Schlagwort-Archive: Rainer Maria Rilke

Im Rausch

Decurio, DEC-005; EAN: 4 270000 083532

Auf ihrem Album mit dem Tite Volupté bündeln die Sopranistin Emma Moore und die Pianistin Klara Hornig Liederzyklen von Debussy, Kraus und Ullmann. Sie beginnen mit den vergleichsweise selten zu hörenden Cinq Poèmes de Charles Baudelaire von Debussy in ihrer für den Tonsetzer ungewohnt romantisch-wuchtigen Ausgestaltung. Im Zentrum stehen die Acht Gesänge nach Gedichten von Rainer Maria Rilke des eher als Dirigent bekannten Clemens Krauss. Ergänzt wird das Programm durch Viktor Ullmanns Fünf Liebeslieder nach Ricarda Huch op. 26.

Sinnlichkeit der Texte und der Musik, das bildet den Mittelpunkt des Albums Volupté von Emma Moore und Klara Hornig. Der nicht wörtlich ins Deutsche übersetzbare Titel steht dabei nach Aussagen der Künstlerinnen für das Schwelgerische, den Ausbruch aus den Konventionen und das Eintauchen in rauschhaft-weltfremde Zustände.

Als Auslöser für die Aufnahme fungierte ein Liedzyklus von Clemens Krauss bestehend aus acht Rilke-Vertonungen, der die Künstlerinnen seit Jahren in den Bann zieht und dem sie einen prominenteren Platz im Liedrepertoire wünschen. Die Musik von Krauss wird beeinflusst durch seine künstlerische wie private Nähe zu Richard Strauss, von dem er einige Werke uraufgeführt hat und sogar am Libretto der Oper Capriccio beteiligt war. Gerade harmonisch lässt sich die Nähe erkennen, wobei Krauss dem Höreindruck nach mehr den tonalen Zentren verbunden bleibt und unmittelbare Ausbrüche daraus ausschließlich in Ausdeutung des Textes unternimmt. Zumindest lässt Krauss seine Modulationen leichter verfolgen, als Strauss es meist tat – so behaupten sie Eigenständigkeit, die man ihnen nicht absprechen sollte. Die Acht Lieder muten im Klaviersatz äußerst orchestral an und bieten den Interpret*innen Herausforderungen nicht bezüglich des Mechanischen, sondern des Gestalterischen. In ihrer Wirkung erweisen sie sich jedoch als äußerst dankbar, da man den Text und die musikalischen Kommentare auf diesen gut verfolgen kann und sich so die Worte in den Tönen vornehmlich entfalten.

Die Cinq Poèmes de Charles Baudelaire erscheinen fast untypisch für Claude Debussy, so getragen voll und wuchtig behandelt er das Klavier. Trotz der typisch französischen Akkorderweiterungen schwingt ein wenig die deutsche Spätromantik mit, zumindest angesichts der ausladenden Gesten und des süffig schwelgenden Pathos. Allein die Länge des ersten Liedes erstaunt: Knappe neun Minuten misst es. Unabhängig dessen untermauern sie Debussys feines Gespür für die Texte und deren Bildlichkeit, die er bedingungslos in Töne verwandelt und es einmal mehr schafft, auch andere Sinne als das Hören allein durch die Imagination zu aktivieren.

Musikalisch am radikalsten begehren die Fünf Liebeslieder nach Ricarda Huch op. 26 auf, die gerade auch das sehnende, verlangende Element des Liebens thematisieren und greifbar mitfühlend ausdrücken. Ullmann setzt auf Kürze und Prägnanz, reduziert auf entscheidende Motive, statt die Linie frei dem Text nach umzusetzen, woraus eine extreme Geschlossenheit und Dichte resultiert. Er kreiert hoch expressive Mikrokosmen, die unter steter Hochspannung stehen. Ihm gelang wie nur wenigen anderen im Umkreis Schönbergs ein solch unverwechselbarer Personalstil.

