Raffinesse recht deutlich. So wird in diesem zweisätzigen Werk, das einige Konzepte der berühmten Orgelsymphonie (Symphonie Nr. 3) vorwegnimmt, etwa das schwer lastende Hauptthema des Beginns später als Scherzo paraphrasiert. Vielleicht wegen des äußerlich weniger auftrumpfenden Klavierparts, der streckenweise nur begleitende oder kommentierende Funktion hat, aber dennoch allerhöchste technische Anforderungen stellt, hört man das Werk öffentlich viel zu selten. Dem fünften Konzert (1896) hingegen – da in Luxor komponiert, auch das „Ägyptische“ genannt – ist stets ein Publikumserfolg garantiert, vor allem wegen des ungewöhnlich farbigen, stimmungsvollen zweiten Satzes, der keineswegs nur Anklänge an arabische, sondern auch an javanische (Gamelan) oder südosteuropäische Musik (Nachahmung des Cymbaloms durch das Klavier) enthält.

Auch hier zeigt der Vergleich mit meiner bisherigen Referenzaufnahme – Jean-Philippe Collard unter André Previn (EMI 1988) – die außerordentliche Qualität der Neueinspielung. Beim fünften Konzert folgen beide Darbietungen demselben Konzept; erstaunlich, dass sich sämtliche Tempi bis auf den Metronomstrich ähneln. Romain Descharmes‘ famose Anschlagskultur steht auf dem gleichen Niveau wie Collard, sowohl bei den hochvirtuosen wie auch den lyrischen Passagen: Man höre nur die Delikatesse der beiden Stellen im 2. Satz, in denen Saint-Saëns durch Quintmixturen einen völlig denaturierten Klavierklang generiert. Es sind wirklich nur unbedeutende Details, die mal dem einen, mal dem anderen Pianisten besser geraten. Wie schon bei den vorherigen CDs überzeugt aber das Orchester aus Malmö durch mehr Farbigkeit und Feinschliff, vor allem auch hinsichtlich der Dynamik. Hier hat Marc Soustrot offensichtlich erfolgreicher geprobt. Dazu kommt noch, dass die EMI-Aufnahme gerade beim ‚ägyptischen‘ Konzert zu viel Hall hat; die Naxos-Toningenieure erreichen hier eine deutlich bessere Transparenz, auch einen profunderen Bass, der aber nie aufdringlich wirkt.

Das vierte Konzert gelingt Collard eine Spur eloquenter. Er nimmt den Klavierpart im ersten Satz nicht so stark zurück wie Descharmes, vermag trotz der starken Integration ins Orchester eine klare Entwicklung aufzuzeigen. Die arpeggierte Choralstelle gegen Ende begreift er nicht nur vom Bass her, sondern arbeitet auch die Bedeutung der Oberstimme heraus. Der komplexere zweite Satz unterscheidet sich wiederum allenfalls in Nuancen. Auch hier wird die den letzten Abschnitt des Konzertes bildende liedhafte Melodie von Descharmes und Soustrot bereits verhaltener begonnen, die Steigerung zur Schlussapotheose gerät weniger affirmativ, dafür vollkommen natürlich und unaufgesetzt.

Summa summarum präsentiert Naxos mit den drei CDs dieser Serie eine neue Referenzaufnahme mit wirklich perfekten Interpretationen. Die in den letzten Jahren etwas vernachlässigten Konzerte des heute eher als konservativ abgetanen Franzosen werden so entgegen gängiger Vorurteile als deutlich innovativer dargestellt – manches weist ja etwa schon auf Rachmaninoff – und ihre hohe musikalische Qualität präzise umgesetzt. Nicht nur für Saint-Saëns-Neulinge ein Muss!

[Martin Blaumeiser, Mai 2018]

Virtuosität am Violoncello

Naxos, 8.573737; EAN: 7 47313 37377 2

Camille Saint-Saëns‘ Werke für Cello und Orchester stehen auf dem Programm der neuen CD Gabriel Schwabes, diesmal zusammen mit dem Malmö Symphony Orchestra unter Marc Soustrot. Neben den beiden Cellokonzerten Op. 33 und Op. 119 sind dies die Suite d-Moll Op. 16bis – die ursprünglich für Klavier und Cello komponiert wurde, deren Scherzo allerdings gegen eine neukomponierte Gavotte und deren Finale gegen eine ebenfalls originale Tarantelle ausgetauscht wurden –, die Romanze F-Dur Op. 36, das Allegro appassionato h-Moll Op. 43 und der Schwan (Le Cygne) aus dem Karneval der Tiere in der Bearbeitung von Paul Vidal.

Wenn es etwas gibt, was man Camille Saint-Saëns unter keinen Umständen vorwerfen kann, so wäre dies, nicht virtuos für seine Solisten schreiben zu können. Werke für kleine Besetzungen oder mit einem im Mittelpunkt stehenden Solisten gestalten sich durchweg als virtuose Hürdenläufe und Gelegenheiten technischer Zurschaustellung. Für die ausführenden Musiker ist die Musik nicht immer dankbar, prägnante Themen und verträumte Lyrizität sind nicht unbedingt im Mittelpunkt der Kompositionen, doch ist es eine Art der olympionikische Verführung, die immer wieder dazu anreizt, Saint-Saëns zu hören und zu spielen.

