Musik zur Weihnachtszeit: Reinhard Schwarz-Schilling

Reinhard Schwarz-Schilling (1904–1985), Komponist der von Gott und Mensch, Mysterium, Passion und Gebet handelnden Kantate Die Botschaft, der Missa In Terra Pax, einer der großen A-cappella-Messen des 20. Jahrhunderts, sowie zahlreicher kleinerer kirchenmusikalischer Werke, war ein sakraler Künstler durch und durch. Wie Anton Bruckner, dem er größte Verehrung entgegenbrachte, und Heinrich Kaminski, der sein wichtigster Lehrmeister war, zählt er zu jenen musikalischen Schöpfernaturen, die sich auch dann in einer geistlichen Sphäre bewegen, wenn sie nicht explizit für kirchliche Anlässe komponieren oder einen religiösen Text vertonen. Ein feierlicher Grundton prägt sein gesamtes Schaffen, verdichtet sich zu innigster mystischer Versenkung oder steigert sich in hymnisch-ekstatische Verkündigung hinein; stets auf Grundlage einer Polyphonie, die keine akademische Handwerksarbeit ist, sondern ein von blühendstem Leben durchdrungenes gegenseitiges Umranken selbstständig geführter Stimmen, die immer singen, das Werk sei vokal oder instrumental.

Es verwundert vor diesem Hintergrund nicht, dass Schwarz-Schilling im Laufe seines Lebens auch wiederholt Musik mit Bezug zum Weihnachtsfest geschrieben hat. Der gemeinsamen Thematik zum Trotz handelt es sich bei den entsprechenden Kompositionen um Werke sehr unterschiedlichen Charakters. Das Thema „Weihnachten“ wird von Schwarz-Schilling musikalisch gleichsam aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet.

Aus dem Jahr 1947 stammt eine schlicht Weihnachtsmusik (WV 79) betitelte Sammlung aus zwölf Choral- und Liedsätzen. Sie enthält folgende Titel:

  • Ave Maria zart
  • Ein Kind geborn zu Bethlehem
  • Gott sei Dank durch alle Welt
  • Herbei o ihr Gläubigen
  • In dulci jubilo
  • Kommet ihr Hirten
  • Kommt und lasst uns Christum ehren
  • Mein Herz will ich Dir schenken
  • Singet frisch und wohlgemut
  • Vom Himmel hoch o Englein kommt
  • Was ist für neue Freud
  • Wie schön leuchtet der Morgenstern

Diese zwei- und dreistimmigen Sätze, die gleichermaßen von Singstimmen wie von Instrumenten ausgeführt werden können, sind wunderbare Beispiele edler Einfachheit. Die Spieler und Sänger finden hier handwerklich feinstgearbeitete weihnachtliche Miniaturen vor, ohne vor unüberwindliche Herausforderungen gestellt zu werden. Ohne Weiteres können die Stücke zum häuslichen Musizieren oder als gottesdienstliche Musik verwendet werden.

Eine Schallplattenaufahme aus dem Jahr 1960 (Cantate, T 72719 K/1960) zeigt sehr schön das Potential der vielfältigen Besetzungsmöglichkeiten. Unter der Leitung von Wilhelm Ehmann musizieren hier Maria Friesenhausen und Rotraut Pax (Sopran), Frauke Haasemann (Alt), Rosemarie Lahrs (Violine), Hanni Hennig (Violine und Viola), Heinrich Haferland (Violoncello) und Arno Schönstedt (Orgel) eine Auswahl von acht Stücken der Sammlung, die teils a cappella, teils rein instrumental, teils gemischt erklingen und in der gewählten Anordnung wie eine kleine Kantate klingen. Die Weihnachtsmusik, die der Komponist 1977 einer Revision unterzog, ist in der Edition Merseburger erschienen.

