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Zwei Spätentdeckungen aus Enescus Kammermusikschaffen – emotional direkt

Naxos 8.573616; EAN: 7 47313 36167 0

Naxos hat sich schon immer auch für die Musik des grandiosen Rumänen George Enescu stark gemacht. Auf der neuen CD mit zwei erst nach dem Tod des Komponisten veröffentlichten bzw. entdeckten Kammermusikwerken – dem Klaviertrio a-Moll (1916) und dem 1. Klavierquartett D-Dur (1909) – spielen Stefan Tarara (Violine), Molly Carr (Viola), Eun-Sun Hong (Violoncello) und Josu De Solaun (Klavier).

Bald siebzig Jahre nach seinem Tod gehören die meisten der erstaunlichen Meisterwerke des Rumänen George Enescu (1881–1955) immer noch nicht zum Standardrepertoire der klassischen Moderne. Ob der Hauptgrund dafür tatsächlich in der lange enormen Popularität seiner beiden Rumänischen Rhapsodien zu suchen ist, die ja sein Werk völlig unterbelichtet erscheinen lassen müssen, oder in der überragenden Bekanntheit Enescus als einer der bedeutendsten Geiger und Pädagogen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sei mal dahingestellt. Ersteres wäre nun in etwa so, als ob man über Beethovens Wellingtons Sieg dessen Symphonien, Sonaten und Streichquartette völlig vergessen hätte. Dass Enescu wohl ebenso versiert Klavier spielte wie die Violine, wissen freilich auch nur die Wenigsten.

Enescu war vielmehr einer derjenigen Zeitgenossen, die in ihrem Werk eben keinen radikalen Bruch mit der Spätromantik vollzogen haben, trotzdem komplex und zum Teil ebenso eigenwillig innovativ wie herausfordernd für Interpreten und Hörer sind. Das spürt man beispielhaft in der hier vorgestellten Kammermusik. Das dreisätzige Erste Klavierquartett von 1909 ist mit 37 Minuten ein echtes Schwergewicht der Gattung – mit zyklischer Transformation sogar über die Satzgrenzen hinaus verwandter Themen und großer emotionaler Spannweite. Nach der erfolgreichen Uraufführung erklang das Stück zu Lebzeiten dennoch lediglich zweimal – jeweils mit Enescu am Klavier (!) – und wurde erst 1965 gedruckt. Das relativ knappe einzige Klaviertrio des Komponisten, das zwischen 1911 und 1916 entstand, blieb sogar bis zu seinem Tod in der Schublade. 1965 entdeckt und noch viel später von Pascal Bentoiu ediert, gehört es bisher eher zu den Raritäten Enescus.

Die drei Protagonisten des Trios – der Heidelberger Violinist Stefan Tarara, die südkoreanische Cellistin Eun-Sun Hong und der spanisch-amerikanische Pianist Josu De Solaun – waren jeweils in ihrem Fach erste Preisträger des internationalen George Enescu Wettbewerbs 2014. De Solaun hat bereits Enescus komplettes Soloklavierwerk für Grand Piano eingespielt. Vergleicht man die vorliegende Darbietung (entstanden 2017 in Valencia) mit der des britischen Schubert Ensembles (2012), so fällt zunächst auf, dass sich letztere nach intensiver Auseinandersetzung mit dem Autograph in vielen Details nicht an die Bentoiu-Fassung halten. Inwieweit auch die Neueinspielung teils eigene Lesarten berücksichtigt, kann der Rezensent mangels Notenmaterials leider nicht bewerten; jedenfalls gibt es Unterschiede im Text beider Aufnahmen. Dass Enescu es im Kopfsatz nach hochexpressivem Beginn verinnerlichter und ruhiger angehen lässt, kommt dem britischen Understatement des Schubert Ensembles entgegen. Aber schon im langsamen Variationssatz beweisen die Naxos-Musiker größere Geschmeidigkeit und Finesse – etwa gleich in der Presto-Variation. Und im bedrohlich stampfenden Einleitungsteil des Finales klingen sie wirklich desolat, sind mittendrin im Geschehen; nicht nur kultivierte Betrachter eines intelligent angelegten Klangpanoramas wie ihre britische Konkurrenz.

