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Kammermusik in Freimann

Ein mannigfaltiges Programm für Violine und Klavier war am 20. September in der Villa Mohr in München-Freimann (Situlistraße) zu hören. Der Bogen wurde dabei von Isabel Steinbach geführt und an den Tasten agierte der aus Bombay stammende Pianist Pervez Mody, zusammen treten sie als Duo Appassionata auf. Altwiener Tanzweisen von Fritz Kreisler und eine Duobearbeitung von Edvard Griegs Peer Gynt Suite Nr. 1 durch Hans Sitt standen neben Ludwig van Beethovens siebter Violinsonate in c-moll op. 30/2 und Franz Schuberts Rondeau brillant h-Moll op. 70 auf dem Programm.

Eine recht eigentümliche und doch erstaunlich stimmige Werkreihenfolge bietet der Abend in Freimann auf, Kreislers Altwiener Tanzweisen vor Beethovens ernster „Grande Sonate“ c-Moll in der ersten Hälfte und Griegs berühmte Peer Gynt Suite Nr. 1 vor dem recht selten dargebotenen Rondo in h-Moll von Schubert nach der Pause sind durchaus interessante Kombinationen von divergierenden Stilsphären. Der schnelle Wechsel zwischen so unterschiedlichen Welten ist eine wahre Herausforderung für die Musiker, die erst kurz vor dem Konzert aus Österreich eintreffen. Ganz ohne Anspielprobe, ohne Warm Up müssen sie das anspruchsvolle Programm präsentieren!

So ist es nicht verwunderlich, dass Liebesfreud und Liebesleid aus Kreislers Feder noch nicht den Wiener Schwung erhalten, wodurch der Tanzcharakter fast etwas stolpert. Pervez Mody besticht dessen ungeachtet durch eine außergewöhnlich leichtfüßige Begleitung in strahlendem Staccato, das zwar an sich viel zu kurz ist, aber in der eleganten Art der Ausführung einen sehr eigenen Charme erhält. Die Violinstimme wirkt darüber etwas statisch, ist aber auch durchgehend durchdacht und sanglich geführt. Der kühne Wechsel zu den düstereren Welten von Beethovens Violinsonate Nr. 7 gelingt tatsächlich und das schlichte Thema begibt sich auf seine Reise durch den technisch äußerst delikaten Kopfsatz, in dem beide ihre zweifelsohne brillanten Fähigkeiten unter Beweis stellen können. Gerade im ersten Satz muss der Hörer unweigerlich darauf stoßen, wie eingespielt diese beiden Musiker sind, jedes Thema wird übergangslos vom jeweils anderen Spieler aufgenommen und weitergeführt, dynamisch sind sie perfekt aufeinander abgestimmt und auch in der Phrasierung herrscht große Einigkeit – was bei allzu vielen Duetts nicht wirklich anzufinden ist. Anzumerken ist hier nur, dass beide Musiker immer wieder der heute sehr beliebten Mode verfallen, gegen jede Verstellung von natürlichem Spannungsaufbau die Auflösung einer Linie ebenso wie die Taktschwerpunkt oft ungeachtet ihrer kontextuellen Bedeutung zu akzentuieren. Nach einem ziemlich unstetigen und vielerorts zu sehr nach vorne drängendem (von Anfang an bereits zu eiligen) Adagio reißt das Duo Appassionata in Scherzo und Finale mit. Pervez Mody erweist sich als so geschmeidiger Begleiter, so dass sich Isabel Steinbach vollends auf dieser hervorragenden Grundlage entfalten kann, sein Spiel ist auch in den zerklüftetsten Passagen rein und durchsichtig mit einer unerschütterlichen Lockerheit.

