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Ungewohnte Besetzungen

Musikproduktion Dabringhaus und Grimm, MDG 903 2136-6; EAN: 7 60623 21366 8

Das Franz Ensemble spielt größer besetzte Kammermusikwerke von Ferdinand Ries. Programmiert wird das Sextett Op. 142, das Streichtrio WoO 70,2 und das Oktett op. 128. Das Ensemble besteht aus Maximilian Krome (Klarinette), Rie Koyama (Fagott), Sarah Christian (Geige), Yuko Hara (Bratsche), Tristan Cornut (Cello), Juliane Bruckmann (Kontrabass) und Kiveli Doerken (Klavier), zudem luden sie zwei Gäste ein: Jonathan Wegloop am Horn und Emily Hoile an der Harfe.

Franz Ries gehört neben Johann Nepomuk Hummel und Johann Ladislaus Dussek zu denjenigen Komponisten der spätklassischen Epoche, deren Namen zwar geläufig, die aber doch nur selten auf Konzertprogrammen zu finden sind. Im Falle Ries‘ liegt dies nicht zuletzt an den Vorwürfen des Epigonentums, er bediene sich an den Stilwelten seines Lehrers Beethoven und ihm mangle es an Originalität. Sicherlich mag sein Lehrer gewissen Einfluss auf ihn gehabt haben, was schließlich niemandem verdenkt werden kann, doch bemerkt man bei Ries schon früh eigene Elemente und eine schnell reifende Handschrift, welche die Vorwürfe Lügen straft.

Zeit Lebens hatte Ferdinand Ries es schwer. Nach seiner profunden Ausbildung bei Beethoven und großen Erfolgen als Pianist (vor allem mit der Uraufführung des 3. Klavierkonzerts seines Lehrers) wandelte er – oft bedingt durch die gespannte politische Lage – durch halb Europa, ohne die gewünschte Anerkennung zu finden. Erst in England kam er zu Ansehen und geriet gar in Mode, bis er aufgrund von Zwistigkeiten innerhalb der Philharmonic Society beschloss, nach Deutschland zurückzukehren, wo er 1838 starb.

Als Komponist schrieb er für die gängigen Formen wie Opern, Oratorien und Symphonien, konzentrierte sich zudem besonders auf sein eigenes Instrument, das Klavier, welches er mit einem umfangreichen Oeuvre bedachte: neben zahlreichen Solowerken besetzte er das Klavier in fast jedem seiner Kammermusikwerke in einer solistisch anmutenden Position (auch hier kann eine Parallele zu Hummel gezogen werden).

Von den hier zu hörenden Werken darf das Klavier in zweien solistisch glänzen, dafür schweigt es im Streichtrio. Von besagtem Trio bleibt nach wie vor unklar, ob es aufgrund seines Haydn’schen Gestus‘ als frühes oder durch die chromatischen Durchgänge und den ausgefeilten Stil als spätes Werk einzuordnen ist: es handelt sich um ein handwerklich gut komponiertes, im Vergleich zu den auftrumpfenden anderen Werken dieser CD jedoch unauffälliges Werk. Das Oktett maßt beinahe wie ein Klavierkonzert an, immer wieder stellt das Klavier die Themen vor und lässt diese von den sieben Mitstreitern beantworten und weiterführen, wobei es oftmals durch schnelle Läufe und Figurationen dazwischenfährt. Ries nutzte es als Präsentation auch seines pianistischen Könnens. Doch handelt es sich dabei nicht um ein reines Showstück, sondern begeistert auch durch kompositorisches Geschick und dichte Bezüge der Form. Am meisten besticht allerdings das groß angelegte Sextett mit seiner ungewöhnlichen Besetzung: dem Klavier wird die Harfe als Harmonieinstrument beigefügt, die drei Bläser Klarinette, Fagott und Horn erhalten Unterstützung vom Kontrabass. Kann das Oktett als Klavierkonzert bezeichnet werden, so liegt hier ein Doppelkonzert als Konzept nahe: Klavier und Harfe teilen sich die Virtuositäten auf und beflügeln sich gegenseitig, während die anderen Instrumente über weite Strecken begleitende Funktion erhalten. Doch auch sie bedenkt Ries hier mit dankbaren Themeneinsätzen und brillierend sanglichen Linien. Dabei behält die Form eine eindeutige Folgerichtigkeit und enge Motivbezüge, die alles aus einem Guss erscheinen lassen. Die Instrumente halten sich dynamisch die Waage.

Voll Energie stürzt sich das Frans Ensemble auf die Kammermusikwerke von Ries, fokussiert die Abstimmung der einzelnen Instrumente und fühlt sich selbst in der ungewohnten wie schwierigen Besetzung des Sextetts wohl. Alle Musiker wissen zu phrasieren und eine Melodie plastisch auferstehen zu lassen. Dazu kommt das präzise Abhören der Mitspieler, wodurch ein fester Zusammenhalt entsteht.