Insgesamt emotional direkter, dafür klanglich streckenweise weniger feinsinnig als das Schubert Ensemble (2010), scheinen Tarara, Hong und De Solaun – nun verstärkt durch die US-Bratscherin Molly Carr – auch für das 1. Klavierquartett geradezu prädestiniert. Hier wird individuellen Momenten der Einzelstimmen deutlich mehr Entfaltungsmöglichkeit gewährt: Man höre etwa die Bratschenstelle I. Satz, 7. Takt nach Zif. [17] (Track [4], ab 7‘38“), ausdrücklich mit molto espressivo versehen, die von Carr als höchst schmerzlicher Einwurf gestaltet wird, bei den Briten lediglich ein korrespondierendes Rädchen im Stimmengeflecht. Derlei Intensität macht den 14-minütigen Kopfsatz natürlich ebenso für den Hörer zu einer Tour de Force. Das atmosphärisch dichte, einerseits noch am französischen Impressionismus geschulte, gleichzeitig die spätere Metamorphosentechnik des Dänen Vagn Holmboe vorwegnehmende Andante mesto überzeugt bei beiden Ensembles. Im Finale gewinnt jedoch wiederum die Neuaufnahme, ist zupackender, besonders im Klavier virtuoser; gerade auch der fulminante, nochmals das Hauptthema rekapitulierende Schluss wirkt da stringent, beim Schubert Ensemble droht er beinahe zu zerfallen. Die Naxos-Technik betont noch die Direktheit der Aufführungen; hingegen lässt die Räumlichkeit etwas zu wünschen übrig. Als wirklich ärgerlich erweist sich der leider suboptimal gestimmte Flügel, vor allem beim Quartett. Richard Whitehouses Booklettext ist wie immer konzentriert und informativ. Man darf also die mehr als interessante Erweiterung der Enescu-Diskographie mit äußerst kompetenten Musikern unter Kammermusikfreunden durchaus willkommen heißen.

Vergleichsaufnahmen:

  • Klavierquartett: Schubert Ensemble (Chandos CHAN 10672, [2010])
  • Klaviertrio: Schubert Ensemble (Chandos CHAN 10790, [2012 ])

[Martin Blaumeiser, August 2022]

Im leidenschaftlichen Wettstreit mit sich selbst

Stefan Tarara misst sich an den Solosonaten von Eugène Ysaÿe:

Der erste Preis beim George Enescu Violinwettbewerb markierte für den Geiger Stefan Tarara auch in persönlicher Hinsicht einen Meilenstein: Tarara, der im Jahr 2015 sein Studium in Zürich bei Zakhar Bron abschloss, fühlt sich durch seine rumänischen Eltern dem Namensgeber dieses international bedeutsamen Wettbewerbs seelenverwandt. Wenn er es auf seiner aktuellen CD mit den Sonaten des Belgiers Eugène Ysaÿe solistisch aufnimmt, tritt Tarara in einen leidenschaftlichen Wettstreit mit sich selbst.

Ich habe gerade in einem Video Ihre irrwitzigen Arpeggiensprünge bei Paganini bewundert. Stimmen Sie damit überein, dass Paganinis Capricen eigentlich sehr angenehm zu spielen sind, weil sie so „geiger-gerecht“ gesetzt sind?

Es stimmt, aber es muss immer noch gründlich geübt werden und schwer bleibt es dennoch. Aber Sie haben recht, es gibt viel Musik, die noch deutlich gemeiner geschrieben ist.

Hat er die ganzen Sachen für sich selber geschrieben, damit er sich beim Spielen wohl fühlt?

Vieles hat Paganini gar nicht selber geschrieben. Die Capricen und andere großen Werke sind von ihm persönlich, aber vieles haben seine Schüler für ihn gemacht. Einiges ergab sich direkt aus seinem Spiel. Und er hatte immer eine panische Angst, dass es ihm jemand gleich tut und dass da jemand ist, der noch etwas virtuoser und fetziger spielt.

Geht es auch Ihnen heute darum, besser als andere zu sein?

Im Wettstreit liegt der Reiz, sein bestes zu geben und Anerkennung zu bekommen. Aber den stärksten Wettbewerb trägt man mit sich selber aus. Da geht es gegen sich selbst und nicht gegen andere. Der Erfolg hängt immer von der Tagesform ab. Alles kann sich im nächsten Moment schon wieder ändern. Es gibt so viele Variablen. Am wichtigsten ist es, sich selbst treu zu bleiben. Aber Musik ist ja nicht nur Wettstreit. Es geht in erster Linie darum, Menschen zu verbinden. Wer Kammermusik macht, profitiert immer von anderen Menschen.

Welche Erfahrungen haben Sie bei den Wettbewerben gemacht?

