Den Höhepunkt der St. Florianer Brucknertage bildet traditionell das abschließende Symphoniekonzert, das seit gut einem Jahrzehnt in den Händen Rémy Ballots liegt. Ballots Aufführungen der Bruckner-Symphonien mit dem Altomonte-Orchester St. Florian und dem Oberösterreichischen Jugendsinfonieorchester wurden von Gramola mitgeschnitten und seit 2014 auf CD veröffentlicht. Mit der annullierten d-Moll-Symphonie wurde dieser Zyklus im vergangenen Jahr abgeschlossen, sodass das diesjährige Konzert in gewisser Weise eine Zäsur markiert. Dies und die Feierlichkeiten zu Bruckners 200. Geburtstag ließen für 2024 ein besonderes Programm erwarten, und man wurde nicht enttäuscht. Am 23. und 24. August kamen in der Stiftsbasilika durch das Altomonte-Orchester unter der Leitung von Rémy Ballot die drei abgeschlossenen Sätze der Neunten Symphonie zur Aufführung; vorangestellt wurden ihnen acht Fragmente des unvollendeten Finales, wobei der Bruckner-Biograph Felix Diergarten die Moderation übernahm.
Um Bruckners Neunte Symphonie ranken sich mancherlei Legenden. In letzter Zeit hört man beispielsweise häufiger die Vermutung, der Komponist habe in der Coda des Finales die Hauptthemen seiner früheren Symphonien (oder zumindest eine Auswahl derselben) noch einmal verarbeiten wollen. Nikolaus Harnoncourt hing diesem Gedanken an (er äußerte ihn in seinem auf CD festgehaltenen Vortrag über die Finale-Fragmente), anscheinend auch Augustinus Franz Kropfreiter; der belgische Komponist Sébastien Letocart legte ihn seiner Vervollständigung des Finales zugrunde. Gern wüsste ich, wann und durch wen diese Idee aufgekommen ist. Mir erscheint sie widersinnig, zumal im erhaltenen Material nichts darauf hindeutet, dass zum Abschluss der Neunten Themen hätten herangezogen werden sollen, die nicht im Finale oder den vorangehenden Sätzen bereits erklungen sind.
Keine Legende ist dagegen, dass Bruckner über der Arbeit an einem Partitur-Entwurf des Finales starb. Er hatte also bereits eine sehr klare Vorstellung vom Verlauf des Satzes, wenngleich er, wie die erhaltenen Bögen zeigen, mit der Instrumentation nicht fertig wurde. Dass diese Partitur bis zum abschließenden Doppelstrich gediehen war, liegt durchaus im Bereich des Wahrscheinlichen. Umso mehr muss man das Versäumnis der Behörden bedauern, die Wohnung des Komponisten nach seinem Tode rechtzeitig zu versiegeln. In den Worten von Bruckners Arzt Richard Heller stürzten sich, kaum hatte die Nachricht von Bruckners Ableben in Wien die Runde gemacht, „Befugte und Unbefugte wie die Geier auf seinen Nachlass“. Die Andenkenjäger griffen offenbar nach den nächstliegenden Notenblättern, darunter die Partiturbögen des Finales der Neunten Symphonie. So erklärt sich die zerrissene Gestalt des überlieferten Materials. Heute sind 22 Bögen der Partitur bekannt. Vermutlich waren es ursprünglich 40. Der Verlauf des Satzes lässt sich nach einer beinahe vollständig vorhandenen Exposition bis weit in den zweiten, Durchführung und Reprise verknüpfenden Satzteil hinein verfolgen. Eine Fuge über das Hauptthema, die dessen Reprise ersetzt, bildet offensichtlich die Peripetie der musikalischen Handlung. An ihrem Ende kommt das Triolenmotiv aus dem Hauptthema des Kopfsatzes, zu einer Fanfare in Dur umgebildet, wieder zum Vorschein. Dieses bricht in den letzten vorhandenen Takten der Partitur erneut durch und sollte wohl den Beginn der Coda ankündigen. Zuvor war das choralartige Schlussthema zu seiner Reprise gelangt, begleitet vom Te-Deum-Motiv, das in den letzten Takten der Exposition eingeführt worden war. Man sieht, wie positiv konnotierte Elemente in der zweiten Hälfte des Satzes zunehmend die Oberhand gewinnen. Die Coda sollte zweifellos diese Entwicklung zum krönenden Abschluss bringen und damit eine Antwort auf die Schlüsse der vorangegangen Sätze geben.
Aufführungen der Neunten Symphonie mit Finalsatz stehen vor dem Problem, dass man letzteren nicht so spielen kann wie beispielsweise Contrapunctus 14 aus Bachs Kunst der Fuge oder das Dies Irae aus Max Regers Lateinischem Requiem, die ja bis zum Abbruch vollständig ausgearbeitete Stücke sind. Dagegen ist Bruckners Neunte als viersätziges Werk nur spielbar, wenn ein Bearbeiter das Finale zu Ende instrumentiert und mit Takten eigener Komposition ergänzt. Unter den verschiedenen Versuchen erscheint mir nur die Arbeit von Nicola Samale, Giuseppe Mazzuca, John Philips und Benjamin-Gunnar Cohrs diskutabel, denen es als einzigen gelang, die Lücken ohne Stilbrüche zu schließen. Ob allerdings ihre Coda hält, was Bruckner verspricht? Da sich das originale Material zur Coda auf wenige Takte beschränkt, stehen alle Bearbeiter des Finales, wie Felix Diergarten in seiner Einführung treffend sagte, vor der Aufgabe, „Bruckner seine letzten Worte in den Mund zu legen.“ Dass im Jahr von Bruckners 200. Geburtstag im Schlusskonzert der Brucknertage in der Stiftsbasilika von St. Florian – ein Stockwerk tiefer liegt in der Krypta die sterbliche Hülle des Meisters in Hörweite aufgebahrt! – nicht von dieser Option Gebrauch gemacht wurde, ist völlig verständlich. Man wollte dem Publikum zeigen, in welchem Zustand der Satz überliefert ist, wie weit Bruckner mit der Arbeit kam und wie stark das Werk durch die posthume Fragmentierung beschädigt wurde. Verzichtet wurde bei der Aufführung auf alles Material, in welchem ein endgültiger Wille Bruckners nicht erkennbar schien, weswegen beispielsweise weniger Takte aus der Durchführung des Finales erklangen als von der Hand des Komponisten vorhanden sind. „Wir spielen nicht alles, was Bruckner geschrieben hat, aber alles, was wir spielen, hat Bruckner geschrieben“, so Diergarten. Das heißt auch, dass unvollständig instrumentierten Abschnitten nicht eine Note hinzugefügt wurden. Besonders deutlich wurde dies in der zentralen Fuge, die Bruckner nur in Streicherstimmen niederschrieb, und in den letzten Fragmenten, in denen sich der Orchesterklang in den Bläsern ausdünnt.
Den Finalsatz in seiner fragmentarischen Gestalt ans Ende eines Konzerts zu stellen, ist unmöglich. Man muss ihn folglich zu Beginn bringen, vor den drei fertigen Sätzen. Die Lückenhaftigkeit des Materials macht es notwendig, mit kurzen Erklärungen durch die Musik zu führen. So präsentierten Rémy Ballot und das Altomonte-Orchester, moderiert von Felix Diergarten, insgesamt acht Fragmente des Finales. In der Generalprobe, die vom klingenden Ergebnis her durchaus als vollwertiges Konzert angesprochen werden konnte, wurden dem Anfang des Finales die letzten Takte des Adagios vorangestellt: ein sinnvoller Gedanke, wird dadurch ja der Zuhörer am Ende der Aufführung, wenn diese Takte ein weiteres Mal zu hören sind, daran erinnert, dass ihnen eigentlich nach dem Willen des Komponisten noch etwas folgen soll! In den beiden Konzerten selbst gingen die Musiker allerdings von diesem Einfall wieder ab und begannen direkt mit dem Finale. Man kann diese Entscheidung bedauerlich finden, aber angesichts der Anforderungen, die der Schluss des Adagios an die Hörner stellt, ist es nachvollziehbar, den Hornisten einen solch heiklen Einsatz gleich zu Beginn nicht zuzumuten.
Was die Qualität der musikalischen Darbietung betrifft, so war es angesichts des sich im Raumhall des Marmorsaales verlierenden Beethoven-Quartetts höchst erfreulich, hier nun ein Musizieren erleben zu können, das sich in voller Übereinstimmung mit den Gegebenheiten des Raumes abspielte. Rémy Ballot stellte wieder einmal unter Beweis, wie trefflich er auf den langen Nachhall der Basilika zu reagieren und die Aufführung an diesem auszurichten weiß. Er nimmt relativ breite Tempi, die aber stets flüssig und nirgends übertrieben langsam wirken, ganz einfach weil sie der Entfaltung des Klanges im Kirchenraum Rechnung tragen. Die Brucknerschen Generalpausen hört man hier nicht als Unterbrechungen der Musik, sondern als ein Ausatmen der Musik in den Hall hinein. Ist der Ton ganz entschwunden, nimmt das Orchester den Faden wieder auf. Musik und Raum befinden sich permanent im Zwiegespräch miteinander. Dieses Eingehen auf den Aufführungsort ist die eine wesentliche Stärke Ballots, die andere ist sein Sinn für Harmonik und Kontrapunkt. Wo manch anderer Dirigent nur Begleitfloskeln oder Stütztöne wahrnimmt und folglich nicht weiter beachtet, hört Ballot Melodien, die mit anderen Melodien in einem Verhältnis gegenseitiger Beeinflussung stehen und vermittelt seinen Orchestermusikern, was hier Wichtiges zu sagen ist. Welche Aktivität in Bruckners Bässen herrscht, zeigte sich gleich zu Anfang des Kopfsatzes: In der mit T. 27 beginnenden Steigerungspartie agierten die tieferen Streicher nicht als bloßer Hintergrund für die Ersten Violinen, sondern fassten ihre Noten als langgestreckte Linien auf. So befeuerten die Orchestergruppen einander von Beginn an gegenseitig. Besonders innig gelang der Seitensatz, in welchem man perfekt das feine Spiel der Wellen wahrnehmen konnte, welches die differenziert instrumentierten, ineinander verschlungenen Themen bildeten. Aber auch sonst herrschte schönste Sorgfalt in der Darstellung des kontrapunktischen Gewebes und der instrumentatorischen Feinheiten. Die Hauptstimmen ließen die Nebenstimmen durchklingen, ohne ihren Charakter als Hauptstimmen einzubüßen, alles getragen von einem kräftigen, lebendigen Bass. Zum Scherzo ist zu sagen, dass es lebhafter und zupackender klang als in Ballots auf CD festgehaltener früherer Aufführung der Neunten. (Mit 14 Minuten ist dieses wohl die wohl langsamste Einspielung des Scherzos überhaupt, allerdings durchaus spannungsvoll!) Das zunächst von den Violinen allein vorgestellte Anfangsthema des Adagio wurde nüchtern dargeboten, ohne zu schleppen. Man vertraute ganz auf die dem Thema innewohnenden Spannkräfte und sparte sich jede sentimental-rhetorische Übertreibung. Solcher Mittel bedarf es nicht, wenn man, wie Ballot, es schafft, die Musik aus den harmonisch-kontrapunktischen Prozessen emporwachsen zu lassen. Wie tief die Musiker in den Stoff eingedrungen sind, zeigte sich namentlich anhand der großen Steigerung im letzten Drittel des Adagios, wo wirklich in jeder der übereinandergelagerten Klangschichten lebhaft der Puls schlug. In der Generalpause nach dem Höhepunkt konnte man am eigenen Leibe spüren, wie die im Tredezimakkord zusammengeballten Töne auseinanderstoben und den Kirchenraum durchrasten. Wie der Anfang des Satzes hatte auch der Schluss nichts Rührseliges. Es gab keine gekünstelten Ritardandi, kein aufgesetztes Schmachten in der Artikulation. Ganz natürlich löste sich die Spannung und die Musik kam zur Ruhe.
Wie gesagt, hatte die Generalprobe bereits die Qualität einer vollwertigen Aufführung. Allerdings fiel doch auf, dass sich die Verbindung zwischen den Musikern im Verlauf der drei Tage zwischen Generalprobe und zweitem Konzertabend noch einmal intensivierte, was sich auch anhand der Reaktion des Publikums zeigte: Während es am Ende des ersten Konzerts nach einer längeren Pause in Applaus ausbrach, herrschte nach dem zweiten Konzert völlige Stille. Alle Anwesenden waren derartig von der soeben gehörten Aufführung gebannt, dass offenbar jedem Einzelnen eine Unterbrechung dieser Stille unpassend erschien. Erst als der Dirigent dem Konzertmeister die Hand reichte, war der Bann gebrochen und tosender Beifall füllte das Kirchenschiff.
Angesichts der Tatsache, dass sich 2024 der Geburtstag Anton Bruckners zum 200. Male jährt, nimmt es nicht Wunder, dass die Veranstaltungen im Stift St. Florian dieses Jahr besonders opulent ausfallen. Das Stift feierte das Jubiläum seines größten Musikers bereits mit der Ausstellung Bruckners Visionen, die noch bis Oktober besucht werden kann und neben klassischen Vitrinen auch drei im Stiftshof aufgestellte Pavillons mit virtuellen Präsentationen umfasst. Dazu traten nun im August die St. Florianer Brucknertage, in deren Rahmen diesmal nicht nur ein einfaches wissenschaftliches Symposium abgehalten wurde, sondern ein viertägiger Internationaler Bruckner-Kongress, den die Brucknertage gemeinsam mit der Bruckner Society of America ins Werk setzten. Auch gipfelte das musikalische Programm in zwei Symphoniekonzerten besonderer Art: Am 23. und 24. August spielte das Altomonte Orchester St. Florian unter der Leitung von Rémy Ballot Bruckners Neunte Symphonie einschließlich erhaltener Fragmente des unvollendeten Finalsatzes. Neben diesen Konzerten besuchte der Verfasser dieser Zeilen das Kammerkonzert am 21.August, in welchem das Varga Quartett, verstärkt durch Florian Eggner am zweiten Violoncello, Ludwig van Beethovens Streichquartett e-Moll op. 59/2 und Franz Schuberts Streichquintett C-Dur vortrug. Dazwischen kam ein weiterer Meister aus St. Florian zu Wort: Franz Xaver Müller mit seinem Quartettino D-Dur von 1928.
Christoph Lettner: Franz Xaver Müller. Priester, Musiker, Mensch.
Bevor wir zur Schilderung des auf den Brucknertagen Gehörten kommen, sei der Blick auf ein neues Buch gerichtet, das in engem Zusammenhang mit St. Florian steht und im dortigen Stiftsladen erhältlich ist. Anton Bruckner ist zwar der überragende, keineswegs jedoch der einzige große Komponist in der Geschichte des oberösterreichischen Augustiner-Chorherrenstiftes. Franz Xaver Müller (1870–1948), der selbst Augustiner-Chorherr war, darf als die bedeutendste Musikerpersönlichkeit gelten, die im frühen 20. Jahrhundert in St. Florian wirkte. Wie einst Bruckner begann er seine musikalische Laufbahn als Sängerknabe im Stift. 1904 wurde er dort Stiftsorganist und zwei Jahre später Regens Chori, was er bis 1924 blieb. Danach wirkte er bis 1943 als Domkapellmeister in Linz. Müller war kein Schüler Bruckners – er studierte bei Johann Evangelist Habert und Josef Venantius von Wöss –, doch hatte er in seiner Jugendzeit ausgiebig Gelegenheit, diesen als Mensch und Musiker näher kennenzulernen. So assistierte er Bruckner wiederholt bei der Überprüfung der Stimmführungen in dessen Partituren und hörte ihn oft an der Orgel der Stiftskirche improvisieren. Diesen Tagen gedenkend verfasste Müller 1931 für die schweizerische Zeitung Der Bund den kurzen Text „Anton Bruckner. Persönliche Erinnerungen“, der zu den lebendigsten Schilderungen der Persönlichkeit Bruckners gehört. Müller komponierte vorrangig geistliche Musik, darunter sechs lateinische Messen in verschiedenen Besetzungen, ein Requiem für A-cappella-Chor und, als Hauptwerk, das 1924 uraufgeführte Oratorium Der heilige Augustinus. Unter seinen Instrumentalkompositionen ragt eine D-Dur-Symphonie von Brucknerschen Ausmaßen hervor. – In wie weit Müller als Symphoniker stilistisch auf Bruckners Spuren wandelt, müsste eine Aufführung dieses zuletzt 1960 gespielten Werkes klären.
Das Interesse an Müller kommt nun erfreulicherweise wieder in Gang. Lange Zeit existierte nur eine einzige Monographie zu Leben und Schaffen des Komponisten, das 1970 anlässlich seines 100. Geburtstages erschienene Buch von Joseph Mayr-Kern: Franz Xaver Müller. Ein oberösterreichischer Komponist zwischen Anton Bruckner und Johann Nepomuk David. (David war Schüler Müllers und sang unter seiner Leitung als St. Florianer Sängerknabe.) Es enthält neben einer Biographie eine ausführliche Betrachtung der Müllerschen Messen und im Anhang Aufsätze aus Müllers Feder, darunter die oben erwähnten Erinnerungen an Bruckner. An die Seite dieser Veröffentlichung ist im vergangenen Jahr ein weiteres Buch über Müller getreten. Herausgegeben von der Markgemeinde Dimbach, Müllers Heimatort, erschien Christoph Lettners Dokumentation: Franz Xaver Müller. Priester, Musiker, Mensch. Wichtigste Grundlage des Buches ist der private Nachlass des Komponisten, der von seinen Verwandten sorgfältig aufbewahrt wurde, bislang aber der Forschung unbekannt war. Christoph Lettner stellt nun erstmals dieses reiche Korpus an Dokumenten vor: Die Briefe, die Müller mit seinen Verwandten und Freunden gewechselt hat, finden ihre Ergänzung in zahlreichen Photographien sowie zeitgenössischen Zeitungsberichten. Es wird dadurch nicht nur der Lebenslauf des Komponisten nahezu lückenlos abgedeckt, auch tritt daraus Franz Xaver Müllers Charakter plastisch hervor. Wir lernen einen Menschen kennen, der sich sowohl als Musiker, als auch als Priester hingebungsvoll seinen Aufgaben widmet und stets um das Wohl seiner Mitmenschen, namentlich seiner Geschwister (die er alle überlebt) und deren Kinder, besorgt ist, der aber auch herzlich lachen kann, eigene Theaterparodien zur Aufführung bringt und bei Kuraufenthalten seine Mitgäste gut zu unterhalten weiß; der auf Reisen von den Schweizer Bergen und der Blauen Grotte von Capri schwärmt, und gegen Ende seines Lebens ohnmächtig zusehen muss, wie Linz im Zweiten Weltkrieg verheert wird; der Nachforschungen über Bruckner betreibt und Auskünfte ehemaliger St. Florianer Sängerknaben sammelt. Gleichsam im Vorübergehen erhalten wir Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse des ländlichen Oberösterreich, wo der „Fleischhacker-Franzl“ als Neffe des Bürgermeisters im schwer erreichbaren Dimbach heranwächst, wo seine Schwestern sich in ihrer Jugend als Dienerinnen bei örtlichen „Herrschaften“ verdingen müssen und wo man in der Familie zum Feierabend mehrstimmig das Andreas-Hofer-Lied singt. Natürlich kommen auch Linz und das Stift St. Florian nicht zu kurz. Lettner lässt sich als Autor nur dort ausführlicher vernehmen, wo Hintergrundinformationen nötig sind, etwa zu Beginn bei der Schilderung Dimbachs und der Vorstellung der Familie Müllers. Ansonsten begnügt er sich damit, den Rahmen zu setzen und Müller bzw. seine Zeitgenossen selbst sprechen zu lassen. Er gliedert den Stoff, der im Wesentlichen chronologisch präsentiert wird, in eine Vielzahl kurzer Kapitel, die meist nur eine Doppelseite umfassen und jeweils eine bestimmte private oder berufliche Situation Müllers in den Fokus rücken. Diese Form der Darstellung bewirkt, dass man sich als Leser den Personen stets sehr nahe fühlt. Man legt das Buch aus der Hand mit dem Empfinden, tief in den Brunnen der Vergangenheit eingetaucht zu sein.
