Exotismus und Klischee

NEOS 11606; EAN: 4 260063 116063

Rupert Huber: rūḥ-i-gulāb · Mein Venedig; Chor des Bayerischen Rundfunks, Madīḥ Ensemble, Rupert Hubert (Leitung), Doris Huber (Schalenglocken)

Werke für Chor mit Instrumentalisten von Rupert Huber hören wir auf vorliegender CD aus dem Hause NEOS. Als Hauptwerk erklingt rūḥ-i-gulāb („Die Seele der Rose“), ein Modem für fünfstimmigen Chor, ägyptisches Madīḥ Ensemble und zehn Schalenglocken nach einem Gedicht von Sharaf al-Din al-Būsīrī, welches von Friedrich Rückert ins Deutsche übersetzt wurde. Es singt der Chor des Bayerischen Rundfunks zu den Instrumentalklängen vom Madīḥ Enselmble mit Doris Huber an den Schalenglocken. Das zweite zu hörende Werk heißt „Mein Venedig“ für gemischten Chor mit Schalenglocken, Okarinas und Röhren nach einem Gedicht von Rose Ausländer; der Komponist dirigiert beide Werke.

Rupert Hubers Musik dient der Wirkung, der vom Musiker aus den Hörer überspringenden Energie. Eine Aufführung soll die Partitur so getreu wie möglich wiedergeben, die intendierte und nach Möglichkeit verschriftlichte Vorstellung des Komponisten so genau wie möglich wiedergeben. Diesen Übergang von Vorstellung zu Kodifizierung zu Wahrnehmung und Wirkung beschreibt Huber mit dem technischen Begriff Modulation, nennt seine Werke entsprechend „Modems“.

Die beiden auf dieser CD vorliegenden Modems könnten genauso gut „Stimmungsbilder“ betitelt werden, denn das charakterisiert ihren Gehalt mit einem verständlichen Begriff. Es handelt sich um überwiegend statische Werke ohne besondere Kontraste, deren Gleichförmigkeit tranceartige Wirkung erzielt. Die Musik will den Hörer in einen gewissen Zustand bringen, dient mehr dem Erleben als dem tatsächlichen Hören. Dazu bedient sie sich Stilmitteln, die leicht einzuordnen sind. In rūḥ-i-gulāb sind dies Exotismen: ein Ensemble voll von arabischen Instrumenten und ein dazu passender Gesang, Schwingungen durch die Schalenglocken und nur leicht variierte rhythmische Gestalten. Die primäre Wirkung verfehlt rūḥ-i-gulāb nicht, der Hörer fühlt sich sogleich ein in eine südöstliche Welt; doch er muss in ihr verharren für über 45 Minuten. Denn es passiert nicht viel, was die Aufmerksamkeit bannen könnte oder den Wunsch, dieser Klangsphäre weiterhin beizuwohnen. Es fehlen Kontraste, neue und bereichernde Elemente, welche die Musik würzen; stattdessen erhalten wir unaufhörlich das Gleiche: regelrecht anbiedernde Exotismen, die den Musikethnologen mehr reizen würden als den Hörer, der irgendwann gesättigt ist.

„Mein Venedig“ bedient sich eines anderen Klischees, nämlich dessen der Konturlosigkeit und der Undurchdringbarkeit. Das Werk verweigert traditionelle Notationsformen, so dass die Partitur aus Textanweisungen besteht, an die sich der in drei Reihen aufgestellte und mit jeweils einem Instrument (Schalenglocken, Okarinas oder Röhren) versehene Chor zu halten hat. Eröffnet wird „Mein Venedig“ durch allmählich aufkommendes Rauschen und Flüstern: ein gerne verwendeter Effekt für zeitgenössische Komponisten, um ihre Musik einzuleiten. Doch danach? Danach passiert erneut nichts mehr, was von Belang wäre: die Musik verharrt in dieser Flüster- und Rauschwelt, ohne dass es einen großen Ausbruch oder spürbare Kontraste gäbe.

Vielleicht wirkt diese Musik ja auf denjenigen, der sie live hört, doch gebannt auf CD verblasst ihr Effekt zu nicht enden wollender Kontinuität.

[Oliver Fraenzke, Juli 2018]

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