Sie haben in den letzten Jahren sehr viel Spaß gemacht. Man muss eine ganz bestimmtes Mindset mitbringen. Bei den großen Wettbewerben sind viele Medien involviert und vieles wird heute per Livestream übertragen, so dass man hier wahrgenommen wird. Ich will hier natürlich das beste geben  – und im Kopf bleibt der Wunsch, den ersten Preis zu bekommen!

Was unterscheidet ein Wettbewerbsvorspiel von einem Publikumskonzert?

Der Unterschied wird mir erst jetzt so richtig bewusst, wo ich auch viel als Pädagoge tätig bin und auch selber in der Jury sitze: Dort sitzen Leute, die vor allem die Fehler zählen. Die meisten Zuschauer wollen aber die schönen Momente erleben. Das sind unterschiedliche Ausgangssituationen. Also richte ich beim Wettbewerbsspiel ein besonderes Augenmerk auf Intonation, Rhythmus und Stabilität. Das gehört natürlich auch im Konzert unmittelbar dazu, aber hier steht noch mehr der Ausdruck und die musikalische Linie im Vordergrund.

Und dafür muss man auch mal einen Fehler zulassen dürfen. Ein Chirurg kann sofort einen Menschen umbringen, wenn er einen Fehler macht. Diese Gefahr besteht bei uns Musikern zum Glück nicht. Aber wir können Menschen zu Tode langweilen. Im Wettbewerb braucht es objektive Richtwerte, Intonation, Interpretation, Textgenauigkeit und Rhythmus. Trotzdem sollte niemand einen Wettbewerb gewinnen, der einfach nur richtige Töne spielt.

Was leisten Wettbewerbe überhaupt für die eigene Karriere?

Ich bekomme kostenlose Werbung. Das ist das, was für mich am wichtigsten als Interpret ist. Es haben mich mehrere Leute gehört. Vielleicht gibt es welche, denen es gefallen hat. Die Chance, woanders eingeladen zu werden, steigt immens. Das ist am wichtigsten. Es geht mir darum, die Leute zuhause hinter den Screens zu überzeugen – ebenso die 1000 bis 1500 Leute, die im Saal sind.

Es geht immer um Erfahrung. Wenn man gut vorbereitet ist und einen guten Tag hat, eröffnet dies die  Chance, sich einem riesigen Publikum zu präsentieren. Das Preisgeld ist sowas von egal.

Vor allem der erste Preis im Enescu Wettbewerb hat mich extrem nach oben katapultiert. Das hat auch etwas mit meiner persönlichen Prägung zu tun. Meine Eltern kommen aus Rumänien und ich bin zweisprachig aufwachsen. Ich bin mit der Musik Enescus wirklich groß geworden. Es war ein Traum für mich, Enescu in Rumänien zu spielen – eben dort, wo er herkommt. Ein anderer Wettbewerb, in dem ich „nur“ einen dritten Preis bekommen habe, hat fast ebenso viel für die Karriere geleistet, nämlich der Wieniawski-Wettbewerb in Polen. Die Polen lieben diesen Wettbewerb und unterstützen ihre Künstler ohnegleichen. Vor allem diese beiden Wettbewerbe haben sehr viel bewirkt. Auf einmal haben mich viele Labels angeschrieben. Vorher war ich es, der die Labels anschrieb, was nicht so viel gebracht hat.

Warum haben Sie sich für diese Solo-CD für Eugene Isayes Solosonaten entschieden?

Ich habe Ysayes Sonaten durchgängig seit meiner Jugend angehört. Vor allem die Einspielung von Frank Peter Zimmermann hat mich von klein auf stark inspiriert. Zimmermann war für mich ein Riesen-Idol. Es war ein ständiger Traum, sie mal selbst zu spielen.

Was fordert Sie in dieser Musik besonders heraus?