Lettners Buch ist eine biographische Arbeit, keine Werkmonographie. Es möchte mit Müllers Persönlichkeit und seinen Lebensumständen bekannt machen, wozu selbstverständlich auch Erwähnungen seiner Kompositionen gehören. Ausführliche Werkbetrachtungen enthält es allerdings ebenso wenig wie ein Verzeichnis der Kompositionen Müllers. Da auch bei Mayr-Kern ein solches fehlt (er beschränkt sich auf genaue Angaben zu den Messvertonungen), ist eine Übersicht über sämtliche Werke des Komponisten nach wie vor ein Desiderat der Forschung. Die Musikwissenschaft lasse sich also von Christoph Lettners schöner Vorarbeit dazu anregen, diese Lücke alsbald zu schließen!
Franz Xaver Müller stand im Mittelpunkt des vom Varga Quartett (Pavol Varga, Katharina Veselská, Peter Zwiebel und Stefanie Huber) im Marmorsaal des Stiftes dargebotenen Kammerkonzerts der Brucknertage – zumindest stand sein Quartettino in D-Dur in der Mitte der Vortragsfolge. Davor und danach hörte man je ein Gipfelwerk der Kammermusikliteratur: Beethovens Streichquartett e-Moll op. 59/2 (das zweite der Rasumowskij-Quartette) und das Streichquintett C-Dur D 956 von Franz Schubert, bei welchem Florian Eggner als zweiter Cellist zum Quartett hinzustieß. Müllers Komposition bestand in dieser Nachbarschaft, wie die freundliche Blumenwiese zwischen zwei Bergriesen besteht: als anmutiger Kontrast. Der Name „Quartettino“ ist durchaus angemessen, denn das viersätzige Werk dauert keine zehn Minuten. Es entstand 1928 als Geschenk zur Silberhochzeit für den St. Florianer Musiklehrer Karl Aigner, der einst zu den Ausbildern des Sängerknaben Müller gehört und sich für Bruckner als Notenkopist betätigt hatte. Entsprechend ist jeder Satz als Gratulationsadresse gedacht. So steht über dem einleitenden Adagio: „Bruckner kommt zu gratulieren.“ Im Folgenden erhält Aigner außerdem Glückwünsche für die weitere Lebensfahrt mittels eines ganz kurzen Allegros, den Segen des Himmels für seine Chordienste in Form eines choralhaften Andantes und schließlich im fugierten Schluss-Allegro Gratulationen der früheren Chorregenten Ignaz Traumihler und Bernhard Däubler, sowie aller Sängerknaben. Wüsste man nicht um Müllers enges Verhältnis zu Bruckner, man würde ein solches sofort anhand der ersten Takte des Quartettinos vermuten: Sie könnten tatsächlich einem Brucknerschen Adagio entnommen sein. Das gleiche lässt sich vom ebenfalls langsamen dritten Satz sagen, einem äußerst zarten, in sich gekehrten Stück. Auch die raschen Sätze zeugen in Harmonik und Kontrapunkt von Bruckners Einfluss, ohne dass sich aber aus dessen Schaffen konkrete Vorbilder benennen ließen. Gerade die leichtfüßige Schlussfuge belegt, dass Müller originell genug war, auf der von Bruckner übernommenen Grundlage eigenständig weiter zu schaffen. Alles in allem ein handelt es sich bei dem Quartettino um ein ungemein ansprechendes kleines Meisterwerk – und man fragt sich, was ein Komponist, der eine solche Gelegenheitsarbeit zustande bringt, in seinen Hauptwerken geleistet hat.
Das Beethovensche Quartett und das Schubertsche Quintett bedürfen keiner näheren Vorstellung. Die Aufführungen erinnerten daran, wie wichtig es ist, die akustischen Gegebenheiten des Aufführungsortes zu berücksichtigen. Ist die St. Florianer Stiftskirche für ihre hallige Akustik bekannt (und berüchtigt), so stellt der Marmorsaal die Musiker vor nicht geringere Herausforderungen. Für ein Streichquartett ist es hier nicht schwer, eine orchestral anmutende Klangfülle hervorzubringen. Die Töne fluten gewichtig durch den Raum, aber sie verhallen nur langsam. Rasche Tempi können hier leicht zu rasch erscheinen, da der Nachhall die Konturen der Musik verschwimmen lässt. Leider hat das Varga Quartett nicht genug Rücksicht auf die akustischen Bedingungen dieses Raumes genommen, sodass in den raschen Sätzen des Beethoven-Quartetts viele Einzelheiten im Hall untergingen. Weniger schnelle Tempi wären hier von Vorteil gewesen. Schuberts Quintett erwies sich – ähnliches lässt sich von Müllers Quartettino sagen – aufgrund seiner insgesamt gemächlicheren Zeitmaße und des mehr flächigen Tonsatzes als weniger anfällig, sodass die zweite Hälfte des Konzerts gegenüber der ersten eine Steigerung bedeutete. Auch wirkte das Ensemble nun ausgewogener als noch in der ersten Konzerthälfte, wo der Primgeiger gegenüber seinen Mitspielern mitunter gar zu dominant auftrat, namentlich im Finale des Beethoven-Quartetts. So gelang eine schöne Aufführung des Schubertschen Quintetts, die im langsamen Satz die Kontraste deutlich herausstellte und im Scherzo wie im Finale durch musikantischen Schwung bestach.
Das Konzert war dem Andenken an Thomas Wall gewidmet, den langjährigen Intendanten des Altomonte-Orchesters St. Florian, dessen Tod im Mai dieses Jahres eine schmerzliche Lücke in das Musikleben des Stiftes riss. Wall hatte 1996 gemeinsam mit Augustinus Franz Kropfreiter das Altomonte-Orchester gegründet und diesem seither als Solocellist selbst angehört.
Bekanntlich gehört Franz Schmidt zu denjenigen Komponisten, welchen im laufenden Jahr aufgrund eines runden Jubiläums verstärkte Aufmerksamkeit zuteil wird. Im Dezember jährt sich sein Geburtstag zum 150. Male, was sich diskographisch durchaus bemerkbar macht, lässt sich doch unter den CD-Veröffentlichungen der letzten Monate eine erhöhte Dichte an Schmidt gewidmeten Tonträgern feststellen. Zum Teil handelt es sich dabei um aktuelle Einspielungen, zum Teil um historische Aufnahmen, die zum ersten Mal auf CD erscheinen (unter diesen ist vor allem der bei Orfeo erschienene Mitschnitt der Oper Fredigundis aus dem Jahr 1979 bemerkenswert). Noch rechtzeitig vor Anbruch des Schmidt-Jahres 2024 erschien im vergangenen Dezember bei Accentus Music eine neue Gesamteinspielung seiner Symphonien, die erste dieser Art aus Großbritannien.
Der Dirigent Jonathan Berman gehört zu den besten Kennern von Franz Schmidts Leben und Schaffen. Seine Einspielungen der Symphonien mit dem BBC National Orchestra of Wales sind der bedeutendste, aber keineswegs der alleinige Bestandteil seines „Franz Schmidt Project“, das er vor einigen Jahren in Vorbereitung zum 150. Geburtstag des Komponisten ins Leben rief. Parallel zu den zwischen Januar 2020 und Oktober 2022 durchgeführten Aufnahmen hat Berman Interviews mit anderen Musikern über Schmidt geführt und begonnen, eine Schmidt-Diskographie zu erstellen (sie ist noch nicht abgeschlossen) – das Material findet sich auf seiner Internetseite The Franz Schmidt Project.
Was Bermans eigene Aufnahmen betrifft, so ist ihm und seinen walisischen Musikern – dies sei vorweggenommen – eine Leistung geglückt, die sich kein an der Symphonik Franz Schmidts interessierter Hörer entgehen lassen sollte.
Als Prüfstein zur Beurteilung dieser Gesamteinspielung habe ich zunächst den einzigen Satz einer Schmidt-Symphonie gewählt, der mir in vielen Aufnahmen zu lang vorkam, nämlich das Scherzo der Ersten Symphonie. Die Eckteile dieses Satzes erschienen mir nie problematisch, wohl aber der Mittelteil, der aus zwei separaten Stücken besteht, die ineinander übergehen. Das erste dieser Trios (cis-Moll) besteht im Grunde nur aus einem sich über die Intervalle des verminderten und übermäßigen Dreiklangs nach oben schraubenden achttaktigen Thema, das, berücksichtigt man die vorgeschriebenen Wiederholungen, insgesamt elfmal hintereinander zu hören ist, wenngleich auf verschiedenen Stufen. Das kann sehr gleichförmig wirken und seinen Schatten auf das unmittelbar folgende langsame Trio (Des-Dur) werfen, das dann wie eine Durststrecke erscheint. Aber muss dieser Eindruck sein? Berman lenkt im ersten Trio die Aufmerksamkeit auf die Gegenstimmen, macht deutlich, was sich alles um das Thema rankt, wie es bei jedem Durchlauf etwas anders kontrapunktiert und klanglich eingefärbt wird. So wird jedes Erscheinen des Themas zum Ereignis. Die Musik atmet gleichmäßig und holt alle acht Takte Luft. Nirgends klingt es, als trete das Geschehen auf der Stelle. Im Gegenteil hört man bei Berman, wie einfallsreich Schmidt mit diesem Trio das Passacaglia-Prinzip in einen Scherzo-Satz eingebaut hat. Nach dem elften Themendurchlauf legt sich diese Quasi-Passacaglia zur Ruhe und fließt in das langsame zweite Trio über. Berman gestaltet diesen Übergang unaufdringlich zwingend, der Beginn des Des-Dur-Trios erscheint als der natürliche Zielpunkt. Im Folgenden lässt der Dirigent stärkere Rubati zu, aber stets in schöner Übereinstimmung mit dem harmonischen Verlauf der Musik. Die Musik dehnt sich, entspannt sich – durchaus ein erwünschter Effekt nach dem so rigoros durchgeführten cis-Moll-Abschnitt –, aber sie verliert nicht die Orientierung und auch nicht den Fluss. Wenn dann der Hauptteil des Scherzos erneut ansetzt, klingt alles erholt und erfrischt – und es wird klar, welch originelle vierteilige Dramaturgie Schmidt, vom üblichen Scherzo-Schema abweichend, in diesem Satz verfolgt. Im Hauptteil selbst hält Berman die Musik geschickt zwischen ungeschlachter Ländlichkeit und eleganteren, sich ein wenig zierenden Klängen in der Schwebe. Nein, dieser Satz enthält keine Längen, sondern in jedem Takt großartige, spannende Musik!
Was für das Scherzo gilt, gilt für die ganze Symphonie. Das Werk erfährt durch Berman und die Walliser eine rundherum ausgewogene Wiedergabe, die allen Affekten gleichermaßen Rechnung trägt und durch alle Tempi hindurch die Spannung aufrecht erhält. Schmidts Erste ist ein glänzend instrumentiertes Werk, doch geht es Berman hörbar um mehr als um die Vorführung bloßer orchestraler Brillanz. Das Klangbild, das er mit seinem Orchester erzeugt, leuchtet von innen her, da es vom kontrapunktischen Tonsatz aus entwickelt ist. Schmidt ist ein essentiell polyphoner Komponist und seine Harmonik stets als Ergebnis des Zusammentreffens der Stimmen gedacht. Die Herausforderung, die er an die Ausführenden stellt, ist weniger spieltechnischer als geistiger Art (Paul Wittgenstein pflegte den Komponisten, bei denen er Klavierkonzerte in Auftrag gab, das Schmidtsche Es-Dur-Konzert als Musterbeispiel ausgewogener Instrumentation vorzulegen!) und besteht in erster Linie darin, die für Schmidt charakteristische exzessive Chromatik funktional zu erfassen und den linearen Spannungsauf- und abbau in den einzelnen Stimmen nachzuvollziehen. Jonathan Berman hat sich tief in die Feinheiten des Schmidtschen Tonsatzes versenkt und ein Gespür für die Darstellung des polyphonen Geflechts entwickelt, weswegen man in seiner Einspielung die Nebenstimmen auch in lautstarken Momenten deutlich durchklingen hört.
Mehr noch als der Ersten kommt dies der Zweiten Symphonie zu Gute. Bermans Aufführung dieses Werkes entwaffnet all jene vorlauten Kritiker, die in demselben ein überladenes Monstrum sehen wollen und dabei wahlweise von „k.u.k.“- oder „Jugendstil“-Bombast fabulieren. Ja, Schmidt macht in dem Stück, das allein schon im Hinblick auf seine Form zu den hervorragendsten Leitungen des Komponisten gerechnet werden muss, seine handwerkliche Meisterschaft durchaus demonstrativ geltend und schöpft bezüglich der Möglichkeiten, die ihm das große Orchester zur polyphonen Gestaltung bietet, aus dem Vollen, aber überladen klingt das alles doch nur, wenn der Dirigent keinen rechten Überblick über den Tonsatz hat. Man höre nun bei Berman den Schlusschoral des Finalsatzes: Da ist kein undifferenziertes Dröhnen und Rauschen. Das Choralthema führt eindeutig, wird aber nicht so überstark herausgestellt, dass alles Übrige zu einer diffusen Begleitung herabsinkt. Stattdessen wird hörbar, mit welch feinen Ornamenten Schmidt das Thema umrankt. Auch behandelt Berman das Tempo feinfühlig, lässt es an manchen Stellen geringfügig nachgeben, damit eine Nebenstimme deutlicher zu vernehmen ist, achtet aber sorgsam darauf, das Thema nicht zu zerdehnen und das Grundtempo zu halten. Diese Kunst des Rubatos beherrscht Berman auch im Leisen, wie sich beispielhaft in der Mitte der Durchführung des ersten Satzes, in der langsamen Variation vor Beginn des Scherzos im zweiten Satz sowie im Trio des Scherzos zeigt.
Besonders erfreut in dieser Gesamtaufnahme die Darbietung der Dritten Symphonie. Dieses Werk kann gerade deswegen als Schmidts schwierigste Symphonie gelten, weil sie sich verglichen mit ihren Geschwistern so unauffällig gibt. Zusammen mit dem zeitnah entstandenen Zweiten Streichquartett markiert sie in Schmidts Schaffen den Punkt der stärksten Abkehr vom „spätromatischen“ Idiom. Einer auf Äußerlichkeiten aufbauenden Interpretation entzieht sie sich auffällig. In der Ersten Symphonie kann ein Dirigent sich an Gesten jugendlicher Aufbruchsstimmung und an Naturlauten orientieren, aus der Zweiten kann er ein opulentes Fin-de-siècle-Feuerwerk machen, die Vierte gibt immer wieder die Möglichkeit zu nachdrücklicher Emotionalität. Die Dritte dagegen hat keine spektakuläre Außenseite. Wer will, der höre zu und nehme Teil an dieser sanft dahinströmenden, ungemein fein gestalteten Musik, aber man erwarte nicht, dass sie irgendwelche Anstalten macht, den Hörer zu überreden. Schmidts Dritte ist ein leidenschaftlich unrhetorisches Stück. Einem solchen Werk kommt man nur bei, wenn man sich auf die Introspektion der Musik einlässt und nicht nach Gelegenheiten zur Effekthascherei sucht, wo keine sind. Bermans intensives Nachvollziehen der zart gesponnenen melodischen Linienspiele mit ihrer ebenso kühnen wie unaufdringlichen Chromatik ist hier der einzig erfolgversprechende Ansatz. Und so blüht diese Musik auf wie selten zuvor.
Das BBC National Orchestra of Wales zeigt sich in jeder dieser Schmidt-Aufnahmen als ein bestens disponierter Klangkörper, der wie ein großes Kammerensemble agiert: Den Spielern ist die Bedeutung ihrer einzelnen Stimmen offenbar voll bewusst, und man hört einander genau zu. Anders wären die dezenten Rubati und das fein abgetönte polyphone Musizieren auch kaum möglich. Großartige Orchestersolisten stehen für das Trompetensolo am Beginn der Vierten Symphonie und das Cellosolo im langsamen Satz desselben Werkes zur Verfügung. Auch in dieser meistgespielten Symphonie Schmidts zwingt Berman der Musik nichts auf, sondern lässt sie aus der Ruhe und Einsamkeit des einleitenden Trompetenthemas heraus entstehen und durch die allmähliche polyphone Entfaltung wie von selbst immer tiefgründiger und inniger werden. Auch imponiert die Geschlossenheit der Aufführung. Der markerschütternde Aufschrei im Scherzo, der in weniger durchdachten Aufführungen recht plötzlich ertönt und wieder verklingt, wird hier als der Höhepunkt spürbar, auf den die ganze Entwicklung der drei miteinander verbundenen Sätze zuzusteuern scheint, und nach dem es für die Musik tatsächlich keinen anderen Ausweg gibt, als den Anfang des ersten Satzes zu rekapitulieren und mit dem Trompetenthema den Kreis zu schließen.
Als Zugabe erklingen noch die Orchesterstücke aus Schmidts erster Oper Notre Dame, denen Berman und seine Musiker keineswegs weniger Aufmerksamkeit schenken als den Symphonien und anhand deren so recht deutlich wird, dass Schmidt auch als Opernkomponist symphonisch denkt.