So gehen auch Saint-Saëns’ Werke für Violoncello und Orchester an den Rand des Möglichen und verlangen dem Solisten alles ab. Für das Orchester besteht die Aufgabe entsprechend darin, dem Solisten Raum zur Entfaltung zu geben, auf ihn einzugehen und ihm einen schillernden Teppich aus Harmonie und Melodie zu bereiten. Dies wird hier allerdings nur mäßig umgesetzt, Marc Soustrot sieht seine Aufgabe eher als Taktgeber denn als musikalisch aktiver Widerpart zum Cellisten. Viele wichtige Stimmen gehen verloren, gerade im Zweiten Cellokonzert sind substanzielle Melodieelemente verdeckt, so dass Schwabes Stimme beinahe nackt erscheint. In der Sérénade aus der d-Moll-Suite bröckelt plötzlich der durchgehende 3/8-Rhythmus, der den Satz zusammenhält: Unmittelbar gehen die so wichtigen Streicher unter, die Partitur bietet jedoch keinen Grund dafür. Allgemein ist der Klang stumpf und wenig plastisch.

Klar und brillant ist die Stimme von Gabriel Schwabe, der die Musik von Saint-Saëns distanziert, aber nicht unemotional in Szene setzt. Der junge Cellist kommt spielend mit jeder Höchstleistungsforderung zurecht, die ihm der Komponist in den Weg legt. Er versucht weitestgehend auch, auf das Orchester zu hören. Im ersten Konzert nimmt Schwabe sich zwar einige übermäßige Rubato-Freiheiten und schlägt ein etwas zu schnelles Grundtempo an, was zu verschwimmenden und unpräzisen Triolen bei den Orchesterstreichern führt, doch legt sich dies in den anderen zu hörenden Kompositionen. Besonders reflektiert erklingen das Zweite Konzert sowie die langsamen Sätze aus der Suite, die innere Ruhe und Gesetztheit ausstrahlen.

[Oliver Fraenzke, Oktober 2017]

Eine neue Saint-Saëns Referenzaufnahme?

Naxos, LC 05537; EAN: 0747313347773

Hatte Naxos mit der ersten CD der neuen Gesamtaufnahme von Camille Saint-Saëns‘ Werken für Klavier und Orchester bereits hohe Erwartungen geweckt, deutet sich schon mit der zweiten von insgesamt drei CDs an, dass hier eine neue Referenzaufnahme zustande gekommen ist. Die hier vorgelegten, im Konzertsaal eher selten zu hörenden Stücke werden überlegen und mit einer bisher ungehörten Liebe zum Detail dargeboten.

Camille Saint-Saëns‘ Klavierkonzerte – selbst das berühmte zweite – sind in den letzten Jahrzehnten etwas aus dem Fokus der Klaviervirtuosen geraten. Die meiner Meinung nach bisherige Referenzaufnahme – Jean-Philippe Collard unter André Previn (EMI 1988) – ist mittlerweile fast 30 Jahre alt und danach kamen eher unerfreuliche Neueinspielungen.

Schon bei der ersten CD der neuen Gesamtaufnahme, die auch die kleineren Stücke für Klavier und Orchester mit einbezieht, habe ich gelobt, dass hier mit einer Sorgfalt und Seriosität gearbeitet wurde, die ihresgleichen sucht (vgl. hier). Die vorliegende CD widmet sich nun dem im Konzertsaal so gut wie nie dargebotenen drittem Klavierkonzert in Es-Dur sowie den drei besten der ‚kleineren‘ Stücke. Das Es-Dur-Konzert führt völlig zu Unrecht ein Schattendasein. Zwar folgt es – entgegen dem populären zweiten Konzert – wieder den traditionellen Formschemata, moduliert aber teilweise überraschend in entlegene Tonarten und überzeugt durch eine äußerst gediegene Orchestrierung. Unüberhörbar knüpft der Komponist hier an symphonische Vorbilder an: Schuberts große C-Dur-Symphonie und auch Beethovens fünftes Klavierkonzert in derselben Tonart Es-Dur werden fast wörtlich zitiert – letzteres etwa in den mit erstaunlich hohem Wiedererkennungswert gesetzten Schlussakkorden des Kopfsatzes. Dennoch mangelt es dem Stück keineswegs an musikalisch guten Ideen. Das Klavier ist allerdings in ungewohnter Weise in den Orchesterklang integriert und es gibt weniger Raum für äußerliche Brillanz als im Vorgängerstück – fast schon so etwas wie ein Gegenentwurf.

Deutlich mehr als nur dankbare ‚Zugabestücke‘ sind die Rhapsodie d’Auvergne, Africa und die kleine Caprice-Valse „Wedding Cake“. Gerade hier zeigt sich, wie sehr Romain Descharmes über minutiös ausgearbeitete Artikulation die musikalischen Charaktere punktgenau trifft. Hier wird nichts nur routiniert heruntergenudelt – und der Pianist ist an Genauigkeit und Charme sogar Collard in der Referenzaufnahme überlegen. Man höre nur die eigentlich recht belanglos ausschauenden Einleitungstakte von „Wedding Cake“, die hier nicht nur neugierig auf das machen, was danach kommt, sondern an sich schon zu faszinieren in der Lage sind. Oder das wohldosierte Martellato bei Buchstabe ‚E‘. Auch das Orchester aus Malmö unter dem fabelhaften Marc Soustrot gelingt wieder eine äußerst durchsichtige und dynamisch fein austarierte Klanggestaltung – besonders bei den hübschen Exotismen in Africa. Wie gut das Zusammenspiel von Solist und Orchester funktioniert, zeigt sich z.B. im durchführungsartigen Abschnitt des Konzertfinales (nach Buchstabe ‚L‘). Die niemals sportiv überzogenen Tempi lassen die virtuosen Finessen genauso deutlich werden wie sämtliche Feinheiten der Instrumentation. Die Aufnahmetechnik hat ebenfalls ein gutes Händchen – weder zu trocken noch zu hallig oder aufdringlich präsent. Ist für das auf dieser CD eingespielte Repertoire bereits klar, dass dies eine echte Referenzaufnahme geworden ist, dürfte dann mit der noch ausstehenden dritten CD die Einspielung von Collard/Previn wohl endgültig vom Thron gestoßen werden.