Es wird durchaus sämtliche Paganini-artige Virtuosentechnik abverlangt. Aber Isayes Virtuosität kommt viel „musikalischer“ daher.  Die Sonaten sind natürlich auch stark von Bach beeinflusst. Eine Nähe zu George Enescu ist ebenfalls stets präsent. Ysayes Sonaten sind verschiedenen Personen gewidmet. Er wollte gewissermaßen auf moderne Art eine „Bachsonate“ schreiben. Jede Sonate hat einen eigenen Charakter. Da lebt beispielsweise Fritz Kreislers Süßlichkeit in einer der Sonaten. Wir haben in der sechsten Sonate einen ausgeprägt spanischen Charakter, sogar mit einer Habanera. Aber bei allen vielfältigen Einflüssen kann man Isayes Stempel in jeder Note finden. Er hat seinen eigenen Stil, Polyphonie zu schreiben, den niemand sonst geschafft hat. Das hier ist eine andere, moderne, virtuose Polyphonie. Und ich muss ganz ehrlich sagen: Isaye kann einen Tick besser mit  geigerischen Aspekten umgehen als Bach. Ysaye hat doch etwas besser gewusst, wo die Stärken der Geige liegen. Wenn ich mir Bachs wohltemperiertes Klavier anhöre, ist da eine vollendete Perfektion. Aber es bleibt eine Bachfuge für Geige, bei der zu vieles vom Klavier her gedacht ist mit allen sich daraus ergebenden Limitierungen. Ysaye ist doch vielmehr von den technischen Gegebenheiten der Geige ausgegangen.

Der berühmte „Dies Irae“ – Choral hat es Ysaye ja auch sehr angetan!

Er hat dieses Thema in der zweiten Sonate im Sinne von Bach paraphrasiert. Das wirkt hier oft richtig improvisatorisch. Die zweite Sonate ist die eingängigste von allen sechs. Wer bislang noch gar nicht mit Ysaye in Berührung kam, sollte als erstes die zweite Sonate hören!

Wie waren Ihre Konzerterfahrungen mit diesen Sonaten?

Ich habe schon öfter einzelne Sonaten in ein Programm eingabaut. Alle sechs in einem Programm zu spielen ist sehr schwer für ein Publikum. Das kann schnell ermüden. Da kommen mehrere unterschiedliche Farben viel besser beim Publikum an. Man muss an seine Zuhörer denken. Und klassische Musik hören ist immer viel Konzentrationsarbeit.

Sie erwähnten vorhin den Wettstreit mit sich selbst? Stehen diese Sonaten idealtypisch für dieses Prinzip?

Durchaus. Es geht darum, als eine Person Gefühle heraus zu bringen, die sonst ein ganzes Orchester freisetzt. Man ist als Solist viel freier, kann sich viel erlauben. Andererseits darf man sich auch nicht zu frei fühlen, das bekommt dann sehr schnell einen sagen wir mal zigeunerischen Charakter. Man will sich ja auch in einer klaren, präzisen Struktur präsentieren.

Hilft dafür auch die Kompetenz des Wettbewerbsspiels? 

Auf jeden Fall. Hier fließen zwanzig Jahre Hausaufgaben ein, die ich gemacht habe.

[Interview geführt von: Stefan Pieper, Dezember 2017]

Zurück zur Kindheit

Ars Productions, ARS 38 212; EAN: 4 260052 382127

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Impressions d’enfance“ für Violine und Klavier Op. 28 von George Enescu sowie die – weniger gespielten – ersten beiden seiner drei großen Violinsonaten sind zu hören auf dem Album „Childhood Impressions“ von Stefan Tarara und Lora Vakova-Tarara, erschienen bei Ars Productions.

Der große rumänische Komponist George Enescu wird schon viel zu lange nur am Rande der musikgeschichtlichen Wahrnehmung der Konzertgänger gepflegt. Vielen ist sein Name zwar ein Begriff, doch steht er nach wie vor nur in Ausnahmefällen auf dem Programm – und dann höchstens seine dritte Violinsonate „dans le caractère populaire roumain“ oder andere volksmusikalisch angehauchte Werke. Seine fünf Symphonien, von denen drei vollendet sind, die vier frühen Jugendsymphonien oder die Konzerte wie auch die Concertante für Cello sind im heutigen Konzertleben gar nicht präsent.

