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Ein Meister der Aussparung

Capriccio, C5413; EAN: 8 45221 05413 1

Capriccio veröffentlicht ein Porträt des Komponisten Rudolf Wagner-Régeny. Vier seiner Werke werden vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Johannes Kalitzke, Steffen Schleiermacher am Klavier, dem Rundfunkchor Berlin sowie der Altistin Michaela Selinger vorgestellt.

Zahlreiche Komponisten der Jahrgänge 1880 und aufwärts aus dem deutschen Sprachraum sind diskographisch leider nach wie vor eher spärlich erschlossen. Das hat vielfältige Gründe, ist aber zu bedauern, weil es hier sehr viel sehr gute Musik zu entdecken gäbe. In den letzten Jahren hat das Label Capriccio auf diesem Gebiet mit einer Reihe gelungener Veröffentlichungen (etwa mit Musik von Boris Blacher, Victor Bruns, Gottfried von Einem, Hanns Eisler oder Gerhard Frommel) aufgewartet.

In diese Reihe passt die vorliegende CD mit Werken von Rudolf Wagner-Régeny (1903–1969). Wagner-Régeny wurde im siebenbürgischen Szászrégen (oder Sächsisch Regen) geboren, worauf sich der selbstgewählte Namenszusatz bezieht. Einstmals insbesondere als Opernkomponist sowohl im Dritten Reich als auch später in der DDR erfolgreich, wird seine Musik heute nur noch selten gespielt. Auf CD ist seine Oper „Die Bürger von Calais“ zu haben, und außerdem sind zwei Porträt-CDs des (nach dem Tod seines Gründers mittlerweile leider inaktiven) Labels Hastedt zu erwähnen, das sich um Musik aus der ehemaligen DDR sehr verdient gemacht hat.

Neben den Opern, die als Zentrum seines Schaffens gelten, hat Wagner-Régeny zahlreiche andere Genres bedient, zunächst tendenziell als Nebenprodukt seines Bühnenschaffens, später immer stärker auch unabhängig davon. Wagner-Régeny kann grundsätzlich als Neoklassizist bezeichnet werden. In etwa ab den späten 1940er Jahren greift er immer wieder auch auf Dodekaphonie zurück, ohne tonale Bezüge aufzugeben. Es ist nicht schwer, in seiner Musik eine ganze Reihe verschiedener Einflüsse (z.B. Hindemith, Blacher, Weill oder Strawinski) auszumachen. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er eine charakteristische eigene Tonsprache besitzt, die diese Vorbilder nicht kopiert, sondern eher integriert. Bekannt für seine „Kunst der Aussparung“, wählt Wagner-Régeny seine Mittel in aller Regel ausgesprochen ökonomisch und konzentriert und vermeidet die große Geste zugunsten einer eher herben, kühlen Expressivität mit besonderem Schwerpunkt auf der melodischen Linie. Seine Musik wirkt transparent und luzide, auch die Orchesterwerke muten meist eher kammermusikalisch an. In seinem Spätwerk vereinigt sich dies zuweilen mit einer Atmosphäre von Abschied und Retrospektive zu einer bei aller Zurückgenommenheit eigentlich bemerkenswert ausdrucksstarken Musik, so etwa in seinem orchestralen Meisterwerk, der herrlichen Einleitung und Ode für sinfonisches Orchester aus seinen letzten Lebensjahren.

Am Beginn der vorliegenden CD steht Genesis, eine Kantate (oder Oratorium) für Alt, Chor und kleines Orchester aus den Jahren 1955/56, die in lateinischer Sprache die biblische Schöpfungsgeschichte schildert. Die sechs Sätze sind mit Ausnahme des letzten eher kurz, es dominieren ruhige, meditative Töne, was mit Tempoangaben einhergeht, die nicht über Allegretto oder Moderato hinausgehen, und einer generellen Tendenz zu Mollklängen. So mündet das Werk auch am Ende nicht in eine große Apotheose, sondern klingt mit Reminiszenzen an den Beginn in gravitätischer Ruhe aus. Kalitzkes Einspielung betont die Einheitlichkeit des Stücks und seine zurückgenommene, fast mystische Grundstimmung. Sicher ist dies eine gute Interpretation. Dass es allerdings möglich ist, dieses Werk noch suggestiver und eindrucksvoller zu gestalten, zeigt der Mitschnitt der Uraufführung mit Herbert Kegel am Pult, der auf einer Hastedt-CD veröffentlicht wurde (bedauerlicherweise längst vergriffen und selbst gebraucht kaum noch erhältlich). Kegel bringt die Linien und Spannungskurven dieser Musik deutlicher zur Geltung und erzeugt so stärkere Kontraste und eine insgesamt intensivere Deutung. Seine Lesart bleibt somit trotz der klanglichen Defizite, die bei einer Einspielung aus dem Jahre 1956 unvermeidbar sind, die Referenzeinspielung dieser Kantate.

