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Auftragswerke von sehr unterschiedlichem Niveau

Métier, msv28554, EAN: 809730855429

Grete1

Diese interessante CD des US-amerikanischen Labels métier zeigt, wie unterschiedlich das Niveau im Bereich der neotonalen Musik heute ist. Mit der „Etruria“ betitelten zweiten Symphonie des Schweizers Thomas Fortmann, dem „Capriccio“ für Violine und Orchester von Robert Nelson und „Astral Blue“ von dem US-Komponisten Pieter Lieuwen haben wir hier immerhin drei groß angelegte Werke von lebenden Komponisten auf dem Album. Als „Wiedergutmachung“ für so viel Zeitgenössisches bekommt der Hörer dann noch eine Transkription Merlin Pattersons von Percy Graingers zauberhaftem Zyklus „Lincolnshire Posy“ zu hören.

Als wären wie noch in den Zeiten der guten alten Schallplatte, könnte man diese CD getrost in eine A- und eine B-Seite unterteilen. Die A-Seite enthielte dann die offen gesagt relativ uninspirierten Werke Thomas Fortmanns und Robert Nelsons. Fortmann ist ein Komponist, der (man muss es leider so sagen) nicht auf höchstem Niveau schreibt, was man vor allem an der Orchestrierung seiner zweiten Symphonie merkt. Sein Stil ist für einen Mitteleuropäer recht ungewöhnlich, erinnert eigentlich eher an die Musik von US-Komponisten wie William Schuman oder Roy Harris. Nur ist sie viel weniger überzeugend gemacht. Seine Orchestrierung hat Lücken so groß, dass man einen Hut durchwerfen könnte und der Einsatz des großen Bestands an Perkussionsinstrumenten in seiner „Etruria“-Symphonie wirkt behäbig und schwerfällig. Das ganze Stück wirkt wie ein tanzender Zirkuselefant: Trotz aller Mühe nicht grazil, sondern behäbig und auch etwas plump.

Das „Capriccio“ von Robert Nelson ist leider das mit Abstand schwächste Stück auf dem Album. Es ist zwar handwerklich viel viel besser gemacht als Fortmanns Symphonie und weiß mit kluger, effektvoller Orchestration vordergründigen Glanz zu versprühen, aber in seiner ganzen Art und Weise ist das Stück unglaublich antiquiert. Hätte man mich gefragt, wer dieses Stück wohl komponiert haben könnte, hätte ich womöglich auf einen weniger inspirierten Moment von Arnold Bax getippt. Die sperrige Chromatik, die Nelson allein zu dem Zweck ins Stück eingebaut zu haben scheint, damit der Violinsolist (das Stück wird auf diesem Album vom Widmungsträger des Werks Andrzej Grabiec gespielt) etwas zum Brillieren hat. Musikalisch macht das hingegen kaum Sinn und wirkt in der ansonsten extrem konservativen Musiksprache Nelsons auch eher deplatziert.

Nun kann man sich fragen, warum ich dieses Album überhaupt rezensiere, und das liegt eben an der „B-Seite“, die mit dem Stück „Astral Blue“ von Pieter Lieuwen beginnt. Lieuwen ist einer der leider selbst in seinem Heimatland nur wenig beachteten Komponisten. Trotzdem ist Lieuwen einer, auf den man hinweisen muss, denn er hat alles, was ein guter neotonaler Komponist haben muss: Makelloses Handwerk, eine eigene, persönliche „Stimme“, die unmittelbar wiedererkennbar ist und vor allem schreibt er wunderbar inspirierte, wirklich gute Musik, die im besten Sinne modern ist obwohl sich Lieuwen konzeptionell weitgehend in einem kompositorischen Rahmen bewegt, der auch im 19. Jahrhundert schon voll gültig war. Seine Musik erinnert in Teilen an John Luther Adams, ist aber viel besser und hat zudem wie gesagt eine ganz eigene „Note“, die ein Stück von Lieuwen eben unverwechselbar zu einem Stück von Lieuwen macht. Leider leider gibt es derzeit neben dem hier zu hörenden wunderbaren Stück „Astral Blue“ nur noch zwei andere CDs, die Musik von Pieter Lieuwen für uns Deutsche (die wir realistisch betrachtet wahrscheinlich live nie in den Genuss kommen werden, jemals ein Stück Lieuwens in einer deutschen Konzertveranstaltung hören zu können) greifbar machen (eine bei Albany Records und eine bei Naxos). Ansonsten herrscht hier an einer Stelle Ebbe, wo ich persönlich mir eine Flut wünschen würde, zumal Lieuwens Musik auch ein durchaus großes Publikum ansprechen müsste, weil sie unmittelbar zugänglich ist.

Abschließend möchte ich noch auf Merlin Pattersons Transkription zu Graingers „Licolnshire Posy“ hinweisen. Patterson gilt als Profi auf dem Gebiet des gediegenen Arrangements, und das stellt er auch hier wieder unter Beweis. Graingers Komposition kann man sich kaum entziehen. Sie ist einfach zauberhaft, wenn sie auch keine „große Musik“ im engeren Sinne darstellen mag. Aber sie zählt andererseits auch zur besten „leichten“ Musik, die ich mir vorstellen kann.
„Lincolnshire Posy“ ist von Grainger im Original für Blechblasorchester geschrieben worden. Patterson ergänzt in seiner Fassung nicht nur Streicher und etwas „Tschingderassa“, sondern er hat das Stück wirklich grundlegend neu orchestriert und erreicht ein sehr ansprechendes Ergebnis. In dieser Fassung möchte man dieses schöne Stück gern möglichst vielen Sinfonieorchestern anempfehlen.

Und da wären wir beim letzten Punkt: Bei den Interpreten. Das Moores Symphony Orchestra ist das Orchester der Moores School of Music aus Houston. Und dafür dass es sich hier offenbar um ein reines Studentenorchester handelt, erreicht das Ensemble ein erstaunlich hohes Niveau, das vielen professionellen Orchestern das Wasser reichen kann, wenn auch nicht allen. Leichte Schwächen gibt es manchmal in der Rhythmik der Streicher zu beklagen, aber solche kleinen Mängel kennt man auch von manchem Orchester, das einen „größeren“ Namen trägt. Dirigent Franz Anton Krager macht seine Sache sehr gut und scheint ein Fan davon zu sein, effektvolle Orchestrierungen auch deftig auszukosten, was für den Hörer natürlich eine Menge Spaß beim Hören bedeutet.
Kurz gesagt ist dieses Album eine nur halb prächtige Angelegenheit, aber die Hälfte, die man „prächtig“ nennen darf, ist so toll, dass ich den Kauf der CD eigentlich nur empfehlen kann. Und vom Moores Symphony Orchestra würde ich bald gern mehr hören. Das ist ein wirklich tolles Ensemble!

[Grete Catus, September 2015]