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Das Atmen der Stille

primTON Thomas Hammer Label & Musikverlag, pT-1132; EAN: 4 250523 311329

 2.0. Reflexions

Der deutsche Komponist Martin Torp spielt auf einer CD für das Label primTON seinen Klavierzyklus Reflections, 64 miniatures for piano ein, den er von 2009 bis 2012 komponierte.

Direkt nach Veröffentlichung seines Klavierzyklus „Still-Leben“, welche ein großer Erfolg wurde, machte sich Martin Torp an seinen nächsten Klavierzyklus, Reflections – Reflexionen. Der Zyklus aus 64 Stücken, in vier Teile zu je 16 Stücken – also jeweils vier Mal vier – geteilt, sollte drei Jahre seiner Schaffenszeit in Anspruch nehmen und mit über 70 Minuten Spielzeit der bisher längste Zyklus des Berliner Komponisten werden. 2015 erschien die Aufnahme mit Martin Torp selbst am Klavier bei primTON.

Die vierundsechzig Stücke von Reflections haben allesamt einen äußerst ruheverströmenden, ja gar meditativen Charakter. In aphoristischer Kürze stellt sich jede der Miniaturen gleich einem kleinen Kristallsplitter vor, durch den sich eine fragmentarische Welt auftut, die sofort wieder in sich zusammensinkt. Fast alle Stücke sind in langsamem Grundtempo und von behutsam-ruhigem Gestus, schnelle Notenwerte sind die absolute Ausnahme, ebenso Anwachsen der Dynamik über mezzoforte hinaus. Jedoch sind Ausdruck und musikalischer Stil der Miniaturen vollständig verschieden, äußerst vielseitig, obgleich sie alle aus der Stille kommen und wieder dorthin gehen langsamen Atemzügen gleich (interessant, dass Martin Torp diese Assoziation, die mir sogleich beim Anhören kam, auch im Booklet ganz zentral herausstreicht). Die Musik bewegt sich weitestgehend im tonalen Bereich, weist Einflüsse von alter Musik ebenso wie von Minimalmusic auf und erhält in vielen Miniaturen einen deutlichen Popmusikanstrich durch die schlichte wie doch changierende Harmonik und die handwerklich exquisite Einfachheit des Satzes. Freilich werden auch andere Einflüsse „reflektiert“, so beruft sich Torp namentlich auf Brahms, Messiaen, Schönberg, Glass und Strawinsky, an die jeweils in einer Miniatur angelehnt wird bis hin zum Grenzbereich einer Stilkopie, welcher allerdings zu keiner Zeit überschritten wird; und in manchen Stücken stützt sich der Komponist auch auf orientalische Einflüsse. Zudem lassen sich meines Erachtens deutliche Parallelen zu französischen und spanischen Impressionisten sowie Postimpressionisten heraushören. Sollte versucht werden, alle Stücke auf einen einzigen Nenner herunterzubrechen, so muss zweifelsohne der meditative bis spirituelle Aspekt genannt werden, der alle Nummern einem roten Faden gleich durchzieht, die 64 Stücke zusammenhält, die Fragmente auf einer übergeordneten Ebene zu einer Einheit verschmelzen lässt.

Auch als Pianist kann Martin Torp eine große Gelassenheit verströmen, er nimmt seine Miniaturen mit einer enormen Leichtigkeit und Lockerheit. Er kann die feinen Dynamikabstufungen wunderbar abschattieren und erreicht ein immenses Spektrum klanglicher Feinheiten, was bei solch einer nur im unteren Lautstärkenbereich sich abspielenden Musik auch von zentraler Bedeutung ist. Sein Spiel ist sogar im äußersten Pianissimobereich noch voll, rund und leicht hallig, das Pedal verwendet er allerdings zu keiner Zeit übermäßig lang und lässt nichts verschwimmen, soweit es nicht ausdrücklich so beabsichtigt ist. Man spürt deutlich ein großes Verständnis für den musikalischen Fluss und für das durchgehende Wechselprinzip von Spannung und Entspannung, das im Spiel Martin Torps plastisch zum Ausdruck kommt. Reflections ist eine Einspielung von tiefgehender spiritueller Erfahrung, wahrlich Balsam für die Seele, beruhigend und dennoch nicht nur auf schlichten meditativen Formeln beruhend, sondern stets echten musikalischen Gehalt aufweisend.

[Oliver Fraenzke, Februar 2016]