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Ein Einblick in die Welt von Grieg

Wilhelm Ohmen präsentiert in seinem Band „Mein erster Grieg“ die laut ihm „leichtesten Klavierwerke“ von Edvard Grieg mit einer Auswahl aus den Lyrischen Stücken (op. 12: 1, 2, 3, 4, 6, 7, 8; op. 38: 2, 5, 7; op. 43: 1, 2; op. 47: 3; op. 54: 4; op. 68: 1; op. 71: 3, 7) und Ausschnitte aus den Peer-Gynt-Suiten in Griegs eigenem Arrangement (Morgenstimmung vierhändig; Åses Tod; Solveigs Lied).

Kaum eine Musik wirkt so natürlich, ungekünstelt, so schillernd lyrisch und so malerisch wie die von Edvard Grieg. Besonders sein Hauptinstrument, das Klavier, bedachte er mit einer Vielzahl an Kompositionen, von schlichten Miniaturen hin zu großen Konzertwerken wie der Sonate op. 7 oder der Ballade op. 24. Um den Umfang einzuschätzen: Für seine Gesamtaufnahme teilte der Pianist Einar Steen-Nøkleberg das Klavierwerk Griegs auf 14 CDs auf. So ist es sehr zu begrüßen, einen pianistisch einfachen Einstieg in dieses Œuvre zu gewinnen, was Wilhelm Ohmen mit vorliegendem Band versucht.

In der Auswahl an Stücken orientiert sich Ohmen alleinig an den 66 Lyrischen Stücken sowie Griegs eigenen Klavierversionen der Peer-Gynt-Suiten. Schade, denn viele andere großartige Sammlungen (mit auch spielbaren und teils sogar noch leichteren Stücken) bleiben vollkommen außen vor, so unter anderem die Opera mit Volksliedbearbeitungen, wovon besonders op. 17 und op. 66 einen guten Einstieg geben würden; nicht zu vergessen die zahlreichen kleineren, weniger Popularität genießenden Opera, Einzelstücke und Liedbearbeitungen.
Die Auswahl in „Mein erster Grieg“ beginnt mit dem berühmten ersten Band der Lyrischen Stücke, dem Opus 12: Dies mag nicht verwundern, schließlich komponierte Grieg diese Sammlung zu pädagogischen Zwecken für seine Schüler. Dieses Opus wurde bis auf die Nummer fünf vollständig abgedruckt, was jedoch irritiert, ist dies schließlich die technisch einfachste und zumal eine der ansprechendsten Nummern aus dem Zyklus. Statt dieser hätte man eher verzichten können auf die sperrige Nummer acht, Vaterländisches Lied, oder die wesentlich anspruchsvollere Nummer vier, Elfentanz.
Aus dem Zweiten Band, dem op. 38, sparte Ohmen alles aus, was triolische gegen duolische Spielweise verlangt, was auch mit die Hauptschwierigkeit dieses Opus ist. Springdans ist aufgrund der Geschwindigkeit (von Ohmen immerhin von Vierteltempo 180 auf 132–140 heruntergesetzt) dennoch ein kniffeliges Stück; möglicherweise wäre die Elegie eine Alternative hierfür gewesen trotz der Konfliktrhythmik, die hier jedoch erstaunlich gut in die Hände geht.
Eine technisch neue Liga betritt der Band mit op. 43, einem Zyklus mit frühlingshaften und heimatverbundenen Charakterstücken. Hier entschied sich Ohmen für die ersten zwei Nummern, wobei ich die Wahl des Schmetterlings op. 43/1 nicht nachvollziehen kann, da es sich um eine der vertracktesten und technisch wie musikalisch diffizilsten Nummern der Lyrischen Stücke handelt. Um einen Halbton von fis nach f oder g versetzt, wäre In der Heimat op. 43/3 prädestiniert für solch eine Sammlung gewesen.
Die Auswahl aus den Bänden opp. 47 und 54 macht durchaus Sinn, hier gibt es wenig „leichte“ Stücke; höchstens das Glockengeläute op. 54/6 hätte den Band noch bereichern können: Dieses bricht erstmals in Griegs Schaffen mit der Funktionsharmonik und weist klar in Richtung Debussy, was ihm besondere Bedeutung verleiht.
Die Opera 57, 62 und 65 sparte der Herausgeber vollkommen aus, was insofern verwundert, als hier einige hinreißende wie spielbare Nummern zu finden wären: aus dem Opus 57 die Nummern zwei, drei, vier und sechs und aus 62 und 65 jeweils die Nummern zwei und fünf.
Zu den leichtesten Opera gehört neben dem Ersten Band auch das Opus 68, woraus höchstens die letzte Nummer ein höheres technisches Niveau verlangt. Hier wählte Ohmen lediglich das Eröffnungsstück.
Der von Grieg auch als solches intendierte letzte Band op. 71 endet, wie alles begann: In Nachklänge zitiert er die Arietta op. 12/1. Ohmen nahm dieses in „Mein erster Grieg“ auf, neben diesem fügte er noch den Kobold hinzu, der nicht nur technisch enorm diffizil ist, sondern zudem sechs b-Vorzeichen vorschreibt. Statt diesem hätte ich eher die Nummer sechs, Vorüber, gewählt.
Aus Griegs eigenen Klavierarrangements der Peer-Gynt-Suiten können hier Åses Tod und Solveigs Lied gespielt werden sowie, technisch im Primo komplex, im Secondo sehr leicht, die Morgenstimmung vierhändig. Diese Auswahl trifft also die „Hits“ der „Hits“ der gewichtigen Bühnenmusik, deren stärkste Passagen man leider so gut wie nie zu Gehör bekommt. So sehr die Orchesterversion schillert, so plump wirken die Bearbeitungen leider auf dem Klavier, geben selbst bei exzellenter Darbietung höchstens einen schwachen Abglanz der grandiosen Instrumentation.

