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Edvard Grieg zum 175. Geburtstag

Kurzbiographie
Edvard Grieg by Karl Anderson TM.T01607 (edit)

(Foto: Karl Anderson)

Edvard Hagerup Grieg wurde am 15. Juni 1843 in Bergen geboren und zeigte beim Klavierunterricht mit seiner Mutter Gesine Hagerup früh musikalische Begabung, wohingegen er die Schule vernachlässigte und schließlich die dritte Klasse wiederholen musste. Griegs Perspektiven änderten sich, als die Familie Ole Bull als Gast empfing, der nicht nur einer der bedeutendsten Geiger damaliger Zeit war, sondern als Komponist die Musik Norwegens maßgeblich veränderte: Er kämpfte für das Norwegische, Urtypische und Bäuerliche in der Musik, womit er später auch Grieg anstecken sollte. Auf den Rat Bulls begann Grieg 1858 ein Studium der Musik in Leipzig, wo zu seinen Lehrern neben Carl Reinecke auch Ignaz Moscheles und Louis Plaidy zählten. Griegs Berichten zufolge habe er nichts gelernt in Deutschland, auch von seinen Lehrern wurde er als aufmüpfig beurteilt; und doch sind Griegs handwerkliches Geschick und Wissen um einfache, aber effektive Formgestaltung sowie seine kontrapunktischen Fähigkeiten zweifelsohne auf ein gründliches Studium zurückzuführen.

Neue Einflüsse erhielt Grieg in Kopenhagen, wohin er 1863 nach kurzem Aufenthalt in seiner Heimat reiste. In Niels W. Gade fand er seinen neuen Lehrer, der bis heute zu den erfolgreichsten Komponisten Dänemarks gehört. Dieser überzeugte Grieg, ein großer Komponist müsse große Symphonien schreiben, und so machte sich Grieg an seine c-Moll-Symphonie. Diese zog er allerdings vor der Uraufführung zurück, als Johan Svendsen sein symphonisches Erstlingswerk vorlegte, das Grieg für überlegen hielt. Uraufgeführt wurde die Symphonie erst 1980 in Russland, womit das von Grieg ausdrücklich verlange absolute Aufführungsverbot des Werks gebrochen wurde. Kurze Zeit nach der Symphonie folgten auch die Klaviersonate e-Moll op. 7 und die Violinsonate F-Dur op. 8, die beide bis heute regelmäßig auf Konzertprogrammen zu finden sind. Ole Bull kritisierte Gades Einfluss im Werk seines Schützlings und forderte ihn dazu auf, Musik zu komponieren, die sein Land ehre und nicht den Spuren Gades folge. In Dänemark lernte Grieg auch Rikard Nordraak kennen, mit dem zusammen er 1864 Euterpe gründete, eine Vereinigung zur Förderung nordischer Musik. Für Euterpe entstanden die Humoresken op. 6, die erstmalig den Bezug zu den norwegischen Bauerntänzen „Slåtter“ aufweisen.

Weiter ging die Reise 1866 nach Christiania, heute Oslo, wo er seine Cousine Nina Grieg heiratete, mit der er eine Tochter bekam, Alexandra, die allerdings im Alter von 13 Monaten verstarb. 1869 ging er nach Rom und traf dort Franz Liszt, der hingerissen war von der Musik des Norwegers. Besonders begeistert zeigte sich Liszt vom Kopfsatz des neu komponierten Klavierkonzerts a-Moll op. 16, welches er dem Publikum prima vista präsentierte.

Zurück in der Hauptstadt Norwegens wollte Grieg eine feste Orchestervereinigung gründen, woraus sich später die Osloer Philharmonie entwickeln sollte. Ab 1874 konnte er als freier Künstler von staatlichem Künstlerlohn leben, konzentrierte sich entsprechend mehr aufs Komponieren und war nicht so sehr auf andere Geldquellen angewiesen. Arbeiten an einer ersten nationalen Oper Norwegens mit Bjørnstjerne Bjørnson gab Grieg auf (mit ihm schuf Grieg bereits Sigurd Jorsalfar op. 22 und Bergliot op. 24) und nahm dafür ein Angebot Ibsens an, der Grieg dafür gewinnen wollte, Bühnenmusik für eine Aufführung von Peer Gynt zu komponieren. Das Werk und die beiden Orchestersuiten daraus erwiesen sich sogar noch vor dem Klavierkonzert als größte Erfolge Griegs.

Im Jahr darauf starben beide Elternteile Griegs innerhalb kürzester Zeit, was Grieg zu seinen beiden musikalisch wohl substanziellsten Werken trieb: dem Streichquartett g-Moll op. 27 und der Ballade op. 24 in gleicher Tonart.