Nachdem sie vergangenes Jahr bereits die dritte Sonate gemeinsam mit Werken von Bloch, Ravel und De Zeegant für Ars Productions eingespielt hatten, widmen sich Stefan Tarara und Lora Vakova-Tarara nun den beiden Vorgängern, den Sonaten Op. 2 in D-Dur und Op. 6 in f-Moll, beide vor Enescus 20. Geburtstag entstanden. Und was ergänzte diese Jugendwerke besser als die „Impressions d’enfance“, die Impressionen aus der Kindheit, Op. 28, wenngleich der Rumäne zur Kompositionszeit bereits fast seinen sechzigsten Geburtstag erreicht hatte. Beide Sonaten warten mit erstaunlicher Reife, mit virtuosem und spielfreudigem Passagenwerk, belebender Frische, inniger Lyrik, und auch mit ansprechenden Klangeffekten auf. Sie sind jeweils in klassischer Dreisätzigkeit gegliedert mit einem langsamen Mittelsatz, der von zwei belebten Sätzen umrahmt wird. Überhaupt dienen klassische Formideale als zeitlose Vorbilder, wenngleich sie durchaus gelockert und teilweise kurzzeitig in Frage gestellt werden. „Impressions d’enfance“ hingegen ist ein zusammenhängender Zyklus aus zehn Miniaturen, von denen die kürzesten nur knapp über 20 Sekunden andauern. Diese Miniaturen werden unterbrechungslos gespielt, gehen also direkt ineinander über, tatsächlich wie Eindrücke aus der Kindheit, deren Bilder und Laute vor dem inneren Auge vorüberziehen und sich zu einer emotionalen Landschaft verbinden. Das Werk hat eine ausgesprochen bildhafte Sprache, und oft scheinen diese Bilder auch ohne Wissen um die Titel unmittelbar erkennbar. Impressions d’enfance ist ein wunderbar ausgereiftes Werk, welches einen stringenten roten Faden durch die Miniaturen zieht, der diese Charakterstücke unwiderstehlich eint.

Üblicherweise gehe ich auf Albumcovers nicht ein, aber hier kommt man absolut nicht drum herum. Bei Childhood Impressions ist auch das optisch Äußerliche schon ein Kunstwerk, abgestimmt mit bunter Schrift, Kindermalereien im Booklet, Fotographien vom Spielen auf dem Feld (Stefan Tarara wirft auf einem Foto seine Geige hoch in die Luft wie einen Ball – hoffentlich fängt er sie auch wieder auf!), und doch behält alles einen seriösen und künstlerisch hochwertigen Eindruck.

Beide Musiker harmonisieren ausgesprochen gut und hören genau aufeinander, stimmen ihr Spiel maßvoll ab. Lora Vakova-Tarara am Klavier gibt den Werken einen soliden, harten und kompakten Ton, der eine betont maskuline Attitüde zur Folge hat. Sie ist präzise und lupenrein in ihrem Spiel, kann auch feine Dynamikabstufungen minutiös in die Waagschale legen. Der Violinist Stefan Tarara bringt sehr innige und feinfühlige Klänge aus seinem Instrument hervor, die sich allen musikalischen Gegebenheiten anschmiegen – wodurch auch  gelegentliche minimal abweichende Intonation gar nicht stört. Gerade bei klangmalerisch abbildenden Effekten kann Stefan Tarara auftrumpfen, besonders offensichtlich bei der Klangillustration der Grille (Grillon) und dem Vogel (Oiseau) aus den Kindheitsimpressionen sowie auch im Mittelsatz der zweiten Sonate – vor allem die Tiere wirken fast naturalistisch echt! Als Duett wirken Stefan Tarara und Lora Vakova-Tarara gemeinsam in einer lockeren und beschwingten Art, von fast naiver Leichtigkeit und doch mit ausgesprochenem Verständnis für die musikalischen Bezüge. Beide leben im gerade erklingenden Moment und können diesen in aller Pracht entstehen lassen. Bei den langen Sonatensätzen kommt jedoch teils der große Bogen, der sich unweigerlich von der ersten bis hin zur letzten Note erstrecken muss, nicht zustande. Wesentlich leichter nachvollziehbar ist die Linie durch die zehn Miniaturen der Impressions d’enfance, die in der Darbietung von Tarara und Vakova-Tarara eine klare Struktur aufweisen und auch in den Übergängen mit zwingender Sinnhaftigkeit fesseln.

George Enescu schrieb eine immer aufs Neue faszinierende Musik, durchtränkt mit echtem rumänischen Geist und von seinen namhaften Lehrern Fauré und Massenet geprägter satztechnischer Eleganz. Es ist unglaublich schwierig, Enescu wirklich zu verstehen, seine Musik aus dem Volkstümlichen und Naiv-Schlichten heraus entstehen zu lassen, ohne gekünstelt und steril zu werden. Stefan Tarara und Lora Vakova-Tarara schufen hier eine eindrucksvolle Aufnahme, die eben die kindliche Leichtigkeit und das innere Gefühl bewahrt, auf stilvolle Weise scherzen kann und die Musik unprätentiös hervortreten lässt.

[Oliver Fraenzke, Mai 2016]