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Ein Abend in D

Für den Herbst 2019 nahm sich das Bruckner Akademie Orchester unter Leitung von Jordi Mora ein Programm in D vor, was sie am 3.11 im KUBIZ Unterhaching vortrugen: Zunächst spielte es Mozarts Haffner-Sinfonie D-Dur KV 385, dann Bachs Konzert für Klavier und Streicher d-Moll BWV 1052 gemeinsam mit dem argentinischen Pianisten Hugo Schuler und nach der Pause die Sinfonia a gran orquesta in D-Dur von Juan Crisóstomo de Arriaga, der auch als spanischer Mozart bezeichnet wird.

Was das aus Profis wie begeisterten Laien zusammengewürfelte Bruckner Akademie Orchester unter der grandiosen Leitung von Jordi Mora auf die Beine stellt, erstaunt jedes Konzert von Neuem. Dieses Mal arbeiteten die Musiker gemeinsam an zwei klassischen Symphonien in D-Dur: Mozarts Haffner-Sinfonie und Arriagas Sinfonia a gran orqesta. Arriagas Symphonie, bis vor kurzem noch ein Exot in den Konzertsälen, setzt sich immer mehr als bedeutendes Meisterwerk durch und steht mittlerweile regelmäßig auf den Programmen verschiedener Orchester. Wäre der Komponist nicht bereits vor seinem 20. Geburtstag einem Lungenleiden erlegen, was hätten wir noch für monumentale Musik von ihm erwarten können! Selbst seine frühen Ouvertüren bestechen schon durch ihre Ausdrucksgewalt, die reiche Rhythmik und inspirierte Melodik – und das, bevor er den ersten Kompositions- oder Kontrapunktunterricht nahm. Später ließ er sich in Paris unter anderem bei Baillot ausbilden, erhielt Unterstützung von Luigi Cherubini und lernte vermutlich sogar Beethoven persönlich kennen. Die ständig zwischen Dur und Moll changierende einzige Symphonie zählt als sein wichtigstes Werk, ihre zwingende Rhythmik packt den Hörer, die formale Gestalt überrascht und verzaubert gleichermaßen durch perfektes Timing und ideale Ausgewogenheit.

Von der rein äußeren Wirkung übertrifft die heutige Darbietung von Arriagas Symphonie sogar die mitreißende Leichtigkeit von Mozarts Haffner-Sinfonie. Jordi Mora treibt das Orchester stetig an, alles zu geben und sich zu 100% auf die Musik zu fokussieren. Dabei fallen die intensiven Blickkontakte zwischen den einzelnen Streichergruppen auf, aus denen eine fruchtbare Symbiose resultiert und den Streicherklang verschmelzen lässt. Die Bläser können sich auf diesem Fundament elegant entfalten und der Musik all die feinen Nuancen entlocken. Bemerkenswert ist, wie fein Jordi Mora die Kontraste und gegensätzlichen Passagen abwägt und somit die Form in der Waage hält. Das Minuetto wirkt durch die gewollt holprige Rhythmik mehr wie ein Beethoven’sches Scherzo als ein Mozart’sches Menuett, das Finale wütet in markantem Precipitato, das durch die Wiederholung in Form der Zugabe noch mehr gewinnt.

Mozart bleibt dagegen subtil, wenngleich nicht weniger substanz-geladen. Kompromisslos achtet Jordi Mora auf die Feinheit, Durchsichtigkeit und nicht zuletzt Leichtigkeit der Symphonie, die dadurch beinahe spielerisch ungezwungen Glanz erhält.

