Vom Unerhörten zum Unhörbaren

Hyperion CDA 68 108; EAN: 0 34571 28108 7

Steven Osborne spielt Stücke von Morton Feldman* und George Crumb**:
Intermission 5*,   Processional**,   Piano Piece 1952*,   Extensions 3*,   A Little Suite for Christmas A.D. 1979** ,  Palais de Mari*.

Als ich 1991 im Rahmen des Münchner Pfingstsymposiums zum ersten Mal ein Stück für Violine und Klavier von Morton Feldman hörte, war der Eindruck äußerst stark und nachhaltig. Seinen Band mit Essays musste ich deswegen sofort haben, allerdings lag er dann eben – wie das manchmal so geschieht – jahrelang unbeachtet herum. Die CD mit Klaviermusik von Feldman und Crumb holte dies Buch endlich ans Licht und es erwartete mich wiederum eine ganz besondere Überraschung: Nicht nur die Musik  von Morton Feldman fesselte mich wie eh und je, auch er als Schreiber und Denker, als Essayist ist ein überaus spannender und beeindruckender Kopf, der nicht nur mit unzähligen Malern und Musikern Kontakt hatte oder sogar befreundet war, es macht auch verständlich, wie er selbst seine Rolle als zeitgenössischer Komponist sah und gesehen haben wollte. Ein besonders lesenswertes Buch zur Musik des 20. Jahrhunderts, nicht nur der amerikanischen.

Die CD selbst „prunkt“  mit einem ausgezeichneten Booklet – dreisprachig natürlich –, in dem zu allen Stücken Verständliches gesagt wird. Selbstredend muss ein Pianist, der diese „utopische“ Musik realisieren möchte, nicht nur sein Handwerkszeug beherrschen, was klar ist, er muss die Utopie der Musik von Feldman und Crumb, die sich jenseits der ausgefallensten Klavierstile des 20. Jahrhunderts bewegt, zum Klingen bringen, besser gesagt, Klang werden lassen, denn das ist eine der Voraussetzungen für diese „Musik“, die ans „Unhörbare“ grenzt und grenzen will. Sie will den Rahmen des „normalen“ Komponierens oder auch „Aufführens“ sprengen und den Hörer mit „seinem“ Hören alleine lassen. Wie uns die moderne Malerei oftmals auch mit der Unendlichkeit einer einzigen Farbe in die Irritationen des Gegenständlich-Abstrakten stürzen möchte, wo es keine Erklärung oder keine hilfreichen Definitionen mehr geben kann.

Kein Wunder, dass in New York um 1950 – Morton Feldman und John Cage wohnten eine Weile im selben Hochhaus – alles in Bewegung war, im Aufruhr, denn man wollte endlich die eingefahrenen – sehr oft europäisch ererbten – Kriterien von Kunst und Können, bzw. Müssen, hinter sich lassen.

Alles wird relativiert und in Frage gestellt, Zeit und Ort der Aufführung, Dauer und Art – einige Stücke von Morton Feldman dauern über 4 Stunden – und der einzelne Ton, der einzelne Klang wird in seine ursprüngliche Unfassbarkeit und „Wunderlichkeit“ zurückgeführt.

Kein Wunder also, dass nach dem Anhören dieser Musik, dieser Klänge bis hin zum Unhörbaren eine neue Sensibilität für alle andern Arten sich einstellen kann und möchte. Die große Frage, die sich nach dem Anhören dieser „Musik“ stellt, ist die, ob Klänge oder Klangerlebnisse dieser Art überhaupt aufgeschrieben bzw. komponiert werden müssen, oder ob sich solches Erleben nicht viel besser und adäquater im Augenblick, das heißt, in der Improvisation gültig macht – Musik ist eine „Zeitkunst“, der hörbare (oder unhörbare) Moment ist das Wesen solcher Kunst!

Ob allerdings dieser Weg ein Echo findet in der heutigen – alles ist machbar, Herr Nachbar! – Welt, ist mehr als fraglich, doch umso begrüßenswerter ist diese CD.

(Allein die Gelassenheit und Zeit, die solche Stücke fordern, lässt das ganze Projekt sehr idealistisch und notwendig erscheinen!)

[Ulrich Hermann, Juli 2016]

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