[Oliver Fraenzke, Februar 2020]

Ein Lob auf die Leichtigkeit

Musikproduktion Dabringhaus und Grimm, MDG 903 2152-6; EAN: 7 60623 21526-6

Das Ensemble Confoederatio spielt Werke für Holzbläser und Klavier von Francis Poulenc. Das Programm beginnt mit dem Sextett für Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn und Klavier, woraufhin die drei Duosonaten – je eine für Flöte, Oboe und Klarinette – folgen. Das Trio für Oboe, Fagott und Klavier rundet die CD ab. An der Flöte hören wir Rute Fernandes, Maria Sournatcheva spielt die Oboe, Sérgio Pires die Klarinette. Das Horn tönt durch Lionel Pointet und das Fagott durch Axel Benoit. Am Klavier sitzt Benjamin Engeli.

Im 20. Jahrhundert blühte in Frankreich eine unerreichte Hochkultur an Musik für Holzbläser auf. Als Ende des 19. Jahrhunderts vor allem dank Debussy der deutsch-österreichische Einfluss abgelegt wurde, keimte eine neue französische Musik, die sich auf Eleganz und Leichtigkeit berief, kleinere Formate bevorzugte, dem Pathos abschwor und mitunter sogar gefällig sein durfte. Der 1899 geborene Poulenc wuchs in diese Zeit des Umbruchs hinein und sog den neuen Stil auf. So sehr ihn die „französische Sonate“ Debussys begeisterte, so galt seine Liebe doch ebenso der Wiener Klassik: entsprechend verband Poulenc die klassische Ausgewogenheit und ihre Formmodelle mit der Leichtigkeit der neuen französischen Schule. Heraus kamen kurzweilige, zumeist auch kurze, verspielte und scheinbar mit leichter Feder dahingeworfene Werke, die doch streng durchkonzipiert waren und von ihrem selbstkritischen Schaffer oft mehrfach überarbeitet wurden. Dabei steht die Musik stets in unverkennbarer Handschrift geschrieben, die wir in dieser Aufnahme vom frühen Trio und dem Sextett nachvollziehen können bis hin zu den drei erst in den späten 1950er- bis 60er-Jahren komponierten Sonaten, welche laut Poulenc „in dem gleichen Topf“ geköchelt wurden.

Von den Musikern wird eine Spielfreude und Leggerezza gefordert, gleichsam ein weicher und flexibler Ton, der sich gerade den Farben der Holzbläser anschmiegt. Die Musiker des Ensembles Confoederatio bringen genau dies auch mit und präsentieren die Musik Poulencs geradezu unbekümmert locker. Dies zahlt sich vor allem im Sextett aus, wo die einzelnen Stimmen fröhlich durcheinanderwuseln, und doch genau definierten Bahnen folgen. Lediglich der Pianist Benjamin Engeli wirkt teils etwas Passiv in seinem Spiel, hier hätte ich mir mehr Schwung gewünscht – wenngleich natürlich gesagt werden muss, dass es gerade das Klavier durch die Anschlagsmechanik schwer hat, mit der lebendigen Organik und Vielfarbigkeit eines Holzblasinstruments mitzuhalten, zumal in der französischen Musik. Die Aufnahmetechnik unterstützt die Musiker durch dezente Dämpfung und präzise abgestimmte Distanz zu den Instrumenten. Wohl dosierte Blässe unterstreicht die Weichheit der Musik und lässt die Bläser noch eindringlicher zu Wort kommen.

[Oliver Fraenzke, Februar 2020]

Chopins sperrige Sonate

Musikproduktion Dabringhaus und Grimm, MDG 947 2088-6; EAN: 7 60623 20886 2

Die in Shanghai geborene Pianistin Jin Ju spielt späte Klavierwerke von Chopin auf dem historischen Steinway Concert Grand Piano D „Manfred Bürki“ aus dem Jahr 1901, der im Besitz der Musikproduktion Dabringhaus und Grimm ist. Im Zentrum der Aufnahme steht die Dritte Klaviersonate op. 58 in h-Moll, es folgen die Berceuse op. 57 und die drei Walzer op. 64. Später hören wir noch Mazurken opp. 56, 63, 67 und 67 sowie die Mazurka f-Moll. Abgerundet wird das Programm durch das Largo der Cellosonate in einem Arrangement des Pianisten Alfred Cortot.

Die Musikproduktion Dabringhaus und Grimm hat ein besonderes Faible für sinnlichen Klang, so dass es tönt, als säße man auf den besten Plätzen eines Konzerthauses mit brillanter Akustik. Nicht nur, dass das Label vor den meisten anderen vollständig auf SACDs setzte und ein 2+2+2 Recording entwickelte, es sucht auch für jede Aufnahme individuell passende Räumlichkeiten aus, und: besitzt einen eigenen historischen Konzertflügel der Marke Steinway aus dem Jahr 1901. Die Geschichte des heute wohl berühmtesten Flügel-Typus D-274 begann 1884; um die Jahrhundertwende erlebte dieses Instrument seinen großen Aufschwung, so dass 1903 um die 100.000 Flügel der Marke Steinway & Sons produziert wurden. Der hier verwendete Flügel stammt also genau aus dieser Zeit, wo der Flügel seine bis heute kaum veränderte Bauweise erhielt. Er besitzt bereits den brillanten und mechanisch luziden Klang der heutigen Steinway-Instrumente, besticht durch für das Baujahr erstaunliche Gleichmäßigkeit und verströmt doch eine gewisse warme Note, die eine besondere Aura verströmt.