Die Edition bereitet nicht nur großes Hörvergnügen, sondern erfreut auch durch ein umfangreiches Beiheft, das neben den Werkeinführungen ein 15-seitiges Interview enthält, in welchem sich der Dirigent ausführlich zu seiner Beschäftigung mit Franz Schmidt äußert.
Die Schwartzsche Villa in Berlin-Steglitz bot am 12. Juli 2024 den Hintergrund für eine musikalisch-literarische Zusammenkunft besonderer Art. Zwei Namensvettern trafen hier aufeinander, deren Schicksale erstaunliche Parallelen aufweisen, und luden zu einer Reise in die Vergangenheit Mitteleuropas ein, insbesondere derjenigen ihrer Heimat Böhmen: der Komponist Hans Winterberg (1901–1991) und Wenzel Winterberg, die Titelfigur des 2019 erschienenen Romans Winterbergs letzte Reise von Jaroslav Rudiš. Von Hans Winterberg erklangen drei Kammermusikwerke, vorgetragen von den Mitgliedern des Adamello Quartetts – Clemens Linder und Byol Kang (Violinen), Susanne Linder (Viola), Adele Bitter (Violoncello) – und dem Pianisten Holger Groschopp. Dazwischen las Jaroslav Rudiš ausgewählte Kapitel aus seinem Roman.
Hans Winterberg galt nach seinem Tode lange Zeit als ein weitgehend vergessener sudetendeutscher Komponist. Von seinen Werken war nichts im Druck greifbar, auch gab es keine kommerziellen Einspielungen. Nur durch eine Anzahl von Mitschnitten im Archiv des Bayerischen Rundfunks konnte man sich einen Eindruck von Winterbergs Musik verschaffen. Der künstlerische Nachlass lagerte, für die Öffentlichkeit unzugänglich, im Sudetendeutschen Musikarchiv in Regensburg. Den Anstoß zur Entdeckung Winterbergs gab Peter Kreitmeir, der Enkel des Komponisten, der ohne Kontakt zu seinem Großvater aufgewachsen war und sich 2010 auf dessen Spuren begab. Die Nachforschungen gerieten zu einer Archäologie böhmischer Kulturgeschichte, denn nicht nur wurde deutlich, dass Hans Winterbergs kultureller Hintergrund deutlich vielgestaltiger war als zunächst angenommen, auch kam ein Lebenslauf zum Vorschein, in welchem die Umbrüche des 20. Jahrhunderts deutliche Einschnitte hinterlassen haben.
Will man Hans Winterberg einer Nationalität zuordnen (er selbst hielt davon nicht viel und nannte „Nationalität“ einen „verqueren, rückständigen Begriff“), so tut man wohl am besten daran, ihn einen Böhmen zu nennen. In dieser Bezeichnung finden sich seine deutschen, tschechischen und jüdischen Wurzeln gleichermaßen aufgehoben, denn Winterberg war einer jener Böhmen, die deutsch, tschechisch und jüdisch zugleich waren: Er war deutschsprachig, jüdischen Glaubens und fühlte sich als Tscheche. Hans Winterbergs Lebensweg begann im 53. Regierungsjahr des Kaisers Franz Joseph im zur österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie gehörenden Prag und endete in der Bundesrepublik Deutschland kurz nach der Wiedervereinigung. Er erlebte zwei Weltkriege, die Gründung der Tschechoslowakei, ihre Zerschlagung durch die Nationalsozialisten und ihre Wiedererrichtung, den Holocaust, dem mehrere seiner Verwandten, darunter seine Mutter, zum Opfer fielen und dem er selbst nur knapp entkam, und die Vertreibung der Deutschböhmen nach 1945. Da er sich vor dem Krieg als Angehöriger der tschechischen Nationalität hatte registrieren lassen (er schrieb sich selbst damals bevorzugt „Hanuš Winterberg“), blieb ihm die Ausweisung aus seiner Heimat erspart, doch verließ er die Tschechoslowakei bereits 1947 in Richtung Bayern, wo er sich als Lektor beim Bayerischen Rundfunk und als Lehrer am Münchner Richard-Strauss-Konservatorium betätigte.
Von diesem Lebenslauf wusste der tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudiš nichts, als er einen Roman entwarf, dessen Protagonist ebenfalls den Namen „Winterberg“ tragen sollte – nach einer Kleinstadt im Böhmerwald nahe der bayerischen Grenze, die heute auf Tschechisch „Vimperk“ heißt. Interessanterweise spielt sich Winterbergs letzte Reise im Jahr 2017 ab, im gleichen Jahr also, in welchem Peter Kreitmeir die alleinigen Nutzungsrechte am Schaffen seines Großvaters, des Komponisten Winterberg, zugesprochen erhielt, woraufhin er die Verbreitung der Musik in die Wege leiten konnte.
Wenzel Winterberg, die Titelfigur von Rudišs Roman, ist kein Komponist, sondern ein Berliner Straßenbahnfahrer im Ruhestand, der als Deutschböhme in Reichenberg (Liberec) zur Welt kam. Zu Beginn der Romanhandlung ist Winterberg bereits 99 Jahre alt. Da nach einem schweren Schlaganfall sein Tod erwartet wird, stellt seine Tochter den Altenpfleger Jan Kraus ein, der sich darauf spezialisiert hat, Todkranke bei ihrer „Überfahrt“, wie er es nennt, zu begleiten. Doch als Kraus beiläufig erwähnt, aus Winterberg, Vimperk, zu stammen, kommt Winterberg ins Leben zurück und fühlt sich bald gesund genug, zu einer Reise nach Tschechien aufzubrechen, wohin er nach seinem Militäreinsatz im Zweiten Weltkrieg nicht mehr zurückgekehrt war. Kraus, Sohn eines deutsch-tschechischen Elternpaars und als junger Mann nach traumatischen Erfahrungen und einem Aufenthalt im Gefängnis ausgewandert, begleitet ihn widerwillig, obwohl er sich vorgenommen hatte, nie wieder seine alte Heimat zu betreten. Ein großer Teil der Handlung spielt sich in Zügen und auf Bahnhöfen ab. Winterberg will die Stätten seiner Jugend sehen, aber auch Orte besuchen, an denen sich einschneidende Ereignisse der Geschichte abgespielt haben: „Die Schlacht bei Königgrätz geht durch mein Herz“, lautet der erste Satz des mitten in der Handlung beginnenden Romans. Letztlich soll die Reise bis nach Sarajewo führen, nicht nur der fatalen Ereignisse von 1914 wegen, sondern auch weil Winterberg von dort das letzte Lebenszeichen seiner Jugendliebe Lenka, die als Jüdin vor den Nazis hatte fliehen müssen, erhalten hat. Kraus spricht nicht viel, doch da er der Ich-Erzähler des Romans ist, erhält man Einblick in seine Gedanken. Aus seiner Perspektive erlebt man die „historischen Anfälle“ mit, die Winterberg regelmäßig während der Reise heimsuchen. Sie äußern sich in geradezu manischen Rezitationen aus dem Baedeker-Reiseführer für Österreich-Ungarn von 1913, den Winterberg als seine „Bibel“ stets mit sich führt, sowie in ausgiebigen Kommentaren zum dort Geschriebenen. Dabei verschwimmen die weltgeschichtlichen Begebenheiten mit Winterbergs Biographie und dem Alltagsleben der Vor- und Zwischenkriegszeit. Die Gegenwart wird immer wieder an der Geschichte gespiegelt, nicht nur im Hinblick darauf, welche Gebäude aus früherer Zeit noch vorhanden sind, sondern auch hinsichtlich der Lebensgewohnheiten der Menschen, dargestellt etwa in Exkursen über Wirtshäuser, böhmisches Bier und die länderübergreifende Küche der alten Doppelmonarchie. Die Eisenbahn ist als Lebensader der Zivilisation permanent präsent: Die beiden Hauptfiguren sind ständig mit dem Zug unterwegs und begeben sich dabei wiederholt auf Abschweifungen – etwa nach Vimperk; auch kommt Winterberg in seinen historischen Anfällen immer wieder auf die Eisenbahn zu sprechen und erzählt von interessanten Begebenheiten wie der Lokomotivflucht der Sachsen während des Deutschen Krieges 1866 nach Eger; ein unausgesprochenes Motiv für die Reise ist Winterbergs gescheitertes Lebensprojekt, die Geschichte Mitteleuropas in einer Modelleisenbahnanlage darzustellen.
Winterbergs letzte Reise ist literarische Archäologie. Nach und nach wird nicht nur die Vergangenheit freigelegt, es entsteht auch ein Bewusstsein für ihre einzelnen Schichten, die sich ineinander verschachtelt haben und nun, ausgegraben, in direkte Beziehung zueinander und zur Gegenwart treten. So werden die Grenzen von Raum und Zeit neu gezogen, Vergessenes und Verdrängtes kommt wieder zu Tage, das Individuum erlebt sich als Teil des großen Zusammenhangs, als mitwirkender Akteur wie als als machtloses Subjekt der Geschichte.
Vorgetragen wird das alles in einem Stil, den man durchaus musikalisch nennen kann. Sowohl Winterberg als auch Kraus haben ihre feststehenden Wendungen, die den Roman refrainartig durchziehen, wobei sich die Sprache gerade in Winterbergs Monologen zu einer Beharrlichkeit steigert, die in ihrer Intensität an Thomas Bernhard gemahnt. Die aufgestaute Spannung löst sich allerdings immer wieder in komischen Situationen, die sich aus der Verschiedenheit der beiden Hauptcharaktere und ihren Kommunikationsproblemen ergeben. Viele Stellen des im Grunde sehr ernsten Buches – einmal schimpft Winterberg demonstrativ auf den böhmischen Humor –, geraten dadurch zu humoristischen Kabinettstücken.
Jaroslav Rudiš, der den Roman original in deutscher Sprache verfasst hat, las insgesamt fünf Kapitel vor, die sich über den ganzen Verlauf des Buches verteilen. Die Lesungen alternierten mit drei Kammermusikwerken Hans Winterbergs: der Sudeten-Suite für Klaviertrio, der Sonate für Violoncello und Klavier und dem als „Symfonie [sic] für Streichquartett“ bezeichneten Streichquartett Nr. 1. Das letztere Werk gelangte dabei zu seiner Uraufführung. Zu Lebzeiten des Komponisten war keine öffentliche Darbietung zustande gekommen. Nach seinem Tode ging die letzte Seite des Manuskripts verloren, weswegen Toccata Classics in seiner 2023 erschienenen Einspielung der Streichquartette Winterbergs auf dieses Stück verzichten musste. Vor kurzem tauchte allerdings die verschollene Seite inmitten anderer Papiere wieder auf, sodass einer Aufführung der „Quartett-Symfonie“ nichts mehr im Wege stand.
Hans Winterbergs Musik harmonierte erstaunlich gut mit Rudišs Erzählung. Ebenso wie dort ist in den Werken des Komponisten ein nervöser Unterton zu spüren, der in dissonanten Umkreisungen der tonalen Zentren und dem häufigen Einsatz ostinater rhythmischer Formeln seinen Ausdruck findet. In den raschen Sätzen des Streichquartetts und der Cellosonate, insbesondere dem toccatenartigen Finale der letzteren, liegt auch die Assoziation mit einer Zugreise gar nicht so fern. Und wie der literarische Winterberg in die Geschichte Böhmens eintaucht, so erscheint der Komponist gleichen Familiennamens als ein fest in der tschechischen Musiktradition verwurzelter Künstler. Die Sudeten-Suite erscheint mit ihren romantischen Topoi als ein eher untypisches Werk im Schaffen Hans Winterbergs. Allerdings wird gerade an diesem Stück seine Verbindung mit der Musik des 19. Jahrhunderts, insbesondere Bedřich Smetana, deutlich. Fluktuierende Klangflächen scheinen auf das Waldesrauschen Aus Böhmens Hain und Flur zu verweisen und die im letzten Satz dargestellten Elbe-Quellen ähneln kaum zufällig den Quellen der Moldau. Dieses Rauschen, diese landschaftlichen Töne gehören wie die Liebe zu tänzerischen Rhythmen zum Grundrepertoire der musikalischen Ausdrucksweise Winterbergs, auch wenn sie in den meisten seiner Kompositionen dissonant geschärft auftreten und sich mitunter in urban-mechanische Klänge verwandeln. Aber auch, wenn er die böhmische Landschaft verlässt, verleugnet er seine Herkunft nicht, nur wechselt das Idiom vom slawischen Tanz zum modernen Tanz der 1920er Jahre, von den Fluren Tschechiens zu den impressionistischen Landschaften der damaligen französischen Musik. In jedem der drei Werke, die sämtlich vorzüglich wiedergegeben wurden, präsentierte sich der Komponist von einer etwas anderen Seite. Das Streichquartett ließe sich als expressionisch, die Cellosonate als klassizistisch mit deutlichen expressionistischen Untertönen charakterisieren, wohingegen die Trio-Suite an nationalromantische Vorbilder anknüpft. Insofern bot der Abend auch einen guten Überblick über die stilistische Vielseitigkeit Hans Winterbergs.
Die gut besuchte Veranstaltung fand beim Publikum sichtlich Anklang, und man kann wohl sagen, dass alle Zuhörer, ob sie nun ursprünglich wegen der musikalischen oder der literarischen Komponente des Abends den Weg in die Schwartzsche Villa eingeschlagen hatten, von dieser Spurensuche in der Geschichte Böhmens bereichert zurückgekommen sind.
Jaroslav Rudiš: Winterbergs letzte Reise, 3. Auflage, München: btb Verlag, 2021, 544 Seiten. ISBN 978-3-442-71967-9
Der zweite Teil des Berichts von den Richard-Strauss-Tagen Garmisch-Partenkirchen (zum ersten Teil siehe hier) befasst sich mit folgenden Konzerten:
9. Juni: Oper (Richard Strauss: Ariadne auf Naxos, konzertante Aufführung), Department für Oper und Musiktheater der Universität Mozarteum Salzburg, Angelika Prokopp Sommerakademie der Wiener Philharmoniker, Kai Röhrig
11. Juni: Kammerkonzert (Klaviertrios von Richard Strauss und Heinrich G. Noren), Phaeton Piano Trio
Nach dem Matinéekonzert konnte man, wieder im Festsaal Werdenfels, am Abend desselben Tages die Oper Ariadne auf Naxos in einer konzertanten Aufführung hören. Es handelte sich um eine Kooperation mit dem Department für Oper und Musiktheater der Universität Mozarteum Salzburg, das jährlich eine Auswahl vielversprechender Gesangsstudenten in speziellen Opernklassen auf die Bühnenlaufbahn vorbereitet. Entsprechend war ein großer Teil der Rollen mit jungen Leuten besetzt. Die Tenöre Konstantin Igl und Lucas Pellbäck sowie die Bässe Brett Pruunsild und Dominik Schumertl übernahmen dabei außer der Verkörperung der vier Komödianten noch die kleinen Partien, die nur zu Beginn des Vorspiels auftauchen. Als geschlossen auftretendes Quartettensemble sorgten sie im zweiten Teil mit frischem, kecken Vortrag für die nötige Auflockerung der statuarischen Opera-seria-Szenerie. Zerbinetta, die Frontfrau der Komödiantentruppe, fand in Yukari Fukui eine Darstellerin, der es auf ganz natürliche Weise gelang, sich den Charakter dieser verspielten, koketten, aber durchaus geistvollen Figur zu eigen zu machen. Julia Maria Eckes, Anastasia Fedorenko und Donata Meyer-Kranixfeld trugen als Nymphentrio mit zarten, ineinander verschlungenen Kantilenen wesentlich dazu bei, in der „Oper“ die angemessen entrückte Stimmung zu schaffen, zu welcher das unbekümmerte Trällern der Komödianten scharf kontrastieren konnte. Jesse Mashburn dominierte in der Hosenrolle des Komponisten den ersten Teil. Hinreißend gelang ihr die Darstellung dieses ebenso unerfahrenen wie idealistisch-verstiegenen jungen Menschen, der erleben muss, wie seine Traumgebilde hart in einer vom Geld beherrschten Realität aufschlagen (symbolisiert durch den nie auftretenden Hausherrn, der aus dem Hintergrund die Anweisungen gibt) und dadurch in emotionale Extreme gestürzt wird. Zweifellos ist der Komponist, der im zweiten Teil leider nicht mehr auftaucht, die interessanteste Figur des ganzen Stückes, da sich in seiner Partie Tragisches mit Komischem mischt und Strauss in seiner Vertonung beides sehr geschickt in der Schwebe hält. Den Trotz, die Verletzlichkeit und die Hoffnungen des Jünglings hat Jesse Mashburn trefflich zur Geltung gebracht. Bewährte, erfahrene Kräfte ergänzten die Schar der jungen Sängerinnen und Sänger: Juliane Banse exzellierte als energische, auf ihre Würde bedachte Primadonna und erfüllte die Kantilenen der Ariadne im zweiten Teil mit blühender Lyrik. Mit Christoph Strehl als Tenor in der Rolle des Bacchus stand ihr dazu ein ebenbürtiger Partner zur Seite. Bernd Valentin trug im Vorspiel als Lehrer des Komponisten, der zwischen dessen Idealismus und den Realitäten des Lebens zu vermitteln hat, wesentlich zur gelungenen Wirkung des turbulenten Geschehens bei.
Mit der Angelika Prokopp Sommerakademie der Wiener Philharmoniker stand dem Gesangsensemble ein Kammerorchester zur Seite, das hinsichtlich der Motivation hinter der Pilsener Philharmonie nicht zurückstand. Dirigent Kai Röhrig, Leiter der Opernklasse des Salzburger Mozarteums, führte mit festen, aber nicht unflexiblen Tempi die Musiker und Sänger souverän durch den Abend und wusste die delikaten Klangeffekte Straussens zu pointieren.
Ariadne auf Naxos enthält einige der besten Einfälle des Opernkomponisten Richard Strauss und stellt gewiss einen Höhepunkt in dessen Zusammenarbeit mit Hugo von Hofmannsthal dar. Das Vorspiel ist schlichtweg eine geniale komische Oper für sich, die den Zuhörer durch ständige Umschwünge der Handlung in Atem hält – oft verbunden mit der Sprechrolle des Haushofmeisters (in der Garmischer Aufführung durch Franz Tscherne verkörpert), der durch die von ihm übermittelten Anweisungen des Hausherrn das Geschehen in immer neue Richtungen lenkt. Allerdings stellt sich diesem temporeichen ersten Teil im zweiten eine recht statische Szenerie entgegen, in welcher sich zwar auch immer wieder wunderbare musikalische Gedanken finden, die im Großen und Ganzen aber die Wirkung des Vorspiels konterkariert. Dass die im ersten Teil so wichtigen Figuren des Komponisten, des Musiklehrers und des Haushofmeisters im zweiten verschwunden bleiben, trägt bedeutend dazu bei, dass die „Oper“ hinter dem Vorspiel zurückbleibt. War dort alles Interaktion Aller mit Allen, so beschränkt sich der zweite Teil im Wesentlichen darauf, Ariadne (am Ende Ariadne und Bacchus) mit Zerbinetta und den Komödianten alternieren zu lassen. Allen Schönheiten zum Trotz, an denen der zweite Teil, wie gesagt, nicht spart, hinterlässt das Stück insgesamt einen im wörtlichen Sinne zwiespältigen Eindruck.