Die frühen 1880er-Jahre waren durchzogen von einer tiefen Krise, die sich persönlich durch eine Trennung von seiner Frau Nina und künstlerisch durch eine Formkrise beginnend mit seiner Cellosonate a-Moll op. 36 abzeichnete – der Komponist war der Ansicht, er könne keine geschlossene Form mehr schreiben. Grieg reiste in Richtung Frankreich, wo er die Malerin Leis Schjelderup treffen wollte, kehrte allerdings zuvor schon zurück und versöhnte sich mit seiner Frau. Anlässlich des 200. Geburtstags von Ludvig Holberg, dem „Moliere des Nordens“, sollte Grieg eine Kantate schreiben, die ihn allerdings wenig inspirierte. Er legte ein durchschnittliches Werk vor, konzentrierte sich parallel auf ein anderes Stück zu gegebenem Anlass: Aus Holbergs Zeit, Suite im alten Stil op. 40, in welcher er Formmodelle der Barockzeit mit romantischer Musik aktualisierte. Der Formkrise war Grieg damit allerdings noch immer nicht entkommen, erst 1886 entfloh er seiner Angst, keine große Form mehr komponieren zu können, indem er die Dritte Violinsonate c-Moll op. 45 veröffentlichte.


Troldhaugen, Villa von Edvard Grieg (Foto von: Oliver Fraenzke)

Zuvor schon erwarb Grieg 1884 seine berühmte Residenz in der Nähe Bergens: Troldhaugen. Hier lebte er bis zu seinem Tod und liegt nun unterhalb des Hauses begraben; heute dient das Gebäude als Museum, daneben steht eine neu gebaute Konzerthalle. 1887 fand ein geschichtsträchtiges Treffen in Leipzig statt: Brahms, Tschaikowsky und Grieg saßen an einem Tisch: Während Brahms und Tschaikowsky sich zwar menschlich leiden konnten, verabscheuten sie die Musik des jeweils anderen, zu Grieg bauten beide menschlich wie künstlerisch ein gutes Verhältnis auf.

Nach der Jahrhundertwende verschlechterte sich Griegs Gesundheit rapide: Bereits als junger Mann verlor er durch eine Krankheit die Funktion eines Lungenflügels, nun wurden die Atembeschwerden kritisch. Am 4. September 1907, nach einer letzten Tour nach Deutschland, starb er im Zentralkrankenhaus Bergen in den Armen seiner Frau.

Musik und Stil

Grieg zählt zu den großen Nationalromantikern des 19. Jahrhunderts, die sich auf die Volksmusik beriefen. Formal bleibt er weitgehend klassisch-konservativ, harmonisch hingegen beschritt er neue Pfade und ebnete den Weg für den Impressionismus in Frankreich: Debussy und Ravel betrachteten beide Grieg als eine ihrer zentralen Inspirationsquellen.

Als Meister der kleinen Formen geltend, brachte Grieg uns doch zahlreiche grandiose Werke großen Formats: Die frühesten dieser sind die Klaviersonate e-Moll und die Erste Violinsonate F-Dur, wobei die Klaviersonate bereits Ideen enthält, welche Grieg später im Klavierkonzert a-Moll wiederaufgriff und erweiterte. Die beiden Sonaten entstanden zeitgleich, die Zweite Violinsonate G-Dur op. 13 folgte kurze Zeit später. In ihr wendet sich Grieg aktiv der Volksmusik zu und erhebt sie in die Sphären von Konzertmusik, der erste Satz ist ein ausgedehnter norwegischer Volkstanz. Von der ersten Aufführung an etablierte sich das Klavierkonzert a-Moll op. 16 zu einem Publikumsliebling: Die eingängige Thematik, die harmonischen Wechsel und das Ursprüngliche und Natürliche dieses Werks begeistern jedes Mal von Neuem. Düster und aufbrausend geben sich das Streichquartett g-Moll und die Klavierballade, in denen Grieg den Tod seiner Eltern verarbeitete: Das Quartett bildet eine Geschichte ab um einen Pakt mit einem Wassergeist, die Ballade errichtet sich auf einer Volksmusikmelodie, welche in Variationsform bearbeitet wird und in alle Abgründe der menschlichen Seele blicken lässt: Trauer, Resignation, Hoffnung, Wut, Angst, Unsicherheit, Ausgelassenheit und mehr spiegeln sich in den dreizehn Variationen der Klavierballade, die umfangreicher und technisch noch anspruchsvoller ist als Chopins g-Moll-Ballade op. 23 und Züge aufweist von Schumanns Symphonischen Etüden op. 13. Die Cellosonate führt zum Klavierkonzert zurück und behält packende Dramatik, die Dritte Violinsonate ist ebenfalls ein energiegeladenes Werk voll innerer Zerrissenheit und eruptiver Gewalt.

Der Zweifel gehörte zu Griegs lebenslangen Weggefährten, immer wieder überarbeitete er alte Werke und verwarf seine Skizzen, unter anderem mehrere Instrumentalkonzerte kamen nie über ein Skizzenstadium hinweg, andere Werke wie sein F-Dur-Streichquartett blieben unfertig. Aus dem Finale der Klaviersonate strich Grieg eine lange Passage, den Höhepunkt des zweiten Satzes setzte er vom Fortissimo ins Pianissimo, entsagte somit der Zurschaustellung von Virtuosität.