[Martin Blaumeiser, Juli 2017]

Saint-Saëns‘ Klavierkonzerte als seriöse Gattungsbeiträge

Naxos, LC 05537; EAN: 0747313347674

Mit den ersten beiden Klavierkonzerten und dem ‚Allegro appassionato‘ op.70 beginnt Naxos anscheinend eine neue Gesamtaufnahme der Werke für Klavier & Orchester von Camille Saint-Saëns (1835-1921), die aufhorchen lässt. Es spielen Romain Descharmes und das Symphonieorchester Malmö unter dem ehemaligen Bonner GMD Marc Soustrot.

Camille Saint-Saëns‘ fünf Klavierkonzerte genießen heute einen eher zweifelhaften Ruf. Zwar wird sein beim Publikum wie den Pianisten beliebtestes zweites Konzert in g-Moll op.22 immer noch häufig aufgeführt; aber außerhalb Frankreichs gehört es kaum mehr zum essenziellen Solokonzert-Kanon des 19. Jahrhunderts, im Gegensatz zum Cellokonzert a-Moll. Das war vor 30 Jahren noch anders. Warum? Es gibt zwar nicht viele Zeitgenossen unseres französischen Wunderkinds, die einerseits dem Solisten durchgehend ein Höchstmaß an Fingerfertigkeit und Präzision – etwa im schnellen, beidhändigen Skalenspiel – abfordern, ihn andererseits aber schon sehr stark in den Orchestergesamtklang integrieren und somit dem Eindruck reinen Virtuosentums bewusst entgegenwirken. Von den intrikaten Schwierigkeiten eines Rachmaninoff ist das aber noch so weit entfernt, dass ein junger Pianist mit diesen Werken kaum mehr reüssieren kann. Das tiefgründige, vierte Konzert führt mittlerweile im Konzertsaal ein Schattendasein, das fünfte ‚ägyptische‘ kommt nur aufgrund seiner hübschen Exotismen gelegentlich zu seinem Recht; die Konzerte Nr. 1 & 3 dagegen sind so gut wie nie zu hören.

Es gibt allerdings etliche Gesamtaufnahmen – teilweise unter Berücksichtigung der fünf kleineren Konzertstücke für Klavier & Orchester. Und hier zeigt sich schnell das Dilemma, in das diese Musik allzu leicht gerät, wenn nicht mit größter Sorgfalt und Empathie an sie herangegangen wird. Ein Negativbeispiel etwa die Einspielung von Stephen Hough (Hyperion 2000): Hohle Virtuosität, überhastete Tempi – will Hough damit ins Guinness-Buch der Rekorde? – und ein lustlos agierendes Orchester. Meine Referenz-Aufnahme – auch schon fast 30 Jahre alt – ist bisher die von Jean-Philippe Collard unter André Previn (EMI 1988), bei der Virtuosität, Prunk und Pathos mit Durchsichtigkeit, französischer Leichtigkeit und strengem Formbewusstsein im richtigen Maße korrelieren. Naxos führte bislang im Katalog nur eine ältere Aufnahme der Konzerte Nr. 2 & 4 mit Idil Biret. Nun scheint mit der vorliegenden Einspielung eine neue Gesamtaufnahme von Rang in Angriff genommen worden zu sein.

Wenn man Schwächen des 1. Konzerts von 1858 aufzeigt – ziemlich viel pianistischer Leerlauf an Passagenwerk, zu wenig melodisch überzeugende Einfalle, besonders im etwas einfältigen Finale – sollte man dabei nicht vergessen, dass dieses Konzert seit 60 Jahren den ersten Gattungsbeitrag eines bedeutenderen, französischen Komponisten darstellte. Andererseits ist die bereits erwähnte ‚Einbettung‘ ins Orchester damals eher als modern anzusehen und führt in letzter Konsequenz etwa zu Busoni. Saint-Saëns bemüht sich um zyklische Einheit, wenn er ganz am Schluss des Finalsatzes nochmals den Hornruf des Beginns und das Hauptthema bringt. Der zweite Satz hat bereits unzweifelhaft Substanz und wirkt konzentriert. Wie auf keiner anderen Aufnahme nimmt Marc Soustrot mit dem Malmö Symphony Orchestra jedes Detail dieses Werkes ernst. Stimmige Tempi, klare formale Gliederung und ein Höchstmaß an klanglicher Differenzierung, die von einer ebenso fabelhaften Aufnahmetechnik unterstützt werden, stellen die älteren Einspielungen dieses verschmähten Konzertes geradezu bloß. Der mit Hingabe und musikalischer Überzeugung präsente Romain Descharmes beherrscht die ganze Palette makellosen Anschlags – vom schönen, kantablen Legato bis zum immer noch glasklaren Quasi-Non-Legato in schnellstem Tempo. Ist das wirklich schlechter als manches Gedöns von Max Bruch (inklusive der Violinkonzerte) oder Tschaikowsky in seinem 2. Klavierkonzert op. 44 noch Jahre später?