Das letzte Konzert der Richard-Strauss-Tage 2024 war der zu Anfang des ersten Teils dieses Berichts bereits erwähnte Kammermusikabend des Phaeton Piano Trios am 11. Juni, der im kleineren Richard-Strauss-Saal des Garmisch-Partenkirchener Kongresshauses stattfand. Erneut teilten sich Strauss und Heinrich G. Noren das Programm. Die dargebotenen Werke kontrastierten wesentlich stärker zueinander als das Kaleidoskop und das Heldenleben, was nicht zuletzt daran liegt, dass es sich bei den beiden Klaviertrios von Richard Strauss um Jugendwerke handelt, die der Komponist im Alter von 13 Jahren schrieb. Sie repräsentieren also nicht seinen den Kompositionsstil seiner Hauptwerke. Man sollte sich davon aber nicht dazu verführen lassen, von diesen Stücken geringschätzig zu reden oder sie als „jugendlich unreif“ abzutun. Es ist nichts Unreifes in ihnen. Im Gegenteil: Der Autor ist ein junger Meister, der sich durch das Studium klassischer Vorbilder zu bemerkenswertem Können herangebildet hat und dem alles gelingt, was er sich vornimmt. Diese Musik hat nichts Himmelstürmendes an sich, nichts deutet darauf hin, dass von derselben Hand nur ein Jahrzehnt später die Violinsonate op. 18 geschrieben werden wird, von Don Juan und Macbeth ganz zu schweigen. Wir müssen bedenken, dass wir uns mit dem jungen Strauss in einem München befinden, das erst nach und nach zur „Richard-Wagner-Stadt“ wird und in dem Franz Lachner noch unter den Lebenden weilt, jener langjährige bayerische Hofkapellmeister, der die Pflege der ihm teils noch persönlich bekannt gewordenen Wiener Klassiker dort fest etabliert und als Vorgesetzter von Franz Strauss, dem Vater Richards, auf den Geschmack der Strauss-Familie einen nicht geringen Einfluss genommen hat. Es ist kurzum eine verlängerte Wiener Klassik, die der 13-Jährige hier präsentiert. Und das tut er mit Geschmack und Feingefühl!
Bei der Wiedergabe der Strausschen Trios fiel auf, dass sich der Pianist Florian Uhlig gerade im ersten Trio auffällig zurückhielt. Während Friedemann Eichhorn, Violine, und Peter Hörr, Violoncello, von Anfang an als ebenbürtige Partner auftraten, verblieb Uhlig lange in einem wenig differenzierten Mezzopiano, aus dem er erst nach und nach herausfand. Nehmen wir zu seinen Gunsten an, dass er sich seine Kräfte für die zweite Hälfte des Konzerts aufsparte. Jedenfalls war er bei der Aufführung von Norens Klaviertrio op. 28 ganz präsent und stand hinter den Streichern nicht zurück. Dieses viersätzige Werk ist das genaue Gegenteil der Strauss-Trios: Es handelt sich um monumentale Bekenntnismusik eines reifen Meisters, der alle klassizistischen Spiele hinter sich gelassen hat und eine eine starke Neigung zu „fremden Ländern und Menschen“ an den Tag legt. Hinsichtlich der zeitlichen Dimensionen von einer guten Dreiviertelstunde, wobei der riesige Kopfsatz allein 20 Minuten einnimmt, kann man dieses Trio getrost eine Symphonie für drei Instrumente nennen. Aber auch klanglich zieht Noren alle Register, um der Trioformation maximale Opulenz zu entlocken. Elemente slawischer Musik treten in dem Trio noch deutlich stärker zu Tage als in den Kaleidoskop-Variationen. Der Kopfsatz beginnt mit einem wuchtig einher schreitenden Thema, einem Bild heroischen Trotzes, das in der Durchführung in resignative Introversion gewendet wird. Die Gesangsthemen der Ecksätze und der langsame Satz entfalten jenes breit strömende Melos, das für russische Komponisten dieser Zeit so typisch ist. Das mäßig rasche Scherzo lässt in seiner Frische an Mussorgskij denken. Den langsamen Satz leitet ein Solo des Cellos ein, das eine archaische, schamanische Welt heraufzubeschwören scheint. Das ganze Werk durchziehen harmonisch-instrumentatorische Lichteffekte, die an die russischen Maler des Peredwischniki-Kreises denken lassen, denen ja auch Modest Mussorgskij nahestand. Im Finale, das mit einem flinken, etwas raubeinigen Tanzthema beginnt und dieses später als Fuge durchführt, wird der Farbenrausch schließlich auf die Spitze getrieben. Das ist ein großes, herrliches Werk, von dem man sich fragt, warum es so lange unbeachtet geblieben ist, und dem man sehr gern häufiger im Konzertsaal wieder begegnen möchte. Mit einem starken Plädoyer für einen unterschätzten Meister gingen also die Richard-Strauss-Tage 2024 zu Ende, und man fragt sich bereits, was dieses verdienstvolle Festival wohl im nächsten Jahr bringen wird.
Der folgende Bericht über die Richard-Strauss-Tage in Garmisch-Partenkirchen beschäftigt sich mit vier Konzerten:
8. Juni: Symphoniekonzert (Richard Strauss: Guntram-Vorspiel zum 2. Akt; Heinrich G. Noren: Kaleidoskop; Richard Strauss: Ein Heldenleben), Pilsener Philharmonie, Rémy Ballot
9. Juni: Matinéekonzert (Richard Wagner: Ouvertüre zu Tannhäuser; Richard Strauss: Don Juan, Gesänge op. 51, Träumerei am Kamin aus Intermezzo, Schlussmonolog aus Die schweigsame Frau), Günther Groissböck, Pilsener Philharmonie, Rémy Ballot
9. Juni: Oper (Richard Strauss: Ariadne auf Naxos, konzertante Aufführung), Department für Oper und Musiktheater der Universität Mozarteum Salzburg, Angelika Prokopp Sommerakademie der Wiener Philharmoniker, Kai Röhrig
11. Juni: Kammerkonzert (Klaviertrios von Richard Strauss und Heinrich G. Noren), Phaeton Piano Trio
Am 11. Juni 2024, dem 160. Geburtstag von Richard Strauss, endeten die diesjährigen Richard-Strauss-Tage mit einem Kammerkonzert des Phaeton Piano Trios. Florian Uhlig, Klavier, Friedemann Eichhorn, Violine, und Peter Hörr, Violoncello, spielten sämtliche Werke, die der Jubilar für die Besetzung ihres Ensembles hinterlassen hat: die beiden Klaviertrios, die er als 13-Jähriger Ende 1877 und Anfang 1878 komponierte, und die drei an Vorbilder Couperins angelehnten Tänze, die in der letzten, 1942 uraufgeführten Oper Capriccio als Bühnenmusik dienen. Das Schlusswort erhielt allerdings ein anderer Komponist, der in Folge seiner Parteinahme für Strauss 1908 in einen Urheberrechtsstreit verwickelt wurde, dessen Ergebnis den Strauss-Gegnern zu einem schallenden Lacherfolg verhalf: Heinrich Gottlieb Noren (1861–1928). Norens Musik bildete einen der Schwerpunkte des Festprogramms. Mit dem Klaviertrio d-Moll op. 28, das im abschließenden Kammerkonzert zu hören war, und dem Orchesterwerk Kaleidoskop – Variationen und Doppelfuge über ein eigenes Thema op. 30, das durch die Pilsener Philharmonie unter der Leitung von Rémy Ballot Seite an Seite mit Straussens ihm eng verbundener Tondichtung Ein Heldenleben erklang, gelangten erstmals seit sehr langer Zeit (im Falle des Kaleidoskops seit mehr als einem Jahrhundert) wieder zwei Hauptwerke des Komponisten zur Aufführung.
Bekanntlich wurde in den letzten drei Jahrzehnten eine Vielzahl sogenannter vergessener Komponisten durch CD-Einspielungen, teils in Verbindung mit Konzertaufführungen und Rundfunksendungen, ins Gedächtnis der Musikwelt zurückgerufen – darunter auch zahlreiche Zeitgenossen von Richard Strauss. So haben wir heute wieder eine gute Vorstellung von Künstlerpersönlichkeiten wie Ludwig Thuille, Max von Schillings, Emil Nikolaus von Reznicek und Siegmund von Hausegger, um nur einige besonders wichtige Weggefährten des Garmischer Meisters zu nennen. Auch sein einziger Kompositionsschüler Hermann Bischoff ist durch Aufnahmen seiner Symphonien wieder mehr als nur ein bloßer Name in musikgeschichtlichen Darstellungen. Aber der hervorragenden Arbeit einer Reihe rühriger Musikproduktionen zum Trotz klaffen immer noch große Lücken in unserem Bild von der deutschen Musik des frühen 20. Jahrhunderts. Dass im Jahre 2024 keine einzige Aufnahme eines Werkes von Heinrich G. Noren vorliegt, darf als für diesen Zustand bezeichnend gelten, denn Noren war zu seinen Lebzeiten keineswegs ein Unbekannter. Gut ein Jahrzehnt lang gehörte er gar zu den prominentesten Komponisten seiner Generation im deutschsprachigen Raum. Nachdem er 1907 schlagartig bekannt geworden war, erklangen seine Werke bis zum Ende des Ersten Weltkriegs regelmäßig in deutschen Konzertsälen und wurden auch in anderen europäischen Ländern sowie in den Vereinigten Staaten gespielt (noch 1917, kurz vor dem Kriegseintritt der USA, führte Carl Muck in New York Norens Symphonie Vita auf). Erst in den 1920er Jahren verliert sich diese Erfolgsspur, gewiss zum Teil bedingt durch die neu aufgekommenen, gänzlich anders gearteten Stilrichtungen, aber auch, weil der Komponist – ähnlich wie Hausegger, Schillings und Bischoff – nicht mehr mit neuen großen Werken vor die Öffentlichkeit trat.
Der Verfasser dieser Zeilen war nur in der Absicht nach Garmisch gereist, sich dort als Rezensent zu betätigen. Unerwartet wurde er anderthalb Stunden vor dem Symphoniekonzert von Christoph Schlüren und Frank Harders-Wuthenow, denen die Konzerteinführung oblag, eingeladen, sich an derselben zu beteiligen, da er bereits Nachforschungen in Sachen Noren unternommen habe. Tatsächlich habe ich dies getan, und gern nahm ich die Einladung an. Allerdings bin ich weit davon entfernt ein „Noren-Experte“ zu sein. Was wissen wir eigentlich über Noren? Die Eckdaten seiner Biographie sind bekannt: Er hieß eigentlich Heinrich Suso Johannes Gottlieb und wurde 1861 in Graz als Sohn des Chemikers Johann Gottlieb geboren. Er bildete sich zuerst bei Henri Vieuxtemps in Brüssel, dann bei Lambert Massart in Paris zu einem hervorragenden Geiger aus und kam anschließend weit in Europa herum. Nachdem er als Konzertmeister in Belgien, Spanien, Russland und Deutschland gewirkt hatte, ließ er sich in Krefeld nieder, wo er 1896 ein Konservatorium gründete. Nach einem kurzen Intermezzo in Düsseldorf ging er 1902 ans Stern’sche Konservatorium nach Berlin, 1907 ans Dresdner Konservatorium. 1911 finden wir ihn wieder in Berlin, 1915 schließlich am Tegernsee, zuerst in Rottach-Egern, dann in Kreuth-Oberhof, wo er 1928 starb. Zunächst vor allem als ausführender Musiker und Pädagoge tätig, war der Schüler Friedrich Gernsheims, Ludwig Busslers und Otto Klauwells als Komponist ein Spätentwickler. Erst mit über 30 Jahren trat er mit eigenen Werken öffentlich in Erscheinung.
Über den Menschen Noren ist bislang kaum etwas bekannt. So wissen wir auch nicht, warum sich Heinrich Gottlieb das Pseudonym „Noren“ zulegte und wie er auf diesen Namen kam. Die Angabe im Österreichischen Biographischen Lexikon, er habe seit 1916 „Noren“ geheißen, bezieht sich nicht auf den tatsächlichen Zeitpunkt der Namensänderung, sondern auf deren nachträgliche Legitimierung durch die k.k. Steiermärkische Statthalterei vom 12. November 1916 (siehe MGG2). Nicholas Slonimsky schrieb in Baker’s Biographical Dictionary of Musicians, der Komponist habe den Namen seiner Ehefrau angenommen. Nachweislich war Noren mit einer norwegischen Sängerin namens Signe Giertsen (oder Gjertsen) verheiratet, die noch 1955 in Bergen lebte. Sie findet sich in den Musikzeitschriften der Zeit auch als „Signe Giertsen-Noren“ verzeichnet, allerdings nicht vor 1913. Damals führte ihr Ehemann den Namen bereits seit vielen Jahren. Sie hat diesen also mit der Heirat, die um 1912/13 stattgefunden haben dürfte, von ihm übernommen, nicht umgekehrt. Ob der Komponist zuvor bereits einmal verheiratet war, ist bislang nicht bekannt. Weiterhin ist möglich, dass Heinrich Gottlieb seine Herkunft verschleiert hat, da sein Vater jüdischer Abstammung war (Johann Gottlieb findet sich im Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft 18. bis 20. Jahrhundert verzeichnet). Solange keine intensiveren Forschungen zur Biographie des Komponisten konkrete Ergebnisse zu Tage fördern, bleibt freilich alles in diesem Punkt Spekulation. Auffällig ist jedenfalls, dass er im Laufe der Jahre die Formulierung seines Künstlernamens abwandelte. So taucht der eigentliche Familienname „Gottlieb“ teils als Vorname, teils als Nachname („Gottlieb-Noren“) auf und verschwindet schließlich hinter dem Mittelinitial („Heinrich G. Noren“).
Noren gehörte nicht zum engeren Kreis um Richard Strauss, dennoch war sein Aufstieg zu größerer Bekanntheit eng mit dem Namen des drei Jahre jüngeren Kollegen verbunden. Zu jener Zeit war in der deutschen Musikpresse ein großer Streit um den richtigen Fortschritt in der Musik losgebrochen. Felix Draeseke, der damals wohl angesehenste unter den lebenden deutschen Komponisten der älteren Generation und keineswegs ein Brahmsianer, hatte 1906 unter dem Titel Die Konfusion in der Musik ein Pamphlet veröffentlicht, in welchem er Richard Strauss scharf kritisierte: Der namentlich nicht Genannte, „von Haus aus in ungewöhnlicher Weise für die Musik befähigt, als Schöpfer sehr kühner, aber höchst interessanter Kunstwerke zu bezeichnen“ – Draeseke hatte einst den Don Juan ausdrücklich begrüßt –, sei vom Verismus ergriffen und von diesem dazu getrieben worden, „sich dem Kultus des Häßlichen zu ergeben und der Kunst in bis dahin unerhörter Weise Gewalt anzutun.“ Der Aufsatz löste eine Flut von Artikeln aus, in welchen sich eine Vielzahl namhafter Musiker pro oder contra Strauss äußerte. Die teils mit Witz, teils mit erbitterter Heftigkeit geführte Debatte zog sich über Jahre hin und verlor sich erst mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. (Die wichtigsten Texte erschienen gesammelt in Band 4 der Mitteilungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft: Die Konfusion in der Musik. Felix Draesekes Kampfschrift und ihre Folgen, Bonn: Gudrun Schröder Verlag, 1990.) Strauss selbst betrachtete den Pressekrach mit Gelassenheit und dürfte wohl manches Mal an „Des Helden Widersacher“ aus seiner Tondichtung Ein Heldenleben gedacht haben. Als sich die Kontroverse auf ihrem Höhepunkt befand, gelangten 1907 im Rahmen der Tonkünstlerversammlung des Allgemeinen deutschen Musikvereins in Dresden Norens Kaleidoskop-Variationen zur Uraufführung. Das Werk lässt sich kaum ohne die Vorgeschichte der „Konfusions-Debatte“ denken, da seine letzten beiden Abschnitte überdeutlich darauf anspielen. Noren zitiert (nicht ganz notengetreu, aber deutlich erkennbar) in der letzten Variation, die er ausdrücklich mit der Widmung „An einen berühmten Zeitgenossen“ überschreibt, die Themen des Helden und der Widersacher aus dem Heldenleben. Das Widersacher-Thema wird anschließend zum Ausgangspunkt der Doppelfuge, in welcher das originale Thema der Variationen als Gegensatz wiederkehrt. Kann man das alles anders deuten, als dass Noren dem Strausschen Helden auf dessen Walstatt zu Hilfe eilt und sich den gleichen Widersachern entgegen wirft? Was die Haltung zu letzteren betrifft, zeigt sich Noren optimistischer als Strauss. Besteht im Heldenleben zwischen dem Helden und den Widersachern bis zum Schluss eine unüberbrückbare Kluft – der weltflüchtig Gewordene hört sie von Ferne wieder missgünstig Knurren –, so lässt Noren im Kaleidoskop sein Variationsthema als Choral triumphieren, in den das erste Fugenthema, das seinen Charakter gänzlich gewandelt hat, begleitend einstimmt: Die Widersacher konnten hier offensichtlich zu Unterstützern gemacht werden.