Der Angst vor langen Formen entfloh Grieg, indem er kurze Sätze aneinanderreihte, wie bei der Holberg-Suite, deren längster Satz, die innige Air, in der ursprünglichen Klavierfassung lediglich vier Seiten umfasst. In großen Kontexten behält Grieg gerne eine klare Struktur, Reprisen sind meist ganz regelkonform durchgeführt und auch in seinen Miniaturen vertraut Grieg einer exakten Wiederkehr von bekanntem Material.

Gern gespielt werden die zahlreichen Klavierminiaturen des Norwegers, allen voran seine 66 Lyrischen Stücken in zehn Bänden, vernachlässigt im Repertoire sind hingegen seine etwa 180 Lieder. In den Lyrischen Stücken tastet sich Grieg langsam an die Volksmusik heran, anfangs nennt er seine Stücke „Im Volkston“, oder „Norwegisch“, später erst betitelt er sie nach den Bauerntänzen.

Das Norwegische ist omnipräsent im Schaffen Griegs, sei es durch Stilisationen von Bauerntänzen oder durch Bearbeitungen von Volksliedern, was viele Melodien vor dem Vergessen bewahrte.  Die Liedtranskriptionen und -bearbeitungen op. 66 dürften die feingeistigsten Umsetzungen sein, op. 72 rückt das Volkstümliche mehr in den Konzertkontext. Auch die Ballade beruht auf einer Melodie, die von Ludvig Mathias Lindeman aufgezeichnet wurde.

Zuletzt zu nennen ist das abbildende Element in Griegs Musik: Für eine treffende Illustration überging der Norweger alle Regeln bis hin zu freien Quintrückungen in Glockenklang aus den Lyrischen Stücken. Ob Grieg nun im An den Frühling ganze Lawinen talwärts rutschen lässt, die Vöglein quirlig durcheinandersingen oder das Bächlein ununterbrochen rauschen, die Bilder sind stets eindeutig. Und wer erkennt nicht die Morgenstimmung als DIE Darstellung einer Landschaft bei aufgehender Sonne? Was Peer Gynt betrachtete, hören wir nun in zahlreichen Filmen als Untermalung des angehenden Tages.

Aufnahmen im Vergleich

Es liegt eine beachtliche Anzahl an Gesamteinspielungen Griegs vor, besonders das Symphonische Oeuvre wurde in den letzten Jahren mehrfach vollständig aufgenommen. Ein „Must have“ für alle Grieg-Fans bleibt die „Grieg Edition“ von Brilliant Classics, welche fast das gesamte Schaffen des Norwegers auf 21 CDs bannt: Hervorzuheben hierbei ist die Klaviermusik mit Håkon Austbø. Eivind Aadland legte mit dem WDR Sinfonieorchester Köln eine Gesamtaufnahme des Orchesterwerks vor (erschienen bei audite), die durch Plastizität und Ökonomie der Mittel besticht, sachlich und feingeistig fasst er diese Musik auf. Etwa zeitgleich brachte Naxos die „Complete Orchestral Works“ heraus mit Bjarte Engeset, dem Malmö Symphony Orchestra und dem Royal Scottish National Orchestra. Das Glanzstück hier ist die gesamte Bühnenmusik zu Peer Gynt, die nicht nur in den beiden Suiten zu hören ist, wie in den anderen verglichenen Einspielungen. Herbert Schuch kann im Klavierkonzert für audite mehr überzeugen als Håvard Gimse für Naxos. Wo Engeset in der Gesamtaufnahme allgemein empfehlenswert ist, enttäuschen seine Einspielungen für Streichorchester, die es auch in die Box geschafft haben. Carl Petersson legte für Grand Piano das a-Moll-Konzert vor und begeistert vom ersten bis zum letzten Ton – darüber hinaus spielt er das unvollendete h-Moll-Konzert, von welchem nur wenige Fragmente erhalten sind, in der Vervollständigung von Helge Evju, eine Weltersteinspielung. Leider vergriffen ist die Aufnahme des Komponisten und Dirigenten Nicolas Flagello, der aus einem schlechten Orchester (Da Camera di Roma) Unvorstellbares herausholt und eine der brillantesten Aufnahmen der Holberg-Suite hervorbringt.