Chopin starb vier Jahre vor Gründung des Unternehmens Steinway & Sons, er spielte vorzugsweise auf Instrumenten der Manufaktur Pleyel, genauer gesagt auf Flügeln des Sohns Camille Pleyel: Diese Hammerklaviere besaßen mehr Volumen als die Instrumente des Vaters Ignaz, hatten sonore Bässe und singende Höhen, die eine besondere Cantabile-Qualität einer jeden Melodie ermöglicht haben und so genau auf die Kompositionen dieser Zeit abgestimmt waren. Dies gilt noch immer als Klangideal für Chopin und lässt sich freilich durch pianistisches Feingefühl auch auf spätere Klaviere übertragen, verlangt aber einen feinen Sinn für orchestralen Klang und farbenreichen Anschlag.

Als Hauptwerk der vorliegenden Aufnahme wählte sich die Pianistin Jin Ju das wohl sperrigste und undurchdringbarste Werk Chopins aus: die 1844 entstandene Dritte Klaviersonate op. 58 in der Tonart h-Moll. Trotz höchster Virtuosität distanziert sich das Werk von jeder Oberflächlichkeit oder gar Gefälligkeit, spart auch für den Pianisten an Vortragsbezeichnungen und bleibt in einer nachdenklichen, beinahe grüblerischen Stimmung. Die überlangen Formen evozieren eine Zeitlosigkeit, die sich besonders im nocturneartigen Largo vollständige vom Jetztgefühl loslöst. Der Kopfsatz behält zwar die Grundzüge einer Sonatenform, allerdings mit verschwenderischer Vielfalt an Themen und Einfällen, die mehr wie ein Potpourri denn wie eine geschlossene Form wirken. Das lospreschende Scherzo wird sogleich vom Trio gebremst und nur das Presto-Finale bleibt wirklich nachhaltig im Ohr. Jin Ju geht mit Distanz an dieses Werk heran, bewahrt sich so im Vorhinein davor, sich in die einzelnen Momente zu verträumen. Mit gleichmäßigem und brillierendem Spiel meistert sie die wahnwitzigen Virtuositäten und bereitet vor allem dem Scherzo eine diabolische Note. Im Kopfsatz offenbart sie Feingefühl im Umgang mit zarten Motiven und einzelnen Stimmungen, kann allerdings keine formale Geschlossenheit erzielen – spätestens durch die meines Erachtens unnötige Wiederholung verliert die Form ihre Kontur. Das Largo wird zum Höhepunkt Jin Jus Darbietung, subtil bringt sie die Zeit zum Stillstand. Vom Presto non tanto würde ich gerne mehr vom vorgeschriebenen Agitato hören, diese nach vorne drängende Aufgewühltheit. Statt dessen interpretiert Ju den Satz als tänzerisches und die Statik des Largos reflektierendes Stück, das mehr im Hier und Jetzt bleibt, als voranzutreiben.

In den Walzern und Mazurken gelingt mehr die formale Geschlossenheit auch im energetischen Sinne, hier überzeugt Jin Ju durch feines und zu keiner Zeit übermäßiges Rubato, das der Musik je angepasst erscheint, sowie durch sachlichen Anschlag, der nur in besonderen Momenten sinnlich wird, nur um dann umso überwältigender zu wirken.

[Oliver Fraenzke, Februar 2020]

Ein Lob auf die Leichtigkeit

Musikproduktion Dabringhaus und Grimm, MDG 903 2152-6; EAN: 7 60623 21526-6

Das Ensemble Confoederatio spielt Werke für Holzbläser und Klavier von Francis Poulenc. Das Programm beginnt mit dem Sextett für Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn und Klavier, woraufhin die drei Duosonaten, je eine für Flöte, Oboe und Klarinette, folgen. Das Trio für Oboe, Fagott und Klavier rundet die CD ab. An der Flöte hören wir Rute Fernandes, Maria Sournatcheva spielt die Oboe, Sérgio Pires die Klarinette. Das Horn tönt durch Lionel Pointet und das Fagott durch Axel Benoit. Am Klavier sitzt Benjamin Engeli.

