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Die Musikgeschichte im Blick

Johannes X. Schachtner: Works for Ensemble, Ensemble Zeitsprung, Markus Elsner

Das Ensemble Zeitsprung unter Markus Elsner spielt Werke von Johannes X. Schachtner, der im Jahr der Entstehung dieser Aufnahme Artist in Residence des Ensembles ist. Auf dem Programm steht der Symphonische Essay von 2008 in der dritten Fassung von 2015/16, Aufstieg von 2010, Air – an Samuels Aerophon und Quatre tombeaux de vent von 2013 sowie die Inventionen III bis V, Hopscotch (2013), Canon – tribute to Johanna M. Beyer und Battery (je 2016). Die Gesangspartien in Quatre tombeaux de vent übernimmt Thérèse Wincent, Peter Schöne hören wir in Aufstieg.

 

Johannes X. Schachtner zählt zu den erfolgreicheren Komponisten der jüngeren Generation, er wird von Julia Fischer, Ulf Schirmer und anderen regelmäßig programmiert und tritt auch selbst als Dirigent auf die Bühne. Was Schachtner besonders macht, ist seine überragende Kenntnis der gesamten Musikgeschichte, die sich nicht zuletzt in seinem Werk wiederspiegelt. Der Komponist verirrt sich nicht in Modernismen und dem Bestreben nach ewig noch Neuerem, sondern reflektiert das Vorhandene und bezieht es mit ein. Und je mehr er dies tut, je „moderner“ werden auch die Werke, denn hier entfaltet sich etwas, das eigenständig und unerhört ist. Der Hörer kann es verstehen und nachvollziehen, wird nicht erschlagen von rein intellektuell erdachten Klangkonstellationen.

Am bezwingendsten erscheinen die frühesten beiden Werke dieser CD: Der Symphonische Essay und Aufstieg. Der symphonische Essay ist eine verdichtete Form einer ursprünglichen Kammersymphonie von 2008 und demonstriert noch immer symphonische Kontraste und Dualität. Errichtet ist sie über einer Idee aus Beethovens 8. Symphonie, die immer wieder herausscheint, sich aber nicht in den Vordergrund drängt. Die Form ist gereift und kompakt, schlüssig in ihrer Ausdehnung. Der Komponist beweist in diesem Werk, wie viel er von Instrumentation und dem Miteinander der Musiker versteht, wobei er sich nicht scheut, auch einmal tonal zu werden. Aufstieg basiert auf Texten von Johanna Schwedes und legt den Fokus darauf, diesen in der Musik abzubilden. So lässt Schachtner die Worte verständlich klingen und bereichert sie durch Musik, fragmentiert und setzt wieder zusammen. Dabei unterstreicht er die wichtigen Passagen subtil und überakzentuiert sie nicht, was einem kontinuierlichen Fluss durch die Texte zugutekommt. Die Sopranpartie in den Quatre tombeaux de vent ist da schwebender und umnebelt, anders als die klare und geerdete Baritonstimme in Aufschwung. Interessant sind auch die Inventionen (tatsächlich in ihrer ursprünglichen Bedeutung, wie wir sie von Bach kennen), in denen je das Schlagzeug eine tragende Rolle spielt. In jeder Invention wird es von neuen Perspektiven betrachtet und so erhalten wir ein Bild auf dieses Instrument, das Jahrhundertelang nur in orchestralen Kontexten wichtig war und erst im 20. Jahrhundert als Solist zum Vorschein trat.

Das Ensemble Zeitsprung zeichnet sich durch seine Gewissenhaftigkeit aus: Markus Elsner und seine Musiker wissen, wie wichtig und bedeutend ihre Aufgabe ist und, dass gerade bei moderner Musik eine schlechte Aufnahme auf das Stück und nicht die Musiker zurückgeführt wird, wodurch das Werk auf diese Weise schnell zugrunde gehen kann. Entsprechend viel Arbeit und genaue Reflexion stecken in der Darbietung der Musiker und wird hörbar. Mehr sogar, wir nehmen nicht nur wahr, dass die Musik verstanden wird, sondern, dass sie eine Herzensangelegenheit für alle Beteiligten ist. So wird die Musik lebendig, frisch und unverbraucht dargeboten, die Freude an ihr überträgt sich unweigerlich auf den Hörer.

[Oliver Fraenzke, Mai 2018]

 

Aus der weiblichen Perspektive

Im Rahmen des Festivals Art in Perspective spielt Yamilé Cruz Montero ein Programm mit „Komponistinnen aus aller Welt“. Die meisten der gespielten Werke sind Uraufführungen, die für das Festival in Auftrag gegeben worden sind. Die Komponistinnen sind Miriel Cutiño und Keyle Orozco aus Kuba, Tania León aus Kuba / USA, Elena Tarabanova aus Russland / Deutschland, Verena Marisa aus Deutschland, Anna Korsun aus Ukraine / Deutschland, Leticia Armijo und Lilia Vázquez aus Mexiko und Diana Syrse aus Mexiko / Deutschland.

Die Frauen in der Zeitgenössischen Kunst, darum dreht sich das neu gegründete Festival „Art in Perspective“ von Diana Syrse und Eva Schabatin. An zwei Tagen werden Frauen in vielen Bereichen der Kunst präsentiert sowie ihre Probleme und Benachteiligungen dargestellt. Im Pyramidensaal des neuen Gebäudes der KHG-TUM in der Karlsstraße 32 in München gibt es Tanz, Musik, Ausstellungen und Podiumsrunden.

