Mariss Jansons‘ Alpenpanorama

BR-Klassik, LC 20232; EAN: 4 035719001488

Richard Strauss: Eine Alpensinfonie, Tod und Verklärung; Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Mariss Jansons (Leitung)

Da kann man schon etwas durcheinander kommen: Gerade scheint man beim BR-Klassik-Label das von Mariss Jansons mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks bisher eingespielte Repertoire an Orchesterwerken von Richard Strauss neu auf verschiedene Einzel-CDs zu verteilen; es handelt sich dabei aber nicht um Neuaufnahmen. So möchte ich hier trotzdem die ältere Kopplung der Alpensinfonie mit ‚Tod und Verklärung‘ besprechen; mit beiden Werken dringt Jansons hier in die erste Liga der mehr als zahlreichen Konkurrenzeinspielungen vor.  

Richard Strauss‘ „Eine Alpensinfonie“ von 1915 ist die letzte, von der Orchesterbesetzung aufwändigste und auch längste seiner Tondichtungen. An ihr scheiden sich die Geister: bei Orchestermusikern eher unbeliebt, da in ihrer sehr direkten Lautmalerei an den Stationen einer ganztägigen Bergwanderung allzu plakativ, geradezu simpel im Vergleich zu philosophisch wie kompositionstechnisch elaborierteren Werken wie etwa Don Quixote oder Also sprach Zarathustra. Dirigenten mögen sie dagegen sehr, eben weil sie hier mit dem Farbenkasten mal so richtig dick auftragen können. Zubin Mehta, der solche Stücke dann meist innerhalb eines kürzeren Zeitraums gleich mit allen ihm verbundenen Orchestern aufzuführen pflegte, machte mir gegenüber aus seiner Begeisterung keinen Hehl, aber nicht ohne hinzuzufügen: „Na, das reicht dann auch wieder für die nächsten zehn Jahre.“ Beim Publikum ist dieses Alpenpanorama natürlich gerade dafür beliebt, dass über weite Strecken einfach unmissverständlich klar ist, was da musikalisch geschildert wird und so schön die gewaltige Klangpalette eines richtig großen Orchesters – mit Orgel und zusätzlich 12 Hörnern hinter der Szene – demonstriert wird. Strauss erlangte hier den Höhepunkt seiner Instrumentationskunst.

Jansons‘ Alpensinfonie – aus drei Live-Mitschnitten von 2016 aus der Münchner Philharmonie kompiliert – überzeugt natürlich durch aufs Edelste ausgekostete Klangkombinationen, perfekt erarbeitet. Alle gefürchteten Soli (Oboe, Klarinette, besonders Trompete) gelingen tadellos. Auch die Dramaturgie der großen Bogenform und die sich daraus ergebende symmetrische Metamorphose der Hauptmotive kommt klar zur Geltung. Alles erscheint völlig natürlich, organisch, dem hinter der Komposition steckenden pantheistischen Credo werden Orchester und Dirigent mehr als gerecht. Trotzdem: Das Ganze wirkt hier wie eine Filmmusik. Der Zuhörer nimmt – auch emotional – nur virtuell teil an einer Bergwanderung, wird nicht wirklich nass bei Gewitter und Sturm; man ist nicht in den Alpen, sondern eher bei einer Vorführung eines Alpenfilms auf einer Bogenhausener Sommerparty. Zuletzt gelangen beispielsweise Andris Nelsons (City of Birmingham SO, Orfeo 2010) oder Philippe Jordan (Orchestre de l’Opéra National de Paris, Naïve 2009) eindringlichere Darbietungen der Alpensinfonie, die den Rezipienten quasi als Wanderer direkt ins Geschehen hineinkatapultierten. Nelsons enormer dramatischer Zugriff und Jordans unfassbar subtile klangliche Ausdeutung haben mich dann doch mehr begeistert als Jansons‘ routinierte Perfektion. Trotzdem gehört diese Interpretation in die absolute Spitzengruppe von vielleicht fünf oder sechs Einspielungen – gerade auch weil es die Tontechnik des BR wieder einmal schafft, ein fast konkurrenzloses Ergebnis an Durchsichtigkeit bei gleichzeitig größtem Dynamikumfang abzuliefern. Da kann meine, rein musikalisch betrachtet, immer noch unerreichte Lieblingsaufnahme (Rudolf Kempe, Staatskapelle Dresden, EMI 1971) nicht mehr mithalten.

Eine echte Referenzaufnahme gelingt Jansons hingegen bei Tod und Verklärung. Das ist mitreißend, der minutiös kalkulierte musikalische Aufbau der einzelnen Abschnitte und die große Verwandlung der Musik zum Schluss werden zu einer ergreifenden Reise in die noch ganz romantische Vorstellungswelt eines gerade mal 25-Jährigen von Leben und Tod. Die Höhepunkte wirken gnadenlos in ihrer Gewalt, übertriebenes Pathos (wie z.B. bei Karajan) wird jedoch vermieden, die Verklärung bleibt als Nachhall des vorhergegangenen „Schicksals“ keineswegs utopisch, sondern vermag direkt zu berühren – Tod als Erlösung? Dieses Stück hatte mich vorher noch nie in seinem tiefen Ernst derart gefangen genommen wie in dieser Darbietung – eine Glanzleistung, die ich jedem Strauss-Begeisterten unbedingt empfehlen darf.

[Martin Blaumeiser, August 2018]

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