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Aus der Schatzkiste der britischen Oper

Label: DUX; Vertrieb: note1; Art.-Nr.: DUX1307-1308; EAN: 5902547013077

Zwei verborgene Schätze der englischen Oper gibt es derzeit bei einem Label zu heben, von dem man es nicht unbedingt erwartet hätte, dass ausgerechnet bei diesem Label britische Opern erscheinen würden. Dabei handelt es sich um das polnische Label DUX. Hintergrund dieser ungewöhnlichen Veröffentlichung ist das 20. Ludwig van Beethoven-Osterfestival in der polnischen Hauptstadt Warschau. Intendantin dieses Festivals ist die Ehefrau des Komponisten Krzystof Penderecki. Und bei der 20. Ausgabe dieses Festivals scheint britische Musik einen Schwerpunkt eingenommen zu haben.

So kommen wir unverhofft in den Genuss zweier selten bzw. noch nie aufgenommener Opern von Gustav Holst und Ralph Vaughan Williams. Gustav Holsts Oper „At the Boar’s Head“  ist dabei die Weltersteinspielung. Bislang gab es von diesem Stück nur einzelne Szenen auf teils uralten Schallplattenveröffentlichungen, noch nie aber die komplette Oper am Stück.  Vaughan Williams Stück „Riders to the Sea“ hingegen wurde schon des Öfteren eingespielt, bislang aber ausschließlich mit Aufnahmen von britischer Provenienz mit meistens sehr namhaften britischen Sängern, Orchestern und Dirigenten. Es gibt also zumindest im Bereich der Vaughan Williams-Oper Vergleichsmöglichkeiten.

Gustav Holst „At the Boar’s Head“ ist eine typische Falstaff-Oper nach dem gleichnamigen Shakespeare-Vorbild. Auch Ralph Vaughan Williams, der ein enger Freund Gustav Holsts war schrieb eine Falstaff-Oper und nannte sie „Sir John in Love“. Vergleicht man beide Werke miteinander, so schneidet Holsts Ausgabe des Falstaff-Stoffes musikalisch konventioneller aber vielleicht unterhaltsamer ab. Die Komik des Stoffes betonend, mit süffigen Trinkgelage-Szenen und heiteren, bewegten Dialogarien ausgestattet und mit einem durch und durch volkstümlichen Flair ausgestattet, ist dies ein sehr schön zu hörender Einakter, der vielen Opernfans Freude bereiten kann. Unter kompositorischen Gesichtspunkten kennt man sicherlich Subtanzielleres von Gustav Holst, und ohne eine andere Oper dieses Komponisten zu kennen, der immerhin fünf Gattungsbeiträge verfasst hat, wage ich zu behaupten, dass Holst nicht unbedingt seine Berufung als Opernkomponist gesehen hat. Man kennt ihn heute ja auch für ganz anderes Repertoire, unter anderem für zum Teil sehr überzeugende Orchestermusik.

Bei Vaughan Williams liegt die Sache etwas anders. Ralph Vaughan Williams war ein Opernkomponist, der sich aus eigener Leidenschaft zu Oper der Gattung immer wieder angenähert hat und letztlich beeindruckende acht Beiträge zum Genre verfasste. Das von diesen acht Stücken heute kaum noch eines wirklich bekannt ist, liegt nicht unbedingt an mangelnder kompositorischer Qualität, sondern auch an einen fehlgeleitetem Blick auf Vaughan Williams als vermeintlich reinem Sinfoniker. Vaughan Williams war aber vor allem anderen ein erfahrener Vokalmusikkomponist, der neben Kantaten und seiner Chorsymphonie „A Sea Symphony“ auch Klavier- und Orchesterlieder, Chormusik, geistliche Musik wie Messen und zum Teil merkwürdig anmutende vokal besetzte Mischgenres bedient hat, wie etwa die für 16 Solisten und Chor angelegtes „Serenade to Music“. „Riders to the Sea“ ist ein verblüffend kurzer Einakter, der kaum 40 Minuten ausfüllt. Die Geschichte (nach einem Bühnenstück von John Millinton Synge) spielt im ländlichen Irland und ist eine typische Geschichte nach dem Motto „das Meer fordert seine Opfer“. In dieser Hinsicht könnte man die Oper durchaus als einen Vorläufer von Brittens „Peter Grimes“ auffassen. Vielleicht ist das aber auch zu hoch gegriffen. Die Komposition ist über weite Strecken überzeugend. Wirklich ergreifend ist die Schlussszene mit dem Trauergesang der Maurya (in dieser Einspielung wundervoll verkörpert von Katherine Reveille), die zu den besonders berührenden Szenen der jüngeren britischen Oper zählen dürfte.