Es folgt eines von Wagner-Régenys erfolgreichsten Werken, die Orchestermusik mit Klavier aus dem Jahre 1935, eine Art kleines Klavierkonzert, das nach Angaben von Tilo Medek offenbar Bezüge zu Wagner-Régenys Schauspielmusik zu Shakespeares Sommernachtstraum aufweist. Es handelt sich um ein ausgesprochen attraktives, dankbares Werk, das durch einprägsame, diatonisch geprägte und auf motorischen Impulsen aufbauende Thematik besticht, die teilweise volksliedhaft wirkt, manchmal auch Unterhaltungsmusik anklingen lässt. Vieles ist bewusst einfach und spielmusikhaft gehalten. Wie der Titel suggeriert, steht nicht Virtuosität im Vordergrund, sondern das Klavier interagiert mit dem Orchester oder ist sogar in dieses integriert. Einen Kontrast zu den lebhaften Ecksätzen (wobei der dritte zweigeteilt ist: dem eigentlichen Finale geht als Einleitung ein kesses Scherzo voran) bildet ein beseelter, liedhafter langsamer Satz, der später variiert und in einen langsamen Marsch verwandelt wird.

Mir sind insgesamt nicht weniger als vier Einspielungen der Orchestermusik bekannt: neben der vorliegenden Neueinspielung sind dies Eleonore Wikarski (Hastedt-CD, Aufnahme von 1967), Amadeus Webersinke (eine Schallplatte des DDR-Labels für neue Musik Nova, Aufnahme von 1981/82) und schließlich Rudolf Wagner-Régeny selbst am Klavier in einer nicht kommerziell veröffentlichten Aufnahme aus dem Jahr 1949. Bemerkenswerterweise nimmt die Lesart des Komponisten selbst eine Extremposition ein: insgesamt ist dies die deutlich langsamste Einspielung, dabei mit allerhand Freiheiten in der Tempogestaltung wie auch Rubati, insgesamt eine überraschend expressive Deutung. Dagegen wirkt insbesondere Amadeus Webersinkes Interpretation wesentlich klassizistischer und letztlich ein wenig arg gezügelt. Schleiermacher wählt eine Art Mittelweg mit eher zügigen Tempi (vor allem in den schnellen Sätzen), aber mehr Temperament als Webersinke.

Speziell im ersten Satz wählen Wagner-Régeny und auch Wikarski einen merklich breiteren Ansatz, der die Vortragsanweisung „heftig“ untermauert, andererseits das parodistische Element des zweiten Themas besonders gut zur Geltung bringt. Im zweiten Satz lässt niemand die Melodik so breit aussingen wie Wagner-Régeny selbst – so gespielt, mag man etwa in den choralartigen Holzbläserpassagen sogar ein wenig an den langsamen Satz des Reger-Konzerts denken. Allerdings vertragen beide Sätze auch eine zügigere Tempowahl sehr gut: im ersten Satz wird so der zupackend-athletische Charakter betont, der zweite wirkt etwas flüssiger – ebenfalls also eine schlüssige Lesart der Orchestermusik. Lediglich im Fugato zu Beginn von Satz 3b erscheint mir Schleiermachers Tempo als einen Hauch zu schnell, um noch „anmutig“ zu wirken, aber dabei handelt es sich um Nuancen. Insgesamt ist dies eine sehr gute Neueinspielung, die diesem Werk hoffentlich viele neue Freunde bescheren wird.