Im 20. Jahrhundert blühte in Frankreich eine unerreichte Hochkultur an Musik für Holzbläser auf. Als Ende des 19. Jahrhunderts vor allem dank Debussy der deutsch-österreichische Einfluss abgelegt wurde, keimte eine neue französische Musik, die sich auf Eleganz und Leichtigkeit berief, kleinere Formate bevorzugte, dem Pathos abschwor und auch gefällig sein durfte. Der 1899 geborene Poulenc wuchs in diese Zeit des Umbruchs hinein und sog den neuen Stil auf. So sehr ihn die „französische Sonate“ Debussys begeisterte, so galt seine Liebe doch ebenso der Wiener Klassik: und so verband Poulenc die klassische Ausgewogenheit und ihre Formmodelle mit der Leichtigkeit der neuen französischen Schule. Heraus kamen kurzweilige, zumeist auch kurze, verspielte und scheinbar mit leichter Feder dahingeworfene Werke, die doch streng durchkonzipiert waren und von ihrem selbstkritischen Schaffer oft mehrfach überarbeitet wurden. Dabei steht die Musik stets in unverkennbarer Handschrift geschrieben, die wir in dieser Aufnahme vom frühen Trio und dem Sextett nachvollziehen können bis hin zu den drei erst in den späten 1950er- bis 60er-Jahren komponierten Sonaten, welche laut Poulenc „in dem gleichen Topf“ geköchelt wurden.

Von den Musikern wird eine Spielfreude und Leggerezza gefordert, gleichsam ein weicher und flexibler Ton, der sich gerade den Farben der Holzbläser anschmiegt. Die Musiker des Ensemles Confoederatio bringen genau dies auch mit und präsentieren die Musik Poulencs geradezu unbekümmert locker. Dies zahlt sich vor allem im Sextett aus, wo die einzelnen Stimmen fröhlich durcheinanderwuseln, und doch genau definierten Bahnen folgen. Lediglich der Pianist Benjamin Engeli wirkt teils etwas Passiv in seinem Spiel, hier hätte ich mir mehr Schwung gewünscht – wenngleich natürlich gesagt werden muss, dass es gerade das Klavier durch die Anschlagsmechanik schwer hat, mit der lebendigen Organik und Vielfarbigkeit eines Holzblasinstruments mitzuhalten, zumal in der französischen Musik. Die Aufnahmetechnik unterstützt die Musiker durch dezente Dämpfung und präzise abgestimmte Distanz zu den Instrumenten. Wohl dosierte Blässe unterstreicht die Weichheit der Musik und lässt die Bläser noch eindringlicher zu Wort kommen.

[Oliver Fraenzke, Januar 2020]

Freiheit und Tod

MDG 937 2111-6; EAN: 7 60623 21116 9

Auf der vorliegenden CD finden wir eine Aufnahme der gesamten Schauspielmusik op. 84 von Ludwig van Beethoven zu Goethes Trauerspiel Egmont. Die einzelnen Nummern der Musik werden durch Texte miteinander verbunden, die Tilmann Böttcher und Matthias Brandt aus Originalversen Goethes zusammengestellt haben und die die Handlung des Dramas in aller Kürze zusammenfassen. Es spielt das Beethoven Orchester Bonn unter Dirk Kaftan, Matthias Brandt übernimmt die Rolle des Sprechers und Olga Bezsmertna singt die Sopranpartie.

Das Konzept dieser Aufnahme ist stimmig: Das Problem an Darbietungen von Schauspielmusiken liegt nämlich zumeist daran, dass wir sie ohne das unterliegende Schauspiel nur partiell verstehen können; hören wir jedoch das gesamte Stück, so fokussieren wir uns in erster Linie auf den Text und nehmen die Musik lediglich als Randerscheinung wahr. Entsprechend gewandt erweist sich die Lösung dieser Aufnahme, die Texte kurz und bündig zusammenzufassen und dazu noch ausschließlich originale Verse zu verwenden: So kann der Hörer die Handlung mitverfolgen und nimmt die zentralen Aspekte des Dramas wahr, die Beethoven in seiner Musik umsetzte.

Die Zusammenfassung des Schauspiels durch Tilmann Böttcher und Matthias Brandt greift das Wesentliche heraus und bleiben zugleich prägnant in ihrer Kürze. Brandt rezitiert sie in der nötigen Distanz, nüchtern, aber einfühlsam und die Stimmung treffend.

Die Musik hängt da etwas hinterher, sie kann der Präsenz des Sprechers nicht gleichkommen. Allgemein entsteht der Eindruck, der Musik fehle der Boden unter den Füßen, sie habe keine Stabilität im Hier und Jetzt, sondern eile innerlich schon voraus. Kaftan beachtet durchaus die Transparanz der Stimmen und meißelt die feinen Klangeffekte aus der Partitur heraus, die Beethoven teils äußerst subtil in den Noten versteckt hat; und dennoch gerät die Musik bei schnelleren Tempi unverzüglich ins Wanken, stagniert dafür in den Ruhepolen. Wenig inspiriert gestaltet sich auch die Sopranpartie von Olga Bezsmertna, die in den Höhen schnell kreischig wird und manchen Tönen (vor allem dem f“) eine eigene Charakteristik verleiht, die immer wiederkehrt, wenn sie diese erreicht – zu Ungunsten des dynamischen Flusses der Musik.