Was auch immer man von diesen beiden britischen Kurzopern kompositorisch halten mag, die Qualität der Einspielungen ist begeisternd! Wirklich alle Sänger sind nicht nur sehr gut in ihren Rollen, sondern immer wieder in Bereichen, die ich als referenzwürdig einstufen würde. Die Warsaw Chamber Opera Sinfonietta samt Chor unter Leitung von Łukasz Borowicz liefert gleichfalls glänzende Leistungen ab, ist aber im Audio-Mix zu weit nach hinten gemischt worden. Obwohl es sich um Liveaufnahmen handelt, sind keine Nebengeräusche zu hören, was auch daran liegen mag, dass diese Aufnahmen konzertant erfolgt sind. Ich kenne einige Einspielungen des Vaughan Williams-Stücks „Riders to the Sea“, unter anderem bei Chandos und in älteren Auflagen bei der EMI. Doch diese neue Liveproduktion von DUX ist auf technischem und gesanglichem Gebiet absolut auf Augenhöhe und im emotionalen Zugriff früheren Einspielungen sogar überlegen.

Warum diese beiden Opern hingegen als unnötig teures Doppelpack erscheinen und nicht einzeln veröffentlicht werden, bleibt mir trotz ihrer jeweils kurzen Spielzeit etwas unklar… Immerhin ist die Ausstattung toll, mit reich bebildertem Booklet und komplettem Libretto. Hut ab, DUX!

[Grete Catus, März 2017]

Britten in Trier

Benjamin Brittens Oper „A Midsummer Night’s Dream“ erlebte in einer neuen Inszenierung von Sam Brown ihre Première im Theater Trier (Teatrier) am 24. September 2016, weitere Vorstellungen gibt es bis zum 30. Oktober. Es wirken das Philharmonische Orchester der Stadt Trier sowie der Kinder- und Jugendchor (geleitet von Martin Folz) und Statisterie (einstudiert von Christian Niegl) des Theater Trier unter Leitung von Generalmusikdirektor Victor Puhl mit.
Die Bühne machte Simon Lima Holdsworth, Loren Elstein war für Kostüme verantwortlich, Choreograph war Hannes Langolf. Die Rollen waren folgendermaßen besetzt: Benjamin Britten (Prolog): Benjamin Popson, Indischer Junge: Luis Grammatikou, Oberon: Fritz Spengler, Titania: Frauke Burg, Puck: Paul Hess, Theseus: László Lukács, Hippolyta: Bernadette Flaitz, Lysander: Benjamin Popson, Demetrius: Bonko Karadjov, Hermia: Clare Presland (singend) / Ulrike Malotta (spielend), Helena: Eva Maria Amann, Zettel/Pyramus: Don Lee, Quenz/Prolog: Lukas Schmid, Flaut/Thisbe: Rouwen Huther, Schnock/Löwe: Eui-Hyun Park, Schnauz/Wand: Wolfram Winter, Schlucker/Mond: Carsten Emmerich, Spinnweb: Emilia Scharf, Bohnenblüte: Lina Schankweiler, Senfsamen: Zoë Salm, Motte: Laetitia King, Flötenelfe: Clara Folz.

