Schlagwort-Archive: Linn Records

Unvollendeter Schubert

Linn Records, CKD 593; EAN: 6 91062 05932 9

Das Duo Pleyel, bestehend aus den Pianisten Alexandra Nepomnayashchaya und Richard Egarr, spielt vierhändige Klaviermusik von Franz Schubert für Linn Records ein. Auf dem Programm steht das Rondo D-Dur D. 608, die Sonate in B-Dur D. 617, die Fantasie in f-Moll D. 940, das Rondo in A-Dur D. 951 und das Allegro in a-Moll D. 947 mit dem Titel „Lebensstürme“, nach welchem das Duo Pleyel ihre CD benannte.

Als ich gesehen habe, dass auf der vorliegenden CD vierhändige Klavierwerke auf einem Pleyel-Flügel eingespielt werden, war mein Interesse sogleich geweckt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts und im 19. Jahrhundert galten diese Flügel als marktführend durch ihren warmen, voluminösen und vielseitigen Klang. Als regelmäßigen Gast begrüßte der Vater Ignaz Pleyel unter anderem Beethoven, der sich begeistert über diese Klaviere aussprach – und für Schubert schließlich Vorbildfunktion hatte. Der Sohn Camille Pleyel hingegen führte intensiven Austausch mit Komponisten wie Frédéric Chopin, dessen Nocturnes op. 9 sogar Camilles Frau gewidmet sind. Hier hören wir einen Flügel aus dem Jahr 1848, also von Camille Pleyel, der dem romantischen, weichen und möglichst farbenreichen Stil angepasst ist, sonor in der Tiefe schnurrt und in den Höhen präzise, aber doch auch lieblich glänzt.

Doch all diese Vorzüge des Flügels nutzt das Duo Pleyel nicht aus. Im Gegenteil: die Aufnahme enttäuscht so sehr, dass ich mich fragen muss, ob die beiden Pianisten das Programm wirklich gründlich einstudiert haben. Selbst der Booklettext von Egarr wirkt wie im Affekt kurzfristig heruntergeschrieben.

Es beginnt bereits damit, dass Schuberts Piano und Pianissimo in der Aufnahme maximal als Mezzopiano, wenn nicht sogar als Mezzoforte zu bezeichnen ist und somit all die introvertiert-schattigen Gefühlswelten fehlen. Gerade das unheimliche Pianopianissimo in der f-Moll-Fantasie, das wie aus dem Nichts schwingen sollte, verfehlt so im deutlich hörbaren Mezzobereich jegliche Wirkung. Umso ruppiger und brutaler schmettert das Forte, dass man im eigentlich galanten D-Dur-Rondo teils beinahe hochschreckt. Die rhythmische Komponente scheint ebenso wenig erarbeitet worden zu sein: die triolischen Passagen wirken starr, gezählt und stellenweise gar errungen, die doppelten bis dreifachen Punktierungen gerade in der Fantasie schwächt das Duo Pleyel zu einfachen Punktierungen ab. Auf musikalischer Ebene herrscht ebenso Flaute, denn nicht eine Melodie wirkt wirklich gesungen, erspürt oder verstanden. Die Noten werden gleichwertig nebeneinandergereiht und manche in der Partitur geschriebene Dynamikänderung halbwegs nachvollzogen, doch abgesehen davon bemühen sich die Musiker nicht darum, die Melodien organisch entstehen zu lassen, was noch dazu für Schubert unentbehrlich sein sollte.

[Oliver Fraenzke, April 2020]

Rastlose Brillanz

Linn Records, CKD 555; EAN: 6 91062 05552 9

Gemeinsam mit dem Scottish Chamber Orchestra unter Antonio Méndez spielt Ingrid Fliter die Klavierkonzerte a-Moll Op. 54 von Robert Schumann und g-Moll Op. 25 von Felix Mendelssohn. Das Orchester erklingt zudem in Mendelssohns Konzertouvertüre Op. 32 „Das Märchen von der schönen Melusine“.

An der Oberfläche präsentiert sich die Aufnahme Ingrid Fliters mit Klavierkonzerten von Schumann und Mendelssohn brillant und heiter glänzend. Mit Pathos jagt Fliter über die Tasten, verströmt einen Sog nach vorne und mitten hinein in die Musik. Dabei strahlt sie nicht nur handwerkliche Souveränität aus, sondern auch ein gewisses Gespür für den Zusammenhalt einzelner Phrasen sowie eine glühende Inspiration. Mit dem Scottish Chamber Orchestra unter Antonio Méndez besteht eine spürbare Verbindung, die Partner fügen sich problemlos zu einer Einheit zusammen, die verschmilzt.

Erst der Blick auf die subtileren Ebenen legt ein anderes Bild frei. Denn so sehr Fliter in der Virtuosität aufgeht und in raschen Passagen zu zaubern scheint, so rastlos sind die langsamen wie entspannten Abschnitte genommen. Die Pianistin scheint innerlich nie zur Ruhe zu kommen, und so wird auch die gesamte Lyrik gerade im Schumann-Konzert durch atemlose Hektik ausgehebelt. Die romantische Verträumtheit und die Wendungen ins Innere sind nicht vorzufinden (natürlich dürfen diese nicht ins manieriert Willkürliche übertrieben werden, aber sie sind dennoch ein entscheidendes Merkmal für Musik jener Zeit). Dazu gehörlt auch, dass immer wieder die spannungstragenden Dissonanzen, die wie ein Gewürz dem Ganzen erst die unverkennbare Note verleihen, unter den Tisch gekehrt und verharmlost werden.

Sehr subtil kann Antonio Méndez das Scottish Chamber Orchestra auf die jeweiligen Stimmungen einschwingen, kann ausgebreitete Melodien natürlich entstehen lassen und dann doch plötzlich wieder in entschiedenstem Aufbegehren toben. Gerade in Mendelssohns Konzertouvertüre kann das Orchester sich einlassen und eine beschwingte Gestaltung erlebbar machen. Dabei geht allerdings manche Nebenstimme im Geflecht unter, die noch einen schönen Beitrag hätte leisten können. Gerade in den Klavierkonzerten hätte damit noch für eine stärkere Kompaktheit des Apparates und für einen stringenter zusammenhängenden Fluss gesorgt werden können.