[Oliver Fraenzke, März 2019]

Musik pur

Bohuslav Martinů (1890-1959): Complete Works for Cello and Orchestra
Petr Nouzovský, Cello; Pilsen Philharmonic; Tomas Brauner, Dirigent

Musikproduktion Dabringhaus & Grimm, MDG 601 2041-2 (2 CDs); EAN: 7 60623 20412 3

 

Wer, wie Bohuslav Martinů , die ersten Jahre nach seiner Geburt in luftiger Höhe in einer Türmerwohnung verbracht hat, dem ist wohl ein ganz besonderes Weltbild – auch akustisch – zu eigen geworden. Das ist sicher auch ein herausragendes Merkmal seiner Kompositionen, von denen sämtliche für Cello und Orchester auf dieser Doppel-CD versammelt sind. Was beim ersten Anhören sofort auffällt, ist der ungeheure melodische und rhythmische Reichtum dieser Musik. Bisher war mir Martinů zwar dem Namen nach wohlbekannt, seine Musik aber nur am Rande. Was sich ab sofort ändern wird und bereits geändert hat.

Das erste Cellokonzert hat er im Sommer 1930 noch in seiner Geburtsstadt Policka begonnen, es wurde vollendet in Paris und 1931 von Gaspar Cassadó in Berlin uraufgeführt. Allerdings arbeitete es Martinů bis zur endgültigen Fassung noch mehrmals um. Es wirkt in der letzten und hier vorliegenden Fassung vollkommen abgerundet, was sicher auch von der Zusammenarbeit mit Pierre Fournier profitierte. Der Tonalität verpflichtet, nimmt es trotzdem viele zeitgemäße Anregungen auf, enthält eine große Anzahl verschiedenster Elemente, ruhig bis vital, kein Wunder, dass es bald Eingang in das Repertoire der Cellisten gefunden hat.

Martinů musste, wie so viele Künstler, emigrieren, hatte allerdings in Amerika von Anfang an Erfolg und konnte von seiner Musik und seiner Lehrtätigkeit gut leben. In allen Lagen und allen tonlichen Dimensionen ist das Cello eingebettet im Orchester, kann aber immer seine Klanglichkeit mühelos behaupten, in allen drei Sätzen.

Im zweiten Stück, der Sonata da camera von 1940, komponiert unter schwierigen Bedingungen beim Warten auf das Ausreisevisum, führt das Soloinstrument zusammen mit dem kleinen Orchester-Ensemble alles nur Erdenkliche an rhythmischen, elegischen und melodischen Finessen vor, was dem Stück eine überzeugende Wirkung verleiht. Es ist eine äußerst reizvolle Komposition, die dem Cellisten Henri Honegger gewidmet ist, einem Gönner in diesen schwierigen Zeiten. Martinůs Klangsprache ist seltsam vertraut, fast möchte ich das seltene Wort „schön“ gebrauchen, sie nimmt mich sofort gefangen und ist voller Wohlklang, gesanglich melodisch und überraschend instrumentiert.

Die zweite CD wartet auf mit einem zweiten Cello-Konzert, das Martinů nach seiner Emigration 1944 in New York komponierte. Er selbst sagte, man könne es fast eine „Pastorale“ nennen. Und so kommt es auch daher, äußerst melodisch, ein wenig an die Pastroral-Musik seines Landsmannes Ryba erinnernd in seiner Melodien-Seligkeit. Dem Instrument wie auf den Leib geschrieben, schwelgt besonders der zweite Satz förmlich in Wohlklang und Liedthemen. Auch hier finden sich wieder allerdings sehr rhythmisch bewegte Abschnitte, es ist wieder einmal alles aufgeboten, was die Musik dieses Komponisten hörenswert macht.

Das früheste Stück lässt den Einfluss der Jazz-Musik und des Aufbruchs seiner Jugendjahre deutlich hören und spüren, es ist durchaus wild und jazzig an vielen Stellen, aber immer vital und anregend, Martinůs erste konzertante Komposition, und entstand 1924 in Paris.

An die 30 Solokonzerte hat Martinů für die verschiedensten Instrumente komponiert. Diese Doppel-CD ist ein großartiger Beitrag und ein gelungener Beweis, wie „schön“ moderne Musik sich anhören kann.

Noch dazu, wenn es von solchen Könnern wie dem Cellisten  Petr Nouzovsky und der Pilsener Philharmonie unter Tomas Brauner zum Klingen gebracht wird. Dem Label Dabringhaus und Grimm ist da eine vorzügliche Produktion gelungen.