Das bekannte g-Moll Konzert, das zahlreiche stilistische Anspielungen z.B. auf Bach enthält, gerät ebenso vorbildlich. Im zweiten Satz (ein walzerartiges Scherzo) wird gerade durch ein eher moderates Tempo der irrwitzige Klaviersatz umso deutlicher: Alles gewinnt hier Bedeutung über oberflächliches Blendwerk hinaus und lässt dieses Werk in einem ganz anderen Licht erscheinen, als man es gemeinhin gewohnt ist. Das wirkt fast wie eine Kur eines über Jahrzehnte überhitzten Reißers, die einfach guttut. Besonders gefällt eine flexible, aber hochpräzise Rhythmik mit perfektem Zusammenspiel auch im Rubato. Das schwedische Orchester klingt hierbei um Klassen ‚französischer‘ als die zumeist in England beheimatete Konkurrenz. Trotz aller Seriosität, die den Komponisten später altmodisch wirken lassen wird, bleibt dennoch genügend Raum für Draufgängertum, der auch ausgekostet wird. Und wie liebevoll Descharmes die Feinheiten dieser Musik auslotet, hört man sofort im Solo des Allegro appassionato op. 70, welches diese hocherfreuliche CD abrundet. Weiter so!

[Martin Blaumeiser, April 2017]

Mut zum Standardrepertoire

Genuin, GEN 17452; EAN: 4 260036 254525

„Pearls of Classical Music“ nennt sich die neue CD der deutsch-koreanischen Pianistin Caroline Fischer. Zu hören sind Werke von Joseph Haydn (Sonate D-Dur Hob.XVI:24), Ludwig van Beethoven (Rondo a capriccio G-Dur Op. 129), Carl Maria von Weber (Ronde brillante Es-Dur Op. 62), Frédéric Chopin (Walzer Nr. 14 e-Moll; Andante spianato et Grande Polonaise brillante Op. 22), Franz Liszt (Liebestraum Nr. 3 Op. 62; Konzertparaphrase auf Rigoletto), Camille Saint-Saëns (Allegro appassionato Op. 70), Moritz Moszkowski (Nr. 11 aus 15 Études de Virtuosité Op. 72) und Sergei Lyapunov (Nr. 10 „Lesghinka“ aus 12 Études d’exécution transcendante Op. 11).

Ein größtenteils aus Standardrepertoire eines jeden Konzertpianisten bestehendes Programm aufzunehmen, erfordert Mut – da man sofort mit allen Größen der Klassikwelt verglichen wird – und vor allem eine eigene Aussage, die den Werken ohne Anflüge von Willkür angemessen ist. Die deutsch-koreanische Pianistin Caroline Fischer hat beides und veröffentlicht auf „Pearls of Classical Music“ eine farbenprächtige Mischung aus Werken von Haydn und Beethoven bis Moszkowski und Lyapunov.

Der Anschlag Fischers hat eine ganz eigene Note und ist unverkennbar, eint prägnante Schärfe und liebliche, beinahe fragile Zurückgehaltenheit. Caroline Fischer hat ein enormes Spektrum an Dynamiknuancen und nutzt diese gerade im Piano- und Pianissimobereich voll aus. So können melodische Linien in freier Unbekümmertheit aufleben und wieder zurückgehen, wobei sie es versteht, die Akzente am rechten Ort zu setzen und allgemein das Wechselspiel aus Spannung und Entspannung zu erspüren.

Haydns Sonate D-Dur Hob.XVI:24 entsteht gerade in den Randsätzen unprätentiös und spielerisch, mit dynamisch reflektierter Ausgestaltung kommt eine stringente Fasslichkeit der Form zur Geltung. Der Mittelsatz könnte angesichts des gemessenen Tempos mehr Glanz und Fülle des Gehalts vertragen. Wie beinahe in jeder neueren Aufnahme zu rasch eilt Beethovens Rondo a capriccio G-Dur Op. 129 unter ihren Fingern, wobei Fischer auch hier zauberhafte Feinheiten hervortreten lässt und eine fast schon berauschende Stimmführung präsentiert. Webers Ronde brillante Es-Dur Op. 62 bezaubert durch Schwung und tänzerischen Charme, mit Lockerheit und Spielfreude. In Chopin geht Caroline Fischer voll auf, verträumt sich nicht zu sehr in die zarten Weisen, gebraucht Rubato mit Bedacht und lässt mannigfaltige Zwischenschattierungen des Klangs durchscheinen. Bei Liszts Liebestraum Nr. 3 wäre dies in gleichem Maße zu wünschen, Verträumtheit und innerliche Leidenschaft kommt hier zu wenig zum Zug (aber auch interessant, üblicherweise ist dieses Werk nur „übermäßig verträumt“ zu hören). Die anschließenden vier Virtuosenwerke gelingen auf hohem Niveau, bestechen in ihrer fingerbrecherische Virtuosität mit springender Leichtigkeit.

„Pearls of Classical Music“ ist definitiv eine Empfehlung wert, die oft gehörten Werke bestechen allesamt mit einer eigenen Aussage und bieten dem Hörer die Möglichkeit, andere Aspekte der Musik zu erfahren.

