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Leider hochaktuell…

Die letzten Tage der Menschheit
Karin Wagner, Klavier   Csongor Szántó, Bariton   Fritz Schuh, Sprecher

Österreichische Kriegslieder vs. Texte von Karl Kraus

Gramola 99116
9 003643 991163

So erschreckend die Zusammenstellung von Liedern, die den Krieg (wenigsten den ersten Weltkrieg damals) verherrlichten und scheinbar notwendig werden ließen gegen die übermächtigen Feinde rings um die beiden Kaiserreiche Deutschland und Österreich – und damals waren ja bis auf ganz wenige Ausnahmen wie Rosa Luxemburg oder Karl Liebknecht fast alle, auch die Besonnenen, für die militärische Auseinandersetzung –, und den geradezu hellsichtigen und auf den Punkt genauen Texten des Österreichers Karl Kraus (1874-1936) auch ist: Sie ist leider auch heute noch oder wieder fürchterlich aktuell, wie man ja auch am Erstarken des Rechtsradikalismus hier und überall sieht.

Dass sich Komponisten wie Robert Stolz (1880-1975) oder Carl Michael Ziehrer (1843-192), Emil Hochreiter (1872-1938 oder Ralph Benatzky (1884-1957) für solche „patriotischen“ Machwerke hergaben, wundert heute vielleicht keinen mehr, denn die meisten hatten ihren „common sense“ damals zu Hause gelassen; im Booklet stehen einige erschreckende Zeugnisse sogar von Arnold Schönberg (1874-1951) und Anton Webern (1883-1945)!

Der Kontrast zwischen den durchaus überzeugend vorgetragenen Liedern – die Pianistin und der Sänger geben fast zu viel Herzblut darein, was aber beabsichtigt zu sein scheint – und den auch heute noch bezwingenden Kraus-Texten gegen den Wahnsinn der Kriegsmaschinerie, angeheizt durch eine entsprechende Presse – die Parallelen zu heute sind geradezu schockierend – ist dennoch schwer auszuhalten, denn Sprecher Fritz Schuh lässt die Unerbittlichkeit (und da steckt ja das Wort „bitter“ durchaus drin!) mit beklemmender Intensität Wirklichkeit werden. Man denkt natürlich auch an die einmalige Sprachkunst des Helmut Qualtinger, wenn Schuh seine ganzes Können in den Dienst dieser auch heute noch nichts von ihrer Aktualität verloren habenden Texte des Mahners Karl Kraus stellt und sie in all ihrer Wahrhaftigkeit gestaltet. Oft läuft es einem kalt den Rücken hinunter ob der furchterregenden Übereinstimmung mit heutigen Phänomenen. Und das ist sicher beabsichtigt von einer CD, die genau diese Abgründe zwischen „gut“ gemeint und „böse“ geworden, zwischen objektiver Klarheit und oberflächlichem Mitläufertum schauererregend erlebbar werden lässt.

[Ulrich Hermann, September 2016]