[ULRICH HERMANN, Januar 2018]

 

 

 

 

Leipziger Streichquartett: Erstes Album in neuer Besetzung

Jean Sibelius: Streichquartette Op. 56 „Voces Intimae“ und JS 183 (1889)
Leipziger Streichquartett
CD 63’13 min., 1/2016
MDG, 2016
MDG3071957-2
EAN: 7 60623 19572 8

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Das erste Album des Leipziger Streichquartetts ohne ihren bisherigen ersten Geiger Stefan Arzberger (der wegen einer ziemlich undurchsichtigen Kriminalgeschichte seit über einem Jahr in den USA in Untersuchungshaft festsitzt) ist in mancher Hinsicht eine Überraschung.
Erste Reaktion: Ausgerechnet Sibelius! Das ist ein Terrain, für das die Leipziger bislang nun nicht gerade bekannt waren. Zudem erscheint das Album zielsicher ein Jahr nach dem groß gefeierten Jubiläum des finnischen Komponisten, also in einer Zeit, in der anderenorts nach der großen Flut vorerst bei den meisten CD-Labels die „sibelianische Ebbe“ ausgebrochen ist.

Der neue Violin-Primus des Quartetts Conrad Mück ist wohlbekannt vom Berliner Petersen Quartett, das ebenso wie die Leipziger zu den bekanntesten Streichquartetten des Landes zählt. Ob diese Lösung allerdings dauerhaft bleiben wird, auch wenn Arzberger aus den USA wieder zurückkehrt, darüber lässt uns das Quartett vorerst im Unklaren, zumindest im Booklettext, wo lediglich davon gesprochen wird, Mück sei „seit 2016 Erster Violinist“.

Wie klingt nun das Leipziger Streichquartett in der neuen Besetzung? Er hat sich auf jeden Fall gewandelt, ist weicher geworden. Arzbergers Ton, der stets eine (nicht unangenehme) Schärfe aufwies, wird abgelöst vom eher lyrischen Tonfall Conrad Mücks. Insgesamt pflegt man weiter das Diktum einer vorbildlichen Durchhörbarkeit und Präzision. Allerdings gerät dabei nach wie vor (wie bei diesem Quartettensemble leider öfters beobachtet) die Phrasierung manchmal in den Hintergrund. Und wenn eines bei Sibelius wichtig ist, dann ist es Phrasierung. Offen gesagt: Das berühmte Streichquartett Op. 56 „Voces Intimae“ gerät auf diesem Album zur Enttäuschung. Manches klingt gar, als wäre es sauber aber seelenlos vom Blatt gespielt. Die innere Architektur des Werks erschließt sich in dieser technisch so blitzsauberen Aufnahme leider gar nicht. Manchmal hat man das Gefühl, das Quartett musiziere nachgerade am Werkkern vorbei. Die Linienführung wirkt oft seltsam unzusammenhängend, ein „großes Ganzes“ will sich selten einstellen. Kurz gesagt: Es gibt da viel bessere Aufnahmen am Markt.

Das seltener zu hörende Streichquartett von 1889 kommt den Leipzigern mit seiner „Jugendstiligkeit“ erkennbar viel besser entgegen. Hier ist vom Komponisten weniger in die Musik „hineingeheimnist“ worden, und man erkennt an dieser Musik vielleicht, dass Sibelius einmal bei Carl Goldmark in die Kompositionslehre gegangen ist. Hier finden die Leipziger alles was sie brauchen, um sich zurechtzufinden: Rhythmus, Leidenschaft, Romantik. Im Vergleich zu der „flächiger“ erscheinenden Anlage des „Voces Intimae“-Quartetts finden sich in dieser Musik viel mehr Ansatzpunkte, um ein Quartettensemble dankbar zu bedienen. Und die Leipziger greifen das auch dankbar auf. Man spielt hier auf wie befreit, findet endlich zu einem Ensembleklang.

Diese CD ist also eine janusköpfige Angelegenheit, und es wird sich zeigen in welche der beiden Richtungen das Leipziger Streichquartett fortan gehen wird. Der Abgang von Stefan Arzberger scheint jedenfalls trotz hochkarätiger Neubesetzung noch nicht verkraftet zu sein.

[Grete Catus, Mai 2016]

Wie das Betrachten eines Sternenhimmels

Wie das Betrachten eines Sternenhimmels

Morton Feldman: Patterns in a Chromatic Field
Christian Giger, Cello
Steffen Schleiermacher, Klavier
CD 76’21 Min.,1/2014
©& MDG, 2016
MDG 613 1931-2
EAN  7  60623  19312  0

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Bum Viiuuviiuviu Bum Viouvioviiu … BumzakBumzak Viviviovivi  Bumzak – BumzakBumzak—Vivihioviiuviu …