1958 komponierte Schwarz Schilling im Auftrag des RIAS eine Adventskantate für Sopran oder Tenor, zweistimmigen Frauen- oder Männerchor, Violine, Viola und Orgel über das Lied O Heiland reiß die Himmel auf (WV 61). Die Melodie aus dem Rheinfelßischen Gesangbuch von 1666 wird in sämtlichen neun Teilen des etwa zehnminütigen Werkes streng als Grundlage festgehalten, sodaß in rein musikalischer Hinsicht eine Art Variationszyklus entsteht. Dem kleinen Ensemble entlockt der Komponist durch Wechsel in der Besetzung und Satztechnik, nicht zuletzt durch kontrastreiche Charakterisierung der einzelnen Liedstrophen ein Maximum klanglicher Vielfalt.

In einem kurzen Vorspiel für die Orgel allein wird die Melodie des Liedes angedeutet, bevor sie in Orgel und Streichinstrumenten vollständig erklingt. Bereits hier werden ihre einzelnen Abschnitte imitatorisch verarbeitet. Anschließend singt der Chor, dezent von den Instrumenten begleitet, die erste Strophe. Die zweite Strophe wird vom Solosopran vorgetragen, wobei die Streichinstrumente leise bebende, rezitierend anmutende Tonwiederholungen spielen. Der sehr sanfte Charakter dieses Abschnitts korrespondiert mit dem „Tau“, den Gott in dieser Strophe aufgefordert wird vom Himmel zu gießen. In belebterem Rhythmus verdeutlicht der Chor das Ausschlagen der „Blümlein“ aus der Erde. Die Fragen und Bitten der nächsten Strophe („Wo bleibst Du, Trost der ganzen Welt?“, „O komm, ach komm vom höchsten Saal“) lässt Schwarz-Schilling echoartig versetzt vom Chor vortragen. Dem sorgenvollen Ton dieses Teiles antwortet der Sopran in höchster Lage, unterstrichen vom Strahlen der Violine: „O klare Sonn, du schöner Stern.“ In imitatorischem Satz klagt der Chor ein letztes Mal: „Hier leiden wir die größte Not.“ Dann wird das Stück von einer Choralbearbeitung nach traditioneller Art beschlossen, die das innere Gleichgewicht wieder herstellt und dem Ganzen ein zuversichtliches Ende gibt: „Da wollen wir all danken Dir, unserm Erlöser für und für.“ O Heiland reiß die Himmel auf ist wie die Weihnachtsmusik bei Merseburger erschienen und wurde auf derselben Schallplatte aufgenommen wie diese. Beide Aufnahmen erschienen nach dem Tode des Komponisten in einer 5 CDs umfassenden Privatedition der Familie Schwarz-Schilling, die nicht für den Handel bestimmt war, sich aber in einigen Musikhochschulbibliotheken finden lässt.

Bereits unter Schwarz-Schillings Jugendwerken findet sich ein weihnachtlich konnotiertes Stück. Es handelt sich um die Variationen über ein Weihnachtslied, die im Januar und Februar 1920 entstanden, als der Komponist im 16. Lebensjahr stand und noch seinen ursprünglichen Namen Reinhard Schwarz trug. Ihnen liegt das Lied „Menschen, die ihr wart verloren“ zugrunde. Zwar sind sie für Klavier gedacht, dürften sich aber auch für die Orgel eignen und in weihnachtlichen Aufführungen verwenden lassen. Mit der komplexen Polyphonie der späteren Werke Schwarz-Schillings wartet diese frühe Arbeit noch nicht auf, zeugt aber bereits von der Phantasie des Komponisten als Harmoniker und von seinem Sinn für tonale Entwicklungen: Die letzte Variation steht in Des-Dur, bevor die Coda zum C-Dur des Themas zurückkehrt. Mit zwei weiteren frühen Klavierstücken zu einem Band vereinigt, sind diese Variationen in der Reihe Beyond the Waves bei Musikproduktion Jürgen Höflich erschienen.

[Norbert Florian Schuck, Dezember 2022]

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