Schlagwort-Archive: Pierre Colombet

Ein großartiger Porträtfilm

Im Münchner Monopol-Kino läuft derzeit Daniel Kutschinskis wunderbarer Porträtfilm ‚4’ über das ‚Quatuor Ebène’, eine der großartigsten Kammermusikformationen unserer Zeit. Wir haben die gut besuchte 14 Uhr-Vorstellung am Neujahrstag besucht, zu der überraschend auch der Regisseur erschienen war.

4

Ein Porträtfilm über ein Streichquartett, zumal über ein junges, ist keine einfache Angelegenheit. Es ist etwas ganz Anderes, sich auf eine einzelne Musikerpersönlichkeit zu fokussieren, oder auch, effektreich ein großes Orchester vorzustellen. Aber vier Musiker, die nicht gerade das spielen, was der oberflächliche Hörer für attraktive klassische Musik hält, möglichst gleichberechtigt in den Mittelpunkt zu rücken und dabei keine trockene oder auch allzu fachlich spezialisierte Arbeit abzuliefern, ist doch eine echte Herausforderung.

Der in München lebende Regisseur Daniel Kutschinski ist einen ganz anderen Weg gegangen. Die Voraussetzung, überhaupt mit dem Drehen zu beginnen, war gewachsene Freundschaft und innige Vertrautheit mit den Musikern. In diesem Film wird nicht erklärt, nichts kommentiert, nicht interpretiert. Es geschieht, was eben sowieso geschieht, und das Leben schreibt seine eigenen Geschichten. Das Resultat ist zunächst natürlich ein gigantischer Materialberg, doch in schon unglaublicher Weise ist es Kutschinski und Andrea Schönherr gelungen, daraus einen stringent fesselnden ‚Spielfilm’ zu machen, der in intuitiver Spannungsentwicklung ohne das Bedürfnis nach logischem Über- oder Unterbau sich selbst erklärt für all diejenigen, denen das Leben, die Realität an sich Erklärung genug ist, wenn sie genau beobachtet und intelligent als Netz von lebendigen Bezügen erfahren wird. Denn das tut dieser Film: Er ist ein Muster an phänomenologisch geöffneter, wahrnehmender, wacher, mitfühlender, den Beziehungsreichtum auslotender Haltung.

4.2

Die Kameraführung von Arnd Buss-von Kuk ist schlicht grandios und würde jedem ambitionierten Spielfilm zur Ehre gereichen, zumal die Kunst der Nahaufnahme so wendungsreich mit Leben erfüllt ist, als wäre der Betrachter einfach mittendrin – und hier geschieht immer etwas, was uns fesselt. Auch der Ton, den Marc Parisotto verantwortet, genügt allerhöchsten Ansprüchen, und das heißt nicht nur bei den Musikbeispielen – die erstaunlich wenig Gesamtanteil aufweisen – einiges, sondern ganz besonders in den Backstage- und Kneipenszenen, die niemals vorher eingerichtet wurden, also jedesmal ihr ganzes chaotisches Potential entfalten durften. Die Regie besticht durch eine maximal unprätentiöse und äußerst präzise Hand. Wo Absicht ist, merkt man sie nicht, und wo keine war, könnte sie ebenso dabei gewesen sein. Es ist, als ob der Film von selbst geschieht, und nichts könnte den Zuschauer authentischer einführen in die Konzertwelt der klassischen Musik, die jeden Abend aufs Neue ein Sprung ins kalte Wasser ist, wenn man nicht in den Sicherheiten der Routine verkommen will. Und das tun die vier jungen Männer des französischen Quatuor Ebène nicht: Sie hinterfragen in einem fort, sich und die anderen, alle Gewissheiten, und man hat den Eindruck, dass kein Steinchen dabei ist, das nicht einmal oder mehrmals umgedreht worden wäre.  Herrlich können sich alle vier Charaktere entfalten, und es entsteht eine ungeheure Nähe, wie ich sie noch in keinem Dokumentarfilm – und sowieso in keinem Musikfilm – gesehen habe: eine Nähe, die untrüglicher Beweis nicht nur des engen Bands zwischen den Musikern, sondern auch mit dem Regisseur und seinem Team ist.