Die Edition orientiert sich an der Ausgabe der Edition Peters durch Dag Schjelderup-Ebbe. Die meisten Fingersätze wurden übernommen, lediglich einige wenige ergänzt oder verändert, wobei ich bei diesen keine merklichen Verbesserungen ebenso wenig wie Verschlechterungen beobachte: beide zeigen gültige Alternativen. Auch bezüglich des Layouts wird die Edition Peters größtenteils kopiert, was die Aufteilung auf Seiten und Systeme betrifft: Der Puck wird etwas anders auf die Systeme verteilt und die Melodie teilt die Edition auf vier statt wie bei Peters auf drei Seiten auf. Insgesamt sieht diese neue Schott-Edition durch den Neusatz freilich moderner und sauberer aus als die alte, nachgedruckte Peters-Edition.
Einzige Unterschiede liegen in den Metronomangaben, die Ohmen teils merklich veränderte, sowie einer Tempobezeichnung. Der Fehlerteufel schlich sich ein beim Albumblatt op. 12/7, wo der Vorschlag in T. 6 (sowie den Parallelstellen T. 30, und 54) ein e“ statt ein fis“ abbildet, was sämtliche andere Edition negieren; ein Staccato in T. 4 wurde vergessen.

Ein kurzes Vorwort des Herausgebers leitet in die Edition ein, welches leider wenig fundiert erscheint. Zum einen wurde der Violinist Ole Bull als zentralster Einfluss Griegs und dessen Weg hin zur Nationalromantik ausgespart: Bull erst empfahl ihm, Musiker zu werden und nach Leipzig zu gehen, wo er sein Handwerk erlernte. Später war er es, der Grieg riet, sich von Nils Gade und den europäischen Komponisten fortzureißen und einen eigenen Weg zu betreten. Zum anderen heißt es, dass Grieg „bewusst einen Gegenpol zur deutschen Romantik“ bildet, was falsch ist, da er sich eben dieser Tradition bewusst war und sie pflegte, was nicht zuletzt das populäre, an Schumann angelegte Klavierkonzert a-Moll op. 16 beweist, ebenso einige klar an Mendelssohn und an Chopin gemahnende Opera.

Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass sich der Band „Mein erster Grieg“ durchaus als Einführung in die Welt des Norwegers lohnt, wenn man noch überhaupt nicht vertraut ist mit dessen Werk, zumal der Band mit einem Preis von 14,50 € erschwinglicher ist als die Gesamtausgaben von Peters (Lyrische Stücke komplett: 32,95 €; op. 12 alleine: 9,95 €). Wer allerdings tiefer eindringen will und auf eigene Faust die Tiefen des Grieg‘schen Kosmos (bzw. allein der Lyrischen Stücke!) erkunden will, dort auf einige leichter spielbare und möglicherweise noch lohnenswertere Kompositionen stoßen will, der wird weiterhin nicht um die Bände der Peters-Gesamtausgabe herumkommen.

[Oliver Fraenzke, April 2021]