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Die Kammermusik lernte ich durch die 3-CD-Box von Brilliant Classics kennen, die ungeschlagen vom Preis-Leistungs-Verhältnis ist: Die Aufnahmen sind vielleicht nicht die Überragendsten, und doch geben sie vieles preis, was die Kammermusik ausmacht – überraschend innig gibt sich das g-Moll-Streichquartett. Die Violinsonaten glänzen in der Referenz-Aufnahme mit Ingolf Turban und Jean-Jacques Dünki, die Musiker erfüllen jeden Takt mit Ausdruck und Substanz. Ein weiterer Schatz, der komplett verborgen blieb, ist die Aufnahme dreier Sonaten mit Tateno, Rautio und Söderblom. Die neueste Aufnahme, welche mir in die Finger fiel, ist die Erste Violinsonate mit den Schwestern Birringer, welche frei und organisch entsteht, durch Musizierfreude mitreißt. Das gleiche Werk erschien nun mit Aleksey Semenenko und Inna Firsova.

Mehr noch als die Orchester- und Kammermusik wurde die Klaviermusik aufgenommen. Mitreißen können dabei vor allem die Stars von früher: Arturo Benedetti Michelangeli belebt jeden Ton des Klavierkonzerts ebenso wie der Solomusik, Emil Gilels bringt unvorstellbares Gefühl aus allen 66 Lyrischen Stücken und Walter Gieseking achtet bei diesen auf jedes noch so kleine Detail. In neueren Aufnahmen finden wir oft Auszüge aus den Lyrischen Stücken, so etwa sehr puppenhaft gekünstelt von Alice Sara Ott oder übermäßig frei von Janina Fialkowska. Die wohl bekannteste Gesamteinspielung des Klavierwerks ist die von Einar Steen-Nøkleberg, der zwar live interessante Details hervorholt, dessen Aufnahmen allerdings doch auf Masse produziert scheinen, makellos, aber uninspiriert wirken. Auch Skizzen und Verworfenes hören wir bei diesem Pianisten. Zwei der Schätze aus Griegs Zeit seien noch hervorgehoben: Percy Grainger, der sich als junger Mann noch mit Grieg anfreundete, präsentierte mit Leopold Stokowski das Klavierkonzert in einer unerhört bezaubernden Version und spielte unter anderem die Ballade ein, für die er lediglich 12(!) Minuten brauchte. Und Grieg können wir selbst erleben, wie er seine eigenen Werke darbietet: 1903 entstanden Aufnahmen auf Wachsplatte und 1906 verewigte er sich auf einer Klavierrolle von Welte Mignon – heute würde keiner seine Musik so spielen, doch als Dokument der Musikgeschichte sind diese Aufnahmen unentbehrlich.

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[Oliver Fraenzke, Mai 2018]

Saint-Saëns in Perfektion

Naxos, LC 05537; EAN: 747313347872

Camille Saint-Saëns: Piano Concertos 4 & 5 (Egyptian); Romain Descharmes (Klavier), Malmö Symphony Orchestra, Marc Soustrot

Wie nach den ersten beiden CDs nicht anders zu erwarten, wird auch die dritte CD der neuen Naxos-Gesamtaufnahme sämtlicher Werke für Klavier & Orchester von Camille Saint-Saëns höchsten Ansprüchen gerecht. Diesmal erklingen mit Romain Descharmes und dem Malmö Symphonieorchester unter Marc Soustrot die Klavierkonzerte Nr. 4 & 5.

Für meinen Geschmack stellen die beiden letzten Klavierkonzerte von Camille Saint-Saëns gleichzeitig auch den Höhepunkt seines Schaffens für diese Gattung dar. Das vierte in c-Moll (1875) übertrifft die anderen Konzerte an Tiefgang und formaler Raffinesse recht deutlich. So wird in diesem zweisätzigen Werk, das einige Konzepte der berühmten Orgelsymphonie (Symphonie Nr. 3) vorwegnimmt, etwa das schwer lastende Hauptthema des Beginns später als Scherzo paraphrasiert. Vielleicht wegen des äußerlich weniger auftrumpfenden Klavierparts, der streckenweise nur begleitende oder kommentierende Funktion hat, aber dennoch allerhöchste technische Anforderungen stellt, hört man das Werk öffentlich viel zu selten. Dem fünften Konzert (1896) hingegen – da in Luxor komponiert, auch das „Ägyptische“ genannt – ist stets ein Publikumserfolg garantiert, vor allem wegen des ungewöhnlich farbigen, stimmungsvollen zweiten Satzes, der keineswegs nur Anklänge an arabische, sondern auch an javanische (Gamelan) oder südosteuropäische Musik (Nachahmung des Cymbaloms durch das Klavier) enthält.

