Das Repertoireproblem

7 Mountain Records, 7MNTN-015; EAN: 8 719325 404111

In ihrem Portrait von Lilith & Lulu spielen der Saxophonist Andreas Mader und der Pianist Christos Papandreopoulos „Lilith“ von William Bolcom und „Portrait of Lilith“ von Sam David Wamper, zudem zwei Nocturnes für Altsaxophon und Klavier von Nadir Vassena, die vier Stücke op. 5 von Alban Berg, welche ursprünglich für Klarinette besetzt sind, und schließlich Lied der Lulu (arr. Erwin Stein) und Variationen (Arr. Christos Papandreopoulos) aus Bergs Oper Lulu.

Es gibt wenig lohnenswerte klassische Literatur für das Saxophon, und das, obgleich das Instrument bereits 1840 von Adolphe Sax entwickelt wurde, um der Holzbläserfamilie ein neues Instrument zu geben, welches sich klanglich zwischen Klarinette und Oboe einfügt. Im Jazz erlebte das Instrument seinen Durchbruch, in der Klassik durchsetzen konnte es sich kaum: In der französischen Musik gibt es Beispiele bei Bizet, Françaix, Ibert und Ravel, in deutschen Musik findet es sich bei Strauss (Sinfonia domestica), Hindemith, und bei Alban Berg; zur Zeit des Nationalsozialismus‘ wurde es als entartet verboten. Der größte Teil des Saxophonrepertoires besteht aus modernistischen Werken, welche den unverbrauchten Klang für neue Effekte nutzen und den kräftigen Ton, insbesondere die sonore Tiefe, auskosten. Inhaltsstarke Beiträge finden sich vor allem in den nordischen Ländern, so beispielsweise von Lars-Erik Larsson (Konzert für Saxophon), Ketil Hvoslef (Konzert für vier Saxophone, Biblische Bilder für Chor und vier Saxophone, etc.), Anders Eliasson (Sinfonia concertante, Saxophonkonzert, Poem für Altsaxophon und Klavier), Kalevi Aho (Konzert für vier Saxophone) und Pehr Henrik Nordgren (Phantasme).

Die drei neuen Werke dieser CD können im Gegensatz zu den genannten nicht mithalten. Sie sprechen zwar durch ihre gemäßigt moderne Tonsprache an, haben aber keinen rechten innermusikalischen Zusammenhalt. Dies betrifft alle Werke in gleichem Maße. Sie wirken zusammengewürfelt aus kleinen Episoden, ohne dabei eine logische Entwicklung zu durchschreiten. Statt eines „Werdens“, wie es Furtwängler nannte, besteht der Inhalt der Musik aus vielen kleinen „Sein“-Bröckchen, die als unabhängige Stimmungen aneinandergereiht wurden. Zur konsequenten Ästhetik macht dies Sam David Wamper, dessen Portrait of Lilith bildhafte Züge erhält und dadurch konkreten Ausdruck besitzt, was den Hörer auch erreicht. Ebenso illustrieren die fünf Sätze von Bolcoms Lilith, wenngleich nicht so dezidiert und nicht so durchgehend, während Vassenas Nocturnes abstrakter sind und dadurch dem Hörer – ohne bildliche Vorlage und ohne „Werden“ – am wenigsten zugänglichsten erscheinen.

Das Problem an solch einer Musik ist, dass sie auch die ausführenden Musiker hinabzieht in die reine Momentwahrnehmung und Effektaffinität. Obgleich sich bei den beiden hier zu hörenden Musikern durchaus Talent abzeichnet, verfällt ihr Spiel in eine gewisse Gleichgültigkeit; schnell wird erkennbar, dass sie lediglich abbilden und eben nicht einen musikalischen Prozess in der Darbietung nachvollziehen und umsetzen. Das von Andreas Mader gespielte Saxophon besitzt hier noch den Vorteil, dass der Spieler durch den Atem in direktem Kontakt zum Ton steht, wodurch den Melodielinien noch Natürlichkeit und Lebendigkeit innewohnt; am Klavier funktioniert das nicht, entsprechend starr und kalt klingt die von Christos Papandreopoulos gespielte Partie. Das zieht sich sogar bis zu Berg, in dessen Lulu-Arrangement manch eine Passage unerträglich gehämmert und innerlich abwesend erklingt, Technik ohne Aussage.

[Oliver Fraenzke, Mai 2019]

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