[Oliver Fraenzke, Februar 2017]

Dichte und Frische

Im Kubiz Unterhaching spielt das Bruckner Akademie Orchester am 6. November 2016 das Erste Cellokonzert von Camille Saint-Saëns und die Dritte Symphonie, die „Eroica“, Ludwig van Beethovens. Dirigent ist Jordi Mora, Solistin im Cellokonzert Mariona Camats.

Mit wallend rotem Kleid erscheint die erst neunzehnjährige Mariona Camats auf der Bühne, positioniert sich und startet direkt in die heiklen Solopassagen des hochvirtuosen ersten Cellokonzerts a-Moll op. 33 von Camille Saint-Saëns. Es ist bemerkenswert, mit welcher Sicherheit und Leichtigkeit die aus Barcelona stammende Cellistin ihre Stimme meistert, wie gewandt sie selbst in den höchsten Lagen agiert und wie spielerisch sie zwischen virtuoser Bravour und innig erfühltem Instrumentalgesang wechselt. Zwar hat die junge Cellistin vielleicht noch nicht ihren grundeigenen Ton gefunden, doch ist es ein langer Weg zur Erforschung dessen, der in Camats Alter noch nicht zurückgelegt worden sein kann, und ich bin überzeugt, Camats ist auf dem besten Wege und wird sehr bald damit verzaubern. Es wäre noch zu wünschen, sie würde (gerade in der berühmten Zugabe, Casals’ El canto dels ocells) das Vibrato etwas spärlicher und funktioneller einsetzen. Doch allgemein beherrscht Camats bereits jetzt ihr Instrument auf vorzügliche Weise und wird hoffentlich bald mit ihrer brillanten Musikalität zu großer Bekanntheit erblühen. Die Abstimmung zwischen Solistin und Orchester funktioniert fantastisch, das Cello ist beständig deutlich zu hören, und doch wird ihr vielköpfiger Begleitapparat nicht konturschwach.

Jordi Moras Bewegungen sind Musik. Er verzichtet vollkommen auf Prätentiösität und ausladende Gesten, lässt sich zu einhundert Prozent auf die Musik ein und folgt ihrem Fluss, den er mit seinen Gesten in maximaler Dichte auffängt und an seine Musiker weitergibt. Vor allem für diejenigen, die am Vorabend in der Selbstdarstellungs-Show mit Ljubka Biagioni zu Guttenberg und den Sofia Symphonics waren, ist dieses Konzert eine wahre Heilkur. Die intensive musikalische Arbeit, die Mora mit dem Bruckner Akademie Orchester verrichtete, ist nicht zu überhören, die Werke entstehen wie aus einem Guss und entstehen ohne Zerstückelung in kleine Teile als Gesamtes vom Beginn bis zum Schluss in unwiderstehlichem Fluss. Das Orchester besteht aus Profimusikern wie auch aus ambitionierten Liebhabern, und so sind kleine Unsauberkeiten oder ein allgemein etwas zu aufdringliches Piano der Preis für ein umso lebendigeres und engagierteres Musizieren. Klarheit und Transparenz sind oberstes Gebot, nicht eine einzige Stimme geht in dem gerade bei Beethoven teils dichten und komplexen Geflecht unter. Dabei gelingen organische Übergänge und intensive Steigerungen, Beethoven erstrahlt in selten gehörtem Glanz, in Natürlichkeit und Frische. Und der langsame Satz – an dem so viele musikalisch scheitern – fesselt mit verhangen düsterem Marschcharakter, der keinen der Zuhörer unbetroffen lässt. Die vertrackte Form des Kopfsatzes bleibt unmittelbar und der gewollt „falsche“ Horneinsatz zu Beginn der Reprise überrascht, als hätte man ihn noch nie gehört. Heiter und locker perlen die beiden letzten Sätze, wobei das Finale durchbrochen wird von einem plötzlichen dunklen Teil, der wieder an die Marcia funebre gemahnt. Es ist selten, diese berühmte Symphonie so lebendig und unverstaubt zu hören, wie hier in vorbildhafter Weise geschehen.

[Oliver Fraenzke, November 2016]   

Hommage an einen Jahrhundertmusiker

José Iturbi
Komplette Soloaufnahmen für Victor (RCA) und HMV (EMI) 1933-52
APR 3CD APR 7307 (EAN: 5024709173075)

Domenico Scarlatti: Sonaten h-moll Kk27 & C-Dur Kk159; Johann Sebastian Bach: Toccata BWV 906; Domenico Paradies: Toccata aus der 6. SonateA-Dur; Wolfgang Amadeus Mozart: Sonaten A-Dur KV 331 & F-Dur KV 332; Ludwig van Beethoven: Andante favori & ‚Für Elise’; Robert Schumann: Arabeske op. 18 & Romanze op. 28/2; Franz Liszt: Liebesträume Nr. 3 & Les jeux d’eau à la Villa d’Este; Frédéric Chopin: Polonaise A-Dur op. 53, Fantaisie-Impromptu op. 66, Valses op. 64/1&2, Mazurka op. 7/1, Nocturne op. 32/1, Préludes op. 28/9&10, Étude op. 10/12; Pjotr Tschaikowsky: Juni & November aus ‚Jahreszeiten’ op. 37b; Sergey Rachmaninoff: Prélude cis-moll op. 3/2; Ignace Paderewski: Menuett G-Dur op. 14/1; Filip Lazar: Marche funèbre aus der Sonate a-moll op. 15; Camille Saint-Saëns: Allegro appassionato op. 70; Claude Debussy: Clair de lune, Rêverie, Arabesques Nr. 1&2 (in 2 Versionen), Jardins sous la pluie; Isaac Albéniz: Sevilla op. 47/3, Córdoba op. 232/4, Malagueña op. 165/3; Enrique Granados: Das Mädchen und die Nachtigall aus ‚Goyescas’, Spanische Tänze Nr. 2 ‚Oriental’, Nr. 5 Andaluza & Nr. 10 ‚Danza triste; Eduardo López-Chavarri: Das alte maurische Schloss aus ‚Cuentos y fantasias’; Manuel de Falla: Tanz des Schreckens & Ritueller Feuertanz aus ‚El amor brujo’; Manuel Infante: Sevillañas; José Iturbi: Canción de cuna & Pequeña Danza Española; Morton Gould: Blues No. 3 aus ‚Interplay’ & Boogie Woogie Etude