Noren hatte sich für die Zitate aus dem Heldenleben die Genehmigung von Strauss eingeholt. Nichtsdestoweniger wurde er vom Verlag Leuckart, der die Straussche Tondichtung herausgebracht hatte, wegen Verletzung des Urheberrechts angeklagt. Der Prozess vor dem Königlichen Landgericht in Dresden endete 1908 mit einer Niederlage Leuckarts. Noren wurde mit der Begründung freigesprochen, es handle sich bei den beiden zitierten Themen nicht um Melodien, und nur diese seien geschützt. „Die Benutzung von Motiven und Themen fremder Musikstücke bleibt dagegen unter der Voraussetzung künstlerischer Verarbeitung und Neugestaltung nach § 13 Absatz 1 auch weiter freigegeben“, so das Urteil. Im nächsten Jahr erschien eine Faschingsausgabe der Zeitschrift Die Musik, auf deren Titelblatt das Anfangsthema des Heldenlebens mit folgendem Text unterlegt wurde: „Strauss ist ein großes Genie, aber ganz ohne Melodie. O, so hört Franz Lehár an, das ist doch noch ein ganz andrer Mann!“ …
Auch abgesehen vom Wert des Norenschen Variationszyklus als Zeitdokument handelt es sich um ein höchst bemerkenswertes Werk, zumal Noren keineswegs Straussens Stil zu imitieren sucht. So hebt das Thema der Variationen denkbar unstraussisch als eine schlichte Englischhornmelodie in modal getöntem e-Moll an, die ungefähr zwischen einem slawischem Volkslied und einem protestantischen Choral die Mitte hält. Von einem „Thema“ kann eigentlich nur in erweitertem Sinn gesprochen werden, denn der Komponist belässt es nicht bei dieser Melodie, sondern verarbeitet sie imitatorisch und modulierend, sodass ein in sich geschlossenes kurzes Charakterstück entsteht. Die anschließenden Variationen folgen dann nicht der klassischen Praxis, Ausmaße und Form des Themas im wesentlichen beizubehalten, wie dies auch noch Brahms tat, sondern greifen nur seine Motive auf und entwickeln daraus in freier Abwandlung völlig neue Gebilde. „Kaleidoskop“ ist genau der richtige Name für diese Art der Variationskomposition. In den einzelnen Variationen sprüht es nur so vor Einfällen! Noren zeigt sich als ein unbekümmert musikantischer Komponist, dem tänzerische Rhythmen im Blut liegen. Slawisches Temperament tritt immer wieder zutage, nicht nur in der explizit als „Slawischer Tanz“ bezeichneten Variation. Unter Verwendung üppigster nachwagnerischer Harmonik erschafft Noren aus dem Material seines Themas einen kontrastreichen Bilderbogen. Die Ausmaße einiger Variationen gestatten es durchaus, von ihnen als kleinen Tondichtungen zu sprechen, zumal sie charakterisierende Titel tragen, die teils ins Programmmusikalische hinüberspielen („Im Dom“, „Aus fernen Tagen“). Im Gegensatz zu Straussens Don Quixote sind sie aber nicht als Teile einer übergreifenden Handlung gedacht, das Ganze mithin nicht als Programmmusik im engeren Sinne anzusprechen. Die das Werk prägende Tendenz zum Symphonisch-Expansiven – außer in der Schlussfuge besonders spürbar in der „Dom“-Variation und im gewaltig auftrumpfenden zentralen Trauermarsch – zeigt sich auch darin, dass Noren dem Thema eine langsame Einleitung voranstellt, in welcher dessen Motive angedeutet werden, und den die Fuge krönenden Choral in eine leise Coda auslaufen lässt, die mit der Einleitung korrespondiert. Norens Instrumentation steht an Farbenpracht und Brillanz der Strausschen nicht nach. Auffällig ist seine Vorliebe für Schlaginstrumente, die in einigen Abschnitten des Werkes geradezu eine eigenständige Orchesterebene bilden.
Man muss dem künstlerischen Leiter der Richard-Strauss-Tage, Dominik Šedivý, für die Aufnahme dieses Meisterwerkes ins Festprogramm herzlich dankbar sein, wie man überhaupt die kluge Zusammenstellung der Garmischer Konzertprogramme loben muss. Die Koppelung des Kaleidoskops mit dem Heldenleben, die ja aufgrund der thematischen Bezüge auf der Hand liegt, mag aufgrund der Ausdehnung beider Werke und der großen Ansprüche, die sie an die Musiker stellen, in normalen Konzerten schwierig sein. Im Rahmen der Strauss-Tage war sie genau am richtigen Platz. Norens Werk kam dadurch außerdem in den Genuss einer Wiederbelebung in Form einer erstrangigen Aufführung – etwas, das viele großartige Kompositionen, die zuvor lange Zeit nicht gespielt worden sind, leider entbehren mussten und allzuoft noch müssen. Die Pilserner Philharmonie übertraf ihre Leistung vom letzten Jahr, als sie unter Rémy Ballot u. a. den Macbeth spielte, deutlich – und schon damals war das Ergebnis eine hervorragende Aufführung. Dieses Jahr erschien das Orchester allerdings noch um einiges agiler und motivierter – ideale Bedingungen also für einen so umsichtigen Gestalter wie Ballot, die großen Werke von Strauss und Noren – am 8. Juni im Festsaal Werdenfels des Kongresshauses Garmisch-Partenkirchen – zum Klingen zu bringen.
Als der Zwölftonkomponist Joseph Matthias Hauer einmal anmerkte, Beethoven habe doch sein Leben lang nur Kadenzen geschrieben, konterte Wilhelm Furtwängler: „Ja, aber was für Kadenzen!“ Rémy Ballots Aufführung des Heldenlebens machte erlebbar, „was für Kadenzen“ Richard Strauss geschrieben hat. Strauss macht es mit seiner Liebe zum Ornament, mit seinen durch alle Orchestergruppen flutenden Klangwogen, mit einem Notenbild, von dem sich Ferruccio Busoni einst an den New Yorker Straßenverkehr erinnert fühlte, den Dirigenten oft nicht leicht, in seinen Werken die roten Fäden zu finden. Freilich, diese sind da, und wenn sie erfasst und zur Geltung gebracht werden, dann zeigt sich, dass Strauss eben mehr war als bloß ein brillanter Orchestrationsvirtuose und dass in seinen Stücken die polyphone Kunst mannigfaltig blüht. Rémy Ballot hat als Bruckner-Dirigent hinreichend bewiesen, dass er weitestgespannte musikalische Verläufe zu realisieren in der Lage ist (siehe seinen kürzlich bei Gramola herausgekommenen Bruckner-Zyklus aus St. Florian). Er versteht es, den Musikern zu vermitteln, welche Bedeutung ihre Stimme im Zusammenhang des Ganzen besitzt. So vermag er auch, als wäre es das Selbstverständlichste, in der ganz anders gearteten Musik Straussens, jeden Winkel auszuleuchten. Wo es bei manch anderem Dirigenten nur blitzt und blendet, findet er Gegenstimmen, Kontrapunkte, Feinheiten des Tonsatzes und lässt diese in Interaktion miteinander geraten. So wird das Gefälle der Harmonien zum Erlebnis, die symphonische Handlung entsteht wie von selbst daraus – „Des Helden Walstatt“ ist kein konfuses Geplänkel und kein Schlagzeugkonzert, sondern Musikdrama im schönsten Sinne – und man kann mit Furtwängler feststellen: „Was für Kadenzen!“ Nirgendwo wurde das deutlicher als in jenem Abschnitt, bei dem ich mich nie ganz des Gedankens erwehren kann, Strauss habe ihn geschrieben, um die Geduld seiner Hörer zu testen, nämlich dem lang ausgesponnenen Dialog zwischen Solovioline und Orchester zu Beginn von „Des Helden Gefährtin“, welcher durch Ballots Weitsicht – und die hervorragende Leistung der Pilsener Konzertmeisterin – auffallend kurzweilig geriet. Den beiden großen Werken des Abends war, gleichsam als Ouvertüre, das Vorspiel zum zweiten Akt der Strausschen Erstlingsoper Guntram vorangestellt. Angesichts solch prächtiger Musik, wie sie in diesem knappen, schwungvollen Stück enthalten ist, würde es sich gewiss lohnen, den selten aufgeführten Guntram einmal wieder in Gänze vorzustellen – gern auch konzertant.
Das Matineekonzert der Richard-Strauss-Tage, das am Tag nach dem Symphoniekonzert dem festlichen Empfang des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst vorangeht, litt im letzten Jahr an einer zu kurzen Probenzeit, sodass es die Höhe des damaligen Symphoniekonzerts nicht halten konnte. Umso erfreulicher gestaltete sich dagegen die diesjährige Matinee, denn das Orchester war, gewiss vom Erfolg am Abend zuvor noch zusätzlich bestärkt, bestens disponiert. Das Programm umfasste ausschließlich Kompositionen, in denen Liebesbeziehungen thematisiert werden, meist ohne glücklichen Ausgang: Richard Wagner hat den Gegensatz zwischen irdischer und himmlischer Liebe, der seiner Oper Tannhäuser zugrunde liegt, bereits im Aufbau der Ouvertüre zum Ausdruck gebracht; Strauss schickt in seiner Tondichtung Don Juan den Titelhelden von einem Liebesabenteuer zum anderen, bevor er ihn zum Schluss ausgebrannt zusammenbrechen lässt; die Texte seiner Zwei Gesänge op. 51 handeln vom Verlust der Liebe; in den beiden Opern Intermezzo und Die Schweigsame Frau, aus welchen Auszüge zu hören waren, kommen Komplikationen des ehelichen Zusammenlebens zur Sprache.
An den Darbietungen der Tannhäuser-Ouvertüre und des Don Juan fesselte ungemein, wie zwanglos sich das musikalische Geschehen entfaltete. Das hymnische Thema zu Beginn der Ouvertüre erklang sehr sorgsam phrasiert. Die harmonischen Schwer- und Leichtpunkte der Melodie wurden von den Musikern wirklich empfunden, sodass die Musik in ein ganz natürliches Ein- und Ausatmen geriet. Willkürliche Zergliederung konnte dadurch genauso wenig aufkommen wie übertriebene Theatralik. Hier wurden keine Posen eingenommen, sondern es wurde Musik innig erlebt und beseelt wiedergegeben. Noch deutlicher als anhand der Werke Straussens und Norens zeigte sich bei Wagners breiten Melodiebögen, dass Rémy Ballot ein Musiker ist, der aus tiefster innerer Ruhe heraus schafft und gerade deswegen fähig ist, die Musik sich so großartig steigern zu lassen und ihren Verlauf so sicher auf den Punkt gebracht zu gestalten. Eben deshalb wirkte auch Don Juan so ungeheuer profund. Das lebhafte Gebärdenspiel, das dieses kapriziöse Werk auszeichnet, hatte nichts Oberflächliches oder Erzwungenes an sich, sondern klang wie frei vom Herzen weg gesprochen, als ganz selbstverständlicher Ausdruck einer extravertiert-sinnenfreudig disponierten Persönlichkeit. Die Extreme, in die sich Straussens Held stürzt, kommen nicht zu kurz. Dass er das Schwelgen liebt und das Abenteuer sucht, glaubt man ihm in jeder Note. Ballots sicherer Überblick über das Geschehen verhinderte alles Übereilen, das vorzeitige Verschießen des Pulvers. Auch behielt die Musik in den langsamen Abschnitten durchweg ihren Fluss, verlor sich nirgends im bloß Momenthaften. Das feine Auskosten der Einzelheiten, ebenso wie der überlegte Aufbau der Steigerungen förderten dabei eine Vornehmheit zutage, wie sie sich bei weniger guten Aufführungen des Stückes schlicht nicht einstellt. Ballot fand den inneren Adel der Musik, sodass man tatsächlich Don Juan agieren hörte.
In den Gesängen op. 51 trat der Bassbariton Günther Groissböck zum Orchester hinzu. Beide Stücke sind in Zwielicht getaucht: Das Thal bietet vordergründig eine Idylle (mit Alphorn-Anklängen), über die sich aber immer wieder Schatten lagern, dagegen herrscht in Der Einsame Dunkelheit vor, in welche wiederholt Lichtstrahlen durchbrechen. Groissböcks ließ seine Stimme schwer und dunkel klingen, was sehr gut zum Charakter der Stücke passte. Die fein abgestuften Farbenspiele in Harmonik und Instrumentation kamen durch Ballots Dirigat wunderbar zur Geltung. Seine sorgsame Ausrichtung der Entwicklung auf den jeweiligen Höhepunkt hin, ließ deutlich werden, dass die beiden Lieder nicht nur bloße Stimmungsbilder, sondern symphonische Dichtungen im Kleinen sind. Dasselbe lässt sich auch vom Orchesterzwischenspiel Träumerei am Kamin aus der Oper Intermezzo sagen, einem beinahe kammermusikalisch anmutenden Stück, das hier in seiner ganzen raffiniert polyphonen Zartheit erblühen konnte. Das Schlusswort der Matinee gehörte Günther Groissböck, der für den Monolog des Sir Morosus, der Die Schweigsame Frau beschließt, deutlich sanftere Töne fand als für die beiden Gesänge. Die darin enthaltenen Worte „Wie schön ist doch die Musik, aber wie schön erst, wenn sie vorbei ist!“ möchte ich für das dargebotene Konzert jedenfalls nicht unterschreiben.
[Korrektur: Im obigen Text wird als Quelle zu Norens Namensänderung die MGG2 genannt. Dies geschah in der Annahme, es finde sich dort ein Artikel über den Komponisten, da die Online-Ausgabe des Lexikons einen solchen enthält. Tatsächlich wird Noren in der ersten Auflage der MGG noch mit einem Artikel bedacht (dieser steht im Netz), die MGG2 erwähnt ihn dagegen nicht mehr. NF Schuck]
Als Erster Vorsitzender der Internationalen Draeseke-Gesellschaft ist es mir eine Freude, auf drei in den kommenden Wochen anstehende Konzerte hinweisen zu können, die entweder von der Gesellschaft selbst veranstaltet werden oder unter ihrer Mitwirkung zustande gekommen sind:
Konzert im Rahmen der 38. Mitgliederversammlung der IDG
Bad Rodach, 23. Juni, 11 Uhr, Jagdschloss (Eintritt frei, um Spenden wird gebeten)
Haruka Izawa, Klavier
Felix Draeseke (1835–1913): Hold Gedenken aus Fata Morgana op. 13
Robert Schumann (1810–1856): Klaviersonate Nr. 2 g-moll op.22
Franz Schubert (1797–1828): Klaviersonate Nr. 21 B-Dur D 960
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„Tanz durch Europa“
Heiligenberg (Bodenseekreis), 29. Juni, 19 Uhr, Schloss am Sennhof
Aris Alexander Blettenberg, Klavier
Johann Sebastian Bach (1685–1750): Französische Suite Nr. 5 BWV 816
Ludwig van Beethoven (1770–1827): Sechs Ecossaisen WoO 83
Franz Schubert (1797–1828): Grazer Galopp D 925
Felix Draeseke (1835–1913): Phantasiestück in Walzerform op. 3 Nr. 1
Felix Draeseke: Valse-Scherzo aus der Klaviersonate op. 6
Franz Liszt (1811–1886): Ungarische Rhapsodie Nr. 7 S. 244
Isaac Albéniz (1860–1909): Asturias
Aris Alexander Blettenberg (*1994): Drei Griechische Tänze
Edvard Grieg (1843–1907): Norwegischer Tanz Op. 35 Nr. 2
Béla Bartók (1881–1945): Rumänische Volkstänze Sz 56
Bedrich Smetana (1824–1884): Erinnerung an Pilsen
Frédéric Chopin (1810–1849): Polonaise op. 53
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The Art is in All of Us – Konzert zur Jubiläumsausstellung 200 Jahre Kunstverein Coburg
Coburg, 5. Juli, 19 Uhr, Pavillon des Kunstvereins
Haruka Izawa, Klavier
Franz Schubert (1797–1828) / Franz Liszt (1811–1886): Sei mir gegrüßt; Du bist die Ruh Robert Schumann (1810–1856): Klaviersonate Nr. 2 g-Moll op. 22 Franz Schubert: Klaviersonate Nr. 21 B-Dur D 960
Die Eröffnung der Ausstellung am 6. Juli, 16 Uhr, im Pavillon des Kunstvereins wird von Haruka Izawa mit Klavierstücken von Felix Mendelssohn Bartholdy und Felix Draeseke umrahmt.
Anlässlich des 25. Todestages von Max Baumann veranstaltet die Kronacher Kulturförderung e. V. am 17. Mai 2024 um 19:30 im Kreiskulturraum Kronach ein Konzert zu Ehren des 1917 in Kronach geborenen Komponisten.
Die Hofer Symphoniker präsentieren unter der Leitung von Manuel Grund ein Programm, das neben Baumann einen weiteren Komponisten aus dem fränkischen Kulturraum in den Fokus rückt: Felix Draeseke. Von Richard Wagner entscheidend geprägt, gegen Ende seines Lebens in Opposition zu Richard Strauss geraten, war Draeseke eine herausragende Figur der sogenannten Neudeutschen Schule. Sein erst lange nach seinem Tod uraufgeführtes Symphonisches Andante für Violoncello und Orchester, entstanden an einem biographischen und künstlerischen Wendepunkt in Draesekes Leben und vermutlich ein autobiographisches Dokument, wird hier vom Vorspiel zu Wagners Lohengrin und der frühen Violoncello-Romanze des damals noch ganz im Fahrwasser der Klassiker segelnden Strauss umrahmt. Als Solist in den Werken von Draeseke und Strauss wird Jörg Ulrich Krah zu hören sein.
Max Baumann, Schüler Boris Blachers und seit 1946 als Musikpädagoge in Berlin tätig, wurde vor allem durch seine geistliche Musik bekannt, hinterließ allerdings ein Gesamtwerk, das von vokalen und instrumentalen Miniaturen bis zu Oratorien und Opern unterschiedlichste Gattungen umfasst. Seine Symphonie Nr. 1 op. 14 gehört zu seinen wichtigsten frühen Arbeiten und ist zugleich sein erstes größeres Orchesterwerk. Mit ihr auf dem Programm des Abends steht als Uraufführung ein Werk, dessen Autor und Titel noch nicht bekannt gegeben wurden: die Preisträger-Komposition des Max-Baumann-Kompositionswettbewerbs, welche als Variationen über ein Thema aus Baumanns Drei Radierungen op. 58 zu gestalten war.
[Norbert Florian Schuck, Mai 2024]
Hinweisung zur Transparenz: Der Autor obenstehender Zeilen ist Erster Vorsitzender der Internationalen Draeseke-Gesellschaft, welche das erwähnte Konzert finanziell unterstützt.
Das Franz Schmidt-Sinfonieorchester spielte am 14. April 2024 in der Pfarrkirche St. Augustin in Perchtoldsdorf unter der Leitung von Anthony Jenner ein Franz Schmidt gewidmetes Programm mit Werken verschiedener Besetzungen. An der Franz-Schmidt-Orgel der Pfarrkirche und am originalen Flügel des Komponisten war Stefan Donner zu hören.
Das musikalische Österreich hat 2024 einige Gründe zu festlichen Jubiläumsveranstaltungen, denn ins laufende Jahr fallen die runden Gedenktage gleich mehrerer herausragender österreichischer Komponisten. Am meisten präsent ist dabei Anton Bruckner, dessen Geburtstag sich im September zum 200. Male jähren wird. (Siehe dazu auch unseren Bericht über die Bruckner-Ausstellung der Österreichischen Nationalbibliothek.) Nicht lange danach steht der 150. Geburtstag Arnold Schönbergs an, und im November der 50. Todestag von Egon Wellesz.