[Oliver Fraenzke, Januar 2017]

Savonarola und die Musik: Scattered Ashes

Savonarola und die Musik: Scattered Ashes
Josquin’s Miserere & The Savonarolan Legacy
MAGNIFICAT, dirigiert von PHILIP CAVE

Linn Records, CKD 517

Giramolo Savonarola (1452-98) war mir bisher nur als Religionskritiker ein Begriff, der die Verbreitung seiner Ideen mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen büßen musste. Dass er aber eine ganze Reihe von Texten – außer seinen Predigten – hinterlassen hat und bis zuletzt Texte wie das vorliegende Miserere verfasste, war mir neu. Und dass diese Texte sich in ganz Europa in Windeseile verbreiteten und von vielen zeitgenössischen Komponisten – aber auch in späteren Jahrhunderten – vertont wurden, das wirft sowohl auf den Text und seinen Verfasser als auch auf die Komponisten der damaligen Zeit ein völlig neues und sehr auf- und anregendes Licht.

Zumal mit einem Ensemble wie dem 1991 von seinem Leiter Philipp Cave gegründeten Chorensemble „Magnificat“, das sich die Restaurierung und Wiederaufführung  vergessener chorischer Meisterwerke aus Reformation und später Renaissance zur Aufgabe gemacht hat. Das Booklet gibt über den Chor, seinen Leiter, die Mitwirkenden und natürlich über die Texte und geschichtliche Hintergründe erschöpfend Auskunft, wenn auch nur auf Englisch.

Was diese Gruppe an Musik überzeugend gestaltet und wiederbelebt, ist beispielhaft und braucht den Vergleich mit anderen Ensembles wahrlich nicht zu scheuen. Die Ausgewogenheit der Stimmen, die Phrasierung, die Darstellung vertracktester polyphoner Strukturen, die Textverständlichkeit  und natürlich überhaupt der Klang von „Magnificat“ sind so, dass mich diese Musik in einen Bann zieht, der so manches andere an „musica antiqua“ verblassen lässt. Besonders beeindruckt hat mich die große Ruhe, mit der jede einzelne Komposition gestaltet und dargestellt wird, ob sie vom Titelgeber Josquin des Prez (1450/55-1521) oder von den anderen Komponisten wie Giovanni Pierluigi da Palestrina (1525-94), Claude Le Jeune (1528-1600), Orlando di Lasso (1532-1594), Jean Lhéritier ( 1480?-1551?), Nicolas Gombert (1495?-1560), Jacobus Clemens non Papa (1510/15-1555/56) und William Byrd (1543-1623) stammt.  Sicher hat daran der Leiter des Ensembles einen besonders großen Anteil, denn wie das Programmheft beschreibt, scheint er ein „Besessener“ zu sein, dessen großes Engagement sich offenkundig auf alle Sängerinnen und Sänger übertragen hat.

(Noch dazu, dass in der damaligen Zeit die Menschen sich ihrer Ausrichtung bewusst waren, zu „Mutter Erde“ und „Vater Himmel“ – oben wohnt „der liebe Gott“ und unten „der Teufel“ und wir als Menschen eben dazwischen eingespannt oder eingesperrt ad libitum.)
Natürlich wäre ohne Savonarola und Jan Hus mit ihren Schicksalen einige Jahrzehnte später ein Mann wie Martin Luther nicht denkbar gewesen, auch wenn ihm glücklicherweise der Scheiterhaufen erspart blieb.

Die Kompositionen auf dieser CD unterstreichen, dass Savonarolas Ideen und Texte eben keine Eintagsfliegen geblieben sind, sondern eine weiter reichende Wirkung hatten, allen Widerständen zum Trotz.

Eine CD, die neue Maßstäbe im Bereich der Chormusik setzt, besonders auf dem Gebiet der „Alten Musik“, und das ist höchst erfreulich.

[Ulrich Hermann, Januar 2017]

Große Aufgaben für kleines Ensemble

Linn Records CKD 516; EAN: 6 91062 05162 0

Die berühmte Gran Partita KV 361 von Wolfgang Amadeus Mozart ist das Titelstück der neuen CD von Trevor Pinnock gemeinsam mit dem Royal Academy of Music Soloists Ensemble für Linn Records; zudem gibt es Joseph Haydns Notturno Nr. 8 in G-Dur Hob: II:27.

Regelrecht als revolutionär ist Wolfgang Amadeus Mozarts Serenade in B-Dur KV 361 mit dem Titel „Gran Partita“. Sie sprengt den Rahmen der bis dahin gebräuchlichen Harmoniemusik, einer reinen Bläserbesetzung aus Holz mit dem sich in den Holzbläserklang gut einfügenden Horn als zentralem Bestandteil, der nur selten auch mal ein Streichinstrument beigegeben wird. Anstelle der üblichen verspielt kurzen und meist leichten Stücke für diese meist unter freiem Himmel spielenden Ensembles verfasst Mozart ein siebensätziges Werk von über 45 Minuten Länge, welches jedem der dreizehn Bläser sowie dem hinzugefügten Kontrabass (welch eine herrliche Besetzung!) heikle Schwierigkeiten und solistische Anforderungen zukommen lässt, welches dergestalt die Harmoniemusik in den großen Konzertsaal überführt. Auch stilistisch wagt Mozart wie so gerne einen Blick in die Zukunft und schreibt hier eine Musik, die wieder einmal beileibe nicht dem typischen „Mozart-Klischee“ entspricht, viel freier und unkonventioneller ist sie, durchzogen mit unerwarteten Wendungen und mancherorts gar düsteren Zusammenklängen. Kaum weniger reizvoll, wenngleich wesentlich unbekannter, ist Haydns Notturno Nr. 8 in G-Dur Hob. II:27 für sechs Streicher, zwei Hörner, Flöte und Oboe (letztere waren in der ursprünglichen, kürzeren Fassung durch zwei Lyren zu besetzen). Das dreisätzige Werk umfasst eine große Stilbreite von Elementen der Barockzeit bis hin zu unerhört fortschrittlichen Passagen, die man gut und gerne ins 19. Jahrhundert verorten könnte – eine spannende Entdeckung.