Auch hier zeigt der Vergleich mit meiner bisherigen Referenzaufnahme – Jean-Philippe Collard unter André Previn (EMI 1988) – die außerordentliche Qualität der Neueinspielung. Beim fünften Konzert folgen beide Darbietungen demselben Konzept; erstaunlich, dass sich sämtliche Tempi bis auf den Metronomstrich ähneln. Romain Descharmes‘ famose Anschlagskultur steht auf dem gleichen Niveau wie Collard, sowohl bei den hochvirtuosen wie auch den lyrischen Passagen: Man höre nur die Delikatesse der beiden Stellen im 2. Satz, in denen Saint-Saëns durch Quintmixturen einen völlig denaturierten Klavierklang generiert. Es sind wirklich nur unbedeutende Details, die mal dem einen, mal dem anderen Pianisten besser geraten. Wie schon bei den vorherigen CDs überzeugt aber das Orchester aus Malmö durch mehr Farbigkeit und Feinschliff, vor allem auch hinsichtlich der Dynamik. Hier hat Marc Soustrot offensichtlich erfolgreicher geprobt. Dazu kommt noch, dass die EMI-Aufnahme gerade beim ‚ägyptischen‘ Konzert zu viel Hall hat; die Naxos-Toningenieure erreichen hier eine deutlich bessere Transparenz, auch einen profunderen Bass, der aber nie aufdringlich wirkt.

Das vierte Konzert gelingt Collard eine Spur eloquenter. Er nimmt den Klavierpart im ersten Satz nicht so stark zurück wie Descharmes, vermag trotz der starken Integration ins Orchester eine klare Entwicklung aufzuzeigen. Die arpeggierte Choralstelle gegen Ende begreift er nicht nur vom Bass her, sondern arbeitet auch die Bedeutung der Oberstimme heraus. Der komplexere zweite Satz unterscheidet sich wiederum allenfalls in Nuancen. Auch hier wird die den letzten Abschnitt des Konzertes bildende liedhafte Melodie von Descharmes und Soustrot bereits verhaltener begonnen, die Steigerung zur Schlussapotheose gerät weniger affirmativ, dafür vollkommen natürlich und unaufgesetzt.

Summa summarum präsentiert Naxos mit den drei CDs dieser Serie eine neue Referenzaufnahme mit wirklich perfekten Interpretationen. Die in den letzten Jahren etwas vernachlässigten Konzerte des heute eher als konservativ abgetanen Franzosen werden so entgegen gängiger Vorurteile als deutlich innovativer dargestellt – manches weist ja etwa schon auf Rachmaninoff – und ihre hohe musikalische Qualität präzise umgesetzt. Nicht nur für Saint-Saëns-Neulinge ein Muss!

[Martin Blaumeiser, Mai 2018]

Virtuosität am Violoncello

Naxos, 8.573737; EAN: 7 47313 37377 2

Camille Saint-Saëns‘ Werke für Cello und Orchester stehen auf dem Programm der neuen CD Gabriel Schwabes, diesmal zusammen mit dem Malmö Symphony Orchestra unter Marc Soustrot. Neben den beiden Cellokonzerten Op. 33 und Op. 119 sind dies die Suite d-Moll Op. 16bis – die ursprünglich für Klavier und Cello komponiert wurde, deren Scherzo allerdings gegen eine neukomponierte Gavotte und deren Finale gegen eine ebenfalls originale Tarantelle ausgetauscht wurden –, die Romanze F-Dur Op. 36, das Allegro appassionato h-Moll Op. 43 und der Schwan (Le Cygne) aus dem Karneval der Tiere in der Bearbeitung von Paul Vidal.

Wenn es etwas gibt, was man Camille Saint-Saëns unter keinen Umständen vorwerfen kann, so wäre dies, nicht virtuos für seine Solisten schreiben zu können. Werke für kleine Besetzungen oder mit einem im Mittelpunkt stehenden Solisten gestalten sich durchweg als virtuose Hürdenläufe und Gelegenheiten technischer Zurschaustellung. Für die ausführenden Musiker ist die Musik nicht immer dankbar, prägnante Themen und verträumte Lyrizität sind nicht unbedingt im Mittelpunkt der Kompositionen, doch ist es eine Art der olympionikische Verführung, die immer wieder dazu anreizt, Saint-Saëns zu hören und zu spielen.

So gehen auch Saint-Saëns’ Werke für Violoncello und Orchester an den Rand des Möglichen und verlangen dem Solisten alles ab. Für das Orchester besteht die Aufgabe entsprechend darin, dem Solisten Raum zur Entfaltung zu geben, auf ihn einzugehen und ihm einen schillernden Teppich aus Harmonie und Melodie zu bereiten. Dies wird hier allerdings nur mäßig umgesetzt, Marc Soustrot sieht seine Aufgabe eher als Taktgeber denn als musikalisch aktiver Widerpart zum Cellisten. Viele wichtige Stimmen gehen verloren, gerade im Zweiten Cellokonzert sind substanzielle Melodieelemente verdeckt, so dass Schwabes Stimme beinahe nackt erscheint. In der Sérénade aus der d-Moll-Suite bröckelt plötzlich der durchgehende 3/8-Rhythmus, der den Satz zusammenhält: Unmittelbar gehen die so wichtigen Streicher unter, die Partitur bietet jedoch keinen Grund dafür. Allgemein ist der Klang stumpf und wenig plastisch.