Die vorliegende Aufnahme durch Emma Moore und Klara Hornig präsentiert eine innige, wohldurchdachte und doch emotionale Deutung der drei Liedzyklen. Die beiden Musikerinnen setzen auf Wärme und weichen Klang, auf Expressivität ohne Zwang. Klara Hornig denkt gerade Debussy und Krauss orchestral, was bei Letzterem an die Grenzen der klanglichen Möglichkeiten des Klaviers stößt. Ullmann erscheint bei ihr wieder pianistischer, dabei stets abgründig. Hornig kultiviert einen samtenen Anschlag frei von Härte und schlagenden Bewegungen, sie entwickelt eine ausgewogene Dynamik mit reicher Abstufung. Bei Emma Moore sticht besonders ihre klare Aussprache hervor, die jeden Konsonanten erklingen lässt, ohne ihn überzubetonen, was einerseits dem Textverständnis zugutekommt, andererseits aber auch einen angenehmen Ambitus an Konturen hervorbringt. Bis in die hohen Lagen brilliert sie durch einladend warmes Timbre. Unverkennbar bleibt die langjährige Zusammenarbeit der beiden Musikerinnen, die im gleichen Atem agieren und ihr Drängen und Innehalten perfekt abstimmen.

[Oliver Fraenzke, März 2022]

Wort und Ton

„Das lyrische Wir“ sind die Brüder Pirmin und Maik Styrnol. Während der eine Gedichte aus unterschiedlichen Epochen vorträgt, komponiert der andere Musik dazu, wodurch die beiden die Gattung des Melodrams wiederbeleben. Gesprochen wird Lyrik von Marie Luise Kaschnitz, Christopher Schmall, Friedrich Nietzsche, Paul Celan, Matthias Claudius, Jens Peter Jacobsen, Rainer Maria Rilke, Pablo Neruda, Albert Vöhringer und Hermann Hesse.

Das Melodram ist hauptsächlich eine Gattung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Dahinter steht die Idee, Lyrik durch Musik zu illustrieren, zu kommentieren, eine atmosphärisch verstärkende Ebene hinzuzufügen, ohne dass der Sprachduktus durch eine gesungene Vortragsweise verändert wird. Die Gattung des Melodrams ist nicht gebunden an bestimmte Formkonzepte: während die schwedischsprachigen Beiträge von Sibelius meist Liedformat aufweisen, umfasst Schuberts „Die Zauberharfe“ drei Akte und über 300 Partiturseiten. Herausragende Melodramen schufen neben zahlreichen anderen Zdeněk Fibich, Robert Schumann (als Teil des dramatischen Gedichts Manfred), Edvard Grieg, Max Schillings und der junge Richard Strauss. Sibelius und Strauss wirkten allerdings beinahe antiquiert mit ihren Gattungsbeiträgen, das Melodram war zu jener Zeit bereits größtenteils verschwunden. Einen Ausläufer der Gattung finden wir in Schönbergs Überlebendem aus Warschau, in welchem die Stimme immer wieder zwischen Sprechen und Singen changiert. Neuere Formen gibt es beispielsweise bei Lachenmann, wobei er den Text so sehr verzerrt, dass er nicht mehr verständlich bzw. als solcher erkennbar ist.

Nun beleben die Gebrüder Styrnol die Gattung wieder, zehn Gedichtsvertonungen vom 18. bis zum 21. Jahrhundert füllen ihr Debutalbum tenebra. Maik Styrnol macht sich als Komponist die Mittel der Filmmusik zu Nutze, um flächige und stimmungsvolle Untermalungen für die Gedichte zu schaffen. Dabei begnügt sich die Musik nicht mit reiner Kommentarfunktion, sondern steht als eigenständiges Kunstwerk gleichauf. Die Instrumente werden durch Stimmen und elektronische Klänge ergänzt, wodurch ein breites Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten offensteht und Einsatz findet. Pirmin Styrnol trägt währenddessen die Texte vor, gibt jedem Gedicht eine eigene Stimmfärbung, hebt manche Verse durch Veränderung seiner Stimmlage und Klangfarbe hervor und durchlebt mit seinem Sprachgestus die jeweiligen Situationen. So entsteht ein erzählerischer Spannungsbogen, der sich mit der musikalischen Untermalung vereint. Wort und Ton fusionieren zu einem Gesamtkunstwerk.

[Oliver Fraenzke, März 2018]