Schlagwort-Archive: Steinway & Sons

Die Schminke abgelegt

Steinway & Sons, 30161; EAN: 0 34062 30161 4

Katie Mahan spielt Werke Ludwig van Beethovens in umgekehrt chronologischer Reihenfolge, beginnt mit den Bagatellen op. 126 und geht über die Sonate Nr. 30 E-Dur op. 109 hin zu der titelgebenden „Appassionata“, der Sonate Nr. 23 f-Moll op. 57.

Nach ihrem letzten Album mit Musik des „Classical Gershwin“ [zur Rezension] widmet sich Katie Mahan nun Beethoven. Bei Gershwin überwog die parfümierte und geschminkte Oberflächlichkeit, frei von jeglichem Verständnis für diese Musik ließ der musikalische Gehalt die Pianistin vollkommen kalt und unberührt, so dass lediglich virtuose Tonkaskaden übrigblieben. Entsprechend überrascht nun, dass Mahan bei Beethoven ganz andere Töne anschlägt und beginnt, in der Musik zu suchen und zu forschen, um unter der Oberfläche etwas zu erspüren.

Die raschen Sätze rumoren von innen heraus und glimmen bedrohlich, stets zum Ausbruch bereit: Diese Spannung hält Mahan teils über lange Strecken und verpulvert die Energie nicht frühzeitig. Gerade die Appassionata kommt durch ihre Flächigkeit und großen Dimensionen der Pianistin gelegen, die herben Kontraste und wilden Eruptionen wirken wie gemacht für Mahan. Handwerklich ist sie eh über alle Zweifel erhaben, doch hier gelingt es ihr auch, auf musikalisch-emotionaler Ebene zu wirken und – ohne dies zu forcieren – ihre Persönlichkeit im Spiegel der Musik zu vermitteln.

Teils nimmt sich Katie Mahan allerdings zu viele Freiheiten, macht es sich besonders auf dynamischer Ebene teils recht bequem: gerade hier aber sollte Beethovens detailverliebt ausgeklügelten Anweisungen Folge geleistet werden, denn nirgends ist er so präzise wie hier. Im Finale der E-Dur-Sonate op. 109 kämpft die Pianistin noch gegen die Korrelation der einzelnen Tempobezeichnungen und wagt nicht die auf den ersten Blick waghalsigen Extrema, die Beethoven vorgibt: entsprechend schwanken die Tempi teils willkürlich und gegen Ende versucht sich die Pianistin mit einem deutlichen Accelerando aus der Affäre zu ziehen, was aber gewollt wirkt und nicht dem eigentlichen Sinn der Schlussvariation entspricht. Aus dem Stil fallen manche Pedaleffekte besonders in der Appassionata, die mehr an Debussy als an Beethoven gemahnen. Allgemein klingt einiges recht hochromantisch, was doch noch kerniger und klarer hätte zum Vorschein treten können, wie die robusten und in der Tiefe engen Akkord-Entladungen, die für Beethoven so charakteristisch sind.

Wenngleich also auf vorliegender CD doch einiges störend wirkt und die unausgereifte Oberflächlichkeit hin und wieder hervorbricht, präsentiert Katie Mahan doch ein erstaunlich tiefgründiges Album, das ihre persönliche Sicht auf den großen Jubilar des Jahres illustriert und auf emotionaler Ebene einige spannende Facetten zum Vorschein bringt, die durchaus eine lohnenswerte Erweiterung zum landläufigen Bild Beethovens darstellen.

[Oliver Fraenzke, Mai 2020]

Gershwin parfümiert und geschminkt

Steinway & Sons 30132; EAN: 0 34062 30132 4

Die Pianistin Katie Mahan präsentiert den „Classical Gershwin“ mit ihrer bei Steinway & Sons veröffentlichten CD. Zu hören sind die Rhapsody in Blue und die Second Rhapsody sowie einige Songs des Komponisten in Klaviertranskriptionen: Embraceable you, Our love is here to stay, I got rhythm, They can’t take that away from me, Walking the dog, Fascinating rhythm und `s wonderful.

