Doppelte Jahreszeiten, neu erlebt

Coviello Classics COV 91514; EAN: 4 039956 915140

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Die Salzburg Chamber Soloists sind zusammen mit ihrem Gründer, Leiter und Violinsolisten Lavard Skou Larsen auf ihrer bei Coviello Classics soeben wiederveröffentlichten CD „8 Seasons“ mit Le Quattro Stagioni von Antonio Vivaldi und dem argentinischen Pendant von Astor Piazzolla, Las Cuatro Estaciones Porteñas, zu hören.

Mit Begriffen wie „hervorragend“, „ausgezeichnet“ oder „perfekt“ sollte man heute mehr denn je sparsam umgehen, denn fast keine noch so gute Einspielung hat einen dieser Begriffe wirklich verdient. Wenn jedoch einmal eine CD dieser Adjektive würdig ist, dann zweifelsohne vorliegende Einspielung der vier Jahreszeiten Antonio Vivaldis und Astor Piazzollas.

Wohl kaum ein Violinkonzert ist so häufig gespielt und aufgenommen wie die ersten vier der insgesamt acht Solokonzerte Op. 8 von Antonio Vivaldi, die zusammen die Tetralogie „Le Quattro Stagioni“ bilden. Gerade in Zeiten der so genannten historisch informierten Aufführungspraxis erlebt man bei diesen Werken immer wieder nicht sonderlich viel Neues, die üblichen Darbietungen sind weich gezeichnet ohne Sinn für Kontraste, die malerischen Effekte verschwinden unter einer alles verdeckenden Solostimme, und das Ganze ist auf rein äußerliche Schönheit (statt musikalischem Gehalt) in routiniertem Schema gespielt. „8 Seasons“ mit Lavard Skou Larsen und den Salzburg Chamber Soloists kommt in dieser ins Stocken geratenen Tradition einer Renaissance gleich, oder einer Revolution, und parallel dazu einer kompletten Neuschöpfung. Bereits die ersten Takte öffnen das Tor in eine andere Welt, wie ich sie bisher so nicht zu hören bekam. Von Anfang an erlebt der Hörer eine immens fein ausgestaltete Dynamik mit brillanter Artikulation und einem tiefen Bewusstsein für jedes noch so kleine musikalische Phänomen darin. Die Phrasen werden leicht und vornehm ohne künstliche Betonungen abgerundet und von einem spielerisch diskreten statt wie so oft aufdringlichen Cembalo gestützt. Der Einsatz des Solisten Lavard Skou Larsen wirkt ebenso unmittelbar: Wie irritiert torkelnd erscheint die technisch lupenreine und klangvolle Geigenstimme, als sie plötzlich in dieses Geschehen hineingeworfen wird. Der auf diese Art wohl bis heute einmalige Soloeinsatz, der statt solistischem Aufglänzen zu Beginn eine klar intendierte Verwirrung darstellt, ist für mich erstmalig auch genau als diese erkennbar. Die vier Jahreszeiten, wie so oft bei Vivaldi in formaler Hinsicht keine Höchstleistung, zeichnen sich vor allem durch interessante und noch heute noch neuartig wirkende Klangeffekte aus, besonders auffallend in den Mittelsätzen von Primavera und Estate. Während Skou Larsen mit feinfühlig ausgestalteten Melodien und virtuosen Läufen brilliert, lassen sich die Salzburg Chamber Soloists nicht von dem Schönklang anstecken, sondern kontrastieren gar mit teils krassen Geräuscheffekten und lassen eine leuchtend ausgekleidete Landschaft um das solistische Individuum entstehen. Alle Musiker sind bereit, auch einmal herbe Töne anzustoßen, und so können sie ungeahnt machtvoll erscheinen auch in der Kammerbesetzung. Durchgehend achten die Künstler auf Kontraste und feinste Nuancen in der Musik, die die Klangfinessen eines großen Symphonieorchesters in kleiner Aufstellung heraufbeschwören können, beispielsweise wird im dritten Satz des Frühling ein Dudelsack mit charakteristischem Orgelpunkt täuschend genau nachgeahmt. Hier werden die Noten nicht stur heruntergespielt, sondern sie sind minutiös erarbeitet, jede noch so kleine Feinheit ist abgewogen, gefühlt und bewusst, und es kommt dem Hörer vor, als würde hier dieses bekannte Werk zum ersten Mal überhaupt erklingen, so spontan, unbelastet und frei erscheint es, stets mit innigstem Gefühl und vollster Spielfreude.