Bei den Mythologischen Figurinen aus dem Jahre 1951 handelt es sich um ein orchestrales Triptychon, in welchem (unter Verwendung von Zwölftontechnik sowie Blachers „variablen Metren“) drei griechische Göttinnen porträtiert werden. Interessant ist ein Vergleich mit Wagner-Régenys Drei Orchestersätzen (Nova-LP), die ihrerseits als Vorstudie zum Oratorium Prometheus gelten, also in gewisser Hinsicht ebenfalls einen Bezug zur griechischen Mythologie besitzen und vielleicht eine Art Schwesterwerk darstellen. Auch in den Orchestersätzen verwendet Wagner-Régeny Dodekaphonie, aber der tonale Bezug erscheint etwas stärker. Beispielsweise enden beide Zyklen mit einer Art Apotheose, aber wo die Mythologischen Figurinen in ein abschwellendes Unisono-D münden, lässt Wagner-Régeny seine Orchestersätze mit einem kräftigen Dur-Akkord enden. Durch derlei Details wirken die Orchestersätze insgesamt ein wenig leichter zugänglich als die manchmal etwas sperrigen Figurinen. Kalitzkes Einspielung bewegt sich auf hohem Niveau, insbesondere auch bezüglich der Orchesterleistung, wenngleich ähnlich wie im Falle von Genesis noch mehr an Spannung und Expressivität aus der Partitur herauszuholen wäre (exemplarisch seien die langsameren Passagen in der Mitte des ersten Stücks genannt, die recht statisch wirken). Trotzdem zweifelsohne eine erfreuliche Ergänzung der Wagner-Régeny-Diskographie.

Am Ende der CD steht ein reines Klavierwerk, nämlich die Fünf französischen Klavierstücke, erneut aus dem Jahre 1951 und ebenfalls unter Verwendung von Zwölftontechnik. Diese Miniaturen von jeweils kaum mehr als ein bis zwei Minuten Länge sind in Trois Parfums und Deux hommages à la cuisine geteilt. Sie unterstreichen Wagner-Régenys Tendenz zu Verknappung, Reduktion und Verzicht auf schmückendes Beiwerk. Dies wird durch Schleiermachers sehr trockenen, nüchternen Ansatz noch verstärkt. Dadurch allerdings wirkt die Musik insgesamt reichlich blass und spröde. Im Vergleich arbeitet Peter Szaunig auf einer vergriffenen, von der Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung herausgegebenen CD die Linien und Farben dieser Musik wesentlich deutlicher heraus. So beginnen auch diese vermeintlich trockenen Stücke zu „sprechen“, und die Delikatesse, die sie ja qua Titel besitzen sollten, kommt erst wirklich zum Vorschein.

Klangtechnisch ist die CD vorzüglich gelungen, die Aufnahmen sind transparent, und in der Orchestermusik ist das Klavier gut in das Klangbild integriert. Christian Heindl informiert im Begleittext ausführlich und auf gewohnt hohem Niveau.

Summa summarum ein willkommenes Plädoyer für Wagner-Régenys Musik.

[Holger Sambale, Dezember 2020]

Wie das Betrachten eines Sternenhimmels

Wie das Betrachten eines Sternenhimmels

Morton Feldman: Patterns in a Chromatic Field
Christian Giger, Cello
Steffen Schleiermacher, Klavier
CD 76’21 Min.,1/2014
©& MDG, 2016
MDG 613 1931-2
EAN  7  60623  19312  0

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Bum Viiuuviiuviu Bum Viouvioviiu … BumzakBumzak Viviviovivi  Bumzak – BumzakBumzak—Vivihioviiuviu …

Ich stelle mir einen an Neuer Musik interessierten Laien vor, der schon einmal den Namen Morton Feldman gehört hat, und der nun etwas von seiner Musik auch „hören“ („besitzen“) will. Ich stelle mir vor, er hat die erste Barriere (dieses hässliche Cover! Wollte MDG hier Gebühren für die VG Bild-Kunst sparen?) überwunden, und jetzt dieser Anfang! Ich drücke ihm die Daumen, dass er durchhält, denn schon nach eineinhalb Minuten verändert sich das Bild, allmählich (abgesehen von ein paar gelegentlichen kleinen „Störungen“ wie oben– dazu komme ich noch) kehren Ruhe und das typisch Feldmansche Schweben in Schwerelosigkeit ein. Wenn er die CD nicht vorher schon mit spitzen Fingern beiseitegelegt hat, dann kann er jetzt nacherleben, was Feldmans prominenterer Freund John Cage über diesen gesagt hat (zu finden in der deutschen Ausgabe von Silence, Bibliothek Suhrkamp 1995):