Trevor Pinnock entlockt dem Royal Academy of Music Soloists Ensemble einen sehr durchsichtigen und lupenreinen Klang mit einer offenen Ausstrahlung. Alles ist in sehr feiner Manier dargeboten und zeichnet sich durch edle Zurückhaltung aus. Den Musikern beziehungsweise den Solisten gelingen ihre Aufgaben mit Bravour und spielerischer Leichtigkeit. Dabei sind stets die zentralen Stimmen gut hörbar und lassen einen fein abgewogenen Kontrapunkt entstehen. Mancherorts wäre noch wünschenswert, mehr Fokus auf die organische Entfaltung der Musik zu spüren, das Tempo driftet gerne etwas aus dem Ruder und die harten Kontraste verlieren sich in Gleichförmigkeit, die durch Verfeinerung der Dynamik im kleinen wie im großen Kontext schnell an Vielschichtigkeit gewinnen könnte. Was leider stört, sind die vollkommen gleich vorgetragenen Wiederholungen – es ist, wie wenn man ein Buch um einige Seiten zurückblättert und die Geschichte haargenau noch einmal von dieser Stelle aus liest, ohne dabei zumindest den Tonfall zu ändern, es als Spannungssteigerung oder als sich auflösende Spannung zu empfinden. Damit kann der Spannungsbogen nicht funktionieren, der energetische Fluss setzt aus. Es wäre schöner, wenn man kein Gespür dafür hat, die Wiederholungen einfach auszulassen, als somit die Musik unnötig in die Länge zu ziehen, ohne dass es als Ganzes funktionieren kann.

Bei Haydn funktioniert die Kontinuität besser, es entsteht mehr das Gefühl der unzertrennlichen Einheit der Sätze. Besonders hervorzuheben hier sind die beiden Violinen – gerade die erste -, die einen ganz eigentümlichen, beinahe folkloristischen Ton hervorbringen, was stellenweise die Barockelemente unterstreicht, teils aber auch vollkommen neue Farben hineinzuzaubern vermag in diese herrliche Musik. Es entsteht eine gewisse Natürlichkeit, die der Musik sehr gut tut.

[Oliver Fraenzke, Juni 2016]

Abfolgen wechselnder Zustände

Samuel Adler
Symphony No. 6
Concerto for Cello and Orchestra
Drifting on Winds and Currents

Royal Scottish National Orchestra
Maximilian Hornung, Cello
Dirigent: José Serebrier

Linn Records (2015) CKD 545
6 91062 05452 2

 September 2015, Royal National Orchestra Centre, Glasgow

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Der amerikanische Komponist Samuel Hans Adler wird hierzulande kaum bekannt sein. Geboren 1928 in Mannheim, gelang der Familie 1939 die Übersiedlung in die USA – unter Umständen, die schrecklich und wechselvoll waren. Dazu finden Interessierte ein bewegendes Gespräch mit Adler auf Youtube.

In den USA angekommen, erfuhr er eine ausführliche musikalische Ausbildung. Seine Lehrer waren unter anderen Walter Piston, Paul Hindemith, Aaron Copland und Serge Koussevitzky.

Er lehrte von 1997 bis 2014 an der Juilliard School. Das soll nur eine kleine Ahnung vermitteln von all seinen Tätigkeiten und Verpflichtungen. Neben diesen ist er bis heute ein produktiver Komponist, orchestral, kammermusikalisch und vokal. Über 400 Werke wurden bislang veröffentlicht.

Die vorliegende Einspielung umfasst drei seiner Werke, zuerst die dreisätzige sechste Sinfonie aus den 1980er Jahren und das Cello-Konzert.
Samuel Adler instrumentiert vorbildlich durchhörbar, dabei Polyphones meidend. Trotz massiver Ausbrüche immer luzide und tonal basiert.

Die Musik tritt unmittelbar auf! Große Gesten eröffnen die Sinfonie – heftige Akkorde im Blech, pulsierend vom Schlagwerk getragen. Alternierend eingeschoben werden Passagen, die Ruhepole bilden. Tatsächlich wirken die mosaikhaft wechselnden Abfolgen von Erregungen und beruhigenden Abschnitten auf Dauer eher ermüdend, denn es bildet sich keine mitvollziehbare Architektur, ein durchgehender Spannungsbogen fehlt, nichts zwingend Zusammenhängendes. Sequenzen von interessanten und hörenswerten Momenten, die willkürlich wirken. Diese Beliebigkeit ermattet die geweckte Gespanntheit.
Ein Bogen: vom Beginn zum Schluss, mit klarer musikalischer Argumentation, die sinnhaft das Erste mit dem Letzten verbindet – fehlt.

Gleiches gilt auch für das Cello-Konzert, das mit großer Bravour, Engagement und Detailfreude von Maximilian Hornung vorgetragen wird.

Das letzte Stück, die knapp neunminütige Skizze für Orchester “Drifting on Winds and Currents“ – verläuft ebenso.

In Adlers Musik klingen Vorbilder nach: seine Lehrer. Und sein Kollege von der Juilliard School: Peter Mennin (1923-1983), dessen Energie und Beherrschung der sinfonischen Form in der US-amerikanischen Musik unübertroffen sind.

Großartig: die Leistung des Orchesters, die gelungene Tontechnik. Und das, wie so oft, umwerfende Dirigat von José Serebrier, der alles gibt, dieser Musik den funkelnden Mantel umzuwerfen, dessen sie bedarf.

[Stefan Reik, Juni 2016]

Oper mal ganz anders

Oper mal ganz anders

GILBERT & SULLIVAN

HMS PINAFORE

Scottish Opera
Richard Egarr, Conductor
Tim Brooke-Taylor, Narrator

John Mark Ainsley, Elizabeth Watts, Toby Spence, Hilary Summers, Neal Davies, Andrew Foster-Williams, Gavan Ring, Barnaby Rea, Kitty Whately

Linn CKD 522
6 91062 05222 1*

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Arthur Sullivan (1842-1900) und sein Librettist William Schwenck Gilbert (1836-1911) waren das erfolgreichste Duo der englischen Operngeschichte, auch wenn es bei den beiden nicht immer ohne Zank und Zoff abging. ‚HMS Pinafore’ war jedenfalls ihr erster großer „Hit“ und steht auch heute noch regelmäßig auf dem Programm britischer – in diesem Fall schottischer – Bühnen. Für die Live-Aufnahme beim Edinburgh International Festival vom 23. August 2015 kam ein glänzendes Ensemble zusammen, dem man die Sing- und Spielfreude und Begeisterung auch auf der CD-Aufnahme anmerkt und anhört.
Natürlich ist die Musik nicht von Mozart oder von Schubert, aber Arthur Sullivan – er wollte sich am allerliebsten als Komponist ernster geistlicher Musik sehen – ist in seiner eigenständigen Art stets ein hörenswertes Vergnügen, dem solche Solisten wie John Mark Ainsley oder Hillary Summers natürlich noch ihre ganze Kunst und ihr Können dazu geben. Zusammen mit dem Erzähler Tim Brooke-Taylor, der in tadellosestem Englisch – wie schön kann gesprochenes Englisch klingen! – den Faden der Geschichte weiterbringt von  der Kapitänstochter, die einen anderen liebt als den, den ihr Vater für sie ausgewählt hat, die alte Story also…

Dazwischen hinreißende Chöre und Ensembles, kurzum ein Vergnügen, das diese Live-Aufnahme durchaus adäquat einfängt. Natürlich erinnert das sicher viele auch an spätere Filme mit Fred Astaire wie z. B. „Follow The Fleet“, aber das muss ja nun wirklich kein Minuspunkt sein.