Klar und brillant ist die Stimme von Gabriel Schwabe, der die Musik von Saint-Saëns distanziert, aber nicht unemotional in Szene setzt. Der junge Cellist kommt spielend mit jeder Höchstleistungsforderung zurecht, die ihm der Komponist in den Weg legt. Er versucht weitestgehend auch, auf das Orchester zu hören. Im ersten Konzert nimmt Schwabe sich zwar einige übermäßige Rubato-Freiheiten und schlägt ein etwas zu schnelles Grundtempo an, was zu verschwimmenden und unpräzisen Triolen bei den Orchesterstreichern führt, doch legt sich dies in den anderen zu hörenden Kompositionen. Besonders reflektiert erklingen das Zweite Konzert sowie die langsamen Sätze aus der Suite, die innere Ruhe und Gesetztheit ausstrahlen.

[Oliver Fraenzke, Oktober 2017]

Eine außergewöhnliche Ausgrabung

Naxos, 8.573738; EAN: 7 47313 37387 1

Die große Ehre der Weltersteinspielung des Violinkonzerts Op. 28 von Johan Halvorsen (1907-8) gestattet sich Henning Kraggerud zusammen mit dem Malmö Symphony Orchestra unter Bjarte Engeset. Zudem spielt Kraggerud das Violinkonzert Op. 33 von Carl Nielsen und die Romanze von Johan Svendsen; die CD erschien bei Naxos.

Anhänger der nördlichen Musik warteten sehnlichst auf vorliegende Aufnahme, die ein Stück vergessen geglaubte Kultur Norwegens zu uns zurückbringt. 2015 wurde das scheinbar verlorene Musikwerk in Toronto wiederentdeckt: das Violinkonzert Op. 28 von Johan Halvorsen (1864-1935). Halvorsen ist heute lediglich durch seine Passacaglia über ein Thema von Händel berühmt, welche eine beliebte Zugabe darstellt, doch er ist auch Autor dreier überragenden Symphonien und anderer Orchesterwerke wie unter anderem zwei Norwegischen Rhapsodien sowie einer Vielzahl Klavier- und Violinkompositionen. Er galt zu seiner Zeit als einer der bedeutendsten Dirigenten Norwegens und auch als ausgezeichneter Violinist, so dass sein Violinkonzert zu Lebzeiten durchaus Furore machte, bevor es schließlich – vor allem mangels verschiedener aufführenden Solisten – verschwand.

Energetisch aufgeladen und von dramatischer Ader geprägt gibt sich das Konzert. Beeindruckend ist die enorme Ausdifferenzierung von dissonanter Spannung und leichter Lösung, verbunden mit überraschenden Modulationen und Sprüngen zwischen den Tongeschlechtern. Es hat, etwas an Grieg und Svendsen angelehnt, unverkennbare Bezüge zur Norwegischen Volksmusik, die deutlich stilisiert wird, so dass der dritte Satz gar ein Halling – ein beliebter Norwegischer Bauerntanz – ist. Schillernd sind die Orchesterfarben und die geschickten Einsätze einzelner Instrumente in Gegenüberstellung mit ganzen Gruppen.

Etwas ungeschickt war jedoch die Wahl des Solisten, der selbst mechanisch nicht immer sicher ist, schnelle Läufe und Sprünge gerne verschleift, durch übermäßiges Vibrato Detailarbeit nivelliert und sich in virtuosen Passagen orientierungslos abmüht. An mancher sanfteren Stelle vermag er auch auf das Orchester zu hören, solche wie auch die gemäßigten Abschnitte der Kadenzen bei Nielsen können dann etwas mehr aufblühen.

Das Orchester reißt durch große Plastizität der Gestaltung und Klangkultur mit, ist voluminös und flexibel, dabei adäquat abgestimmt. Engeset holt den Witz aus der nicht immer ganz ernst gemeinten Musik Nielsens, legt die subtilen Seitenhiebe mit sicherer Hand offen. Halvorsen erforschte er genau und vermittelt eine, besonders für eine Ersteinspielung, beachtliche Menge an Detailkenntnis und ein klares Bewusstsein, sowohl über den Zeitstil der Komposition als auch über die Individualität des Komponisten.

[Oliver Fraenzke, Oktober 2017]

Eine neue Saint-Saëns Referenzaufnahme?

Naxos, LC 05537; EAN: 0747313347773

Hatte Naxos mit der ersten CD der neuen Gesamtaufnahme von Camille Saint-Saëns‘ Werken für Klavier und Orchester bereits hohe Erwartungen geweckt, deutet sich schon mit der zweiten von insgesamt drei CDs an, dass hier eine neue Referenzaufnahme zustande gekommen ist. Die hier vorgelegten, im Konzertsaal eher selten zu hörenden Stücke werden überlegen und mit einer bisher ungehörten Liebe zum Detail dargeboten.