Welch ein großes Ereignis ist eine solche Première für die Stadt Trier! Ein Theater mittlerer Größe führt nicht alle Tage eine groß besetzte, abendfüllende und nur mit größtem Aufwand überhaupt zu realisierende Oper des 20. Jahrhunderts auf wie „A Midsummer Night’s Dream“ von Benjamin Britten nach William Shakespeare auf Libretto eigener Feder unter Mithilfe von Brittens Lebensgefährten und Gesangspartner Peter Pears (mit welchem wundervolle Aufnahmen entstanden, gerade die Liederzyklen Schuberts mit Britten und Pears gehören zu den besten Einspielungen überhaupt). Und Trier machte ein wahres Spektakel daraus, hat tatsächlich alle erdenklichen Mittel aufgefahren, den Abend zum ‚Ereignis’ avancieren zu lassen.

Nach einem stimmungsvollen Prolog, dem eigentlich nicht zur Oper gehörigen, sondern durch die Inszenierung Sam Browns hinzugefügten Lied „The Wanderings of Cain“ (Gedicht: Samuel Taylor Coleridge; aus Brittens Nocturne für Solotenor, sieben obligate Instrumente und Streichorchester Op. 60), öffnet sich der Vorhang und gibt eine bezaubernde Bühnengestaltung preis. Bäume schmücken eine von Simon Lima Holdsworth gestaltete Drehbühne, die durch einen mittig platzierten Hügel zwei Einzelbühnen realisiert, um organische Szenenübergänge ohne Umbau zu ermöglichen. Hinreißende Details wie Klappen im Hügel, aus dem Elfen zum Tanz kommen, oder ein phänomenal blendender Sonnenaufgang (sehr hell für die Zuschauer!) ziehen in ihren Bann. Die Inszenierung ist herrlich, wie ein Traum, abwechslungsreich und farbig schillernd, ebenso die elegant eingebetteten Choreographien von Hannes Langolf.

Stiller Star des Abends ist und bleibt unangefochten Paul Hess als Puck. Zwar hat er nicht eine Note zu singen, doch in seiner Sprechrolle überzeugt er vollkommen. Und noch weitaus mehr mit seinen choreographischen Fähigkeiten: Schon schwingt er sich auf einen Baum, dann fliegt er an Seilen befestigt über die Bühne, unerwartet springt er vom Hügel und rollt sich mit federnder Leichtigkeit ab, dann umschmeichelt er wieder zart seinen Herren Oberon. Puck ist omnipräsent in Browns Inszenierung und verleiht ihr das Phantastische, Märchenhafte, das wesentlich zum Gesamteindruck beiträgt.

Leider indisponiert ist an diesem Abend Fritz Spengler als Oberon. So filigran und übernatürlich könnte die Rolle sein, wäre sie nicht wie hier ohne jeden Glanz, ohne Farbigkeit oder Klangfülle gesungen. Oberon ist die Rolle eines lupenreinen und doch bestimmten, herrschaftlichen (teils überraschend tief gesetzten) Countertenors und nicht die einer heißeren Kopfstimme mit Intonationsschwierigkeiten. Umso mehr fällt dies auf, wenn neben ihm seine Elfenpartnerin Frauke Burg als Titania steht, die mit ihrem brillanten Koloratursopran die Halle zum Schwingen bringt, dass man meinen möchte, alles Glas würde bald zerspringen. Eine vielversprechende Begabung, von der wir noch einiges hören könnten. Überzeugend sind auch die Liebespaare Lysander (Benjamin Popson) und Hermia (Clare Presland, Ulrike Malotta) sowie Demetrius (Bonko Karadjov) und Helena (Eva Maria Amann). Hervorstechen konnte hierunter zumal Clare Presland, welche erst am Premierentag aus London eingeflogen wurde, um der erkrankten Ulrike Malotta ihr Stimme zu leihen. Diese übernahm die gespielte Rolle und bewegte ihren Mund, von der Seite synchronisierte Presland mit so elegantem wie stimmgewaltigem Mezzo-Sopran von atemberaubender Schönheit.

