Schlagwort-Archive: LINN

Mal wieder…

Mozart Klavierkonzerte 25 & 26 – Francesco Piemontesi, Klavier; Andrew Manze, Scottish Chamber Orchestra
Linn 544; EAN: 6 91062 05442 3

Warum es zum hunderttausendsten Mal eine Aufnahme mit den zwei Mozart-Klavierkonzerten Nr. 25 und 26 geben muss, ist mir nach Anhören dieser CD schleierhaft. Natürlich, Mozart ist und bleibt Mozart, aber bei einer neuen Ausnahme erwarte ich etwas mehr als nur das Buchstabieren der Noten. Das ist alles ganz schön realisiert, die Töne stimmen, das Orchester unter der Stabführung von Andrew Manze begleitet den jungen italienischen Solisten gekonnt, aber das ist auch schon alles. Gelingt es in den beiden langsamen Sätzen wenigstens teilweise, den Zauber der Mozart’schen Musik einzufangen, so laufen die schnellen Sätze einfach vorüber, die Bewegungen – d a s Charakteristikum seiner Musik – rauschen uninspiriert und teilweise auch unphrasiert hurtig dahin, das lässt keinen Höhepunkt erkennen, auf den diese Musik-Sprache sich zubewegt, auch das Orchester tut nicht mehr als notwendig ist, die Genialität dieser Konzerte wird nicht erlebbar. Und das genau ist eine Forderung, der jede – vor allem jede neue – Einspielung gerecht werden sollte. Denn der Referenz-Aufnahmen sind zahllose, von Horowitz über Gulda bis hin zu neueren von Chick Corea und Bobby McFerrin. Und wenn es um das Orchester und besonders um die Bläser geht – eine andere Spezialität in Mozarts Klangsprache, dann ist für mich die Aufnahme mit dem schönsten Orchesterspiel die von David Greilsamer und seinem Suedama Ensemble (naive V 5184).

Ganz zu schweigen von Glenn Gould’s Mozart, an dem sich alle Pianisten orientieren können, was melodiöse Phrasierung, Tempo und Musikalität angeht. Seit der neuen Aufnahme von Bachs Musik mit Anton Batagov ist allerdings ein neues Kapitel des Musizierens aufgeschlagen. Ob sich jedoch viele Musiker damit befassen und die Konsequenzen daraus ziehen können und wollen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Aber vielleicht ist die Tür geöffnet für einen ganz neuen Blick auch auf Mozarts Musik. Schon als Kind und Jugendlicher war für mich die „Exekution“ seiner Musik instinktiv viel zu schnell und viel zu oberflächlich. Und nicht erst seit Grete Wehmeyers Buch „Zu Hilfe, zu Hilfe!“ über die Tempowahl und alles Andere bei Mozart taucht ein anderes Verständnis für die „Klangrede“ (Nikolaus Harnoncourt) auf.

Zeit für eine große Veränderung der Frau Musica gegenüber wäre es längst. Auch im neuen Buch von Andrej Hoteev „Zwischen zwei Welten“ (hrsg. von G. Helbig) geht es bei seinen berühmten Kollegen Richter oder Gilels um das Tempo giusto. (Das es letztlich als absoluten Maßstab gar nicht geben kann!)

Und dagegen fällt diese CD ganz einfach ab. Da hilft auch der Hinweis im Booklet – das übrigens die Umgebung dieser zwei Konzerte recht gut und informativ beschreibt – auf berühmte Lehrer wenig bis gar nichts. Schade!

[Ulrich Hermann, August 2017]

Große Aufgaben für kleines Ensemble

Linn Records CKD 516; EAN: 6 91062 05162 0

Die berühmte Gran Partita KV 361 von Wolfgang Amadeus Mozart ist das Titelstück der neuen CD von Trevor Pinnock gemeinsam mit dem Royal Academy of Music Soloists Ensemble für Linn Records; zudem gibt es Joseph Haydns Notturno Nr. 8 in G-Dur Hob: II:27.

