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Schillernde Geschichten

Wergo, WER 5127 2; EAN: 4 010228 512724

Die Musik von Enjott Schneider erzählt Geschichten ohne Worte und ohne dezidiertes Programm, entsprechend nannte er die CD mit seinen Flötenkonzerten „Flute Stories“. Solist des Schlesischen Philharmonischen Symphonieorchesters und des Schlesischen Kammerorchesters ist Łukasz Długosz, die Orchester werden geleitet von Mirosław Jacek Błaszczyk. Auf dem Programm stehen „Water – Element of Infinity“ für zwei Flöten und Orchester, wo Agata Kielar-Długosz das zweite Flötensolo übernimmt, „Worlds of Tree“ für Flöte, Streicher und Harfe (Agnieszka Kaczmarek-Bialic spielt die Harfe und Dariusz Zboch das Geigensolo), sowie „Pictures of Yang Guifei“ für Flöte und Symphonieorchester.

Anlässlich des 70. Geburtstags des in München wirkenden Komponisten Enjott Schneider wurde nicht nur ein Buch der Reihe „Komponisten in Bayern“ herausgegeben, sondern auch Wergo bereichert seine eh umfangreiche Diskographie um mehrere Titel. (Geboren wurde der Komponist übrigens als Norbert Jürgen Schneider, später änderte er seinen Namen in die ausgesprochene Version der Anfangsbuchstaben seiner beiden Vornamen NJ.) Die hier vorliegende CD umfasst drei Flötenkonzerte in unterschiedlichen Konstellationen.

Enjott Schneider ist ein Polystilist, der sich frei in den musikalischen Wortschätzen sämtlicher Gattungen und Epochen bedienen kann und dies ausnutzt. Dabei behält seine Musik durchweg schillernden Farbenreichtum, Anmut und Schönheit. Bekannt wurde Schneider durch sein Wirken als Filmmusikkomponist, künstlerisch ist dies aber nur die Spitze des Eisberges, welches sein Schaffen darstellt: auch fernab der filmtypischen Klangelemente kann er sich genuin ausdrücken. Die auf „Flute Stories“ zu hörenden Werke konzipierte Schneider genau auf den klaren, hellen Ton der Flöte, die dankbar leuchten darf. Das Geschichtenhafte wird vor allem im Doppelkonzert erlebbar, welches das Element Wasser und dessen formbar-plastische Unendlichkeit skizziert. Bildlich erleben wir die Änderung der Aggregatszustände, das Aufbrausen und Abflauen – wieder auf ganz andere Weise als Debussy uns dieses Element näherbrachte und uns gar das Gefühl einer Gischt auf der Haut herzaubern konnte. In der Darbietung von „Water“ durch Łukasz Długosz und Agata Kielar-Długosz verschmelzen die beiden Flöten zu einem großen Instrument, einander ergänzend und umspielend. Sie kontrastieren zueinander, folgen aber durchgehend dem gleichen Atem und der gleichen Intention: eine grandiose Leistung der beiden Solisten, die sich in der unverbrauchten Reinheit des Klangs laben, ohne darin zu versinken. „Worlds of Tree“ kreiert schon etwas abstraktere Bilder, die durch die kleinere Besetzung besondere Intimität erhalten. Die Instrumente mischen sich fein ab und besonders der Harfenistin Agnieszka Kaczmarek-Bialic gebührt große Bewunderung für ihren bescheidenen, dabei vollends aufmerksamen Einsatz, der eine perfekte Symbiose mit den Streichern eingeht. Tontechnisch steht in diesem Konzert die Flöte etwas zu sehr im Vordergrund, eine kammermusikalisch-gleichberechtigte Abmischung hätte noch mehr Facetten hervorgelockt. „Pictures of Yang Guifei“ wirkt pompöser, erdverankerter als die anderen beiden Werke, nutzt den Orchesterapparat bis ins Letzte aus. Hier kommt Dirigent Mirosław Jacek Błaszczyk voll auf seine Kosten und spielt mit den Klanggewalten des Schlesischen Philharmonischen Symphonieorchesters, das er plastisch zu gestalten weiß.

Die Musik von „Flute Stories“ spricht den Hörer an und präsentiert sich verständlich. Schneider gelingt es, anspruchsvolle Musik zu schreiben, die aber nicht den Intellekt, sondern eben die Emotionen anspricht, die vordergründig für unser Empfinden verantwortlich sind. Gezielt mischt er sie ab und zaubert uns so in fantastische Welten purster Imagination.

[Oliver Fraenzke, Oktober 2020]