[Ulrich Hermann Mai 2016]

[Rezensionen im Vergleich:] Ideal für einen Martini mit Eis

Linn Records, AKD 524; EAN: 6 91062 05242 9

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„We’ve Got A World That Swings“ heißt die Duett-CD von Claire Martin und Ray Gelato, erschienen in der Jazzreihe von Linn Records. David Newton spielt das Klavier, am Kontrabass ist Dave Whitford, und die Rhythmussektion wird von Sebastián de Krom übernommen.

Die Jazzaufnahmen von Linn Records stehen fast ausnahmslos für exzellente Qualität und haben immer wieder zum Staunen angeregt – „Just Listen„, dieses Motto von Linn wird tatsächlich Programm. Ein absolutes Highlight des letzten Jahres war zweifelsohne Liane Carrolls „Seaside“, eine der fantastischsten und vielseitigsten heutigen Jazzstimmen in einer der bestabgestimmten und auch instrumental überzeugendsten Aufnahmen. So liegt die Messlatte also hoch für die neue CD von Claire Martin und Ray Gelato.

Die Platte lässt sofort ein typisches Cocktailbar-Feeling aufkommen, die Musik ist leicht und beschwingt ohne großartige Überraschungen oder hochkomplexe Passagen – ideal zum Nebenbeihören. Doch wollen wir uns hier nicht davon hinreißen lassen, die Musik ohne sonderliche Aufmerksamkeit laufen zu lassen, sondern nehmen sie aktiv unter die Lupe. Dabei fällt nun auf, dass eigentlich nichts auffällt: Die Musik ist angenehm und locker zu hören, hat sowohl vom instrumentalen als auch vom gesanglichen Aspekt gute Qualität, doch sticht sie durch absolut gar nichts hervor. Beide Sänger, Claire Martin wie auch Ray Gelato, haben einen überzeugenden Swing und eine absolut klare Textverständlichkeit. Hinsichtlich der klanglichen Schattierungen besticht Martin mehr, sie kann ihre Stimme vielseitiger einsetzen, ein leichtes Hauchen und ein geschickt für besondere Effekte eingesetztes Vibrato zur aktiven Gestaltung der Textvorlage verwenden. Ray Gelato wirkt dagegen etwas statischer, nutzt wenige Dynamikveränderungen und hält den einmal angeschlagenen Tonfall konsequent durch. Wenn sie beide im Duett singen, neigt Ray Gelato zu einem rufenden Tonfall.

Von den Instrumentalisten fällt besonders Dave Whitford am Kontrabass positiv auf, der durchgehend vernehmbar bleibt, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Sein Pizzicato ist treffsicher und von bestechendem Groove, hat einen warmen und abgerundeten Klang, den Whitford auch schwingen lässt, anstatt ihn zu trocken zu nehmen. David Newtons Klavierstimme gestaltet sich harmonisch einfach und verwendet ausschließlich standardisiert typische Skalen, die er in vergnügtem Improvisationsstil auskostet. Alles ist sehr eingängig und locker, und auch er pflegt dynamisch weitgehend ein Einheitslevel, das die gesamte Einspielung und alle Musiker durchzieht und deshalb besonders zum Abschalten und Nebenbeihören einlädt. Für den rhythmischen Swing ist Sebastián de Krom an Drums und Percussion zuständig, eine Aufgabe, die er exzellent ausführt, und damit bis auf wenige besonders schöne Rhythmen vor allem in The Coffee Song keine Aufmerksamkeit zieht.

„We’ve Got A World That Swings“ ist eine grundsolide Platte und für jede Cocktailparty zu empfehlen. Die musikalische Qualität ist durchweg gut, bleibt lediglich durch absolut nichts für längere Zeit als besonderes Erlebnis im Gedächtnis. Viel Spaß also mit dieser locker-flockigen Frühsommer-Veröffentlichung!

[Oliver Fraenzke, Mai 2016]

[Rezensionen im Vergleich:] Unsere Welt Swingt!

We’ve Got A World That Swings

Claire Martin
Ray Gelato

David Newton, Piano
Dave Whitford, Double Bass
Sebastian de Krom, Drums and Percussion

Linn Records AKD 524
6 91062 05242 9

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„Nobody would blame you for asking `Does the world really need an album of duets by Claire Martin an Ray Gelato?“

So der erste Satz im Booklet. Und wenn man dann die Scheibe auflegt, verschwindet diese Frage ins Nichts. Natürlich gibt es überflüssige CDs (ich denk da nur an die mit den vier höchst unmusikalischen Gitarristen, die vor kurzem bei Naxos erschien: Eine Rezension davon bei The New Listener), aber diese ist es bestimmt nicht, so groovy, so swingy, so leicht und locker und jede Silbe verständlich und jeder Song erfüllt. (Warum versteht man bei den meisten klassischen Sängerinnen und Sängern kein Wort, und bei den Jazz- und Popsängern jede Silbe- abgesehen vom Gröhnemeyer oder Lindenberg? Irgendwas läuft da völlig falsch in der klassischen Gesangsausbildung!)

Nicht so bei diesem Gesangsduo, wobei Gelato auch als Saxophonist eine gute Figur macht. Es ist ein Vergnügen, den beiden unverkünstelten Protagonisten zuzuhören und ihren drei musikalischen Partnern. Wobei natürlich  von  „We’ve Got A World That Swings“ über „C’est Si Bon“  bis hin zu „Smack Dab In The Middle“ ein bunter Reigen hinreissender Jazz-Songs ausgebreitet wird, bei dem das MitSwingen zum Vergnügen wird.

Die insgesamt 13 Lieder mit den 46 Minuten Spielzeit sind eine Ohren-Weide und entspannen Leib, Seele und Gehör auf’s Schönste. Absolut empfehlenswert!