Die Idee, Gershwin als klassischen Komponisten darzustellen und nicht zu sehr in die Nähe der Jazz- und Unterhaltungsmusik zu bringen, kann nur zur Hälfte nachvollzogen werden: Einerseits sah sich Gershwin natürlich klar in der Tradition der europäischen klassischen Musik und träumte von großen Opern, Streichquartetten und Symphonien. Andererseits wollte er auch einen echt amerikanischen Stil schaffen und erkannte die Unumgänglichkeit, die Einflüsse des Jazz und der Light Music einzubeziehen, da sie fest mit der noch nicht alten amerikanischen Kultur zusammenhängen. Gershwin wirkte lange Zeit als Songwriter und hatte in dieser Anstellung regelmäßig Hits zu komponieren, weshalb prägnante Melodien und schmissige Rhythmen in seinem Stil verankert waren. Hören wir seine eigenen Aufnahmen am Klavier, so sticht der packende Swing hervor, mit dem er seine Hörer bannte: zwar notierte er Songs wie ‚I got rhythm‘ in ein klassisch-europäisches Dualsystem, seine Darbietung übersteigt die Notierbarkeit allerdings, indem er mehr in Richtung eines ternären Spiels geht, was erst den amerikanischen, swingenden und zwingenden Sog der Musik ausmacht. Gershwin vereinte beides und wir können nicht eine Seite von der anderen separieren.

Katie Mahan macht ihre Intention schon in den ersten Tönen der Rhapsody in Blue deutlich und nimmt Gershwins Musik wie schlecht gespielten Chopin: rhythmisch verzogen, gespickt mit verkopften, unorganischen Rubati und träumerisch frei. Wenn die Musik aufgewühlter wird, entarten diese Passagen zur Etüde, die nur so rauschen und äußeren Effekt darstellen. Alles wird übersteigert und überakzentuiert, die Musik also parfümiert und geschminkt, in eine unechte Maske gesteckt. Das Gefühl, das bleibt, hat nichts mit klassischer Musik zu tun; aber auch nichts mit Jazz – vielleicht am ehesten mit einer Art modernen Lifestyles, der auf Künstlichkeit beruht. Wenn überhaupt, so funktionieren noch die Arrangements von Embraceable you (arr. Wild) und Our Love is here to stay (arr. Mahan), die beinahe an Debussy gemahnen mit ihren schwebenden Klängen und fließenden Begleitfiguren. Die rhythmisch prägnanteren Songs I got rhythm und fascinating rhythm verlieren ihren Swing und damit ihren inneren Sog zugunsten oberflächlichen Effekten, Mahan beharrt präzise auf der Dualnotation und lässt die rauschenden Akkorde klirren. Die abschließende Second Rhapsody strotzt vor Härte und Unnachgiebigkeit – vielleicht ein Versuch, Brahms zu imitieren? Es bleibt definitiv ein Versuch, denn auch bei Brahms wäre solch eine Härte fehl am Platz.

[Oliver Fraenzke, November 2019]

„Schöne“ neue Welt

Joseph Haydn: Klaviersonaten Nr. 47, Hob 16,32; Nr. 38, Hob. 16,23; Nr. 31, Hob. 16,46; Nr. 33, Hob. 16,20; Nr. 58, Hob. 16,48 – John O’Conor (unter Verwendung des Steinway Spirio-Selbstspielsystems)

Label: Steinway & Sons; Art.-Nr. 30058 (Vertrieb: note1)

Dieses Album des Steinway-Labels zeigt uns die „schöne“ neue Welt der Klassikbranche: Ein Pianist hat an dem Ort, an dem er das Album gern einspielen möchte, einen Steinway Model B-Flügel zur Verfügung. Erklingen soll das Ganze aber (weil sich das heutzutage schließlich so gehört) auf einem Steinway Model D. Früher ging das nicht ohne Reise in ein Top-Aufnahmestudio ab. Heute spielt man das Repertoire unter Verwendung der Steinway Spirio-Technologie auf dem heimischen (?) Model B ein, schickt die dabei entstandene Spirio-Datei an das Label seines Vertrauens und lässt es dort im Studio des Labels auf einem Model D wiedergeben.

Informationen über das „hochauflösende Selbstspielsystem“ Spirio finden sich auf der Website von Steinway (Link dazu hier). Das Problem dabei: Ein Model B reagiert anders auf Anschlag usw. als ein Model D. Eine auf einem Model B eingespielte Datei wird auf einem Model D anders klingen. Vielleicht ist dies der Grund, warum diese Haydn-Sonaten des ansonsten für ausgezeichnete Könnerschaft bekannten irischen Pianisten John O’Conor merkwürdig unterkühlt und aseptisch klingen.

Ich bin mir sicher, dass das Spirio-Verfahren längst von vielen Plattenfirmen genutzt wird, ohne dass diese es auf dem Cover ausweisen, wie das Steinway-Label es hier ehrlicherweise macht. Besser wird es dadurch trotzdem nicht. Selbstspielsysteme sind heute (Spirio) wie damals (Welte Pianorolle) eben auch nur ein Ersatz für den echten Pianisten am Instrument vor Ort. Dass so heutzutage Einspielungen großer Künstler entstehen und dass diese sich darauf einlassen, ist schlicht und ergreifend enttäuschend.

[Grete Catus, Februar 2017]