Ein nicht minder wichtiges Jubiläum ist der 150. Geburtstag Franz Schmidts am 22. Dezember 2024. Der im heutigen Bratislava geborene Komponist der Notre Dame und des Buchs mit sieben Siegeln lebte von 1888 bis 1926 in Wien, danach in der südwestlich angrenzenden Marktgemeinde Perchtoldsdorf, wo er 1939 gestorben ist. Was das diesjährige Gedenken an den Meister betrifft, so hat der Vorort die Hauptstadt in den Schatten gestellt: Seit Ende Februar wird in Perchtoldsdorf mit einer Konzertreihe an Schmidt erinnert, die sich bis zur Feier seines Geburtstags im Dezember auf insgesamt zwölf Veranstaltungen erstrecken wird. Durchgeführt werden sie von der Perchtoldsdorfer Franz-Schmidt-Musikschule, die nicht nur durch ihren Namen und die Pflege seiner Werke an den Komponisten erinnert, sondern auch durch ihre Innenausstattung: In den Direktionsräumen steht normalerweise neben originalen Möbelstücken aus Schmidts letzter Wohnung, darunter Schränken, in welchen Partituren, Bücher und andere Gegenstände aus seinem persönlichen Besitz verwahrt werden, auch der Bösendorfer-Flügel, auf dem der Meister daheim zu Musizieren pflegte. Wer jedoch am 14. April 2024 die Musikschule betrat, fand das Klavier nicht an seiner üblichen Stelle: Man hatte es in die nahegelegene Pfarrkirche St. Augustin gebracht. In dieser Kirche, die sich burgenartig über den Marktplatz der Gemeinde erhebt, ereignete sich am Abend desselben Tages das zweite Konzert des Perchtoldsdorfer Schmidt-Zyklus.
Unter dem Motto Die musikalische Welt von Franz Schmidt präsentierte das Franz Schmidt-Sinfonieorchester unter Leitung des Regenschori der Pfarrkirche, Anthony Jenner, gemeinsam mit dem Organisten und Pianisten Stefan Donner ein Programm, das Schmidts künstlerische Vielseitigkeit verdeutlichte. Das Konzert begann mit einer Hommage des Komponisten an seine ungarischen Wurzeln, den Variationen über ein Husarenlied. Gespielt wurde nicht das komplette Orchesterwerk, sondern eine Kurzfassung, in welcher, gewiss aus Rücksicht auf das zu einem großen Teil aus Musikschülern und Laienmusikern bestehende Orchester, die ausgedehnte langsame Einleitung des Werkes und einige der Variationen fortgelassen wurden. Weiter ging es mit dem großen Orgelkomponisten, von dem Stefan Donner auf der Franz-Schmidt-Orgel der Pfarrkirche zwei Stücke zu Gehör brachte: die Toccata C-Dur und das G-Dur-Präludium aus den Vier kleinen Präludien und Fugen. Der Organist wählte deutlich kontrastierende Registrierungen für die charakterlich sehr verschiedenen Stücke. Klang die Toccata hell, strahlend und durchdringend, so war das ruhige Präludium in dezente, warme Klangfarben gehüllt. Loben muss man Donners Tempogestaltung in der Toccata. Er spielte sehr gebunden und wählte ein relativ gemessenes Zeitmaß, das es ihm ermöglichte, die harmonischen Ereignisse, die sich in der gleichmäßig strömenden Sechzehntelbewegung des Stückes verbergen, adäquat zur Geltung zu bringen. Eine großartige Aufführung!
In der Mitte des Programms stand ein heiteres Gelegenheitswerk, mit dem Schmidt all jenen einen Haken schlägt, die ihn allein auf den tiefgründigen Harmoniker, strengen Kontrapunktiker und schwerblütigen Introvertierten festnageln wollen: Vermutlich in den späten 1900er Jahren während eines Ferienaufenthalts für das Familienensemble seines Freundes Alexander Wunderer entstanden, zeigt die Tullnerbacher Blasmusik den Künstler von einer unbeschwerten, volkstümlichen Seite. Grundlage dieses kleinen dreisätzigen Werkes sind österreichische Heimatmelodien. Schmidt hat aus ihnen ein Lied, einen Ländler und einen Marsch zusammengestellt und effektvoll für Bläser und Schlagzeug gesetzt.
Wolfgang Amadé Mozarts Rondo für Klavier und Orchester A-Dur KV 386 war der Grund für die Überführung des Schmidtschen Bösendorfer-Flügels in die St. Augustinskirche. Diese lange Zeit nur in fragmentarischer Gestalt bekannte Komposition Mozarts wurde 1936 von Alfred Einstein rekonstruiert und herausgegeben. Franz Schmidt war der Pianist, der das Werk am 12. Februar 1936 gemeinsam mit den Wiener Symphonikern unter Oswald Kabasta erstmals wieder an die Öffentlichkeit brachte. Die Aufführung wurde von Radio Wien mitgeschnitten und bis nach Amerika übertragen. In Perchtoldsdorf kam es also auf Schmidts eigenem Bösendorfer zu Gehör, gespielt von Stefan Donner, der allerdings an der Orgel mehr in seinem Element zu sein scheint als am Klavier.
Zum Beschluss war Donner wieder an der Orgel zu hören, als er gemeinsam mit dem Orchester Schmidts gewaltige, halbstündige Chaconne cis-Moll aufführte. Das Werk liegt vom Komponisten selbst in zwei Fassungen vor: als Orgelstück und als nach d-Moll transponiertes Orchesterwerk. Dirigent Anthony Jenner hatte anlässlich des Konzerts beide Versionen miteinander kombiniert, wobei er die lange, durch vier Kirchentöne wandernde Variationenreihe sehr geschickt auf die zwei Klangkörper verteilte (die ursprüngliche Tonart cis-Moll wurde beibehalten). Einige Variationen spielt nur die Orgel, andere nur das Orchester. Manche werden von beiden vorgetragen. Was die Leistung des Orchesters in diesem Werk wie in den Husarenlied-Variationen betrifft, so will ich die Probleme, die sich bei der Bewältigung der ungemein schwierigen Aufgaben einstellten, gar nicht schwer ins Gewicht fallen lassen. Ja, es zeigten sich immer wieder einmal Intonationsschwächen, und ja, in der Chaconne verunglückte eine der Variationen zu einer undurchsichtigen, dunklen Klangwolke. Aber im Großen und Ganzen schlugen sich die Orchestermusiker mehr als wacker und begeisterten durch die Disziplin und den Enthusiasmus, mit denen sie zu Werke gingen! Anthony Jenner muss man als einen wahren Meister der Orchesterarbeit bezeichnen, anders ist ein solches Resultat nicht zu erklären. Jenner, ein in der Zeichengebung sparsamer und präziser Dirigent, bei dem jede Bewegung ihre Ursache hat, hetzte seine Spieler nie, sondern setzte auf sorgfältige Artikulation und auf spannungsvolle Ausgestaltung der melodischen Bögen. Die einzelnen Orchestergruppen interagierten gut aufeinander eingespielt, und alle schienen eine klare Vorstellung von der Bedeutung ihrer Stimmen zu haben. Ja, in der einfach gehaltenen Tullnerbacher Blasmusik, die den Ausführenden keine solchen Hürden in den Weg legt wie die polyphonen, chromatischen Orchesterwerke, stimmte uneingeschränkt alles, sodass die Aufführung dieses Werkes als die herausragende Ensembledarbietung des Abends erschien. Dennoch gebührt den Mitgliedern des Orchesters für den Mut, sich an die Variationen und die Chaconne zu wagen, und für das allen Schwächen zum Trotz letztlich gelungene Ergebnis ein vielleicht noch größerer Respekt.
Auf jeden Fall war dieses Konzert ein Triumph für das musikalische Perchtoldsdorf! Auf die weiteren Veranstaltungen der Marktgemeinde zum Franz-Schmidt-Jubiläum kann man jedenfalls gespannt sein. Namentlich den Wienern sei empfohlen, im Auge zu behalten, was sich im Nachbarort in Sachen Schmidt tut.
Mit Helmut Hofmann hat sich ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerter Musiker vom Konzertpodium verabschiedet. Ein würdigerer Beschluss seiner Pianistenlaufbahn als jene Aufführung der Winterreise im Saal der Musikschule von St. Andrä-Wördern, die Hofmann gemeinsam mit dem Bariton Günter Haumer am 13. April 2024 ins Werk setzte, ließe sich schwerlich denken, kam doch mit Franz Schubert derjenige Komponist zu Wort, dessen Schaffen seit einem Vierteljahrhundert im Zentrum der musikwissenschaftlichen Arbeit Hofmanns steht.
Der 1934 geborene Helmut Hofmann ist ein Mann mit vielen Talenten und Interessen. An der Wiener Musikakademie von einer Reihe bedeutender Lehrer – darunter Alfred Uhl, Otto Schulhof, Erwin Ratz und Josef Mertin – umfassend ausgebildet, entschied er sich nicht für die Musik als Brotberuf, sondern wurde Jurist und arbeitete im Bankenwesen. Auch war er lange Jahre als Sportfunktionär in der Wiener Leichtathletik tätig. Als Pianist gab er Konzerte in seiner österreichischen Heimat, außerdem in Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz und Italien. 2001 erschien sein Buch Franz Schubert: Das Zeitmaß in seinem Klavierwerk in der Edition Text+Kritik als Band 114 der Reihe Musik-Konzepte.
Wer sich in St. Andrä-Wördern – einige Kilometer donauaufwärts von Wien – eingefunden hatte, konnte sich nicht nur davon überzeugen, wie tief Hofmann in Schuberts Liedschaffen eingedrungen ist, sondern auch, mit welchem Feingefühl er die Rolle des Begleiters ausfüllt. Günter Hauners kraftvolle, lyrische Baritonstimme stand durchweg im Zentrum des Geschehens. Nie hatte man das Gefühl, der Pianist nehme sich gegenüber seinem Sänger mehr als eine begleitende Funktion heraus. Hofmann versteht es, präsent zu bleiben, ohne zu forcieren. Er bildet immer „nur“ den Hintergrund für den Gesang, aber in diesem Hintergrund ist, ohne sich aufzudrängen, alles da, was zu hören sein muss. Wie schön bewahrheitet sich in dieser Wiedergabe Donald Toveys auf Schubert gemünztes Wort, dass ein guter Kontrapunktiker einer ist, der gute Bässe schreibt! Die Dialoge des Klaviers mit der Singstimme kommen ebenso trefflich zur Geltung wie die Dialoge innerhalb des Klaviersatzes. Auch wie Hofmann den Anschlag variiert, muß man loben. So gelingen ihm nicht nur starke Kontraste wie im Frühlingstraum oder zwischen den beiden vorletzten Liedern Mut (sehr hart) und Die Nebensonnen (sanft, aber völlig unsentimental), sondern auch Darstellungen seltsamer Mischzustände, wie sie der Dichter Wilhelm Müller durch die Gegenüberstellung flüssigen und gefrorenen Wassers andeutet. In Gefrorene Tränen und Auf dem Flusse meint man tatsächlich, inneren Erstarrungsprozessen zuzuhören. Die Musik klingt hier kantig, widerspenstig, und verliert doch nicht einen Rest von Leichtigkeit, der sie weiter fließen lässt.
Feinsinnig und mit echter Hingabe führen Haumer und Hofmann durch die Abgründe dieses düstersten Werkes der Liedliteratur. Nach Verklingen der letzten Töne des Leiermanns verriet ein Moment der Stille deutlich die Ergriffenheit der Zuhörer, bevor sie den Künstlern ihren verdienten Applaus zu Teil werden ließen.
Wenn Helmut Hofmann sich nun vom Konzertpodium zurückzieht, so wünscht man ihm umso mehr ein gutes Vorankommen bei seinen wissenschaftlichen Forschungen. Eine groß angelegte Studie über die Interpretation der Schubertschen Instrumentalmusik, Frucht 20-jähriger Arbeit, steht, wie man dem Programmheft des Liederabends entnimmt, kurz vor ihrer Vollendung.
Am 22. März 2024 beendete Beth Levin mit einem Konzert im Bank Austria Salon des Alten Rathauses zu Wien ihre Mitteleuropa-Tournee, die sie am 12. des Monats nach Berlin und am 19. nach München geführt hatte (zum Berliner Konzert siehe den Bericht von Sara Blatt). Das Programm war in Wien dasselbe wie bei den Auftritten in Deutschland. Es begann mit Wolfgang Amadé Mozarts Sonate a-Moll KV 310 und endete mit Franz Schuberts Sonate G-Dur D 894. Ähnlich wie auf den Alben, die die Pianistin für Aldilà Records (Inward Voice, Hammerklavier live) und Navona Records (Personae, Bright Circle) eingespielt hat, kombinierte sie eine Repertoire-Erweiterung mit den beiden Klassikern. Allerdings handelte es sich dieses Mal – anders als bei den auf den genannten CDs zu hörenden Werken von Anders Eliasson und David Del Tredici – nicht um zeitgenössische Musik, sondern um ein lange verschollenes, erst vor kurzer Zeit wiederentdecktes Werk: Die Fünf Klavierstücke op. 21 von Heinz Tiessen entstanden 1915 und wurden im folgenden Jahr durch Tiessens Schüler Eduard Erdmann erstmals öffentlich gespielt. Was dann mit ihnen geschah, ist unklar. Wahrscheinlich verschwand das Manuskript durch unglückliche Umstände aus dem Gesichtskreis des Komponisten, sodass er annehmen musste, es sei verloren. Er vergab die Opuszahl 21 neu und wies sie dem Rondo G-Dur, der Orchesterfassung des Finales seines Amsel-Septetts op. 20, zu. Nur Die Amsel, das vierte Stück des ursprünglichen op. 21, tauchte noch einmal auf: 1923 erschien als Nr. 2 der Drei Klavierstücke op. 31 eine Neufassung, die sich so deutlich von der ursprünglichen Gestalt unterscheidet, dass man geneigt ist, eine Rekonstruktion aus dem Gedächtnis anzunehmen. Letztlich kamen die Klavierstücke op. 21 im Jahr 2019 wieder zum Vorschein. Der Sammler und Verleger Tobias Bröker hatte das Manuskript aus einem Nachlass erworben, es mit einem Notenschreibprogramm transkribiert und auf seiner Internet-Seite zum kostenlosen Herunterladen bereitgestellt.
Aufbauend auf der Harmonik des mittleren Richard Strauss und des frühen Arnold Schönberg fand Heinz Tiessen in den 1910er Jahren zu einem expressiven Kompositionsstil, der sich weitgehend abseits herkömmlicher Kadenzformeln bewegt, jedoch an der Tonalität als Zusammenhang stiftendem Grundgestaltungsmittel konsequent festhält. Die Klavierstücke op. 21 gehören zu den ersten Werken des Komponisten, in denen diese Ausdrucksweise zu voller Reife entwickelt erscheint. Hinter dem neutralen Titel verbirgt sich eine Satzfolge, deren einzelne Nummern durchaus als zusammengehörige Teile eines Ganzen erscheinen. Der erste Satz ist entsprechend als „Vorspiel“, der letzte als „Finale“ bezeichnet. Mit seinen wuchtigen Eingangs- und Schlussakkorden und den registerartigen Klangabstufungen wirkt das Vorspiel wie ein Orgelpräludium. Die an zweiter Stelle stehend Elegie und das ihr folgende Intermezzo sind bei langsamem Grundtempo von wellenartigen Bewegungen durchzogen. Die Harmonien flackern unruhig wie Mondlicht auf nächtlichem Meere. Anzunehmen, dass der gebürtige Königsberger Tiessen bei der Komposition dieser Stücke an die Ostsee dachte, erscheint nicht abwegig, da er in seiner kurz zuvor entstandenen Natur-Trilogie op. 18, einer dreisätzigen Tondichtung für Klavier, ganz ähnliche Stimmungen in Töne gefasst hat. Im vierten Stück, der bereits erwähnten Amsel, verarbeitet der Komponist originale Amselrufe zu einer schalkhaften, kapriziösen Musik, die sich deutlich von der Schwerblütigkeit der ersten drei Stücke abhebt. Das Finale ist der ausgedehnteste Satz des Werkes. Die Vortragsanweisung „Leidenschaftlich bewegt“ bedeutet nicht zwangsläufig „schnell“. Es ist kein agiles Finale nach Art klassischer Sonaten, sondern gleicht in seinem Duktus, wie auch im zweimaligen Wechsel emphatisch aufbrausender mit bedächtiger, ruhigerer Musik einer Rede in Tönen. Bekenntnishaft schließt sie im dreifachen Forte.
Eduard Erdmann hat einst das Klavier eine „unmögliche Maschine“ genannt, „zusammengesetzt aus Elfenbein, Holz, Filz, Draht und Stahl“, auf der „kein echtes Legato, kein Gesang“ möglich sei. Es gehört zu jenen Instrumenten, deren Klangerzeugung derjenigen der menschlichen Stimme am wenigsten verwandt ist. Mithin fordert es den Spieler durch seine Beschaffenheit dazu heraus, den Klang durch sein Spiel zu transzendieren, im wahrsten Sinne des Wortes „übersteigend“ zu musizieren. Die deklamatorische Melodik der Stücke Tiessens verlangt nach einen langem Atem, ihr orchestral anmutender Tonsatz nach einer feinen Abstufung der Tongebung. Um die Harmonik mit ihren alterierten Akkorden und abrupten Gegenüberstellungen entfernt verwandter Klänge adäquat darzustellen, braucht es einen wachen Sinn für tonale Beziehungen im Großen wie im Kleinen. Die Musik verlangt mithin nach Kantabilität, Farbigkeit und Spannung. Beth Levin ist definitiv die richtige Musikerin, den Stücken dazu zu verhelfen und ihnen neues Leben einzuhauchen.
Levins Spiel besitzt generell einen Zug ins Große, nicht nur hinsichtlich der tendenziell eher breiten Tempi, sondern auch im Bezug auf den Klangfarbenreichtum, den sie hervorzubringen in der Lage ist. Die „unmögliche Maschine“ verwandelt sich unter ihren Händen tatsächlich dergestalt, dass man von einem imaginären Orchester oder Chor sprechen möchte – und, mit Robert Schumann, von den Klavierstücken als „verschleierten Symphonien“. Es ist, als würde der mechanische Aspekt des Klavierspiels – das Ingangsetzen einer Hebel- und Hammerschlagapparatur durch das Drücken von Tasten – gänzlich aus dem Sinn geraten, als entstünde der Klang ganz direkt, wie aus einer menschlichen Kehle. Die Töne, die Beth Levin dem Klavier entlockt, haben die Präsenz scharf profilierter Charaktere, denen gegenüber man gar nicht anders kann als aufmerksam zu lauschen, gebannt von ihrer Persönlichkeit. So spielen heißt wahrlich auf dem Klavier singen!