[Ulrich Hermann Mai 2016]

Lieder der Hoffnung

Linn Records, AKD 530; EAN: 6 91062 05302 0

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„Shelter From The Storm. Songs Of Hope For Troubled Times” lautet der Titel des neuen Albums von Barb Jungr. Zusammen mit dem Jazzpianisten Laurence Hobgood, dem Kontrabassisten Michael Olatuja und dem Perkussionisten Wilson Torres performt sie Songs von Richard Rodgers, Oscar Hammerstein II, Bob Dylan, Leonard Cohen, Stephen Sondheim, Leonard Bernstein, Joni Mitchell, Peter Gabriel und David Bowie sowie Eigenkompositionen in Kollaboration mit Hobgood.

Die Stimme von Barb Jungr ist wie ein Chamäleon in der Musik und schmiegt sich jedem nur erdenklichen Stil an, so macht die als Chanson-Sängerin bekannte Musikerin Cabaret ebenso wie Blues und Soul und ist geschätzt für ihre Coverversionen von Popgrößen wie Bob Dylan oder Leonard Cohen. Auch mit ihren mittlerweile immerhin schon über 60 Jahren hat sie nichts von ihrer vollen, kräftigen und geschmeidigen Stimmkraft, an voluminösem Klang eingebüßt. Und auf „Shelter From The Storm“ beweist sie einmal wieder, welch ungeheuere Anpassungsfähigkeit ihre Stimme hat, sowohl was die verschiedensten Stile in den aufgenommenen Songs betrifft als auch in Bezug auf die Musiker – dieses Mal spielt sie ausschließlich mit in Amerika lebenden Jazzmusikern. Erstaunlich ist jedes Mal aufs Neue ihre nuancenreiche Gestaltung des Vibratos, das zu keiner Zeit mechanisch eingesetzt wird – mal tritt es nur ganz spärlich in Erscheinung, mal trägt es den Ton mit großem Ambitus direkt zum Hörer. Durch genaueste Abstimmung zur zu erzielenden Wirkung wirkt es hier als ausgesprochen mächtiges und sinnvolles Stilmittel.

Bereits im Titel als Feature angegeben ist der vielseitig begabte Jazzpianist Laurence Hobgood, ein preisgekrönter Virtuose mit äußerst differenziertem Spiel und einem progressiven, nicht in Routine verfallen wollenden Touch, der seinen Klavierstimmen immer wieder eine neue Frische verleiht. Hier am Klavier und am elektronischen Keyboard (sowie beim Pfeifen) zu hören, verleiht er den Songs einen harmonisch interessanten und vielschichtigen Instrumentalpart, der den melodischen Höhenflügen Jungrs zu folgen weiß, selber eigenständig aktiv bleibt und sich weder zu sehr in den Vordergrund drängt noch im Hintergrund verschwindet. Die erst seit kurzer Zeit bestehende Zusammenarbeit der beiden trägt jetzt schon erstaunliche Früchte und es klingt, als würden sie bereits wesentlich länger gemeinsam wirken.

Leider nur auf der CD-Innenseite genannt, aber dennoch nicht weniger bedeutsam sind Michael Olatuja am Bass und Wilson Torres am Schlagwerk. Olatuja ist zwar in der Gesamtwirkung eher im Hintergrund zu hören, doch ist sein präzises Pizzicato eine unerlässliche Stütze für die Liedkonstrukte und agiert auch in der tiefen Lage als abwechslungsreiche Stimme. Torres hat einen gewaltigen Apparat an Schlagwerk aufgetischt und kann bereits mit wenigen Klängen eine ganz eigene Atmosphäre schaffen, über der sich die übrigen Instrumente sowie die Stimme erst entfalten können. Er hat einen rhythmisch extrem genauen Groove und beherrscht auch ein zurückgehaltenes Entstehenlassen des Fundaments.

Die Songs sind allesamt in einem mittleren Tempo genommen und von fein zurückhaltendem Charakter. Kein Lied treibt sonderlich in Überschwang nach vorne, ebenso ist keines von übermäßiger Melancholie oder Niedergeschlagenheit. So versucht Barb Jungr, die Hoffnung – For Troubled Times – durch eine edle und gemessene Musik zu erreichen. Ob dieses Konzept nun auf jeden Hörer individuell wirken mag, zumindest mit ihrer Stimme kann sie doch Hoffnung und Freude verbreiten, ihr Klang schützt auch vor dem stärksten Sturm.

[Oliver Fraenzke, März 2016]

Solosonaten vom Geiger-Zar

Eugène Ysaÿe (1858-1931)
Sechs Sonaten für Violine solo op. 27

Frederieke Saeijs

Linn Records CKD536
6 90162 05362 4

Ulrich0012

Als der Komponist und überragende Geiger seiner Generation Eugène Ysaÿe den jungen ungarischen Geiger Joseph Szigeti Bach spielen hörte, war das der entscheidende Impuls für die Komposition seiner sechs Solosonaten op. 27. Natürlich bezog er sich dabei auch auf die sechs Bach’schen Solo-Sonaten und -Partiten, allerdings verwendete er in den 1923-24 entstandenen Werken alle bis dahin bekannten und von ihm selber bis an die Grenzen des damals Möglichen ausgeloteten musikalischen und kompositorischen Mittel. Jede einzelne Sonate ist einem bedeutenden zeitgenössischen Geiger gewidmet und auf dessen Eigenarten zugeschnitten. So entstand ein Kosmos, der bis heute, und heute mehr denn je, Geiger aller Schattierungen herausfordert.

Noch vor kurzem war mir ein Abend mit Violine allein schwer vorstellbar – aber seit einem Konzert mit dem jungen Geiger Lucas Brunnert mit Kompositionen von Heinz Schubert, Eduard Erdmann, Eugène Ysaÿe und Sergej Prokofieff bin ich ganz anderer Meinung – auch wenn so ein Solo-Abend oder in diesem Fall eine Solo-CD eine ganz besondere Herausforderung darstellt, nicht nur an die Musikerin, auch an den Hörer.

Die holländische Geigerin Frederieke Saeijs spielte diese sechs Solo-Sonaten für Linn auf einer Guarneri-Geige von 1725 ein. (Sie schreibt auch, mit welchem Bogen – einem Eugène Sartory – sie spielt, eine Seltenheit, aber sehr begrüßenswert.) Und Saeijs verfügt über die geigerischen, aber auch die musikalischen und geistigen Möglichkeiten, um diesen gigantischen Herausforderungen adäquat zu begegnen.
Vom zartesten Pianissimo bis zum wilden Ausbruch im Fortissimo stehen ihr alle Klangschattierungen zur Verfügung, aber was noch wichtiger ist: Nie geht der Zusammenhang verloren, jede Sonate ist eingebunden in einen großen gestalterischen Bogen, das Ende ist im Anfang enthalten, der Bogen schließt sich wieder.

