Schlagwort-Archive: Musikproduktion Dabringhaus & Grimm

Beethoven flott, hart und zaghaft

Musikproduktion Dabringhaus & Grimm; MDG 903 2135-6; EAN: 76062321356

Das Duo FlautoPiano (Helen Dabringhaus, Flöte, und Fil Liotis, Klavier) bietet einen Überblick über das Schaffen des jungen Beethoven. Zu hören sind: die Sonate B-Dur WoO Anhang 4, die Serenade op. 41, das Duo für zwei Flöten WoO 26 (Flöte II: Vukan Milin), sowie Bearbeitungen der Hornsonate op. 17 und des zweiten Satzes aus dem Klavierkonzert op. 15.

Die Querflöte hatte, nicht zuletzt durch Beethoven, ihren festen Platz im Orchester gefunden, doch neigte der Komponist, wie einst auch Mozart, wenig dazu, ihr solistische Aufgaben zuzudenken. Zu unvollkommen erschienen ihm die damaligen Flöten, und ein großer Virtuose, der ihn vielleicht hätte anregen können, fand sich nicht ein. Dass Beethoven die Flöte in der Kammermusik nicht ganz gemieden hat, ist unter diesen Umständen sehr erfreulich.

Lediglich zwei der fünf eingespielten Werke sind keine Bearbeitungen: Das sechsminütige Duo für zwei Flöten, das Beethoven bei seiner Abreise aus Bonn 1792 als Abschiedsgeschenk für einen Freund komponierte – Helen Dabringhaus spielt es zusammen mit ihrem einstigen Lehrer Vukan Milin –; und die Sonate B-Dur, ein viersätziges Werk, das der einzigen erhaltenen Abschrift zufolge von einem gewissen „Bethoe“ stammt. Der Vermutung, es handele sich um ein Frühwerk Ludwig van Beethovens aus dessen Bonner Zeit, kann man durchaus zustimmen. Zwar ist das Stück den ersten mit Opuszahlen veröffentlichten Sonaten Beethovens im Rang nicht ebenbürtig, doch stammt es von einem Komponisten, der seine Einfälle überzeugend zu ausgedehnten Verläufen entwickeln kann, und außerdem im abschließenden Variationssatz zeigt, dass er sein Thema gut genug kennt, um sich nicht mit bloß figurativen Veränderungen begnügen zu müssen. Die Serenade op. 41, ein Meisterwerk leichten Charakters in sechs knappen Sätzen, ist eine von Beethoven selbst durchgesehene und korrigierte Bearbeitung seiner Serenade für Flöte, Violine und Viola op. 25. Dagegen entstanden die die hier eingespielten Arrangements der Hornsonate op. 17 und des langsamen Satzes aus dem Ersten Klavierkonzert nach Beethovens Tod. Im Gegensatz zu dem anonymen Bearbeiter der Sonate, dessen Tätigkeit sich weitestgehend auf Transposition beschränkte, stand Theobald Böhm bei der Bearbeitung des Konzertsatzes vor der schwierigeren Aufgabe, ein Werk für Klavier und Orchester für Flöte und Klavier umzuschreiben. Er hat sie geschickt und für beide Instrumente dankbar gelöst.

Könnte man die auf der Platte zu hörenden Darbietungen genauso loben wie den umfangreichen, ausführlich über die Entstehungsumstände der Kompositionen und Bearbeitungen informierenden Begleittext von Joachim Draheim, so hätten wir eine rundum gelungene Veröffentlichung vor uns. Nicht dass an den Fähigkeiten von Helen Dabringhaus und Fil Liotis im rein Technischen irgendetwas zu bemängeln wäre! In dieser Hinsicht bewältigen sie die Musik ohne Probleme. Sie bewältigen sie, aber durchdringen sie nicht. Die Feinheiten der Beethovenschen Formungskunst kommen kaum zum Erklingen. Zwar wird die Musik weder über den Sportplatz gehetzt, noch durch extreme Temposchwankungen verzerrt, doch stellt sich den gut gewählten, gleichmäßig durchgehaltenen Zeitmaßen zum Trotz kein rechter Vorwärtsdrang ein. Was den Musikern offensichtlich fehlt, ist die Übersicht über die großen Linienzüge. Es klingt, als dächten sie nur von Takt zu Takt, mitunter nur von Taktteil zu Taktteil. Gebunden vorgetragen wird, was unter Bindebögen steht, aber der wesentlich wichtigeren Aufgabe, die Spannungen auch von Phrase zu Phrase auf- und abzubauen, die Formung ausgedehnter Perioden und das kontrapunktische Zusammenwirken der Stimmen erlebbar werden zu lassen, schenken sie zu wenig Aufmerksamkeit. Dazu passt, dass häufig, wenn nicht ausdrücklich Legato verlangt wird, der Vortrag zum Staccato tendiert. So geraten die raschen Sätze zu hübscher, flotter Musik mit gelegentlichen harten Akzenten (die dann im Zusammenhang oft übertrieben wirken). Auffallend zaghaft und kraftlos muten dagegen die langsamen Sätze an. Als beispielhaft für all dies sei der Variationssatz der Serenade genannt: Das Thema zerfällt in seine einzelnen Taktteile, das Figurenwerk der Variationen wirkt spieluhrartig, und einzelne akzentuierte Töne stechen nadelspitz hevor. In der Einleitung zum Finale desselben Werkes entgeht Dabringhaus und Liotis ganz, wie Beethoven hier Freiluftmusik (Waldhörner) nachahmt. Ein Verharren in Kurzatmigkeit verhindert die Ausweitung des Raumes.