Davon profitiert nicht nur das seit mehreren Generationen ungehörte Werk Tiessens. Auch Mozart und Schubert erklingen hier in einer Intensität, wie man sie selten zu hören bekommt. Mozarts a-Moll-Sonate entwickelt eine dämonische Energie sondergleichen, die alle Überlegungen, ob ein solches Spiel auch „historisch korrekt“ sei, gegenstandslos macht. Levin wirft die Frage, ob man sich in solch hemmende Gedanken begeben sollte oder nicht, gar nicht erst auf, sondern widmet sich hingebungsvoll der Darstellung der scharfen Kontraste, die das Stück durchziehen. Nicht weniger imponiert die tiefe Ruhe, aus der heraus sie Schuberts große G-Dur-Sonate sich entfalten lässt, um dann in der Durchführung des ersten Satzes ein zerklüftetes Hochgebirge aus Klängen zu errichten. Die abgründigen, tieftraurigen Seiten dieser Musik, verdeutlicht in abrupten Wechseln der harmonischen Richtung oder des Tongeschlechts, bringt sie trefflich zur Geltung, aber auch Schuberts musikantisches Element kommt nicht zu kurz. Im Finale der Sonate hört man gelegentlich die Gitarre durch, andere Abschnitte dieses Satzes klingen durch fein gegeneinander abgesetzte Außen- und Mittelstimmen wie Kammermusik.
Levins Tempi mögen verhältnismäßig langsam sein, aber es handelt sich nicht um Langsamkeit um der Langsamkeit willen, sondern um kluge Disposition: Die Pianistin will nach Möglichkeit alle klingenden Phänomene zur Geltung bringen und lässt sich folglich etwas mehr Zeit. Man merkt: Jeder einzelne Moment im Verlauf einer Komposition ist ihr wichtig, nichts soll unterbelichtet bleiben, alles genau so dargestellt werden, wie es seiner Funktion im Zusammenhang des Ganzen entspricht. Die Versenkung in die Feinheiten der Musik führt mitunter zu deutlich spürbaren Temposchwankungen. Aber auch diese wirken nicht willkürlich, sondern entstehen durch intensives Erleben der Harmonik während des Spiels. Levin musiziert mit einem Wagemut, der an Wilhelm Furtwängler erinnert – auch er ein Musiker, der sich vom Moment mitreißen lassen konnte und doch stets die Übersicht behielt. Wie im Falle des großen Dirigenten haben Beth Levins Beschleunigungen und Verlangsamungen immer ihre Grundlage in der musikalischen Struktur. Stets weiß die Pianistin, wohin sie will, welche Richtung die Musik nimmt. Alles folgt aufeinander in bezwingender Logik. Darum sind ihre breiten Tempi auch viel spannungsvoller als die rascheren mancher ihrer Kollegen. Zu ihrer Dynamik ist noch hinzuzufügen, dass sie laute Stellen wirklich liebt, denn diese klingen bei ihr nie grobschlächtig lärmend. Im Gegenteil wendet sie auf dieselben die gleiche Sorgfalt an wie auf die leisen, vernachlässigt auch bei höchster physischer Kraftentfaltung die Phrasierung nicht und lässt es selbst im härtesten Marcato nicht am Sinn für vokale Linearität fehlen. Gerade an solchen Stellen wird deutlich, dass wir es mit einem Musizieren von edelster Art zu tun haben.
Angesichts dieses Konzerts kann man nur hoffen, diese außergewöhnliche US-amerikanische Pianistin, eine der ganz großen Musikerinnen unserer Zeit, bald wieder einmal im deutschsprachigen Raum willkommen heißen zu können.
[Norbert Florian Schuck, März 2024]
Anmerkung (1. April 2024): Im Falle der Klavierstücke Tiessens spricht nichts dafür, dass der Komponist – wie der Herausgeber Tobias Bröker für möglich hält – das Opus zurückgezogen hätte. Tiessen hat selbst den unveröffentlichten Werken aus seiner Jugendzeit ihre Opuszahl belassen. Man kann also davon ausgehen, dass die Neubesetzung der Opuszahl 21 nicht aus freien Stücken, sondern aus einer Not heraus erfolgte: Nämlich, dass die Klavierstücke op. 21 für Tiessen unauffindbar waren und er nicht mehr damit rechnete, die im Werkverzeichnis klaffende Lücke durch den Fund des Manuskripts zu schließen. (N.F. Schuck)
Am 20. März 2024 eröffnete die Österreichische Nationalbibliothek in Wien ihre Ausstellung Der fromme Revolutionär über Leben und Werk Anton Bruckners.
„Ich vermache die Originalmauscripte meiner nachbezeichneten Compositionen: der Symphonien, bisher acht an der Zahl – die 9te wird, so Gott will, bald vollendet werden, – der 3 großen Messen, des Quintettes, des Tedeum’s, des 150. Psalm’s und des Chorwerkes Helgoland – der kais. und kön. Hofbibliothek in Wien und ersuche die k. u. k. Direction der genannten Stelle, für die Aufbewahrung dieser Manuscripte gütigst Sorge zu tragen.“
Mit diesen Worten hatte Anton Bruckner in seinem Testament noch selbst den Grundstock zu einer Sammlung gelegt, die heute weltweit den größten Bestand an Dokumenten zu Leben und Schaffen des Komponisten darstellt und somit für die Bruckner-Forschung unerlässlich ist. Ursprünglich nur als Aufbewahrungsort der Autographen seiner Hauptwerke vorgesehen, vergrößerte die Österreichische Nationalbibliothek während der über zwölf Jahrzehnte nach Bruckners Tod ihre Sammlung um viele weitere Bruckneriana. Im Laufe der Zeit fanden so neben weiteren Kompositionshandschriften auch Briefe, Aufzeichnungen und andere persönliche Papiere Bruckners, Photographien, Konzertprogramme und künstlerische Rezeptionsdokumente (wie die bekannten Karikaturen Otto Böhlers) den Weg in die Nationalbibliothek.
Anlässlich der 200. Wiederkehr von Bruckners Geburtstag im Jahr 2024 kann seit dem 21. März noch bis zum 25. Januar 2025 im Prunksaal des Bibliotheksgebäudes am Josephsplatz die von Thomas Leibnitz, Präsident der Internationalen Bruckner-Gesellschaft, und Andrea Harrandt, Herausgeberin der Briefe Bruckners, kuratierte Ausstellung Der fromme Revolutionär besichtigt werden, die einen repräsentativen Überblick über die Bruckner-Sammlung der Nationalbibliothek verschafft, aber auch Gegenstände aus anderen Wiener Sammlungen sowie aus Privatbesitz zeigt. Erstmals finden sich dabei sämtliche Manuskripte der Symphonien Bruckners gemeinsam der Öffentlichkeit präsentiert. Die Partituren sind an charakteristischen Stellen aufgeschlagen, an denen Bruckners Arbeitsprozess deutlich wird. So zeigen Aufzeichnungen am Rande einer Seite aus der Achten Symphonie, wie der Komponist sich selbst Rechenschaft über jede einzelne Stimmführung eines bestimmten Taktes ablegt. Man sieht die Spuren des Abrasierens verworfener Noten und die Überklebungen von Stellen, an denen keine weiteren Rasuren möglich waren. Das Adagio der Siebten Symphonie ist an jener berühmten Stelle aufgeschlagen, an welcher Bruckner auf Anraten Arthur Nikischs und der Brüder Schalk Stimmen für Becken, Triangel und Pauken einklebte, um den Höhepunkt des Satzes zu markieren. Die mit Bleistift nachträglich auf dem Papierstreifen angebrachte Notiz „gilt nicht“ hat die Philologen bis heute nicht losgelassen. Ihr Urheber konnte nie bestimmt werden. Ja, es sieht sogar danach aus, dass die beiden Wörter von zwei unterschiedlichen Schreibern stammen. Eine für Bruckners Entwicklung zum unabhängigen Künstler besonders wichtige Notenhandschrift wird in dieser Ausstellung zum ersten Mal überhaupt öffentlich gezeigt: das sogenannte Kitzler-Studienbuch, das den Unterricht in freier Komposition dokumentiert, den Bruckner von dem Linzer Theaterkapellmeister Otto Kitzler zwischen 1861 und 1863 erhielt. Es enthält u. a. die vollständige Partitur des Streichquartetts in c-Moll. Bei der Auflösung von Bruckners Wohnung in die Hände Joseph Schalks gelangt, befand es sich lange Zeit im Besitz von dessen Nachkommen und wurde 2013 von der Nationalbibliothek erworben.
Aber nicht nur die Partituren Bruckners sind sehenswert. Auch an interessanten Zeugnissen seines Lebens fehlt es nicht. So finden wir etwa seinen Taufschein, sein Ehrendoktordiplom und die Verleihungsurkunde des Franz-Joseph-Ordens, einen Taschenkalender mit Bruckners täglichen Gebetsnotizen, Bruckners Reisepass, ausgestellt anlässlich seiner Urlaubsreise in die Schweiz („Besondere Kennzeichen: an der linken Seite des Halses eine Narbe“), Blätter, die Bruckner am Grabe Richard Wagners in Bayreuth aufgelesen hat, ein Passphoto von 1880, das der Komponist anscheinend besonders schätzte, da er es nachweislich zahlreichen Briefen an von ihm verehrte junge Frauen beilegte, und einen Brief Bruckners an Hans von Wolzogen aus dem Jahre 1885, durch welchen die Forschung definitiv belegen konnte, dass die Uraufführung der Siebten Symphonie in Leipzig ein großer Erfolg gewesen ist.
Was die Hörbeispiele anbetrifft, haben die Veranstalter der Ausstellung eine vorzügliche Wahl getroffen und zu Rémy Ballots bei Gramola erschienenem Symphonien-Zyklus gegriffen, der im letzten Jahr durch die Aufnahme der annullierten d-Moll-Symphonie (fälschlich „Nullte“ genannt) im Rahmen der St. Florianer Bruckner-Tage (zur Rezension siehe hier) abgeschlossen wurde.
Thomas Leibnitz merkte anlässlich der Eröffnung an, dass das Motto der Ausstellung die Gegensätze in Bruckners Wesen betont: Bruckner sei beides, sowohl ein frommer Mann, als auch ein Revolutionär gewesen. War er von den Zeitgenossen vor allem als radikal moderner Künstler wahrgenommen worden, so habe das Bruckner-Bild in der Zeit seit seinem Tode sich mehrfach gewandelt, wobei der Fromme und der Revolutionär als Pole erkennbar blieben. Im frühen 20. Jahrhundert wurde Bruckner zu einer Gallionsfigur konservativer politischer Kräfte, in der Zeit des Nationalsozialismus als deutsches Originalgenie gepriesen, das frühe Nachkriegsösterreich sah in ihm vor allem einen katholischen Künstler, wohingegen in den 1970er Jahren die neurotischen Züge seiner Persönlichkeit betont wurden. Die Ausstellung Der fromme Revolutionär strebe nicht danach, so Leibnitz, die Reihe dieser Bruckner-Bilder um ein weiteres zu erweitern, sondern Bruckner in der Vielseitigkeit und Widersprüchlichkeit seiner Person auf Grundlage des heutigen Forschungsstandes vorzustellen.
Nach Mitteilung von Johanna Rachinger, Generaldirektorin der Nationalbibliothek, und Andrea Harrandt werden gemäß geltenden Regeln die Manuskripte nach der Ausstellungseröffnung noch drei Monate lang im Original zu sehen sei. Bei mehrbändigen Werken (wie den meisten Symphonie-Handschriften) werden die Bände ausgewechselt, ansonsten wird man sich mit Faksimiles behelfen.
Die feierliche Eröffnungsveranstaltung am Abend des 20. März 2024 bot den anwesenden Gästen Großartiges in Ton und Wort. Clemens Hellsberg, Primgeiger im Orchester der Wiener Staatsoper und ehemaliger Vorstand der Wiener Philharmoniker, hielt einen Vortrag, in welchem er, angelehnt an Klaus Heinrich Kohrs‘ Buch Anton Bruckner. Angst vor der Unermesslichkeit, den Komponisten als einen krisenhaften Künstler schilderte, hin- und hergerissen zwischen seinem beständigen Drang zur grenzüberschreitenden Ausformulierung des Unermesslichen in Tönen und dem immer stärker hervortretenden Gedanken an den Tod – Grundgegensätze seines Denkens, die in der Neunten Symphonie in schärfster Konfrontation aufeinandertreffen und, da das Werk unvollendet blieb, letztlich zu keiner Lösung finden. Hellsberg nutzte im Laufe seiner Rede die Gelegenheit, mit diversen Legenden über Bruckner aufzuräumen. So wies er ausdrücklich Hans von Bülows Bezeichnung Bruckners als „halb ein Gott, halb ein Trottel“, die im Original „Halbgenie + Halbtrottel“ lautet, zurück, indem er Bruckners vorzügliche Leistungen in seinem Bildungsgang als Lehrer betonte. Aber auch einer Verklärung der weniger sympathischen Eigenschaften Bruckners trat er entgegen, war der Komponist doch, wie seine Briefe zeigen, mitunter durchaus zu störrischem Verhalten und ungerechten Äußerungen fähig (etwa gegen das Stift St. Florian und die Stadt Linz). Als besonders wichtig darf die Aufklärung über ein häufig angeführtes, Bruckner aber fälschlicherweise zugeschriebenes Zitat bezeichnet werden: „Weil die gegenwärtige Weltlage geistig gesehen Schwäche ist, flüchte ich zur Stärke und schreibe kraftvolle Musik“, soll Bruckner einmal gesagt haben. Tatsächlich handelt es sich um eine Äußerung Adalbert Stifters, die dieser am 17. Dezember 1860 in einem Brief an Gustav Heckenast niederschrieb und die eigentlich lautet: „Weil die gegenwärtige Weltlage Schwäche ist, flüchte ich zur Stärke und dichte starke Menschen und dies stärkt mich selber.“ Ein Schriftsteller hat dieses Zitat später auf Bruckner umgedichtet, unachtsame Autoren griffen es auf und gaben es als originalen Bruckner wieder.
Bruckner kam an diesem Abend selbst zu Wort in Form des langsamen Satzes aus dem Streichquartett c-Moll und des Scherzos aus dem Streichquintett F-Dur, gespielt vom Ballot-Quintett (Rémy Ballot und Iris Ballot, Violinen, Stefanie Kropfreiter und Nataliia Kuleba, Bratschen, und Marta Sudraba-Gürtler, Violoncello). Hinsichtlich der Feinabstufungen in Dynamik und Tempo, der Interaktion der einzelnen Stimmen miteinander, der Phrasierung und der schlüssigen Darstellung des musikalischen Verlaufs leistete das Ensemble, welches beide Werke bereits in veritablen Referenzeinspielungen vorgelegt hat, Hervorragendes und trug dadurch wesentlich zum Gelingen des Abends bei.
Am 9. März 2024 vollendete Kalevi Aho sein 75. Lebensjahr. Wie könnte man das Jubiläum eines großen Symphonikers besser begehen als mit der Uraufführung seiner neuesten Symphonie? Als Aho vor genau einem Jahr anlässlich eines Konzerts zu Ehren seines 74. Geburtstags in Wien weilte, hatte er gerade den Kopfsatz seiner Symphonie Nr. 18 vollendet. Die Komposition war von der Saimaa Sinfonietta in Auftrag gegeben worden und wurde im finnischen Mikkeli am 8. Februar 2024 durch dieses Orchester unter der Leitung von Erkki Lasonpalo uraufgeführt. Das Konzert, in welchem Ahos Symphonie auf Beethovens Drittes Klavierkonzert (Solist: Olli Mustonen) folgte, wurde am Geburtstag des Komponisten von yle Radio 1 gesendet.
Ahos Achtzehnte Symphonie ist eine viersätzige Komposition von knapp 40 Minuten Spieldauer. Wie angesichts ihrer Vorgängerwerke nicht anders zu erwarten, spricht auch hier aus jedem Takt der virtuose Beherrscher des großen Orchesters. Feinheiten wie die aufhellende Beimischung eines Harfentons in den Oboenseufzer, der den ersten Satz abschließt, zeugen von Ahos Fertigkeit in der Modellierung von Klangfarben. Er ist ein Komponist, der nicht einfach nur instrumentiert, sondern wirklich orchestral denkt. Kontraste zwischen verschiedenen Orchestergruppen, aber auch zwischen hohen und tiefen Registern, prägen das Werk entscheidend. Der Verlauf, den die Musik nimmt, hängt eng mit der klanglichen Gestaltung zusammen.
Der mäßig bewegte erste und der langsame zweite Satz unterscheiden sich zwar charakterlich deutlich voneinander, entwickeln sich jedoch auf sehr ähnliche Weise. Zu Beginn werden jeweils scharfe Kontraste in den Raum gestellt, aus denen dann ein Dialog entsteht. Der Anfang des Kopfsatzes wird durchweg von martialischen Schlagzeugrhythmen grundiert, über denen Blechbläserakkorde und wellenartige Violinfiguren zu hören sind. Daraufhin erklingen die verhaltenen Rufe einzelner Holzbläser über Streichertremoli. Im zweiten Satz entsteht der Dialog weniger aus der schroffen Gegenüberstellung der Orchestergruppen als aus Registerwechseln: Die Musik beginnt in schimmernder Helligkeit ganz hoher Bläser und Violinen, denen tiefere Instrumente antworten. In beiden Sätzen entwickelt sich aus den Dialogen eine große Steigerung, die das ganze Orchester erfasst. Der zweite Satz verwandelt sich in eine Art Prozession, eingetaktet durch allmählich rascher werdende Paukenschläge. Nach dem Höhepunkt löst sich die Musik in Fragmente auf. Der Kopfsatz endet mit einem Seufzer, der langsame Satz fragend mit einem tiefen Streicherchoral.
Der dritte Satz lässt sich unschwer als das Scherzo dieser Symphonie erkennen. Die Gestaltungsweise der beiden ersten Sätze stellt Aho hier gewissermaßen auf den Kopf: Statt der Dialoge, die sich zu einem komplexeren Geschehen ausweiten, begegnet hier anfangs ein Durcheinander, in dem die verschiedenen Sektionen des Orchesters gleichzeitig das Wort ergreifen. Alle beharren auf ihrem Reden, ohne den übrigen Gehör zu schenken. Es entsteht eine fluktuierende Klangfläche aus rhythmisch verschiedenen Schichten, aus welcher teils die eine, teils die andere Gruppe heraussticht. Im Verlauf des Satzes klärt sich das Gewirr immer mehr auf, doch kehrt der Schlussteil zur Stimmung des Anfangs zurück.