„Um die Dinge auf den neuesten Stand zu bringen, lassen Sie mich sagen, dass ich mich, wie immer, in Veränderung befinde, während mir Feldmans Musik sich eher fortzusetzen als zu verändern scheint. Es gab für mich nie, und gibt ihn auch jetzt nicht, einen Zweifel an ihrer Schönheit. Sie ist manchmal sogar zu schön. Das Aroma dieser Schönheit, das mir früher heroisch schien, berührt mich jetzt als erotisch (ein gleichwertiges Aroma, keineswegs von geringerem Rang). Dieser Eindruck rührt, glaube ich, von Feldmans Tendenz zur Zartheit her, einer Zartheit, die nur kurz, und manchmal überhaupt nicht, von Heftigkeit unterbrochen wird.  […] Er besteht auf einer Aktion innerhalb der Skala von Liebe, und dies erzeugt (um nur die extremen Wirkungen zu erwähnen) Sinnlichkeit des Klanges oder eine Atmosphäre der Hingabe.“

Steffen Schleiermacher, vielleicht (neben Sabine Liebner oder Aki Takahashi) der kompetenteste bekannte und lebende Interpret für Klavierwerke der New York School, hat bei seinem jetzigen Hauslabel MDG bereits die mit vielen Preisen dotierte monumentale Complete Piano Music John Cages auf 18 CDs (dort sogar mit ansprechenden Covern) herausgebracht, danach (ab jetzt durchweg mit sehr hässlichen Covern) Morton Feldmans Late Piano Works (auf 3 CDs), und nun auch die zwei späten Schwesternwerke Feldmans (bei denen jeweils ein Streichinstrument solistisch eingesetzt wird): for John Cage (entstanden 1982) für Violine und Klavier (Andreas Seidel) und jetzt eben die Patterns in a Chromatic Field (entstanden 1981) für Cello und Klavier mit Christian Giger. Dass dabei beide Werke auch noch sekundengenau die gleiche Zeit (76’21 Minuten) beansprucht haben sollen, ist aber ein Druckfehler auf der Rückseite der „Patterns“-CD: Giger und Schleiermacher brauchen (innen im Booklet steht’s richtig) dafür 79’17 Minuten. Damit halten sie den Rekord, dicht gefolgt (mit 80’42 Minuten) von Aleck Karis (Klavier) und Charles Curtis (Cello). Alle anderen mussten das Stück auf 2 CDs aufteilen: Youtaka Oya (Klavier) und Arne Deforce (Cello) nehmen sich dafür 88’04 Minuten Zeit, Giancarlo und Marco  Simonacci (Cello) 89’18 und Marianne Schroeder (Klavier) mit Rohan de Saram (Cello) gar 105’18 Minuten. Der Faktor Zeit wird von Kritikern traditionell überbewertet, ist aber hier, denke ich, doch von einiger Relevanz: Viele Werke Feldmans, und im Besonderen die „Patterns“, sind über weite Strecken von einer hochkomplexen, extrem vertrackten rhythmischen Struktur, welche bei allzu hastiger Interpretation kaum mehr gut dargestellt, geschweige denn verstanden werden kann. Umso erstaunlicher ist es, mit welcher Präzision und Luzidität Schleiermacher und Giger uns dieses wunderbare Werk nahebringen. Dazu sollte man wissen, dass Patterns in a Chromatic Field im Spätwerk Feldmans eine Sonderstellung einnimmt. Ich möchte kurz ausholen:

