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Russische Klaviertrios, etwas zu defensiv

Naxos, LC 05537; EAN: 0747313356171

Das junge, niederländische Delta Piano Trio legt auf seinem CD-Debüt eine stilvolle und klangschöne Darbietung des etwas sperrigen Tanejew-Klaviertrios vor, ergänzt durch das frühe, unvollendete Trio Alexander Borodins. Manches wirkt dabei allerdings noch ein wenig unentschlossen.

Die Musik von Sergej Iwanowitsch Tanejew (1856-1915) zeichnet sich vor allem durch sehr systematische, kontrapunktische Arbeit aus. Darin unterscheidet sich der Komponist ganz erheblich vom nationalrussisch gesinnten, sogenannten „mächtigen Häuflein“ (Balakirew, Borodin, Cui, Mussorgsky, Rimski-Korsakow), aber selbst noch vom mehr westlich geprägten Tschaikowsky. Tanejews permanente, polyphone Verdichtungen wirken oft künstlich ausgetüftelt, was bei etlichen Zeitgenossen in seiner Heimat eher auf Unverständnis stieß. Für westliche Kammermusikfans, bei denen ja für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem Brahms als das Maß der Dinge gilt, müsste Tanejew (gerade auch seine Streichquartette) aber größeres Interesse hervorrufen als noch derzeit, weist doch manches hier durchaus schon auf die Komplexität Regers oder die frühen Werke der Zweiten Wiener Schule hin, wenn auch die Harmonik hochromantisch verwurzelt und völlig tonal bleibt. So ist das fast dreiviertelstündige Klaviertrio D-dur (1908) nicht nur ein handwerklich grandioses Musikstück: Die Vielfalt der Stimmungen – besonders im zweiten Satz, der geschickt Scherzo und Variationsform verbindet – wirkt ungeheuer abwechslungsreich, und das enge Beziehungsgeflecht von Motiven und Themen hält das lange Stück satzübergreifend in bemerkenswerter Weise zusammen. Dieses auch überzeugend darzustellen, fordert von den Interpreten allerdings ein hohes Maß an Deutlichkeit sowie einen großen Atem.

Das Delta Piano Trio hat sich erst 2013 aus drei jungen Niederländern formiert, aber bereits mehrere internationale Preise gewonnen und wird u.a. von Rainer Schmidt (Hagen Quartett) gefördert. Ich habe mir nochmal die beiden bisher maßstabsetzenden Einspielungen von Tanejews op. 22, trotz ihrer geradezu überraschenden Unterschiedlichkeit, zum Vergleich angehört: Das Borodin-Trio (Chandos, 1988) sowie die Aufnahme mit Vadim Repin, Lynn Harrell und Michail Pletnjow (DG, 2005). In vielerlei Hinsicht scheint das Delta Piano Trio hier zu versuchen, gewissermaßen den ‚goldenen Mittelweg‘ zu finden. Das beginnt bei der Wahl der Tempi: Bei allen vier Sätzen des Klaviertrios sind die Borodins jeweils langsamer, Repin, Harrell & Pletnjow jeweils schneller. Das hat natürlich Konsequenzen weit über die Statistik hinaus. Kostet das DG-Trio gerade im rhythmisch vertrackten und mit teilweise staunenswerten Perspektivwechseln arbeitenden zweiten Satz die Extreme im ganz wörtlichen Sinne aus, bleiben die Borodins bei ihrer schon im Kopfsatz vorherrschenden, etwas behäbigen und akademisch wirkenden Geradlinigkeit. Bei ihnen wirkt dann der zweite Satz eher rückwärtsgewandt, wie ein zweiter Aufguss des (formalen) Vorbilds aus dem Tschaikowsky-Klaviertrio – trotz an sich offensiver Musizierhaltung. Das Delta-Trio hat im Kopfsatz mehr Eloquenz als die Borodins, spielt – das gilt für die ganze CD – immer äußerst klangschön und mit hochdifferenzierter Artikulation. Für die Verrücktheiten des Variationssatzes fehlt aber dann doch der Mut zur Waghalsigkeit, der bei Repin, Harrell und Pletnjow gerade das Faszinosum darstellt. Natürlich wird technisch alles blitzsauber bewältigt, aber die Pianistin Vera Kooper kann es bei weitem nicht mit Pletnjows Brillanz aufnehmen. Insgesamt bleiben die Niederländer in ihrer Dynamik äußerst diskret – für meinen Geschmack viel zu zurückhaltend. So gerät mancher Piano- bzw. Pianissimo-Abschnitt zu fast nichtssagendem Gesäusel, der Ernst einiger dynamischer Steigerungen – z.B. III. Satz ab Ziffer [125], wo chromatisch aufwärtsgehende Oktavsprünge schon beinahe Richard Strauss‘ Metamorphosen vorwegnehmen – wird ebenso verfehlt wie der wirklich optimistische Schluss des Finales. Andererseits wird manches nebensächliche Detail überinterpretiert (Finale, Übergang vor Ziffer [151]), was den Fluss der Musik unnötig ins Stocken bringt. Der Violinkadenz am Schluss des Andantes, eine unverhohlene Reverenz ans Tschaikowsky-Violinkonzert, fehlt der gewisse Hauch bewusster Ironie.

Danach folgt noch eine echte Rarität, im Konzertsaal praktisch nie zu hören: Das frühe Trio (1860) von Alexander Borodin, trotz zehnjähriger Entstehungszeit unvollendet geblieben (ein Finale fehlt), dessen sich das Delta Piano Trio liebevoll annimmt. Natürlich ist dies ein eher unreifes Werk, das neben Tanejew völlig belanglos wirken muss. Immerhin können alle drei Spieler hier ihre Instrumente zum Singen bringen, gerade in der Romanze.

Trotz der vorgebrachten Einwände ist dies eine durchaus beachtenswerte Visitenkarte eines vielversprechenden Klaviertrios, das mutig relativ unerschlossenes Repertoire in Angriff nimmt, im Zusammenspiel bereits perfekt harmoniert, sich jedoch an musikalischer Ausdruckskraft sicher noch steigern kann, wenn es sich denn klanglich etwas mehr aus der Defensive traut.

[Martin Blaumeiser, August 2017]