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Helmut Hofmanns Abschiedskonzert mit Schuberts „Winterreise“

Mit Helmut Hofmann hat sich ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerter Musiker vom Konzertpodium verabschiedet. Ein würdigerer Beschluss seiner Pianistenlaufbahn als jene Aufführung der Winterreise im Saal der Musikschule von St. Andrä-Wördern, die Hofmann gemeinsam mit dem Bariton Günter Haumer am 13. April 2024 ins Werk setzte, ließe sich schwerlich denken, kam doch mit Franz Schubert derjenige Komponist zu Wort, dessen Schaffen seit einem Vierteljahrhundert im Zentrum der musikwissenschaftlichen Arbeit Hofmanns steht.

Der 1934 geborene Helmut Hofmann ist ein Mann mit vielen Talenten und Interessen. An der Wiener Musikakademie von einer Reihe bedeutender Lehrer – darunter Alfred Uhl, Otto Schulhof, Erwin Ratz und Josef Mertin – umfassend ausgebildet, entschied er sich nicht für die Musik als Brotberuf, sondern wurde Jurist und arbeitete im Bankenwesen. Auch war er lange Jahre als Sportfunktionär in der Wiener Leichtathletik tätig. Als Pianist gab er Konzerte in seiner österreichischen Heimat, außerdem in Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz und Italien. 2001 erschien sein Buch Franz Schubert: Das Zeitmaß in seinem Klavierwerk in der Edition Text+Kritik als Band 114 der Reihe Musik-Konzepte.

Wer sich in St. Andrä-Wördern – einige Kilometer donauaufwärts von Wien – eingefunden hatte, konnte sich nicht nur davon überzeugen, wie tief Hofmann in Schuberts Liedschaffen eingedrungen ist, sondern auch, mit welchem Feingefühl er die Rolle des Begleiters ausfüllt. Günter Hauners kraftvolle, lyrische Baritonstimme stand durchweg im Zentrum des Geschehens. Nie hatte man das Gefühl, der Pianist nehme sich gegenüber seinem Sänger mehr als eine begleitende Funktion heraus. Hofmann versteht es, präsent zu bleiben, ohne zu forcieren. Er bildet immer „nur“ den Hintergrund für den Gesang, aber in diesem Hintergrund ist, ohne sich aufzudrängen, alles da, was zu hören sein muss. Wie schön bewahrheitet sich in dieser Wiedergabe Donald Toveys auf Schubert gemünztes Wort, dass ein guter Kontrapunktiker einer ist, der gute Bässe schreibt! Die Dialoge des Klaviers mit der Singstimme kommen ebenso trefflich zur Geltung wie die Dialoge innerhalb des Klaviersatzes. Auch wie Hofmann den Anschlag variiert, muß man loben. So gelingen ihm nicht nur starke Kontraste wie im Frühlingstraum oder zwischen den beiden vorletzten Liedern Mut (sehr hart) und Die Nebensonnen (sanft, aber völlig unsentimental), sondern auch Darstellungen seltsamer Mischzustände, wie sie der Dichter Wilhelm Müller durch die Gegenüberstellung flüssigen und gefrorenen Wassers andeutet. In Gefrorene Tränen und Auf dem Flusse meint man tatsächlich, inneren Erstarrungsprozessen zuzuhören. Die Musik klingt hier kantig, widerspenstig, und verliert doch nicht einen Rest von Leichtigkeit, der sie weiter fließen lässt.

Feinsinnig und mit echter Hingabe führen Haumer und Hofmann durch die Abgründe dieses düstersten Werkes der Liedliteratur. Nach Verklingen der letzten Töne des Leiermanns verriet ein Moment der Stille deutlich die Ergriffenheit der Zuhörer, bevor sie den Künstlern ihren verdienten Applaus zu Teil werden ließen.

Wenn Helmut Hofmann sich nun vom Konzertpodium zurückzieht, so wünscht man ihm umso mehr ein gutes Vorankommen bei seinen wissenschaftlichen Forschungen. Eine groß angelegte Studie über die Interpretation der Schubertschen Instrumentalmusik, Frucht 20-jähriger Arbeit, steht, wie man dem Programmheft des Liederabends entnimmt, kurz vor ihrer Vollendung.

[Norbert Florian Schuck, April 2024]