Zu den einzelnen Sonaten:
Sonate op. 27 No. 1 – gewidmet Joseph Szigeti in g-moll mit den Sätzen Grave (Lento assai), Fugato (molto moderato), Allegretto (amabile) und  Finale con brio (allegro fermo).
Vor mir liegen die Noten, so dass neben dem Hören auch das Sehen der Strukturen hilft, diese so avancierte und ungeheuer komplexe Musik zu begreifen. Denn mit dem Hören allein – vor allem, wenn man die Sonaten zum ersten Mal hört – ist es hier nicht getan. Natürlich ist der zweite Satz, das Fugato, am leichtesten zu verfolgen, was an der polyphonen Struktur liegt, die sich leicht mitvollziehen lässt. Aber immer wieder erstaunt doch der fast grenzenlose Reichtum – und die Beherrschung der komplexen Kompositionen durch die junge  Geigerin (geboren 25. Januar 1979) – der Tonsprache Eugène Ysaÿes. Wo es doch nur 12 Halbtöne in einer Oktave gibt, auch wenn der Umfang der Geige über mehr als vier Oktaven gebietet.  Und jede der sechs Solosonaten ist einem anderen zeitgenössischen Geiger und seiner Art zu spielen verpflichtet.

Sonate op.27 No. 2 – gewidmet Jacques Thibaud in a-moll mit den Sätzen Prélude – Obsession (poco vivace),  Maliconia (poco lento), Danse des ombres (Sarabande – lento), les furies (allegro furioso).
Diese Sonate erschließt sich – nicht zuletzt wegen der Bach’schen Zitate im ersten Satz – leichter, was sicher auch an den Titeln der einzelnen Sätze liegt. Sie deuten ja eine Art Programm an, nehmen sicher auch Bezug auf die Art des Thibaud’schen Geigenspiels, von dem im Programmheft – leider nur in Englisch, aber sehr aufschlussreich –  der rumänische Geiger George Enescu (1881-1955) aufs Äußerste schwärmt: „Mir tut es leid für alle jungen Geiger, die Thibaud nie hören konnten…“

Sonate op. 27 No. 3 –  gewidmet George Enescu in d-moll in einem einzigen Satz: Ballade (Lento molto sostenuto, molto moderato quasi lento, allegro in tempo giusto e con bravura, tempo poco più vivo e ben marcato).
Mit einem geheimnisvollen Rezitativ beginnt diese Sonate, die sich über eine Melodie im Fünfviertel-Takt in ein Allegro und zum Schluss in ein überschäumendes Tempo steigert. Erstaunlich, was an Klängen aus so einem „kleinen“ Instrument wie einer einzelnen Geige sich entfalten kann, wenn eine Könnerin wie Frederieke Saeijs souverän über ihr Instrument und die Komposition verfügt. In allen Bereichen, pianississimo fast an der Hörgrenze bis schnellst im Fortississimo stehen ihr und ihrer Guarneri-Geige alle Mittel aufs Überzeugendste zu Gebote – was mich beim wiederholten Hören diesem „Geigen-Kosmos“ näher und näher bringt. (Und nichts Geringeres wollte Ysaÿe mit diesen sechs Solosonaten schaffen.) Es ist die Bekanntschaft mit einer Musik, von deren Existenz ich bis dahin nur wusste, aber bis auf die vierte Sonate noch nichts gehört hatte.

Sonate op. 27 No. 4 – gewidmet Fritz Kreisler in e-moll mit den Sätzen Allemanda (lento maestoso), Sarabande (quasi lento) und Finale (presto ma non troppo).
Fritz Kreisler, auch heute noch als  d e r  Wiener Geigen-König bekannt und geliebt mit seinen höchst eingängigen Kompositionen, die damals oft für die Spielzeit einer Schellack-Scheibe ausgelegt waren, gab dieser vierten Sonate die Patenschaft, was sich in ihrem kompositorischen Kalkül durchaus bemerkbar und hörbar macht. Auch hier zieht Ysaÿe alle Register seines kompositorischen Könnens, schnellste Arpeggien bis in die allerhöchsten Lagen, Doppelgriffe auf allen Saiten, aber auch langsame melodische Abschnitte in der Sarabande und natürlich alle auf der Geige möglichen Stricharten geben dieser Sonate ihren Charakter.

Sonate op. 27 No. 5 in G- Dur – gewidmet  Mathieu Crickboom mit den Sätzen L’aurore (Lento assai) und  Danse rustique (allegro giocoso molto).
Mathieu Crickboom war der zweite Geiger im Ysaÿe-Quartett, und so ist sein Name nicht nur als Geiger, sondern auch als Widmungsträger der fünften Solosonate erhalten geblieben. Dass er als zweiter Geiger durchaus solistisch tätig war oder sein konnte, merkt man diesem Stück an, das ganz einfach mit der leeren Quinte G-D beginnt; aus dieser „Einfachheit“ entwickelt sich eine simple Melodie, die dann aber mit großen Arpeggien über den ganzen Tonumfang der Geige ausschwingt. Dem zweiten Satz – im Fünfviertel-Takt – liegt ein kleines tänzerisches Thema zugrunde, das sich ins  dreifache Forte und mit vierstimmigen Akkorden steigert. Im Mittelteil, bevor das Thema noch einmal einsetzt und in einem schnellen Lauf übers gesamte Griffbrett zum höchsten g und auf der tiefen G-Saite endet, werden verschiedene Möglichkeiten auch mit dem Daumen der Bogenhand zu spielender Läufe gezeigt.

Sonate op.27 No.6 in E-Dur – gewidmet Manuel Quiroga mit dem einzigen Satz Allegro giusto non troppo vivo.
Diese Sonate, die der Widmungsträger – wie das Booklet informiert – nie selbst öffentlich gespielt hat, macht aus ihrem spanischen Einfluss – Quiroga war Spanier – keinen Hehl, selbst der Tango wird im zweiten Teil des einsätzigen Stückes „bemüht“, was das ganze Stück natürlich etwas leichter zugänglich  für die Hörerin, den Hörer macht als zum Beispiel op. 27 No. 1.
Auch auf diese Art kann man etwas für seinen Nachruhm tun, denn ohne Ysaÿes letzte Solosonate wäre der hochbegabte Manuel Quiroga heute wohl längst vergessen. Terzenläufe und Läufe in Oktaven, rhythmisch Vertracktes, Anklänge an spanische Folklore oder argentinischen Tango ertönen, und im Fortissimo und mit zwei Sechzehntel-Läufen bis in die höchsten Lagen und zum tiefen e – wie sich das für einen Grundton in E-Dur gehört – geht dieses Geigen-Universum zu Ende.