Regelrecht als revolutionär ist Wolfgang Amadeus Mozarts Serenade in B-Dur KV 361 mit dem Titel „Gran Partita“. Sie sprengt den Rahmen der bis dahin gebräuchlichen Harmoniemusik, einer reinen Bläserbesetzung aus Holz mit dem sich in den Holzbläserklang gut einfügenden Horn als zentralem Bestandteil, der nur selten auch mal ein Streichinstrument beigegeben wird. Anstelle der üblichen verspielt kurzen und meist leichten Stücke für diese meist unter freiem Himmel spielenden Ensembles verfasst Mozart ein siebensätziges Werk von über 45 Minuten Länge, welches jedem der dreizehn Bläser sowie dem hinzugefügten Kontrabass (welch eine herrliche Besetzung!) heikle Schwierigkeiten und solistische Anforderungen zukommen lässt, welches dergestalt die Harmoniemusik in den großen Konzertsaal überführt. Auch stilistisch wagt Mozart wie so gerne einen Blick in die Zukunft und schreibt hier eine Musik, die wieder einmal beileibe nicht dem typischen „Mozart-Klischee“ entspricht, viel freier und unkonventioneller ist sie, durchzogen mit unerwarteten Wendungen und mancherorts gar düsteren Zusammenklängen. Kaum weniger reizvoll, wenngleich wesentlich unbekannter, ist Haydns Notturno Nr. 8 in G-Dur Hob. II:27 für sechs Streicher, zwei Hörner, Flöte und Oboe (letztere waren in der ursprünglichen, kürzeren Fassung durch zwei Lyren zu besetzen). Das dreisätzige Werk umfasst eine große Stilbreite von Elementen der Barockzeit bis hin zu unerhört fortschrittlichen Passagen, die man gut und gerne ins 19. Jahrhundert verorten könnte – eine spannende Entdeckung.

Trevor Pinnock entlockt dem Royal Academy of Music Soloists Ensemble einen sehr durchsichtigen und lupenreinen Klang mit einer offenen Ausstrahlung. Alles ist in sehr feiner Manier dargeboten und zeichnet sich durch edle Zurückhaltung aus. Den Musikern beziehungsweise den Solisten gelingen ihre Aufgaben mit Bravour und spielerischer Leichtigkeit. Dabei sind stets die zentralen Stimmen gut hörbar und lassen einen fein abgewogenen Kontrapunkt entstehen. Mancherorts wäre noch wünschenswert, mehr Fokus auf die organische Entfaltung der Musik zu spüren, das Tempo driftet gerne etwas aus dem Ruder und die harten Kontraste verlieren sich in Gleichförmigkeit, die durch Verfeinerung der Dynamik im kleinen wie im großen Kontext schnell an Vielschichtigkeit gewinnen könnte. Was leider stört, sind die vollkommen gleich vorgetragenen Wiederholungen – es ist, wie wenn man ein Buch um einige Seiten zurückblättert und die Geschichte haargenau noch einmal von dieser Stelle aus liest, ohne dabei zumindest den Tonfall zu ändern, es als Spannungssteigerung oder als sich auflösende Spannung zu empfinden. Damit kann der Spannungsbogen nicht funktionieren, der energetische Fluss setzt aus. Es wäre schöner, wenn man kein Gespür dafür hat, die Wiederholungen einfach auszulassen, als somit die Musik unnötig in die Länge zu ziehen, ohne dass es als Ganzes funktionieren kann.

Bei Haydn funktioniert die Kontinuität besser, es entsteht mehr das Gefühl der unzertrennlichen Einheit der Sätze. Besonders hervorzuheben hier sind die beiden Violinen – gerade die erste -, die einen ganz eigentümlichen, beinahe folkloristischen Ton hervorbringen, was stellenweise die Barockelemente unterstreicht, teils aber auch vollkommen neue Farben hineinzuzaubern vermag in diese herrliche Musik. Es entsteht eine gewisse Natürlichkeit, die der Musik sehr gut tut.

[Oliver Fraenzke, Juni 2016]

Alle Farben der See

Linn AKD 533; Quiet Money Productions; ISBN: 6 91062 05332 7

 1

Liane Carroll entführt den Hörer mit ihrem neuesten Album ans Meer. In wechselnder Besetzung singt sie zehn Songs verschiedenster Komponisten, das titelgebende Seaside wurde dabei von Joe Stilgoe exklusiv für die Sängerin und ihre Passion für die See geschrieben, womit er den Anstoß zu vorliegendem Album gab.