Morton Feldman erzählte nach der Uraufführung seines letzten Orchesterwerkes Coptic Light : „Ich habe gerade ein Stück für die Philharmoniker in New York geschrieben, und ich bekam eine sehr interessante Kritik: Der Rezensent sagte, ich sei der langweiligste Komponist in der Geschichte der Musik. […] Das ist die Hauptkritik an meiner Musik: sie sei nicht interessant. In Wirklichkeit ist damit gemeint, dass sie kein Moment von ‚Drama‘ enthält.“ Auch heute noch ist Vielen Feldmans Musik zu statisch, zu ereignislos. Vielleicht sollten sie sich dann einmal die „Patterns“  (übrigens manchmal, auch von Feldman selbst, als „Untitled Composition for Cello and Piano“ bezeichnet) anhören: Denn zu recht  schreibt Walter Zimmermann (Morton Feldman  Essays, Kerpen 1985) darüber: „Dieses Stück stellt sich ebenso erstaunlich quer zu den anderen längeren Stücken, wie dem Streichquartett, wie es auch das Stück für John Cage in seinem Gestaltenreichtum tat. Es ist das vitalste Stück, das Feldman je geschrieben hat. Es bröckelt und flirrt in schwierigsten rhythmischen Passagen des Cellos und erfordert in seinen 90 Minuten schier Unmögliches von den Interpreten.“  Übrigens war es sicher auch kein Zufall, dass das Michael Douglas Kollektiv für seine äußerst energetische Tanz-Performance Golden Trash (Gewinner des Kölner Tanz- und Theaterpreises 2013) genau dieses Stück Feldmans ausgewählt hat. Ich persönlich liebe ja gerade den „langweiligen“, den „hypnotischen“ Feldman, den „Trance Composer“ am meisten. Aber auch der kommt bei Schleiermacher und Giger nicht zu kurz: Herrlich die langen Pianissimo-Haltetöne des Cellos, wie Bewegung langsam in Stasis mündet und alles auf einmal zu leuchten beginnt. An dieser Stelle muss ich aber auch zugeben, dass ich die (langsamste) Interpretation von Marianne Schroeder und Rohan de Saram ganz besonders liebe. Diese CD des Kult-Labels hat ART ist leider vergriffen und deshalb inzwischen entsprechend teuer, wenn man sich nicht mit einem MP3-Download zufriedengeben will.  Feldman, King of slow motion, King of silence, soll den Interpreten eines seiner Stücke einmal wütend zugerufen haben: „It’s too fuckin‘ loud, and it’s too fuckin‘ fast.“ Das kann man sicher Schroeder und de Saram am wenigsten vorwerfen. Hier trifft vielleicht am stärksten das zu, was Wilfrid Mellers in seinem Buch “Music in a New Found Land”  über Feldman schreibt: „Music seems to have vanished almost to the point of extinction; yet the little that is left is, like all Feldman’s work, of exquisite musicality …” Und trotzdem gelingen auch der etwas härteren, stringenteren und strengeren Darstellung von Schleiermacher und Giger eben auch diese schwebend träumerischen Augenblicke (Ewigkeiten) ganz wunderbar. Und noch ein weiterer Aspekt von Feldmans Musik kommt in der vorliegenden Einspielung besonders gut zur Wirkung:

In den „Patterns“ benutzt Feldman sehr ausgiebig das von ihm so bezeichnete „spelling“, eine auskomponierte Mikrotonalität, bezeichnet durch Doppelkreuze und Doppel-B’s, die man aus der enharmonischen Verwechslung kennt, wo ihrer Vermeidung wegen umnotiert wird; „die er aber nicht funktional einsetzt, sondern als leichte Schwankung am Rande des gemeinten Tons verstanden wissen will“ (Walter Zimmermann in „Essays“). Lassen wir dazu Feldman selbst zu Wort kommen, der ein leidenschaftlicher Sammler alter türkischer Nomadenteppiche war (zu finden wieder in Walter Zimmermanns „Essays“): „ […] Ich benutze das, weil ich denke, es ist eine sehr praktische Art, das Hauptaugenmerk auf der Tonhöhe zu belassen. […] Aber diese Vorstellung habe ich nicht aus der Musik, überhaupt nicht. Ich habe sie von Teppichen. […] Eine der interessantesten Sachen bei einem schönen alten Teppich, der mit Naturfarben gefärbt ist, ist, dass er „abrash“ hat. […] Insofern ist die Farbe dieselbe und ist doch nicht gleich. Der Teppich hat eine Art mikrotonale Färbung. Wenn Sie ihn dann anschauen, dann hat er diesen herrlichen Schimmer, der von den sanften Abstufungen kommt.“  Und hier gebührt dem Cellisten Christian Giger ein ganz großes Lob, denn ihm gelingt der Zauber dieser feinen Subtilitäten ganz besonders gut.

Abseits aller Theorie möchte ich aber nicht vergessen, Ihnen das Hören dieser schönen CD ans Herz zu legen. Und, ein großer Vorteil, vielleicht der einzige, aber auch gravierende, eines „Heimkonzerts“: Sie können das Stück immer wieder hören, und Sie werden es mit jedem Mal besser verstehen und lieben lernen. Christian Wolff, Feldmans inzwischen einundachtzigjähriger Weggefährte aus den New-York-School-Zeiten, hat es im Booklet-Text zu Feldmans Streichquartett Nummer 2 sehr treffend zum Ausdruck gebracht: “Es geht natürlich darum, zuzuhören. Endgültige Informationen können hier nicht vermittelt werden. Diese Bemerkungen bieten einige Informationen, doch genau genommen sind sie für die Hörerfahrung dieser Musik nicht von Belang. Das Hören dieser Musik ist wie das Betrachten eines Sternhimmels bei Nacht, alles andere bleibt Material für eine Unterrichtsstunde in Astronomie.“

[Hans von Koch, April 2016]