In der ersten Programmhälfte am 11. März besteht der Ablauf hauptsächlich aus einer großen Podiumssitzung, in der Frauen aus verschiedenen Zweigen der Kunst vorgestellt werden und über ihre Probleme und Herausforderungen als Künstlerinnen sprechen sowie darüber, warum sie trotz der schwierigen Voraussetzungen ihr Leben der Kunst widmen. Zuvor werden allerdings von Diana Syrse noch zwei CDs der Reihe „Colección Murmullo de Sirenas“ beworben, welche ausschließlich Musik von Komponistinnen Mexikos beinhalten. Leider ist die Zeit nicht ausreichend, um in die Musik auch hineinzuhören, doch kann man sie direkt an der Abendkasse erwerben und nach ausgiebigem Hörgenuss derselben lässt sich sagen, dass darauf wirklich interessante und einprägsame moderne Musik zu hören ist, die sich auch empfehlen lässt. Auch gibt es noch ein kurzes Klavierintermezzo, bei welchem die elfjährige Viktoria Vanninger eine kurze popmusikalische Eigenkomposition vorträgt, die schon im jungen Alter ein erstaunliches Gespür für Harmoniechangierungen aufweist.

Nach der Pause beginnt das Klavierrezital von Yamilé Cruz Montero, die sich der extremen Herausforderung stellt, zehn ganz neue Werke an einem Abend zu spielen, ohne auch nur ein etabliertes und allgemein bekanntes Werk hinzuzufügen. Das Konzert beginnt mit der „Pieza Rapsodiosa“ von Miriel Cutiño (Kuba), einem virtuosen und zerrissenen Stück von höchster Schwierigkeit, das sich als klangschön und eingängig zeigt, wenngleich auch ohne die erwarteten kubanisch-rhythmischen Elemente und ohne besonderen inneren Zusammenhang. „Der Kranke“ von Elena Tarabanova (Russland/Deutschland) folgt, ein noch zersprengteres Werk über den Zwiespalt eines sterbenden Körpers und der auch nach dem Tod noch unruhigen Seele, wobei die Musik zwischen Popmusikelementen und herben Dissonanzen hin und her schwankt. Die vergleichsweise anerkannteste Musik stammt von Tania León (Kuba/USA), heute bereits eine Komponistin älterer Generation, die sich zumindest in ihrem Heimatland einer breiteren Bekanntheit erfreut: „Tumbao“, eine knackig prägnante Miniatur von brillantem Rhythmus, beißendem Witz und Humor, sowie „Momentum“, etwas ruhiger, doch in ähnlichem Stil. Das nächste Stück ist quasi ein Heimspiel, Verena Marisa studierte in München Komposition und Filmmusikkomposition, ihr „between lives“ zeigt entsprechend eine besonders hohe handwerkliche Beherrschung auch der neuesten Klangerzeugungsmöglichkeiten, es ist das freieste und geräuschlastigste Stück des Abends. Ganz das Gegenteil ist „De Chismes y Confidencias“, das eher durch Traditionsverbundenheit aufwartet. In dieser Komposition von Keyla Orozco (Kuba) herrscht auch der musikalische Scherz vor, denn sie bildet nicht nur ein Orchesterkonzert ab, sondern auch die Geräusche des Publikums davor sowie das Auftreten und Anklopfen des Dirigenten. Für die Pianistin wohl das anstrengendste Werk des Abends ist „Acqua“ von Anna Korsun (Ukraine/Deutschland), ein aus spärlichem Material zusammengepuzzeltes Stück aus nicht enden wollenden Glissandi und eher willkürlichen gesetzten Akkorden. Wieder traditionsverbunden und eine das typische Landesgefühl evozierende Musik ist „Andiamos“ der Mexikanerin Leticia Armijo, welches in herrlicher Verträumtheit den Hörer in den Bann zieht. „Scratch Cat!“ ist eine rockige Toccata der Festivalveranstalterin Diana Syrse, voll von vorwärtstreibenden Rhythmen und wohl die interessanteste der Uraufführungen des Abends. Für die letzte Komposition, „Destellos des Alba“ der Mexikanerin Lilia Vásquez, holt sich die Pianistin noch einige Mitglieder des Ensemble Zeitsprung unter dem Dirigat von Markus Elsner ins Boot (Dirigent, Violinist und Flötist sind die einzigen drei Männer, die heute auf der Bühne stehen). Das Ensemble ist von höchster Qualität und von einer besonderen Klangverliebtheit, die jede Phrase auf natürliche Weise entstehen lässt. Gemeinsam schweben die Musiker in den harmonischen Phantasien dieser Morgenidylle, die den heutigen Abend beschließt.

Eine wahre Entdeckung ist die Pianistin Yamilé Cruz Montero, die durch hochmusikalisches und sehr feinfühliges Klavierspiel beeindruckt. Trotz des leicht schepprigen und nicht ganz lupenrein gestimmten Flügels erschließt sie ungeahnte Nuancen in der Musik. In all den divergierenden Kompositionen und bei dem ganz unterschiedlichen musikalischen Gehalt sucht und forscht sie, um überall das Bestmöglichste entstehen zu lassen. Sogar dem glissandoüberlaufenden Acqua entlockt sie feinste Schattierungen und eine perlige Geschmeidigkeit, die ihresgleichen sucht. Fantastisch ist Cruz Monteros Gespür für Rhythmik, die stechend scharf und trotz immenser Herausforderungen vollkommen präzise ist. Respekt gebührt ihr auch alleine schon für die Tatsache, sich so sehr für Neues und Unbekanntes einzusetzen, eine solche Anzahl an Uraufführungen von hoher Komplexität auf sich zu nehmen für einen Auftritt in kleinem Rahmen.

So ist der Abend des elften März eine wahre Fundgrube von Neuentdeckungen und interessanten Erfahrungen. Gerade die Stücke von Tania León und Diana Syrse werden mir persönlich noch länger im Kopf bleiben – und natürlich die wunderbare Pianistin.

[Oliver Fraenzke, März 2016]