Wenn Liane Carroll zu singen beginnt, hört die Welt auf, sich zu drehen. Vom ersten Augenblick an bezaubert die britische Sängerin und Pianistin mit ihrer einmaligen Stimme, deren angenehm rauer Klang den Hörer sofort gefangen nimmt. Jedem Stück gibt Carroll eine vollkommen eigene und unnachahmliche Note, alles ist aus vollster Leidenschaft und mit selbstbesonnener, tiefer Empfindung gesungen und wirkt sowohl reflektiert als dennoch auch so unmittelbar spontan, als hätte sie die Songs gerade eben zum ersten Mal für sich entdeckt. Im Großen und Ganzen bevorzugt sie zwar für ihre Vorstellung der Seelandschaft gemessene Tempi, doch überzeugt sie auch in vorwärtstreibenden Passagen sowie wilden Scateinlagen. Die Musik ist ständig progressierend, immer streben die Titel nach Entwicklung und verbinden teils vollkommen auseinanderstrebende Abschnitte mit höchster Eleganz und Stilsicherheit.

Was dieses Album so vielseitig und abwechslungsreich macht, ist die Tatsache, dass Liane Carroll nicht auf eine feste Besetzung für ihre Songs vertraut. Nach jedem Track wechselt die Zusammensetzung ihrer Mitstreiter, und auch innerhalb der Stücke changieren manche Spieler zwischen bis zu drei Instrumenten. Dies lässt die Musik nicht einmal annäherungsweise Gefahr laufen, in Gleichförmigkeit zu versinken, denn durch fortwährend sich verändernde Klangkulisse bleibt sie durchgehend frisch und sorgt für stetige Überraschungen. Jedes Instrument ist sorgsam ausgewählt und trägt zum Gesamtbild maßgeblich bei, zu keiner Zeit scheint ein Element zu fehlen oder überflüssig zu sein. Und ob für eine Nummer nun eine volle Klangkulisse mit bis zu neun Instrumentalisten (inklusive der auch am Klavier tätigen Liane Carroll) oder eine intimere Konstellation mit beispielsweise nur Gitarrenbegleitung völlig ohne Schlagwerk zum Einsatz kommt, hat überhaupt keinen Einfluss auf das exzellent abgestimmte Zusammenwirken aller Kräfte. Dies hat zwar zur Folge, dass einige Musiker nur in ein oder zwei Stücken zu hören sind, aber ungeachtet dessen nimmt jeder eine entscheidende Rolle ein und keiner fällt aus dem eingespielten Einheitsgeist heraus. Elektronische und akustische Klaviere, Gitarren und Bässe fügen sich neben Schlagwerk, Flügelhörnern, Trompete, Euphonium, Saxophon, Posaune, Tenorhorn und sogar Vibraphon in unzähligen Konstellationen zusammen.

Übergreifendes Verbindungselement des Albums ist selbstredend das Meer, ob nun Liane Carroll die Nummern nur mit Strandspaziergängen verbindet oder ob der Textinhalt sich auf das Wasser bezieht – und das ist bei Carrolls außergewöhnlich guter Textverständlichkeit leicht mitzubekommen! -, wirkt doch alles sehr fließend und ist umgehend mit dem feuchten Element in Verbindung zu bringen. So fällt es kaum auf, dass jeder Song von unterschiedlichen Urhebern stammt, bekannte Namen reihen sich neben weniger populären, wobei „My Ship“ als einziges von international berühmten Persönlichkeiten geschrieben ist, nämlich von Kurt Weill und Ira Gershwin, Bruder von George Gershwin. Die letzte Nummer ist gar ein traditionelles Volkslied und eine besondere Hommage an das Leben in Küstenregionen. Auch die optische Erscheinung lässt sofort auf das zentrale Thema schließen, ein verblichen wirkendes Foto zeigt die Sängerin am Meer vor zwei Schiffen und einer kreisenden Möwe, die Innenseite gibt alte Urlaubsbilder am Strand frei. Einfach alles ist stimmig, dieser leicht veraltete und ausgeblichene Look und das blaulastige Design gehen auch optisch eine Synthese mit den musikerzeugten Stimmungen ein.

Aufgenommen wurde das Album an insgesamt fünf Studiotagen – und das für 42 Minuten Musik verteilt auf zehn Nummern. Diese Zahlen stehen hier wirklich symbolisch für die musikalische Qualität: Es ist einfach offenkundig, wie sorgfältig durchgestaltet jeder Song ist und wie viel Herzblut in das Projekt hineingegossen wurde. Bei Seaside stimmt absolut alles, wodurch dieses Album unbestreitbar zu den hörenswertesten Jazzneuheiten zählt.

[Oliver Fraenzke, September 2015]