José Iturbi (1896-1980) war bis in die 1970er Jahre jedermann, der sich ein wenig auskannte, ein Begriff, doch heute kennen ihn nur noch wenige, obwohl er nicht nur zu den bedeutendsten Musikern des 20. Jahrhunderts zählte, sondern seinerzeit bereits das war, was man einen ‚Star’ nennt – wie es das amerikanische Musikleben so mit sich brachte, wenn man dafür geeignet war. Und er war geradezu prädestiniert für Popularität: als so virtuoser wie lebenssprühender und natürlich musikalischer Pianist und Dirigent wie auch als ausgesprochen gut aussehender, charimatischer Bühnenzauberer. Der exzellent informierende Booklet-Essay von Jed Distler lässt uns wissen, dass Thelonious Monk 1961 vom Metronome-Magazin befragt, Iturbi als seinen Favoriten unter den klassischen Pianisten nannte. Und als es 1936 um die Nachfolge Leopold Stokowskis beim Philadelphia Orchestra gegangen war, wäre Iturbi die Wahl des Orchesters gewesen, falls Eugene Ormandy nicht zugesagt hätte. Dafür wurde er dann für ein Jahrzehnt Chefdirigent des Rochester Philharmonic und leitete in der Folge weitere Orchester. Außerdem machte er eine Musical-Karriere in Hollywood. Doch als Musiker ist Iturbi als unfehlbarer Pianist in Erinnerung geblieben. Die Zusammenstellung seiner sämtlichen kommerziellen Soloaufnahmen für RCA Victor und für His Master’s Voice (EMI) auf drei CDs in sensationellem neuen Remastering von Mark Obert-Thorn für APR ist denn auch ein Ereignis, auf welches viele wirkliche Kenner gewartet haben. Um es vorwegzunehmen: Iturbi bildet nicht nur die unbestrittene Spitze der spanische Klavierkunst, er war einer der ganz großen Musiker, und dies ist vielleicht aus ähnlichen Gründen wie bei Leopold Stokowski nie entsprechend allgemein gewürdigt worden, da er sich nicht scheute, das amerikanische Showbiz mitzumachen – allerdings, in beiden Fällen, nicht auf Kosten der musikalischen Qualität. Sein Spiel ist schlicht makellos, wie Klavierspiel überhaupt nur sein kann. Man höre sich nur die unglaublich klare, bestimmte, herrliche groovende Eleganz und niemals auch nur minimal verwischende Geschwindheit des perlenden Figurenwerks im Finale von Mozarts F-Dur-Sonate KV 332 an: es kann eigentlich kaum mozartischer sein in der Quicklebendigkeit, der auch im Intrikaten wunderbar sanglichen Phrasierung, der durchgehenden Gegenwärtigkeit, der Vielseitigkeit und tonlich flexiblen Brillanz der Artikulation, der – einem guten Komponisten und Dirigenten angemessenen – unbestechlichen Intuition für die Spannungsverhältnisse der kadenzierenden Kräfte, der niemals ins Mechanische abgleitenden und durch kein technisches Hindernis auch nur ein wenig ins Hektische, Strikte oder Zögernde sich verspannenden Geläufigkeit, und der immer körperlich spürbaren Liebe zur Musik, und eben nicht narzisstischen Selbstliebe des Elite-Interpreten. Auch hat man nie das Gefühl, hier ginge es um eine Demonstration von Professionalität oder den Beweis irgendeiner Ideologie. Er spielt alles mit chamäleonhafter Anpassungsgabe an die spezifischen Anforderungen des Stils und der formenden Dynamik, und gerade darin offenbart sich in glücklicher Weise seine lichte, stets lebensbejahende, gelöst animierende Individualität. Ganz besonders gefallen mir sowohl seine Scarlatti- als auch seine Mozart-Sonaten, auch wenn ich dort die Rubati für übertrieben halte. Sie sind jedenfalls nicht konventionell, sondern aus dem Zusammenhang empfunden, und das Resultat ist lebendiger, geschmackvoller und unsentimental innig berührender als fast alle stilistisch korrekteren Wiedergaben. Er kann es sich leisten, Akkorde (etwa im Menuett der A-Dur-Sonate) schwungvoll frei zu arpeggieren, ohne dass die den geringsten Ruch der Entstellung bedeutete. Das ist Freiheit im Dienst der Musik. Und sein Alla Turca, gemessen im Tempo und überwältigend in der janitscheranhaften Wucht, dabei niemals vergewaltigend und grob, steht wie ein Leuchtturm über allen originalitätsbeflissenen Versuchen unserer Gegenwart. Auch ist sein Spiel stets vielstimmig vom Bass aus gestaltet, mit orchestraler Farbigkeit und Differenzierung, was sowohl seinem Bach als auch Schumann, Chopin, Liszt oder Tschaikowsky in substanzfördernder Weise zugute kommt. Nein, der ist niemals ein Oberstimmenträumer, aber auch kein gelehrter Prinzipienreiter. Was für ein innerlich reicher, natürlich tiefgründiger Tschaikowsky! Und wie herrlich sein Beethoven – da ist zwar (leider) keine Sonate dabei, aber das großartig durchgestaltete Andante favori (eine echte Referenz) und die niemals den Klischees nahe Miniatur ‚Für Elise’ genügen vollauf, um ihn als großartigen Beethoven-Spieler auszuweisen. Besonders freute mich, den Trauermarsch aus der a-moll-Sonate des früh verstorbenen, in Frankreich heimisch gewordenen rumänischen Komponisten Filip Lazar (1894-1936) in einer so vortrefflichen Aufführung hören zu können! Chopin und Schumann sind auch vorbildhaft, und mit für einer Vielseitigkeit der Einfühlungskraft und Kontinuität des ernsthaften Entwickelns in kleinen Formen. Ja, kein Wunder auch, dass gerade Thelonious Monk ihn so bewunderte, war Iturbi doch stets ein wunderbar federnder, elastischer, mit natürlichem Groove gesegneter Rhythmiker. Bei Debussy bin ich mir bei aller unbestreitbaren Klasse nicht so sicher – hier bedürfte es vor allem einer besseren Aufnahmequalität als damals möglich – was ja auch für die legendären Casadesus-Einspielungen gilt. Hier haben Musiker wie insbesondere Michelangeli ein Maß gesetzt, das einfach unerreicht bleibt. Hingegen ist auch Rachmaninoffs großer Hit, sein cis-moll-Prélude unter Iturbis Händen von einer vollendet feinsinnig geformten Naturgewalt, die heute als zeitloses Vorbild gelten kann.