Als Fazit lässt sich dies mehr oder weniger auf die ganze CD anwenden; am wenigsten auf die Ecksätze der bearbeiteten Hornsonate, mit der das Duo von allen eingespielten Werken am besten vertraut zu sein scheint.

[Norbert Florian Schuck, September 2020]

Musik pur

Bohuslav Martinů (1890-1959): Complete Works for Cello and Orchestra
Petr Nouzovský, Cello; Pilsen Philharmonic; Tomas Brauner, Dirigent

Musikproduktion Dabringhaus & Grimm, MDG 601 2041-2 (2 CDs); EAN: 7 60623 20412 3

 

Wer, wie Bohuslav Martinů , die ersten Jahre nach seiner Geburt in luftiger Höhe in einer Türmerwohnung verbracht hat, dem ist wohl ein ganz besonderes Weltbild – auch akustisch – zu eigen geworden. Das ist sicher auch ein herausragendes Merkmal seiner Kompositionen, von denen sämtliche für Cello und Orchester auf dieser Doppel-CD versammelt sind. Was beim ersten Anhören sofort auffällt, ist der ungeheure melodische und rhythmische Reichtum dieser Musik. Bisher war mir Martinů zwar dem Namen nach wohlbekannt, seine Musik aber nur am Rande. Was sich ab sofort ändern wird und bereits geändert hat.

Das erste Cellokonzert hat er im Sommer 1930 noch in seiner Geburtsstadt Policka begonnen, es wurde vollendet in Paris und 1931 von Gaspar Cassadó in Berlin uraufgeführt. Allerdings arbeitete es Martinů bis zur endgültigen Fassung noch mehrmals um. Es wirkt in der letzten und hier vorliegenden Fassung vollkommen abgerundet, was sicher auch von der Zusammenarbeit mit Pierre Fournier profitierte. Der Tonalität verpflichtet, nimmt es trotzdem viele zeitgemäße Anregungen auf, enthält eine große Anzahl verschiedenster Elemente, ruhig bis vital, kein Wunder, dass es bald Eingang in das Repertoire der Cellisten gefunden hat.

Martinů musste, wie so viele Künstler, emigrieren, hatte allerdings in Amerika von Anfang an Erfolg und konnte von seiner Musik und seiner Lehrtätigkeit gut leben. In allen Lagen und allen tonlichen Dimensionen ist das Cello eingebettet im Orchester, kann aber immer seine Klanglichkeit mühelos behaupten, in allen drei Sätzen.

Im zweiten Stück, der Sonata da camera von 1940, komponiert unter schwierigen Bedingungen beim Warten auf das Ausreisevisum, führt das Soloinstrument zusammen mit dem kleinen Orchester-Ensemble alles nur Erdenkliche an rhythmischen, elegischen und melodischen Finessen vor, was dem Stück eine überzeugende Wirkung verleiht. Es ist eine äußerst reizvolle Komposition, die dem Cellisten Henri Honegger gewidmet ist, einem Gönner in diesen schwierigen Zeiten. Martinůs Klangsprache ist seltsam vertraut, fast möchte ich das seltene Wort „schön“ gebrauchen, sie nimmt mich sofort gefangen und ist voller Wohlklang, gesanglich melodisch und überraschend instrumentiert.

Die zweite CD wartet auf mit einem zweiten Cello-Konzert, das Martinů nach seiner Emigration 1944 in New York komponierte. Er selbst sagte, man könne es fast eine „Pastorale“ nennen. Und so kommt es auch daher, äußerst melodisch, ein wenig an die Pastroral-Musik seines Landsmannes Ryba erinnernd in seiner Melodien-Seligkeit. Dem Instrument wie auf den Leib geschrieben, schwelgt besonders der zweite Satz förmlich in Wohlklang und Liedthemen. Auch hier finden sich wieder allerdings sehr rhythmisch bewegte Abschnitte, es ist wieder einmal alles aufgeboten, was die Musik dieses Komponisten hörenswert macht.

Das früheste Stück lässt den Einfluss der Jazz-Musik und des Aufbruchs seiner Jugendjahre deutlich hören und spüren, es ist durchaus wild und jazzig an vielen Stellen, aber immer vital und anregend, Martinůs erste konzertante Komposition, und entstand 1924 in Paris.

An die 30 Solokonzerte hat Martinů für die verschiedensten Instrumente komponiert. Diese Doppel-CD ist ein großartiger Beitrag und ein gelungener Beweis, wie „schön“ moderne Musik sich anhören kann.

Noch dazu, wenn es von solchen Könnern wie dem Cellisten  Petr Nouzovsky und der Pilsener Philharmonie unter Tomas Brauner zum Klingen gebracht wird. Dem Label Dabringhaus und Grimm ist da eine vorzügliche Produktion gelungen.

[ULRICH HERMANN, Januar 2018]