Camille Saint-Saëns‘ Klavierkonzerte – selbst das berühmte zweite – sind in den letzten Jahrzehnten etwas aus dem Fokus der Klaviervirtuosen geraten. Die meiner Meinung nach bisherige Referenzaufnahme – Jean-Philippe Collard unter André Previn (EMI 1988) – ist mittlerweile fast 30 Jahre alt und danach kamen eher unerfreuliche Neueinspielungen.

Schon bei der ersten CD der neuen Gesamtaufnahme, die auch die kleineren Stücke für Klavier und Orchester mit einbezieht, habe ich gelobt, dass hier mit einer Sorgfalt und Seriosität gearbeitet wurde, die ihresgleichen sucht (vgl. hier). Die vorliegende CD widmet sich nun dem im Konzertsaal so gut wie nie dargebotenen drittem Klavierkonzert in Es-Dur sowie den drei besten der ‚kleineren‘ Stücke. Das Es-Dur-Konzert führt völlig zu Unrecht ein Schattendasein. Zwar folgt es – entgegen dem populären zweiten Konzert – wieder den traditionellen Formschemata, moduliert aber teilweise überraschend in entlegene Tonarten und überzeugt durch eine äußerst gediegene Orchestrierung. Unüberhörbar knüpft der Komponist hier an symphonische Vorbilder an: Schuberts große C-Dur-Symphonie und auch Beethovens fünftes Klavierkonzert in derselben Tonart Es-Dur werden fast wörtlich zitiert – letzteres etwa in den mit erstaunlich hohem Wiedererkennungswert gesetzten Schlussakkorden des Kopfsatzes. Dennoch mangelt es dem Stück keineswegs an musikalisch guten Ideen. Das Klavier ist allerdings in ungewohnter Weise in den Orchesterklang integriert und es gibt weniger Raum für äußerliche Brillanz als im Vorgängerstück – fast schon so etwas wie ein Gegenentwurf.

Deutlich mehr als nur dankbare ‚Zugabestücke‘ sind die Rhapsodie d’Auvergne, Africa und die kleine Caprice-Valse „Wedding Cake“. Gerade hier zeigt sich, wie sehr Romain Descharmes über minutiös ausgearbeitete Artikulation die musikalischen Charaktere punktgenau trifft. Hier wird nichts nur routiniert heruntergenudelt – und der Pianist ist an Genauigkeit und Charme sogar Collard in der Referenzaufnahme überlegen. Man höre nur die eigentlich recht belanglos ausschauenden Einleitungstakte von „Wedding Cake“, die hier nicht nur neugierig auf das machen, was danach kommt, sondern an sich schon zu faszinieren in der Lage sind. Oder das wohldosierte Martellato bei Buchstabe ‚E‘. Auch das Orchester aus Malmö unter dem fabelhaften Marc Soustrot gelingt wieder eine äußerst durchsichtige und dynamisch fein austarierte Klanggestaltung – besonders bei den hübschen Exotismen in Africa. Wie gut das Zusammenspiel von Solist und Orchester funktioniert, zeigt sich z.B. im durchführungsartigen Abschnitt des Konzertfinales (nach Buchstabe ‚L‘). Die niemals sportiv überzogenen Tempi lassen die virtuosen Finessen genauso deutlich werden wie sämtliche Feinheiten der Instrumentation. Die Aufnahmetechnik hat ebenfalls ein gutes Händchen – weder zu trocken noch zu hallig oder aufdringlich präsent. Ist für das auf dieser CD eingespielte Repertoire bereits klar, dass dies eine echte Referenzaufnahme geworden ist, dürfte dann mit der noch ausstehenden dritten CD die Einspielung von Collard/Previn wohl endgültig vom Thron gestoßen werden.

[Martin Blaumeiser, Juli 2017]

Saint-Saëns‘ Klavierkonzerte als seriöse Gattungsbeiträge

Naxos, LC 05537; EAN: 0747313347674

Mit den ersten beiden Klavierkonzerten und dem ‚Allegro appassionato‘ op.70 beginnt Naxos anscheinend eine neue Gesamtaufnahme der Werke für Klavier & Orchester von Camille Saint-Saëns (1835-1921), die aufhorchen lässt. Es spielen Romain Descharmes und das Symphonieorchester Malmö unter dem ehemaligen Bonner GMD Marc Soustrot.

Camille Saint-Saëns‘ fünf Klavierkonzerte genießen heute einen eher zweifelhaften Ruf. Zwar wird sein beim Publikum wie den Pianisten beliebtestes zweites Konzert in g-Moll op.22 immer noch häufig aufgeführt; aber außerhalb Frankreichs gehört es kaum mehr zum essenziellen Solokonzert-Kanon des 19. Jahrhunderts, im Gegensatz zum Cellokonzert a-Moll. Das war vor 30 Jahren noch anders. Warum? Es gibt zwar nicht viele Zeitgenossen unseres französischen Wunderkinds, die einerseits dem Solisten durchgehend ein Höchstmaß an Fingerfertigkeit und Präzision – etwa im schnellen, beidhändigen Skalenspiel – abfordern, ihn andererseits aber schon sehr stark in den Orchestergesamtklang integrieren und somit dem Eindruck reinen Virtuosentums bewusst entgegenwirken. Von den intrikaten Schwierigkeiten eines Rachmaninoff ist das aber noch so weit entfernt, dass ein junger Pianist mit diesen Werken kaum mehr reüssieren kann. Das tiefgründige, vierte Konzert führt mittlerweile im Konzertsaal ein Schattendasein, das fünfte ‚ägyptische‘ kommt nur aufgrund seiner hübschen Exotismen gelegentlich zu seinem Recht; die Konzerte Nr. 1 & 3 dagegen sind so gut wie nie zu hören.

