Technik, Emotion oder weder noch

Paraty, 209187; EAN: 3 760213 651549

In ihrem Album „3 Aspects of Emotions“ wagt sich die bulgarische Pianistin Vanya Pesheva an drei virtuose Werke des 20. und 21 Jahrhunderts: Maurice Ravels Gaspard de la Nuit, vier der Mirages von Albena Petrovic-Vratchanska und Alexander Scriabins Fünfte Klaviersonate fis-Dur op. 53.

Wenn ein Musiker im Begleittext schon dezidiert auf enorme virtuose Fähigkeiten hinweist, so gilt das bereits als Warnschuss: denn wo Technik überwiegt, leidet oft die Musik.

Dies bewahrheitet sich einmal mehr bei vorliegender CD der Bulgarin Vanya Pesheva. Gleich zwei rasend schwere Werke aus dem 20. Jahrhundert stehen auf dem Programm, beide absolute Highlights im Repertoire eines jeden Pianisten. Ravels Gaspard de la Nuit zählt nicht umsonst als eines der anspruchsvollsten Werke für das Klavier, vor allem da der Komponist sich vornahm, mit Scarbo alle dagewesenen Schwierigkeiten zu überbieten; und auch Scriabin erweiterte mit seinen insgesamt zehn Klaviersonaten das Spektrum der technischen Möglichkeiten und schuf durch Konfliktrhythmen neue Wege der Mehrstimmigkeit, die für ein einziges Gehirn kaum korrelierbar scheinen. Wichtiger jedoch als diese oberflächlichen Fakten: beide Komponisten verschrieben sich in allem der Musik jenseits der bloßen Töne. Ravel komponierte hypersensibel plastische Gemälde in schwerelosem Fluss, penibel ausgefeilt in jedem Detail und von unfehlbarer Präzision in ihrer Wirkung. Scriabin widmete sich der Extase und versuchte, orgastische Zustände durch Musik zu vermitteln. Seine Musik ist erotisch, hingebungsvoll, berauscht und launisch, dabei von vorne bis hinten durchkonzipiert und ausgewogen. Beide Komponisten gingen über die bloße Emotion hinaus.

Wenig dessen hören wir bei Vanya Peshevas Darbietung der beiden Kompositionen und selbst der virtuose Aspekt lässt bei Ravels drei Tongedichten stellenweise zu wünschen übrig. Gaspard de la Nuit klingt träge und schwerfällig, in manchen Passagen der Ondine gar angestrengt: und das, obgleich die sprudelnden Wellen mit ihren schaumig verspielten Kronen eigentlich das genaue Gegenteil dessen darstellen sollen. Im Gegenzug dazu klingt Le Gibet romantisch verhalten, ohne die subtil aufreibenden Dissonanzen zu würdigen. In Scriabins einsätziger Fünfter Klaviersonate holt Pesheva die Stimmen nicht in ihrer Eigenständigkeit hervor, sondern lässt sie zu einer Einheitsmasse verschmelzen, in der weder die rhythmischen Finessen, noch die gegeneinander agierenden Kontrapunkte durchhörbar sind. In den Rubati agiert sie derart frei, dass der über große Strecken vorgeschriebene 5/8-Takt sich vollkommen auflöst. Die einzelnen Akkorde wiegt Pesheva nicht ineinander ab und verliert so das Gefühl für selbst kleinste harmonische Bezüge.

Zwischen Ravel und Scriabin stehen vier Mirages der luxemburgischen Komponistin, Pianistin und Pädagogin Albena Petrovic. Die Musik streicht recht belanglos am Hörer vorbei, gibt wenig Anlass zum Aufhorchen. Die wiederkehrenden Glockenklänge ermüden nach kurzer Zeit und es fehlt an Kontur und Struktur, plätschert mit ein paar dissonanteren Ausbrüchen vor sich hin.

[Oliver Fraenzke, Dezember 2019]

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