Natürlich ist er in der spanischen Musik ganz zuhause. Sein Albéniz ist von zauberhafter Grazie und unwiderstehlicher Verve, und mit jenem authentischen Stolz des Ausdrucks, der eine durch alle Dehnungen hindurch tragende rhythmische Kraft beinhaltet, die auch dann noch verhalten feuersprühend ist, wenn die Gegenkräfte der Morbidezza uns in einen Tagtraum-Abgrund ziehen wollen. Diese Musik lodert gefährlich, und auch hier bleibt die so klar durchdachte Darstellung stets unprätentiös spontan im Ausdruck. Großartig auch ganz besonders der 5. Spanische Tanz von Granados, die ‚Andaluza’, i ihren herrlich gezügelt wild züngelnden Bass-Vorschlägen. Manuel Infantes ausufernde ‚Sevillañas’ sind eine etwas schwächere Komposition, doch umso wilder, das Ekstatische klar manövrierende Tänze aus de Fallas ‚El amor brujo’. Iturbi selbst ist hier als Komponist nicht von allzu großem Tiefgang, aber schöne Unterhaltungsmusik ist es allemal, die er teilweise unter dem augenzwinkernden Pseudonym ‚J. Navarro’ veröffentlichen ließ. Und in Morton Goulds Blues- und Boogie Woogie-Charakterstücken ist das Idiom sozusagen todsicher getroffen. Für Pianisten, die wirklich ambitioniert sind, ist diese Box ohnehin ein Muss, ein Vitaminschub für die Seele eines jeden Musikers, die ich mit frischen Kräften ans Instrument zurückkehren lässt. Gewinnbringend ist sie für jedermann, und niemand sollte sich vom historischen Klangbild abschrecken lassen, denn erstens ist dieses grandios ins beste Licht gesetzt, und zweitens wiegt die musikalische und pianistische Substanz alle damit verbundenen Einbußen vielfach auf.

[Christoph Schlüren, September 2016]

Jubiläum in Regensburg

Sein 30jähriges Bestehen feiert das Regensburger Amateur-Orchester am Singrün mit drei Konzerten, am 20. Februar in Nittenau, am 21. in Viechtach und am 28. im heimischen Audimax der Universität Regensburg. Lutz Landwehr von Pragenau dirigiert Ludwig van Beethovens Egmont-Overtüre f-Moll Op. 84, das Cellokonzert h-Moll Op. 104 von Antonín Dvořák sowie die Erste Symphonie in c-Moll Op. 68 von Johannes Brahms. Der Solist ist Johannes König.