Wunderbar ist auch, dass das Quartett keinerlei Hemmungen hat, seinen Mentor Eberhard Feltz, den großen Berliner Quartett-Ausbilder, in Erscheinung treten zu lassen. Hierbei musste, der Gesamtdramaturgie und –länge (94 Minuten) geschuldet, weitgehend auf die Erfahrbarmachung des Methodischen verzichtet werden („das wäre“, so Kutschinski im anschließenden Publikumsgespräch, „ein anderer Film geworden“), aber eindrücklich genug bleibt es allemal, um mehr erfahren zu wollen über solche Zusammenarbeit und überhaupt darüber, was so hinter den Kulissen geschieht, bevor wir die Künstler in Konzerten und Aufnahmen hören können.

4.3
Regisseur Daniel Kutschinski    © Kornelia Wagner, 2016

 

Näher kann man fremden Menschen im Kino nicht kommen, ohne dass diese je in geschmackloser Weise bloßgestellt würden, dabei kommt nichts zu kurz: Intimität, auch Obszönität, jede Menge Humor, Theatralik des täglichen Lebens, die ganze Tiefe im Auge des zu Betrachtenden tranferiert sich ins Auge des Betrachters, der eben nicht wie ein Voyeur behandelt wird und entsprechend dazu auch weder Veranlassung noch Gelegenheit bekommt. Er kann zufiefst berührt werden, ohne wirklich sagen zu können warum, und es braucht keine Effekthascherei oder Sentimentalität, um das echte Gefühl zu haben, dabei zu sein, wie Musik entstehen kann, was zwischen Menschen entsteht auf dem Weg dorthin, wie ‚Hochkultur’ nichts anderes ist als der Ausdruck des Innersten im Moment. Schubert oder Bartók, das Quatuor Ebène und Meister Feltz, Daniel Kutschinski und sein Team, in diese Lichterkette reiht sich der Besucher ein und wird empfangen, teilzuhaben an etwas durch und durch Echtem, das keinen Augenblick bedeutender sein möchte als es ist: die Magie des Augenblicks, der Korrelation der gegenwärtigen Momente, in dieser Hinsicht kann die Musik Symbol des Lebens sein, und umgekehrt. Alles hängt von der Haltung ab, wenn erst einmal die Voraussetzungen geschaffen sind. Es ist eine einzige Liebeserklärung.

Ich persönlich finde es schockierend, dass dieser großartige Film, der wie kein anderer prädestiniert ist, auch junge Menschen natürlich in die Welt der klassischen Musik einzuführen, bisher von keinem europäischen Fernsehsender gezeigt wurde, ja sogar – unter dem Verweis, dies sei leider ‚Hochkultur’ – auch jetzt noch nirgends zur Sendung in Planung ist. Er hat sofort bei der ersten Vorstellung in Los Angeles den ersten Preis des dortigen Dokumentarfilmfestivals gewonnen, und eigentlich hätte dies der Beginn einer anhaltenden Erfolgsstory sein müssen. Was soll denn unser ‚Bildungsauftrag’ überhaupt noch wert sein, wenn so ein großartiges Produkt darin keine Chance hat? Wofür zahlen wir dann alle diese Steuer an die Öffentlich-Rechtlichen, wenn wir alle deren verantwortlichen Programmmachern so grundsätzlich gleichgültig, oder diese durchgehend so inkompetent oder ignorant sind? ‚4’ müsste in den Schulunterricht aller Bundesländer aufgenommen werden, als nationales Kulturgut des 21. Jahrhunderts – aber eine solche Kategorie muss erst noch begründet werden.

[Christoph Schlüren, Januar 2017]

Weitere Termine:
München, Monopol-Kino: 4. 1. (17.00), 6. 1. (14.40), 7. 1. (13.10), 8. 1. (14.40), 14. & 15. 1. (je 12.10).
Bad Endorf, Marias Kino: 5. 1. (20.00), 6. & 8. 1. (je 11.00)
Regensburg, Filmgalerie im Leeren Beutel: 8., 15. & 22. 1. (je 11.00 Matinée)
Tübingen, Arsenal: 15. 1. (11.30)
Bonn, REX: 15. 1. (11.00), 18. 1. (17.00)
Köln, ODEON: 15. 1. (13.30), 18. 1. (17.00)
Hamburg, Abaton: 21. & 28. 1. (je 13.00), 5. 2. (11.00)
Leipzig, Astoria: 22. 1. (13.00)
Salzburg, Das KINO: 25. & 26. 1. (je 20.00), 27. & 28. 1. (je 16.00), 29. 1. (12.00), 5. 2. (10.00)
Luzern, Stattkino: 5., 12., 19. & 26. 2. (je 11.00 Matinée)
Bamberg, Lichtspiel: 19. 2. (12.00)