Nach der Pause wird das Programm durch Grieg fortgeführt, dessen erste Suite aus der Bühnenmusik zu Peer Gynt von Henrik Ibsen hier in einer Duobearbeitung von Hans Sitt erklingt. Der in Prag geborene Sitt ist heute als Komponist vollkommen in Vergessenheit geraten, abgesehen von kurzen Stückchen für den Geigenunterricht, eine Entdeckung unter anderem seiner Violinkonzerte oder seines Bratschenkonzerts (er war neben seiner Geigenlehrtätigkeit in Leipzig auch als Bratschist im Brodsky-Quartett tätig) wäre sehr wünschenswert. Zu lesen ist der Name nur auf Arrangements, viele der international berühmten Geigenvirtuosen greifen immer wieder auf seine Bearbeitungen zurück (zu nennen beispielsweise Henryk Szeryng, der Nardinis e-moll-Konzert ausschließlich in Sitts Fassung spielte). Die Version für Violine und Klavier ist erstaunlich gut gelungen, die Musik erhält eine ausgewogene Abstimmung zwischen den unterschiedlichen Kräften, zwischen denen die Themen stimmig aufgeteilt sind. Die Morgenstimmung erklingt in der Darbietung des Duos Appassionata noch recht willkürlich, die kleinen Ritardandi schmälern den Eindruck der aufgehenden Sonne, wobei allerdings im späteren Verlauf das Tempo so stark beschleunigt, dass von einer Morgenidylle nicht mehr die Rede sein kann. Wesentlich gelungener sind dafür vor allem die folgenden Stücke Åses Tod und Anitras Tanz in all ihren verschiedenartigen Ausdrucksmitteln. Hier zeigt sich, wie stark sich die Instrumentalisten mit der skandinavischen Musik auseinandergesetzt haben – auch ihr letztes gemeinsames Album enthält Sonaten von Sinding, Gade und Grieg. Das Klangresultat erhält eine spielerische Natürlichkeit und schäumt nicht über vor falschem Pathos.

Das Finale bildet Schuberts Rondo für Violine und Klavier h-Moll op. 70, das wohl risikoreichste Werk des Abends; so schnell kann die komplexe Struktur zerbrechen und die dramatische Tiefgründigkeit in oberflächliche Virtuosität umkippen. Immerhin gelang es dem Duo, den Hörer hineinzuziehen in das musikalische Geschehen; dennoch können auch sie nicht verhindern, dass der große Zusammenhang und die potentielle Stringenz dieses viertelstündigen Werks teils abglitt und der Hörer kurzzeitig seinen Halt in der fragilen Welt verliert. Dennoch ist das Rondo durchwegs reflektiert dargeboten und die musikalische Leistung sehr beachtlich, gerade im Vergleich mit vielen teils großen Virtuosen, die aus dem packenden Seelengemälde weitaus weniger herauszuholen vermögen als Steinbach und Mody. Als Zugabe gibt es erneut Kreisler, diesmal wesentlich schwungvoller und wienerischer als zu Beginn des Abends, und den Brautraub aus der zweiten Peer Gynt-Suite, der durch feine Klangeffekte betört.

Das Duo Appassionata überzeugt den gesamten Abend durch ein äußerst fein abgestimmtes Zusammenspiel, das sich in vierzehn Jahren gemeinsamen Wirkens gefestigt hat. Dadurch schleichen sich allerdings auch routinemäßig willkürliche Elemente mit ein, so beispielsweise genannte Überakzentuierung von Auflösungen und Taktschwerpunkten oder auch zerfasernde Tempi, welche immer wieder treiben oder unbedacht schwanken, was allerdings angesichts der enormen Musikalität im Spiel der beiden verziehen werden kann. Isabel Steinbach präsentiert sich als technisch ausgereifte Violinistin, die ihr Programm nüchtern und distanziert betrachtet, sich also zu keiner Zeit von zu Unachtsamkeit lockenden Schwärmereien hinreißen lässt, Pervez Mody hingegen trumpft auf mit ungeahnter Klangkontrolle und -vorstellung sowie seiner entspannten Art des Klavierspiels, bei beiden ist ein feinfühliges Aufeinander-Eingehen spürbar.

[Oliver Fraenzke, September 2015]