Selbst wenn alle möglichen Dissonanzen die Tonalität ab und an aufzulösen scheinen, bewegen sich die Stücke alle im tonalen Rahmen, was die Tonartenbezeichnungen am Beginn jeder Sonate unterstreichen. Auch als in anderen Musikbereichen die Tonalität längst verpönt war und die Gleichberechtigung aller 12 Halbtöne gefordert und erstrebt wurde, ist es nach den sechs Solopartiten für Geige von Johann Sebastian Bach (1685-1750) dem Komponisten und Geiger-Zar (diesen Ehrennamen bekam Ysaÿe in Russland zuerkannt) gelungen, einen ebensolchen Kosmos zu komponieren, an dem sich seit seiner Entstehung Geigerinnen und Geiger aller Schattierungen messen und wie im vorliegenden Fall die holländische Geigerin Frederieke Saijs in souveräner Gelassenheit dieses Riesenwerk vor unseren Ohren und Augen entstehen lassen kann. Wie schön, dass diese wunderbare Musik damit für mich kein unbekanntes Neuland mehr ist.

[Ulrich Hermann, Januar 2016]

Eine Be-„Reicha“-rung

Antoine Reicha (1770 Prag-1836 Paris)
Bläser-Quintette

Thalia Ensemble

CKD 471 Linn Records
6 91062 04712 8

Ulrich8

Gewiss ist die Gattung des Streichquartetts oder des Klaviertrios mit Streichern den Bläser-Ensembles weit voraus an Literatur und Bedeutung in der Musikgeschichte, aber was wäre das klassische Orchester ohne seine Holzbläser oder seine Hörner?  Schon lange vor den reinen Bläserquintetten, wie sie auf der vorliegenden CD zu hören sind, war die sogenannte Harmoniemusik, gerne unter freiem Himmel gegeben und dort, ohne akustischen Rahmen, weit geeigneter als Streicher, allseits beliebt.  Um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert gewann dann die Besetzung mit  Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott zunehmend an Bedeutung, auch durch die Kompositionen des böhmischen Musikers und Komponisten Anton Reicha, der vor allem in Paris lebte und arbeitete.

Aus seiner Feder stammen die vorliegenden Stücke op. 88 und 100. Über 20 Quintette für diese Besetzung schrieb Reicha, der als unorthodoxer Fugenpapst renommierte Zeitgenosse Beethovens, jünger als Haydn und Mozart und durchaus auch von diesen beeinflusst. Reicha, der ein vorzüglicher Flötist war, wirkte auch Pädagoge und seine Schriften waren – wie seine Kompositionen – über ganz Europa verbreitet, was auch seinen emsigen Verlegern zu verdanken war. Unter ihnen war Simrock wohl der bedeutendste, übrigens selbst ein Hornist.

Wir hören mit den Musikerinnen und Musikern des Thalia Ensembles eine spannende und abwechslungsreiche Aufführung beider Quintette. Reicha schreibt sehr genaue Vortragsbezeichnungen, die hier auch sehr gewissenhaft befolgt werden. Das leider nur auf Englisch vorliegende Booklet gibt auch Aufschluss über die instrumentalen Schwierigkeiten, besonders, wenn es um die Ausführung auf den „normalen“ modernen Instrumenten geht, bei denen die Klangbalance viel schwieriger zu erreichen ist als auf den „historischen“. Und das ist einer der echten Vorzüge dieser CD, dass sowohl Klang als auch weitgehend Tempo und Phrasierung sich dem Stand der Forschung und Erkenntnis zur damaligen Musizier-Praxis so weit als möglich annähern. Das erweitert das Vergnügen am Hören dieser Musik des Anton Reicha, die im damaligen Paris einen regelrechten „Boom“ auslöste. Reicha versteht es in diesen Quintetten den jeweiligen Instrumenten gemäß ihrer Eigenart und Möglichkeiten sozusagen die Melodien und damit natürlich auch die Harmonien  „auf den Leib zu schneidern“. Oft stellt er die höchsten Register der Flöte den tiefsten Lagen im Fagott gegenüber. Natürlich sind die Melodien von der Klassik beeinflusst, aber die häufige Verwendung auch höchster oder tiefster Lagen, sowie die Einbeziehung der Chromatik in den Melodien, oder Tonartenwechsel innerhalb eines Satzes weisen durchaus darüber hinaus in den Beginn der romantischen Tonsprache eines Car Maria von Webers zum Beispiel.

Die Quintette sind klassisch viersätzig, eine Ausnahme bildet nur das sehr schöne Adagio „pour le cor anglais“ in d-moll, wo eben statt der Oboe ihre tiefere Variante, das Englischhorn, seine Farbe dazu gibt. In jedem Stück weist Reicha den verschiedenen Instrumenten neben melodischen Anteilen auch begleitende Funktion zu, und das Staunen, dass das (damals) ventillose Horn diese Aufgabe bestens erfüllt, ist nicht gering. Im großen Ganzen ist es ein Genuss, der Farbigkeit dieses Ensembles zu lauschen., das 2013 Gewinner eines Wettbewerbs in York war. Wenn ich mir nicht ab und an etwas mehr Gelassenheit und Ruhe in einzelnen Sätzen gewünscht hätte, aber das ist eine Crux, die fast allen wohlausgebildeten Musikerinnen und Musikern eignet: Sie können sich nur schwer in das Zeit- bzw. Lebensgefühl der damaligen Zeit hineinversetzen, in der bald darauf die ersten Eisenbahnen mit ihren anfangs 8 km/h für medizinische Warnungen vor Herzinfarkten und anderen Gebresten sorgten, die bei solcher Geschwindigkeit unweigerlich einträten… Sie hatten eben weder Fernsehen noch Internet, weder Auto oderFahrrad noch Telefon oder Handy, und ein galoppierendes Pferd mit seinen maximal 36 km/h war das Höchste an Geschwindigkeit und das auch nur maximal zwanzig Minuten lang.

Abgesehen von dieser – unserer schnelllebigen Zeit geschuldeten – Manier ist diese CD eine wahre Be-„Reicha“-rung der Musikwelt und zeigt wieder einmal die vorzügliche Aufgabe, die der Tonträger haben kann und hat, wenn wir ihn intelligent zu nutzen verstehen.