Überrascht wurde ich von Bachs Klavierkonzert in d-Moll. Anstelle des ansonsten oft ruppigen und pompösen Tuttis zu Beginn vernehmen wir kontrollierte und gar feinsinnige Klänge, die öffnen und fragen, anstatt direkt durch ein Statement mit der Tür ins Haus fallen. Auch der anschließende Solo-Part behält den Gestus bei: Hugo Schuler behält ein luzides Détaché, ein flötenartiges Nonlegato, bei, was der Musik eine stetige Feingliedrigkeit und Eleganz verleiht. Der Klang des Steinway-Flügels verschmilzt so erstaunlich gut mit den Streichern – es erweckt fast den Eindruck eines modernen Clavicembalos, das jedoch über gezielt eingesetztes Pedal und mehr klangliche Schattierungen verfügt. Im ersten Satz kommt Schulers linke Hand nur schwer über die sechs (!) Celli drüber, was angesichts des Klangideals auch unmöglich ist, ab dem zweiten Satz finden die Partner zusammen und vereinen sich in ihren musikalischen Vorstellungen. Das Adagio avanciert am Klavier zur gesungenen Cantilene, das Finale bricht in voller Spielfreude hervor.

[Oliver Fraenzke, November 2019]

Orchestermusik vom „spanischen Mozart“

Chandos, CHAN 20077; EAN: 0 95115 20772 7

Juanjo Mena leitet das BBC Philharmonic mit Orchesterwerken von Juan Crisóstomo de Arriaga. Wir hören die Ouvertüre zu „Los esclavos felices“ (Die glücklichen Sklaven), die Ouvertüre D-Dur op. 20 und die Symphonie à grand orchestre d-Moll sowie die zwei von der Sopranistin Berit Norbakken Solset unterstützten Werke: Die Kantate Herminie und die Arie aus der Oper Médée ‚Hyman! Viens dissiper une vaine frayeur‘.

Wir können nur erahnen, welch großartige Musik uns Juan Crisóstomo de Arriaga noch hinterlassen hätte, wäre er nicht wenige Tage vor seinem zwanzigsten Geburtstag an einem Lungenleiden gestorben. Sein früher Tod und die dennoch ausgesprochen reife Musik des Komponisten haben ihm später den Beinamen „spanischer Mozart“ verliehen; nach seiner ersten Wiederentdeckung durch seinen Großneffen Emiliano de Arriaga rankten sich regelrecht Mythen um Leben und Schaffen des Wunderkindes. Belegt ist heute, dass er nach ersten Versuchen als Geiger und Komponist nach Paris zog, um sich gründlich ausbilden zu lassen. Dort studierte er bei Fétis und später bei Baillot, wurde allem Anschein nach aber auch maßgeblich von Luigi Cherubini unterstützt, wodurch er die Musik Beethovens kennenlernte, was ihn zu seinen drei Streichquartetten anregte.

Das früheste Werk dieser CD ist die Ouvertüre in D-Dur, auf deren Titelseite der damals 15-jährige Arriaga sogar vermerkte, dass er sie ohne das Wissen um Harmonielehre komponierte, die anderen Werke schrieb oder revidierte er in Paris. Herminie sollte das letzte fertiggestellte Werk des Komponisten werden.

Juanjo Mena beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Schaffen des ‚spanischen Mozarts‘, so wirkte er beispielsweise an der 2006 von Christophe Rousset veröffentlichten kritischen Edition des Gesamtwerks von Arriaga mit. Hier erleben wir ihn als einfühlsamen und präsenten Dirigenten erster Güte. Aufmerksam tastet er sich in Arriagas Klangwelt hinein und holt genau das aus den Partituren heraus, was sich auch in ihnen befindet. Er verzichtet auf jede Art der Zurschaustellung oder willkürlichen Interpretation zugunsten einer lebendigen und damals wie heute aktuellen Darstellung der Musik. Das BBC Philharmonic hält er als Einheit zusammen und meißelt selbst die subtil-unauffälligen Nebenstimmen zum Gesamtbild passend aus dem Orchester heraus: Sie gehen weder unter, noch stören sie die Hauptstimme; sie fügen sich ein und bereichern das Geschehen. Besondere Aufmerksamkeit verdient der Sopranistin Berit Norbakken Solset, die durch ihre weiche Stimme und den anschmiegsamen Tonfall ideal zu der farbenreichen wie ausdrucksstarken Musik Arriagas passt. In Herminie präsentiert sie unprätentiös und leichtfüßig die Flexibilität ihrer Stimme, von samtig bis durchschlagend kräftig, jedoch immer kontrolliert und auf das Orchester angepasst.

[Oliver Fraenzke, April 2019]