Noch weiter kann die Reise kaum gehen, als zum zweiten Werk dieser Einspielung, wiewohl gewisse Parallelen bestehen: Von Europa nach Lateinamerika, vom Barock ins 20. Jahrhundert. Las Cuatro Estaciones Porteñas von Astor Piazolla wurden vom Cellisten José Bragato aus dem Ensemble Piazzollas instrumentiert, da dieser selbst ein weniger beschlagener Instrumentator gewesen sein muss, wie der Autor des informativen und eingängig zu lesenden Booklettextes, Gottfried F. Kasparek, erklärt. Sofort verschlagen die vier Stücke des Zyklus den Hörer in ein unverwechselbar argentinisches Milieu, wo einen herbe Klänge und kratzige Geräuscheffekte sowie auftreibende Rhythmen erwarten. In gleicher Besetzung wie bei Vivaldi (mit der Ausnahme, dass Elena Braslavsky nun am Klavier statt am Cembalo sitzt) entführen die Musiker nun in gänzlich neue Sphären. Der gebürtige Brasilianer Lavard Skou Larsen hat zwar einen gewissen Heimvorteil mit der Musik aus seinem Nachbarland, doch dass auch sein gesamtes Ensemble, die Salzburg Chamber Soloists, einen so natürlich lateinamerikanischen Klang vermitteln können, dass kein Zweifel zu bestehen schiene, dass alle Musiker aus diesen Landen kommen, ist erstaunlich. Die Rhythmik ist derart prägnant und griffig, der Klang wie ausgetauscht in unbändige Wildheit mit einem bewussten Hang zur Geräuschhaftigkeit, und die gesamte Atmosphäre unmittelbar glaubwürdig. Es steckt eine gewaltige Kraft und Energie in all diesen Stücken, stets gepaart mit einer äquivalenten Portion Spiel- und Lebensfreude, und dennoch werden auch die sanften Passagen intensiv durchlebt. So ungebändigt es vielleicht auf den ersten Eindruck wirken mag, ist hier doch alles minutiös ausgearbeitet und ausgestaltet, so dass die detailliert abgestimmte Synchronizität zwischen musikalisch lange einstudierter Finesse und spontaner Wirkung einfach zündet. Hier kommen alle Musiker voll zum Zuge, auch die bei Vivaldi vor allem im Hintergrund agierende Pianistin kann hier ihren gleichmäßig abgestimmten, warmen und perligen Anschlag, dem in gleichen Maßen Lyrik und Energie innewohnt, mit großem Gewinn einbringen. Angenehm ist, dass sie keinerzeit Staccati zu kurz nimmt und sich so in den Streicherkörper ideal integriert, dessen Klang sie wunderbar aufgreift und als gleichwertige Partnerin in ihr Spiel integriert.

Wenn man sich nicht gerade in München oder Köln befindet, so hat ein Jahr bekanntlich vier Jahreszeiten, und zwei solcher Jahreszyklen wurden hier für Coviello Classics in Live-Aufnahmen eingefangen. Und beide so extrem unterschiedlichen Zyklen sind in solch einer bestechenden Qualität von technischer und künstlerischer Perfektion eigentlich sonst nie zu hören. Für mich zwei absolute Referenzaufnahmen, die alle Vorgänger turmhoch überragen.

[Oliver Fraenzke, Januar 2016]

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