Die Handwerker (Don Lee, Lukas Schmid, Rouwen Huther, Eui-Hyun Park, Wolfram Winter, Carsten Emmerich) waren es, die sich am meisten in die Herzen der Zuschauer sangen. Ihre Rollen sind so herrlich komödiantisch und vielseitig, so charmant tollpatschig und liebenswert geschrieben, dass man sie einfach mögen muss. Vielleicht sind diese Sänger stimmlich nicht die sonorsten, textverständlichsten oder sinnlich überwältigendsten, doch passen sie sich allesamt bestens in ihre Rollen ein und spielen aus voller Überzeugung und mit Herzblut. Stimmlich beeindruckt hat von ihnen am meisten Don Lee als Zettel und Pyramus, der gerade in seiner Eselsgestalt so wunderbar seine Stimme überschlagen lassen kann und sogleich wieder lupenrein weiterzusingen vermag. Auch Flaut beziehungsweise Thisbe, gesungen von Rouwen Huther, überrascht mit seiner wandelbaren Stimme, die er so schön falsch klingen lassen kann, wenn es auf diese Art von Britten vorgesehen ist (der erste Einsatz von Thisbe, die nervös auftritt und deshalb in einer falschen Tonart beginnt). Allgemein charakterisiert die Handwerker, dass sie – sofern angebracht – ihre Passagen mit übermäßiger Unkultiviertheit und überzogener Laienhaftigkeit würzen, wie es die Rollen eben auch verlangen, was für etliche Lacher sorgt.

Bezaubernd sind auch die Jüngsten auf der Bühne, der Kinder- und Jugendchor des Theater Trier, und die daraus hervortretenden Gesangssolisten. Schon die Kleinsten beherrschen die teils aufwändige Choreographie und singen komplett auswendig, eine beachtliche Leistung!

Doch warum ist die Klangbasis teils so farblos, matt, uninspiriert oder gar ängstlich? Das Philharmonische Orchester der Stadt Trier bietet nicht den facettenreichen Boden, auf dem sich die Sänger ungezwungen entfalten können – dabei bleibt doch nicht zu überhören, dass die Musiker ihre teils äußerst heiklen Passagen gut bewältigen und musikalisch wesentlich mehr herausholen könnten als geschehen. Generalmusikdirektor Victor Puhl scheint seinen Musikern nicht das Feuer überreicht zu haben, die Musik lebendig zu entfalten und aus sich herauszugehen, frei und mutig zu agieren. Statt dessen gibt es nur Notenleserei, die gerade bei den pikanten Glissando-Passagen recht zittrig wird. Puhl könnte so leicht seine graue Routine ablegen, könnte aus dem mittelmäßigen Alltags-Geschäft emporsteigen – es wäre so einfach! Wenn Victor Puhl mit innerer, zerreißender Leidenschaft an die Proben gehen würde, seine Musiker mitzureißen und zu überzeugen vermöchte, wenn er sie vielleicht noch mit herausgemeißelten Details in den Unterstimmen und mit einer lebendigen Musikvorstellung zu überraschen wüsste, dann könnte aus dem teils recht faden und eintönig-introvertierten Orchester in kurzer Zeit ein wirkliches Orchester von Rang werden, Fortschritte wären sicher schon bis zur letzten Vorstellung Ende Oktober sichtbar! Das musikalische Erwachen lohnt sich! (Ebenso wie die große Passage des Erwachens der Liebenden, in einem Eulenspiegel’schen Scherz unterlegt mit einer verzerrten und doch unverkennbaren Reverenz an Strawinskys Sacre!)

Es ist beachtlich, was die Trierer an diesem Abend auf die Beine gestellt haben, diese riesenhafte Oper inklusive informativer Einführung vor dem Konzert durch Peter Fröhlich und ausgedehnter Premierenfeier hinterher, wo alle Beteiligten noch einmal auf die kleine Foyer-Bühne durften. Gerade die ungezwungene Musikalität und Freude mancher Sänger wird mir im Gedächtnis bleiben, fernab von der überkünstelten, makellos polierten Art der heutigen Starsänger, dafür mit wesentlich mehr Esprit.

[Oliver Fraenzke, September 2016]