Die Symphonie schließt mit einem lebhaften Finale, das wieder einen Verlauf analog dem ersten und zweiten Satz nimmt. Dem von knappen, vorübereilenden Motiven und grellen Effekten geprägten Anfang steht eine breite Melodie des Fagotts gegenüber, die sich über wogender Holzbläser- und Streicherbegleitung entfaltet. Sie wird später vom Blech aufgenommen und zum Höhepunkt geführt. Nach wuchtigem Schlagwerkeinsatz löst sich auch dieser Satz in seine Einzelteile auf. Ein dissonanter Tutti-Akkord verklingt im Decrescendo und ein Flötentriller mit Triangelschlag markiert das Ende.
Das Werk ist keine schwere, keine tragische Musik. Bei allem Ernst in der Grundhaltung hat sich Kalevi Aho eine spielerische Leichtigkeit bewahrt, die als Freude an brillanten Effekten auch in der Achtzehnten Symphonie durchaus spürbar ist. Im Großen und Ganzen wirkt das Stück sehr einheitlich, wie aus einem Guss. Keiner der Sätze fällt gegenüber den anderen ab. Nirgendwo zieht sich das Geschehen unangenehm in die Länge. Aho zeigt sich ein weiteres Mal als mit sicherer Hand gestaltender Symphoniker, der es meisterlich versteht, Spannung aufzubauen und große Formen zu schaffen. Man kann ihm nur wünschen, dass ihm die Kraft, über die er heute als 75-Jähriger verfügt, noch lange erhalten bleibt. Möge sie sich noch in vielen weiteren Meisterwerken manifestieren!
Im Rahmen der 20. Thüringer Bachwochen unternahm der aus Bosnien-Herzegowina stammende Akkordeonist Goran Stevanovich in diesen Tagen eine Konzerttournee besonderer Art durch Thüringen: Kirchen und Konzerthäuser sind als Spielstätten ausgeschlossen, weswegen die Musik mitunter an Orten erklingt, an denen man nicht unbedingt ein Konzert vermuten würde. Definitiv ein solcher ist der neue Anbau von BREHMS WELT – TIERE UND MENSCHEN, dem interaktiven Museum zu Ehren der Naturforscherfamilie Brehm im ostthüringischen Renthendorf, denn er befindet sich noch im Rohbauzustand. So nahm das zahlreich erschienene Publikum in einem Raum Platz, dessen gläserne Wände erst in ein paar Wochen eingesetzt werden. Die Raumtemperatur entsprach der Außentemperatur von etwa 10° Celsius und man hörte Vogelstimmen von den umstehenden Bäumen herab klingen – durchaus passend zu dem Ort, an dem der „Vogelpastor“ Christian Ludwig Brehm fünf Jahrzehnte lang lebte und forschte.
Stevanovichs Programm bestand ausschließlich aus Transkriptionen und entpuppte sich als musikalische Welt- und Zeitreise, die vom barocken Mitteldeutschland aus in die moderne Welt westlicher Großstädte und schließlich zur urwüchsigen Volkskultur des Balkans führte. Es begann mit der Air aus Johann Sebastian Bachs Orchestersuite BWV 1068 und führte dann mit zwei Konzertetüden von Philip Glass und Astor Piazzollas Libertango nach Nord- und Südamerika. Mit der Sarabande aus Bachs Französischer Suite c-Moll ging es nach Paris, zu Erik Saties Gymnopedie Nr. 1, die Stevanovich unmittelbar in Yann Tiersens Walzer aus der Musik zur Fabelhaften Welt der Amélie übergehen ließ. Der letzte Teil des Konzerts war Stevanovichs Heimat gewidmet. Der Akkordeonist ließ zunächst zwei Stücke aus dem Bereich der Sevdalinka erklingen, einer spezifisch bosnischen Volksmusikgattung, die Stevanovich in seiner Einführung als „bosnischen Fado“ charakterisierte: Musik zur Austreibung der Melancholie mittels leidenschaftlich gesteigerter Melancholie. Ein feuriger Ritualtanz im raschen 11/8-Takt schloss sich an. Mit der Zugabe, dem Andante aus der Solo-Violinsonate BWV 1003, schloss sich der Kreis zum Anfang.
Ein betont vielfältiges Programm, das so recht geeignet war, zu zeigen, welcher Reichtum an Klangfarben und Charakterschattierungen dem Akkordeon entlockt werden kann. Unter Stevanovichs Händen holt das Instrument Luft: nicht wie ein Blasebalg – oder „Heimatluftkompressor“, wie der Interpret zu Beginn witzelte –, sondern wie ein Sänger, der die Kunst des Einatmens vollendet beherrscht. Getragen von einem langen Atem, der nie stockt, gestaltet er das Tempo ist frei, ohne dass indessen das Gefühl eines grundierenden Pulses verloren ginge. Stevanovich kennt die Musik bis in die kleinsten Phrasen genau und kostet sie mit feinen Verzögerungen und Beschleunigungen genüsslich aus. Seine Darbietungen entfalten sich wie spontaner Gesang. Mir scheint, dass er sich besonders in den leisen Tönen wohlfühlt. Jedenfalls kamen Momente besonderer Spannung immer dann auf, wenn er sich ins Pianissimo zurückzog, namentlich in den äußerst leise vorgetragenen Mittelabschnitten des Libertango und des Amélie-Walzers. In den Sevda-Stücken zeigte der Akkordeonist, dass er nicht nur die Register seines Instruments wirkungsvoll einsetzen, sondern den Klangfarben durch Klopfen auf bestimmte Stellen des Korpus eine zusätzliche Schlagwerksektion hinzuzugewinnen in der Lage ist.
Dankbar für das schöne Konzert nimmt man Abschied von Brehms Welt und wünscht dem Museum, das sich den Anfängen der modernen Verhaltensforschung und des heutigen Umwelt- und Artenschutzes widmet, für sein Bauprojekt gutes Gelingen.
BIS hat ein Album mit drei symphonischen Werken Anders Eliassons herausgebracht. Zu hören sind die Symphonie Nr. 3 für Sopransaxophon und Orchester, gespielt von Anders Paulsson, Sopransaxophon, und den Göteborger Symphonikern unter Leitung von Johannes Gustavsson, sowie das Posaunenkonzert und die Symphonie Nr. 4, gespielt vom Königlichen Philharmonischen Orchester Stockholm unter Sakari Oramo. Solist im Posaunenkonzert ist Christian Lindberg, die Flügelhornsoli in der Vierten Symphonie spielt Joakim Agnas.
Anders Eliassons Musik ist ein Abenteuer. Irgendwo entspringt ein Quell – sei es dezent oder mit einem Knall, blitzschnell hervorzischend oder sanft plätschernd: Die Musik, als wäre sie bereits vor Erklingen des ersten Tons in Bewegung gewesen, fließt und fließt und bahnt sich ihren Weg. Mächtig anwachsend, dann wieder entschleunigend, bald dunkle, tiefe Seen, bald schäumende Katarakte bildend, drängt sie voran, unaufhaltsam wie das neptunische Element. Es ist, als hörte man Urstromtäler in Tönen sich formen – und so oft man den Werken Eliassons auch lauschen mag: Man wird doch jedes Mal von neuem der erste Mensch, der diese ewig unberührte Landschaft betreten darf.
Den Theoretikern hat dieser große Mann freilich härteste Nüsse zu knacken gegeben. Diese Musik ist ohne Frage tonal. Eliasson hat nie einer jener Theorien angehangen, denen zufolge sich angeblich Atonalität erzeugen und die vielbeschworenen (aber kaum je ordentlich definierten) „Grenzen der Tonalität“ überwinden ließen. Als Student studierte er fleißig alles, was es um 1970 an aktuellen Modernismen zu studieren gab – „Rhythmus, Melodien und gewisse Intervalle waren tabu“ –, aber heimlich ging er dabei dem nach, „was ich immer schon in mir gehört hatte“. Hört man Eliassons Musik, merkt man sofort, dass sie ebenso von harmonischen Spannungen bestimmt wird wie die Werke der Klassiker abendländischer Tonalität. Aber man gehe nur als Theoretiker heran und versuche Dominanten, Subdominanten etc. auszumachen! Wie würde man Bachs oder Mozarts Musik beschreiben, hätte man die ganzen Funktionsbegriffe nicht? Aber war es denn Bach oder Mozart so wichtig zu wissen, wie Riemann und andere Professoren ihre Stilmittel bezeichneten? Der Analytiker, der sich Eliasson mit dem üblichen Vokabular nähert, findet sich früher oder später ganz zurück an den Anfang versetzt – je nachdem wie lange er braucht, um zu merken, dass er einen am Ziel sicher vorbeiführenden Weg eingeschlagen hat. Aber ermahnt ein solcher Rückschlag nicht dazu, nun wirklich anzufangen?
Die musikalische Urlandschaft, die Anders Eliasson als erster betrat, zeigte sich mit jedem neuen Werk, das er schrieb, größer und reicher als zuvor vermutet. Er selbst war zu sehr mit ihrer Erkundung beschäftigt, als dass er in die Versuchung hätte geraten können, die Grundlagen seines Komponierens in ein theoretisch festgefügtes System zu überführen. Allenfalls sprach er von einem „System, das kein System ist“ und beschrieb sein musikalisches Material als „Alphabet“. Musik sei, so sagte er weiterhin, „wie H2O: Melos, Harmonik und Rhythmus sind eine Einheit. Und sie muss fließen.“ Versuche, absichtlich originell zu sein (wobei er „originell“ in Anführungszeichen setzte), waren ihm ein Ding der Unmöglichkeit, denn: „Man kann sich nicht von mehr als 1000 Jahren Tradition lösen, ohne unverständlich zu werden.“ Seine eigene Musik nannte er zwar „etwas völlig Neues“, doch bestand dieses Neue darin, „dass man das (tonale) Universum von einer neuen Position sieht“. Diese neue Perspektive verdeutlichte er einmal in einer Zeichnung, die in vereinfachter Form auch seinen Grabstein ziert: Eliasson ordnet darin die Töne des Quintenzirkels als eine Folge ineinander verschlungener Dreiecke an, wobei die einander entsprechenden Seiten der Dreiecke die drei möglichen Tonvorräte des verminderten Septakkords ergeben. Er überblickte die quintengestützte Ordnung also von einem Standpunkt aus, welcher deren Möglichkeiten zum Uneindeutigen deutlich hervortreten lässt. Nicht die Eindeutigkeit der Tonika-Dominant-Spannung, die ja selbst Schönbergs zwölftönige Werke gegen den Willen ihres Schöpfers beherrscht, interessierte Eliasson, sondern eine tonale Ordnung, die beständig mehrere Möglichkeiten der harmonischen Fokussierung anbietet. Die „triangulatorische“ Harmonik lässt die Musik auf eine Art und Weise flüssig erscheinen, wie dies zuvor bei keinem anderen Komponisten vorgekommen ist.
Eliassons Dreiecksskizze wurde als Titelbild zu einer CD-Veröffentlichung von BIS ausgewählt, die einen optimalen Einstieg in die Klangwelt des 1947 geborenen schwedischen Meisters bietet. Sie enthält ausschließlich Ersteinspielungen: Die Vierte Symphonie (2005) wurde vom Königlichen Philharmonischen Orchester Stockholm (Royal Stockholm Philharmonic Orchestra) unter der Leitung von Sakari Oramo aufgenommen, ebenso das Posaunenkonzert (2000), in dem Christian Lindberg, der das Werk seinerzeit uraufgeführt hat, als Solist zu hören ist. Die 1989 entstandene Dritte Symphonie erscheint bereits zum zweiten Mal auf CD, nun aber erstmals in ihrer überarbeiteten Fassung von 2010. Das Werk ist als konzertante Symphonie mit solistischem Saxophon angelegt und war ursprünglich für den Altsaxophonisten John-Edward Kelly geschrieben, auf dessen ausdrücklichen Wunsch hin der Komponist die Solostimme in Höhen führte, die außer Kelly selbst kaum ein anderer Spieler bewältigen konnte. Um Aufführungen des Werkes zu erleichtern, erstellte Eliasson schließlich 20 Jahre nach der Uraufführung eine Fassung für Sopransaxophon, deren erste Aufnahme hier durch den Solisten Anders Paulsson und die Göteborger Symphoniker unter Johannes Gustavsson vorgelegt wurde. Somit sind nun sämtliche vollendete Symphonien Eliassons für großes Orchester auf CD greifbar. Die Erste Symphonie (1986) wurde von Gennadij Roshdestwenskij und dem Symphonieorchester des Kulturministeriums der UdSSR aufgenommen (Caprice). Die Dritte in der Fassung für Altsaxophon liegt mit John-Edward Kelly und dem Finnischen Rundfunksymphonieorchester unter Leif Segerstam vor (NEOS). Seine Symphonie Nr. 2 hat Eliasson nie vollendet. Es existiert nur eine Anzahl von Skizzen, anhand derer sich kein geschlossener Werkverlauf erkennen lässt.
Die Dritte Symphonie besteht aus fünf Abschnitten, die nahtlos ineinander übergehen und gemeinsames Material verarbeiten. Sie sind mit Cerca (Suche), Solitudine (Einsamkeit), Fremiti (Schaudern), Lugubre (traurig) und Nebbie (Nebel) überschrieben. Zweimal lässt Eliasson einen raschen Satz in einen langsamen münden, wobei der Kontrast zwischen Teil 3 und Teil 4 denjenigen zwischen den ersten beiden deutlich übertrifft. Am Ende des dritten Abschnitts wird ein frenetischer Höhepunkt erreicht, auf den die düstere Musik des Lugubre antwortet. Der letzte Teil des Werkes ist kein umfangreicher Satz mehr, sondern eine kurze Coda, in der die Kontraste aufgehoben werden. Wenn der Nebel aufsteigt, beschleunigt sich die Musik wieder, ohne schnell zu werden. Helle Klangfarben scheinen auf, ohne zu strahlen. Kein Triumph, keine Tragödie, vielleicht das unvermutete Ergebnis der anfänglichen Suche, auf jeden Fall ein Ausatmen in frischer Luft. Das Saxophon ist eindeutig das führende Instrument. Es ist durchweg präsent, gibt meist die Richtung vor und hat Aufgaben zu bewältigen, die einen virtuosen Spieler verlangen. In John-Edward Kellys Worten hat Eliasson das Werk dennoch „Symphonie“ genannt, da „der ästhetische Schwerpunkt tiefer liegt als in einem Konzert“. Durch die Einspielung Paulssons kann man nun beide Fassungen der Symphonie vergleichend hören. Auf dem Sopransaxophon gespielt, wirkt sie deutlich leichtfüßiger, spielerischer als in Kellys Aufnahme mit Altsaxophon. Kelly hat den Komponisten ja explizit um höchste Anforderungen gebeten, er wollte mit der Materie kämpfen. Das ist ihm bravourös in seiner Einspielung gelungen. Einen vergleichbaren Existenzialismus strahlt Paulssons Aufnahme nicht aus. Das Werk zeigt sich hier allerdings von einer abgeklärten Seite, wie sie eine Aufführung der Altsaxophonversion kaum hervorbringen dürfte. Letzten Endes ist das Werk eine der größten Kompositionen für Saxophon und Orchester, die je geschrieben wurden, und sowohl Alt-, als auch Sopransaxophonisten erhalten höchst lohnende Aufgaben. Freilich wird die Fassung für Sopransaxophon wohl in Zukunft wesentlich häufiger gespielt werden als diejenige für Altsaxophon, da die Schwierigkeiten für letzteres Instrument wesentlich größer sind.
Das einsätzige Posaunenkonzert ist weniger virtuos als die Saxophon-Symphonie und betont nicht nur in der Einleitung und im Schlussteil, die beide in langsamem Tempo gehalten sind, die kantable Seite des Instruments. Im lebhaften Hauptteil, der in mehreren Steigerungswellen verläuft, fehlt es aber auch nicht an Machtworten in der Solostimme, namentlich wenn der Satz gegen Ende auf einen gewaltigen Höhepunkt zusteuert. Die Posaune steht nicht eigentlich im Gegensatz zum Orchester, eher scheint sie als ein Anführer die übrigen Instrumente aus dem Inneren des Orchesterverbandes heraus anzuspornen. Am deutlichsten tritt sie aus der Gruppe heraus, wenn sie zum Abschluss des Ganzen einen breit ausschwingenden Gesang anstimmt. Dass Eliasson mit diesem Stück auch den Posaunisten ein Werk höchsten Ranges geschenkt hat, braucht eigentlich nicht betont zu werden.
Wie die beiden anderen Werke auf der CD ist auch die Vierte Symphonie ein ununterbrochenes Kontinuum, das sich in mehrere Abschnitte in unterschiedlichen Tempi gliedert. Hier wechseln zweimal schnelle und langsame Musik einander ab, wobei der Schlussteil einen knappen Epilog darstellt, der das Werk mit der Musik des langsamen zweiten Teils beschließt. Das eigentliche Finale ist damit der dritte Teil, zugleich der lebhafteste der Symphonie. Lässt Eliasson die Musik in der Dritten Symphonie zu Beginn hervorsprudeln und im Posaunenkonzert mit dezenten Wellenschlägen einschwingen, eröffnet er die Vierte mit lauten Orchesterschlägen. Das Hauptmotiv besteht nur aus zwei Tönen, aber wie prägnant ist es formuliert und wie abwechslungsreich verwandelt! Tatsächlich erleben wir in diesem Werk, wie ein Motiv von alleräußerster Knappheit zur Grundlage eines höchst belebten Geschehens wird. Auch in der Vierten Symphonie spielt ein Soloinstrument, allerdings nicht durchgängig: Im langsamen zweiten Teil führt über weite Strecken ein Flügelhorn die Melodie (in der Aufnahme gespielt von Joakim Agnas), auch behält es in der Coda der Symphonie mit einem sanften Anschwellen, ohne laut zu werden, das letzte Wort. Virtuose Passagen, wie sie in der Dritten Symphonie und in geringerem Maße im Posaunenkonzert vorkommen, fehlen allerdings völlig. Die Vierte präsentiert sich als ein überwiegend lichtes, helles Werk. Mit ihrer markanten Thematik und der zarten Lyrik der Flügelhorngesänge kann sie als eine der unmittelbar ansprechendsten Kompositionen Eliassons bezeichnet werden.
Man kann nur wünschen, dass diese wunderbare CD, auf der hervorragende Dirigenten, Orchester und Solisten ihr Bestes geben, der Musik des 2013 vorzeitig gestorbenen Komponisten (der sich zum Zeitpunkt seines Todes mit Plänen zu einer Fünften Symphonie trug) viele Freunde gewinnen und zu weiteren Entdeckungsreisen in die abenteuerliche Welt des Anders Eliasson einladen wird. Angesichts solcher Werke in solchen Aufführungen ist eigentlich kein Zweifel mehr möglich: Anders Eliasson war einer der ganz großen Meister der Tonkunst nicht nur unserer Zeit.