[Ulrich Hermann, Dezember 2015]

„In der Fremde“

Linn Records CKD 474; ISBN: 6 91062 04742 5

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Zum wiederholten Mal gibt der der englische Tenor James Gilchrist seiner treuen Mitstreiterin an den Tasten, Anna Tilbrook, die Ehre einer neuen Einspielung – nach etlichen Aufnahmen mit Gesängen von Britten, Schubert, Leighton, Berkeley und anderen diesmal mit Liederzyklen des deutschen Romantikers Robert Schumann. Auf die beiden Liederkreise Op. 24 nach Texten von Heinrich Heine und Op. 39 über Gedichte Joseph von Eichendorffs folgt die Vertonung von Heines berühmter Dichterliebe als Op. 48.

Siebenunddreißig Gesänge umfasst die CD mit Robert Schumanns Liederzyklen, die vom Tenor James Gilchrist und der Pianistin Anna Tilbrook vorgetragen werden. Eine erstaunlich hohe Anzahl, wenn man bedenkt, wie vielseitig doch jedes dieser Lieder an sich schon ist – und entsprechend, wie viele unterschiedliche Nuancen in all diesen kleinen Formen entdeckt werden müssen, um der abenteuerlichen Bandbreite menschlicher Emotionen darin gerecht zu werden. Das Zusammenspiel wird teils auf harte Proben gestellt, viele rhythmischen Feinheiten werden verlangt, auseinanderstrebende und parallel verlaufende Melodielinien müssen sanglich abgestimmt werden und auch der Zusammenhang innerhalb der Zyklen ist zu wahren.

Mit James Gilchrist hat Linn Records einen erstklassigen Tenor gefunden, dessen Repertoire sowohl Lieder als auch Opern, Oratorien und Messen verschiedenster Epochen vor allem aus England und dem deutschsprachigen Raum umfasst. Seine Stimme ist unverkennbar markant mit einem recht weiblichen Timbre und einer gewissen Zartheit, die jedoch auch gelegentlich in Furor geraten kann, sofern es das Lied erfordert. Zugegebenermaßen ist sein Klang anfangs wahrlich ungewohnt und wird vermutlich auch einigen Hörern begrenzt angenehm erscheinen, doch wenn man sich einmal an diese unverwechselbare Stimme gewöhnen konnte, lernt man schnell ihre besonderen Qualitäten zu schätzen. Gilchrist vermag es, sich minutiös in alle noch so feingliedrigen Lieder einzufühlen und die idiomatisch herausgearbeiteten Stimmungen nachvollziehbar weiterzuvermitteln. Deutlich aufmerksam wird der Hörer darauf zum Beispiel im „Waldesgespräch“ aus dem Liederkreis Op. 39, wo Gilchrist glaubhaft die beiden Dialogpartner verkörpert und es ihm darüber hinaus auch noch gelingt, den Wandel des unschuldigen Fräuleins in die gleich männlicher und überlegen wirkende Loreley auszugestalten. Erstaunlich ist, wie exakt die Aussprache des englischen Tenors im Deutschen ist, zu keiner Zeit scheint es, als wäre es nicht seine Muttersprache (meine Recherchen, ob irgendein Bezug zu Deutschland besteht, ergab bisher keine bestätigenden Resultate). Manchmal ist bedauerlicherweise sein Atmen unerwarteterweise derart laut und durch die Zähne zischend, dass es fast wie in die Gesangsstimme einbezogen scheint – vor allem in „Ich grolle nicht“ -, wobei dies glücklicherweise nur in den wenigsten Liedern auffällt. Äußerst angenehm ist dafür, dass James Gilchrist komplett auf sonstige künstlichen Manierismen und erkennbar unechte Verstellung verzichtet, sondern lediglich die auch tatsächlich in den Noten befindliche Rolle ohne jegliche störenden Beifügungen verkörpert.

Dem Tenor zur Seite agiert Anna Tilbrook am Klavier, die bereits seit 1997 mit Gilchrist zusammenwirkt, was unzählige Tonträger künstlerisch belegen. Zweifellos lässt sich feststellen, dass die Pianistin eine erfahrene und routinierte Kammermusikerin ist und viel mit Sängern gearbeitet hat. Ihr Spiel ist klar und perlend mit einem großen Maß an Zurückhaltung. Dies hat natürlich zur Folge, dass sie oft in die reine Begleiterrolle abrutscht anstelle eines gleichwertigen Klavierparts und somit die Singstimme teils nicht unterstützend tragen kann – worauf Gilchrist allerdings auch wenig angewiesen ist und sich in der alleinigen Dominanz bestens zurechtfindet. Meist kann sich Tilbrook auch aus der Tiefe heraus den melodiösen Linien ihres Sängers anpassen und einen stimmigen Widerpart bilden. Jedoch, wie so häufig in routinierten Konstellationen, „singt“ das Klavier vielerorts zu wenig, sondern exekutiert, statt melodiöse Aufschwünge zu erleben, eher die Noten. Gerade bei Staccatostellen, die eindeutig zu kurz sind und von keiner Gesangsstimme so schnell weggerissen werden können, holpert das Zusammenwirken dabei etwas. Jedoch hält sich auch Anna Tilbrook genauestens an den Notentext und versteht es in den meisten Fällen, die Gefühlslage in Tönen wiederzugeben und einige Textstellen ohne übertriebenen Effekt abzubilden. Auch den unpianistischsten Passagen wird sie mühelos gerecht und meistert alle rhythmischen Delikatessen im Zusammenspiel mit dem Tenor ohne je zu stocken. Die Tempowahl ist fast durchgehend äußerst angenehm, beide Musiker vertrauen vor allem den ruhigeren und innigeren Tempi ohne die viel zu oft vertretene Angst, der Fluss könne ins Stauen geraten – was sich hier als eine gute Wahl erweist, denn gerade den langsamen Liedern wohnt eine große Spannung inne, die erst durch zurückgenommenere Geschwindigkeit so greifbar wird.

Abgesehen von den erwähnten Atemgeräuschen ist der vergleichsweise trockene Klang der Aufnahme sehr angenehm zu hören, qualitativ wie wohl die meisten Aufnahmen der letzten Jahre sehr hochwertig. Der CD liegt ein äußerst umfangreiches Booklet auf Englisch bei, das neben allen Texten inklusive Übersetzung ins Englische von Richard Strokes auch einen langen Text aus der Feder von Nicholas Marston bietet, in dem der Autor neben Einführungen in die Liederzyklen auch einige Fragen beantwortet, wie beispielsweise die Definition eines Liederzyklus laute oder was es mit dem Wort-Ton-Verhältnis auf sich habe.

[Oliver Fraenzke, Oktober 2015]