Gerade nach den Konzerten des Musica-Viva-Wochenendes in München ist es wieder eine angenehm klingende Wohltat, ein Programm hören zu dürfen wie das am 28. Februar im Audimax der Universität Regensburg. Nach ihren letzten Programmen mit teils nicht ganz so im Konzertleben etablierten Werken von Sergej Prokofieff oder Nino Rota gibt es am heutigen Abend ausschließlich Standardwerke der Konzertliteratur. Die Ouvertüre zu Goethes Egmont ist eine der ersten reinen Konzertouvertüren, sie fasst die gesamte Handlung des Dramas musikalisch zusammen und nimmt dabei noch die Siegessymphonie der Schauspielmusik vorweg. Nach der Enthauptungspassage schwenkt die bisher so bedrohlich-düstere Musik in überschwänglichen Jubel um und das Opfer Egmonts wird durch die Freiheit des Landes belohnt, wobei die Piccoloflöte ihren vielleicht ersten großen wie zentralen Auftritt der Musikgeschichte erfährt. Das späte Cellokonzert Antonín Dvořáks zählt als Königswerk der Gattung, blieb allerdings ein Einzelkind – ein früherer Versuch wurde vom Komponisten weder orchestriert noch veröffentlicht. Das Konzert zeichnet sich durch die Dvořák-typische Zelebrierung seiner eingängigen Themen und Motive wie durch einen sehr dichten und die Möglichkeiten des Instruments vollkommen ausnutzenden Solopart aus, der in den Ecksätzen keine Solokadenz erhält. Nach der Pause gibt es dann die erste Symphonie c-Moll von Johannes Brahms, dem diese Leistung erst nach jahrzehntelangem Ringen gelingen mochte, mehrfach unter der Last, es Beethoven gleichtun zu wollen, einknickend. Und wie auch in dessen Symphonien, Extremfall in der Neunten, ist Brahms‘ erstes symphonisches Werk absolut finalfokussiert und erfährt dort eine in strahlendem C-Dur ausmündende Apotheose, die thematisch sogar ein wenig an „Freude schöner Götterfunken“ erinnert, diese Ähnlichkeit aber geschickt – fast schelmisch – sogleich durch leichte Variation kaschiert.

Charakteristisch für das Orchester am Singrün ist ein recht trockener Klang ohne übermäßig viel Vibrato in den Streichern. Die Laienmusiker agieren auf recht beachtlichem Niveau und sogar das sonst bei Laienorchestern meist sehr risikobehaftete Blech spielt heute ziemlich sauber. Dynamisch kann das Orchester viele fein abgestufte Nuancen hervorbringen, was den Werken einen bezaubernden Ausdrucks- und Farbenreichtum verleiht, und was zweifellos das Verdienst des Dirigenten Lutz Landwehr von Pragenau ist. Erfreulich sind bei diesem Klangkörper vor allem die tiefen Streicher, die einen angenehm warmen und präzisen Klang haben und mit dem Vibrato sparsam umgehen, was gerade im Vergleich mit der üblichen Streicherpraxis wohltuend erscheint. Auch die Holzbläser spielen exakt, feinfühlig und mit viel sanglicher Anteilnahme.

Mit einem markigen und ebenso trockenen Klang kann sich Johannes König gut dem Orchester gegenüber behaupten im Violoncellokonzert von Antonín Dvořák. Mit dem hochvirtuosen Solopart und dessen technischen Schwierigkeiten kommt der junge Cellist bestens zurecht und spielt mit hoher Dichte und Konzentration. Jedoch nimmt er die Tempi gern um einiges zu schnell, wodurch die Sätze teilweise etwas bröckeln – gerade der letzte trotzige Finalaufbau droht, zu zerfallen. Die Tempi sind allerdings auch allgemein ein wenig wackelig an diesem Abend, schon bei Egmont irritiert, dass er teilweise auf Viertel genommen wird anstatt auf die vorgeschriebenen Halben, und auch bei Brahms hätte teilweise etwas mehr Ruhe nicht geschadet. Als Zugabe gibt Johannes König zusammen mit einigen Musikern des Orchesters noch den Schwan von Camille SaintSaëns aus dem Karneval der Tiere. Hier zeigt er, bei fast schon ulkig uhrwerkhaft-mechanischer Begleitung unter Führung des recht humorfrei erscheinenden Konzertmeisters, dass neben der halsbrecherisch-virtuosen Höchstleistung auch das lyrische Moment eine seine Stärken ist.

Der Mann des Abends ist zweifelsohne Lutz Landwehr von Pragenau, der bereits als Gründungsmitglied des Orchesters mitwirkte und auch heute wieder an dessen Spitze steht. Ihm gelingt es nicht nur, das Laienorchester gut zusammenzuhalten und zur Gestaltung auf artikulatorischer wie dynamischer Ebene anzuregen. Seine Bewegungen sind eine wirkliche Kunst für sich, alles ist sehr zentral aus dem Körperzentrum heraus empfunden in einem einzigen großen Fluss, der die Musik direkt bildlich zu beschreiben vermag. Mit seinen ausladenden Gesten animiert er die Musiker zu größter Anteilnahme. Wenn zwar an diesem Abend einige kleinere Pannen im Orchester passieren und es einige Stellen gibt, die nicht ganz so vollendet erklingen, so zeigt sich doch, welch eine gewaltige Leistung in der Arbeit dieses Dirigenten steckt und wie ein solches Orchester von dieser Leistung anhängt. Lutz Landwehr von Pragenau gehört definitiv nicht zu den Dirigenten, die ihre Assistenten die Arbeit machen lassen, um danach auf der Bühne eine große Show abzuziehen, wie man es bei manchen A-Orchestern oft erleben muss – sieht man den Vergleich, fällt dies schon bei den ersten Takten ins Auge. Es würde mich wirklich einmal interessieren, auch eines seiner eigenen Orchesterwerke live zu hören!

Als Zugabe gibt es noch den Ungarischen Tanz in g-Moll von Johannes Brahms, der besonders schwungvoll gelingt und wo das Orchester in höchster Motivation noch einmal zeigen kann, wie viele dynamische Nuancen sie aus der kurzen Miniatur herausholen können.

[Oliver Fraenzke, Februar 2016]