Ich stelle mir einen an Neuer Musik interessierten Laien vor, der schon einmal den Namen Morton Feldman gehört hat, und der nun etwas von seiner Musik auch „hören“ („besitzen“) will. Ich stelle mir vor, er hat die erste Barriere (dieses hässliche Cover! Wollte MDG hier Gebühren für die VG Bild-Kunst sparen?) überwunden, und jetzt dieser Anfang! Ich drücke ihm die Daumen, dass er durchhält, denn schon nach eineinhalb Minuten verändert sich das Bild, allmählich (abgesehen von ein paar gelegentlichen kleinen „Störungen“ wie oben– dazu komme ich noch) kehren Ruhe und das typisch Feldmansche Schweben in Schwerelosigkeit ein. Wenn er die CD nicht vorher schon mit spitzen Fingern beiseitegelegt hat, dann kann er jetzt nacherleben, was Feldmans prominenterer Freund John Cage über diesen gesagt hat (zu finden in der deutschen Ausgabe von Silence, Bibliothek Suhrkamp 1995):

„Um die Dinge auf den neuesten Stand zu bringen, lassen Sie mich sagen, dass ich mich, wie immer, in Veränderung befinde, während mir Feldmans Musik sich eher fortzusetzen als zu verändern scheint. Es gab für mich nie, und gibt ihn auch jetzt nicht, einen Zweifel an ihrer Schönheit. Sie ist manchmal sogar zu schön. Das Aroma dieser Schönheit, das mir früher heroisch schien, berührt mich jetzt als erotisch (ein gleichwertiges Aroma, keineswegs von geringerem Rang). Dieser Eindruck rührt, glaube ich, von Feldmans Tendenz zur Zartheit her, einer Zartheit, die nur kurz, und manchmal überhaupt nicht, von Heftigkeit unterbrochen wird.  […] Er besteht auf einer Aktion innerhalb der Skala von Liebe, und dies erzeugt (um nur die extremen Wirkungen zu erwähnen) Sinnlichkeit des Klanges oder eine Atmosphäre der Hingabe.“

Steffen Schleiermacher, vielleicht (neben Sabine Liebner oder Aki Takahashi) der kompetenteste bekannte und lebende Interpret für Klavierwerke der New York School, hat bei seinem jetzigen Hauslabel MDG bereits die mit vielen Preisen dotierte monumentale Complete Piano Music John Cages auf 18 CDs (dort sogar mit ansprechenden Covern) herausgebracht, danach (ab jetzt durchweg mit sehr hässlichen Covern) Morton Feldmans Late Piano Works (auf 3 CDs), und nun auch die zwei späten Schwesternwerke Feldmans (bei denen jeweils ein Streichinstrument solistisch eingesetzt wird): for John Cage (entstanden 1982) für Violine und Klavier (Andreas Seidel) und jetzt eben die Patterns in a Chromatic Field (entstanden 1981) für Cello und Klavier mit Christian Giger. Dass dabei beide Werke auch noch sekundengenau die gleiche Zeit (76’21 Minuten) beansprucht haben sollen, ist aber ein Druckfehler auf der Rückseite der „Patterns“-CD: Giger und Schleiermacher brauchen (innen im Booklet steht’s richtig) dafür 79’17 Minuten. Damit halten sie den Rekord, dicht gefolgt (mit 80’42 Minuten) von Aleck Karis (Klavier) und Charles Curtis (Cello). Alle anderen mussten das Stück auf 2 CDs aufteilen: Youtaka Oya (Klavier) und Arne Deforce (Cello) nehmen sich dafür 88’04 Minuten Zeit, Giancarlo und Marco  Simonacci (Cello) 89’18 und Marianne Schroeder (Klavier) mit Rohan de Saram (Cello) gar 105’18 Minuten. Der Faktor Zeit wird von Kritikern traditionell überbewertet, ist aber hier, denke ich, doch von einiger Relevanz: Viele Werke Feldmans, und im Besonderen die „Patterns“, sind über weite Strecken von einer hochkomplexen, extrem vertrackten rhythmischen Struktur, welche bei allzu hastiger Interpretation kaum mehr gut dargestellt, geschweige denn verstanden werden kann. Umso erstaunlicher ist es, mit welcher Präzision und Luzidität Schleiermacher und Giger uns dieses wunderbare Werk nahebringen. Dazu sollte man wissen, dass Patterns in a Chromatic Field im Spätwerk Feldmans eine Sonderstellung einnimmt. Ich möchte kurz ausholen:

Morton Feldman erzählte nach der Uraufführung seines letzten Orchesterwerkes Coptic Light : „Ich habe gerade ein Stück für die Philharmoniker in New York geschrieben, und ich bekam eine sehr interessante Kritik: Der Rezensent sagte, ich sei der langweiligste Komponist in der Geschichte der Musik. […] Das ist die Hauptkritik an meiner Musik: sie sei nicht interessant. In Wirklichkeit ist damit gemeint, dass sie kein Moment von ‚Drama‘ enthält.“ Auch heute noch ist Vielen Feldmans Musik zu statisch, zu ereignislos. Vielleicht sollten sie sich dann einmal die „Patterns“  (übrigens manchmal, auch von Feldman selbst, als „Untitled Composition for Cello and Piano“ bezeichnet) anhören: Denn zu recht  schreibt Walter Zimmermann (Morton Feldman  Essays, Kerpen 1985) darüber: „Dieses Stück stellt sich ebenso erstaunlich quer zu den anderen längeren Stücken, wie dem Streichquartett, wie es auch das Stück für John Cage in seinem Gestaltenreichtum tat. Es ist das vitalste Stück, das Feldman je geschrieben hat. Es bröckelt und flirrt in schwierigsten rhythmischen Passagen des Cellos und erfordert in seinen 90 Minuten schier Unmögliches von den Interpreten.“  Übrigens war es sicher auch kein Zufall, dass das Michael Douglas Kollektiv für seine äußerst energetische Tanz-Performance Golden Trash (Gewinner des Kölner Tanz- und Theaterpreises 2013) genau dieses Stück Feldmans ausgewählt hat. Ich persönlich liebe ja gerade den „langweiligen“, den „hypnotischen“ Feldman, den „Trance Composer“ am meisten. Aber auch der kommt bei Schleiermacher und Giger nicht zu kurz: Herrlich die langen Pianissimo-Haltetöne des Cellos, wie Bewegung langsam in Stasis mündet und alles auf einmal zu leuchten beginnt. An dieser Stelle muss ich aber auch zugeben, dass ich die (langsamste) Interpretation von Marianne Schroeder und Rohan de Saram ganz besonders liebe. Diese CD des Kult-Labels hat ART ist leider vergriffen und deshalb inzwischen entsprechend teuer, wenn man sich nicht mit einem MP3-Download zufriedengeben will.  Feldman, King of slow motion, King of silence, soll den Interpreten eines seiner Stücke einmal wütend zugerufen haben: „It’s too fuckin‘ loud, and it’s too fuckin‘ fast.“ Das kann man sicher Schroeder und de Saram am wenigsten vorwerfen. Hier trifft vielleicht am stärksten das zu, was Wilfrid Mellers in seinem Buch “Music in a New Found Land”  über Feldman schreibt: „Music seems to have vanished almost to the point of extinction; yet the little that is left is, like all Feldman’s work, of exquisite musicality …” Und trotzdem gelingen auch der etwas härteren, stringenteren und strengeren Darstellung von Schleiermacher und Giger eben auch diese schwebend träumerischen Augenblicke (Ewigkeiten) ganz wunderbar. Und noch ein weiterer Aspekt von Feldmans Musik kommt in der vorliegenden Einspielung besonders gut zur Wirkung:

In den „Patterns“ benutzt Feldman sehr ausgiebig das von ihm so bezeichnete „spelling“, eine auskomponierte Mikrotonalität, bezeichnet durch Doppelkreuze und Doppel-B’s, die man aus der enharmonischen Verwechslung kennt, wo ihrer Vermeidung wegen umnotiert wird; „die er aber nicht funktional einsetzt, sondern als leichte Schwankung am Rande des gemeinten Tons verstanden wissen will“ (Walter Zimmermann in „Essays“). Lassen wir dazu Feldman selbst zu Wort kommen, der ein leidenschaftlicher Sammler alter türkischer Nomadenteppiche war (zu finden wieder in Walter Zimmermanns „Essays“): „ […] Ich benutze das, weil ich denke, es ist eine sehr praktische Art, das Hauptaugenmerk auf der Tonhöhe zu belassen. […] Aber diese Vorstellung habe ich nicht aus der Musik, überhaupt nicht. Ich habe sie von Teppichen. […] Eine der interessantesten Sachen bei einem schönen alten Teppich, der mit Naturfarben gefärbt ist, ist, dass er „abrash“ hat. […] Insofern ist die Farbe dieselbe und ist doch nicht gleich. Der Teppich hat eine Art mikrotonale Färbung. Wenn Sie ihn dann anschauen, dann hat er diesen herrlichen Schimmer, der von den sanften Abstufungen kommt.“  Und hier gebührt dem Cellisten Christian Giger ein ganz großes Lob, denn ihm gelingt der Zauber dieser feinen Subtilitäten ganz besonders gut.

Abseits aller Theorie möchte ich aber nicht vergessen, Ihnen das Hören dieser schönen CD ans Herz zu legen. Und, ein großer Vorteil, vielleicht der einzige, aber auch gravierende, eines „Heimkonzerts“: Sie können das Stück immer wieder hören, und Sie werden es mit jedem Mal besser verstehen und lieben lernen. Christian Wolff, Feldmans inzwischen einundachtzigjähriger Weggefährte aus den New-York-School-Zeiten, hat es im Booklet-Text zu Feldmans Streichquartett Nummer 2 sehr treffend zum Ausdruck gebracht: “Es geht natürlich darum, zuzuhören. Endgültige Informationen können hier nicht vermittelt werden. Diese Bemerkungen bieten einige Informationen, doch genau genommen sind sie für die Hörerfahrung dieser Musik nicht von Belang. Das Hören dieser Musik ist wie das Betrachten eines Sternhimmels bei Nacht, alles andere bleibt Material für eine Unterrichtsstunde in Astronomie.“

[Hans von Koch, April 2016]