Es gibt allerdings etliche Gesamtaufnahmen – teilweise unter Berücksichtigung der fünf kleineren Konzertstücke für Klavier & Orchester. Und hier zeigt sich schnell das Dilemma, in das diese Musik allzu leicht gerät, wenn nicht mit größter Sorgfalt und Empathie an sie herangegangen wird. Ein Negativbeispiel etwa die Einspielung von Stephen Hough (Hyperion 2000): Hohle Virtuosität, überhastete Tempi – will Hough damit ins Guinness-Buch der Rekorde? – und ein lustlos agierendes Orchester. Meine Referenz-Aufnahme – auch schon fast 30 Jahre alt – ist bisher die von Jean-Philippe Collard unter André Previn (EMI 1988), bei der Virtuosität, Prunk und Pathos mit Durchsichtigkeit, französischer Leichtigkeit und strengem Formbewusstsein im richtigen Maße korrelieren. Naxos führte bislang im Katalog nur eine ältere Aufnahme der Konzerte Nr. 2 & 4 mit Idil Biret. Nun scheint mit der vorliegenden Einspielung eine neue Gesamtaufnahme von Rang in Angriff genommen worden zu sein.

Wenn man Schwächen des 1. Konzerts von 1858 aufzeigt – ziemlich viel pianistischer Leerlauf an Passagenwerk, zu wenig melodisch überzeugende Einfalle, besonders im etwas einfältigen Finale – sollte man dabei nicht vergessen, dass dieses Konzert seit 60 Jahren den ersten Gattungsbeitrag eines bedeutenderen, französischen Komponisten darstellte. Andererseits ist die bereits erwähnte ‚Einbettung‘ ins Orchester damals eher als modern anzusehen und führt in letzter Konsequenz etwa zu Busoni. Saint-Saëns bemüht sich um zyklische Einheit, wenn er ganz am Schluss des Finalsatzes nochmals den Hornruf des Beginns und das Hauptthema bringt. Der zweite Satz hat bereits unzweifelhaft Substanz und wirkt konzentriert. Wie auf keiner anderen Aufnahme nimmt Marc Soustrot mit dem Malmö Symphony Orchestra jedes Detail dieses Werkes ernst. Stimmige Tempi, klare formale Gliederung und ein Höchstmaß an klanglicher Differenzierung, die von einer ebenso fabelhaften Aufnahmetechnik unterstützt werden, stellen die älteren Einspielungen dieses verschmähten Konzertes geradezu bloß. Der mit Hingabe und musikalischer Überzeugung präsente Romain Descharmes beherrscht die ganze Palette makellosen Anschlags – vom schönen, kantablen Legato bis zum immer noch glasklaren Quasi-Non-Legato in schnellstem Tempo. Ist das wirklich schlechter als manches Gedöns von Max Bruch (inklusive der Violinkonzerte) oder Tschaikowsky in seinem 2. Klavierkonzert op. 44 noch Jahre später?

Das bekannte g-Moll Konzert, das zahlreiche stilistische Anspielungen z.B. auf Bach enthält, gerät ebenso vorbildlich. Im zweiten Satz (ein walzerartiges Scherzo) wird gerade durch ein eher moderates Tempo der irrwitzige Klaviersatz umso deutlicher: Alles gewinnt hier Bedeutung über oberflächliches Blendwerk hinaus und lässt dieses Werk in einem ganz anderen Licht erscheinen, als man es gemeinhin gewohnt ist. Das wirkt fast wie eine Kur eines über Jahrzehnte überhitzten Reißers, die einfach guttut. Besonders gefällt eine flexible, aber hochpräzise Rhythmik mit perfektem Zusammenspiel auch im Rubato. Das schwedische Orchester klingt hierbei um Klassen ‚französischer‘ als die zumeist in England beheimatete Konkurrenz. Trotz aller Seriosität, die den Komponisten später altmodisch wirken lassen wird, bleibt dennoch genügend Raum für Draufgängertum, der auch ausgekostet wird. Und wie liebevoll Descharmes die Feinheiten dieser Musik auslotet, hört man sofort im Solo des Allegro appassionato op. 70, welches diese hocherfreuliche CD abrundet. Weiter so!

[Martin Blaumeiser, April 2017]