Virtuosität und orchestraler Klangzauber

Capriccio, C8064 ; EAN: 8 45221 08064 2

Die dritte Folge der Pantscho Wladigerow-Edition des Labels Capriccio stellt Wladigerows konzertante Werke für Streichinstrumente vor. Neben den beiden Violinkonzerten sind dies eine Reihe von Konzertstücken für Violine(n) bzw. Violoncello und Orchester. Die Solisten sind die Geiger Georgi Badew, Dina Schneidermann und Emil Kamilarow sowie der Cellist Wenzeslaw Nikolow. Alexandar Wladigerow leitet das Bulgarische Nationale Rundfunk-Sinfonieorchester, daneben ist (für einen kurzen Bulgarischen Tanz) auch das Bulgarische Kammerorchester mit Pantscho Wladigerow selbst am Pult vertreten.

Über den großen bulgarischen Komponisten Pantscho Wladigerow (bzw. engl. Pancho Vladigerov; 1899–1978) ist auf dieser Seite im Rahmen der bisherigen Folgen der groß angelegten Capriccio-Edition mit seiner Musik bereits ausführlich berichtet worden, für einleitende Worte zu biographischen Daten und seiner Musik im Allgemeinen sei auf die Rezensionen der CDs mit seinen Klavierkonzerten und Sinfonien verwiesen.

Die vorliegende Doppel-CD stellt nun seine Konzerte für Streichinstrumente vor. Zwar war Wladigerow selbst Pianist, aber gerade zu Beginn seiner Karriere spielte auch die Violine in seinem Schaffen eine wichtige Rolle; nicht zufällig ist das Opus 1 des 15-Jährigen eine Violinsonate, und bis etwa Mitte der 1920er Jahre entstand in regelmäßiger Folge eine ganze Reihe von Werken mit solistischer Violine. Einer der Gründe dafür war sicherlich, dass sein Zwillingsbruder Ljuben (1899–1992) ein ausgezeichneter Geiger war. Ljuben ist auch der Widmungsträger von Wladigerows 1920/21 entstandenem Violinkonzert Nr. 1 f-moll op. 11, und wie sein kurz zuvor komponiertes erstes Klavierkonzert gilt das Violinkonzert als erster bulgarischer Vertreter seiner Gattung. Die Uraufführung am 5. März 1921 mit Gustav Havemann (Violine), den Berliner Philharmonikern und Fritz Reiner am Pult muss ein kolossaler Erfolg gewesen sein, und bald schon wurde das Konzert in zahlreichen Städten Deutschlands, Österreichs oder Frankreichs gespielt.

Wenn das Klavierkonzert Nr. 1 als Wladigerows erstes reifes Werk gilt, dann stellt das Violinkonzert Nr. 1 (in den üblichen drei Sätzen, die hier allerdings nahtlos ineinander übergehen) noch einmal einen weiteren Schritt dar und darf wohl als sein erstes orchestrales Meisterwerk gelten: ein Konzert zwischen Spätromantik und Impressionismus mit reichlich bulgarischem Kolorit, virtuos und dankbar für den Solisten und dabei voller orchestraler Klangpracht, sowohl in groß auftrumpfenden Tutti als auch in zarter, delikat orchestrierter Lyrik. Typischer Wladigerow ist bereits der eindrucksvolle, energisch auffahrende, geradezu im Wortsinn stürmische Beginn mit einem Orgelpunkt auf C in den Bässen, von übermäßigen Dreiklängen geprägter Harmonik, kadenzartigen Passagen der Solovioline und agitierten Signalen der Holzbläser. Erst nach zweieinhalb Minuten beginnt der eigentliche erste Satz mit seinem ungemein einprägsamen, sehnsuchtvoll-passionierten Hauptthema. Lyrischer, intimer, fast traumwandlerisch ist der zweite Satz in Fis-Dur, und als Finale folgt eine Art rustikaler Tanz, der das Konzert zu einem krönenden Abschluss führt.

Viel später, 1967/68 nämlich, entstand das Violinkonzert Nr. 2 g-moll op. 61. Natürlich sind all die Jahre dazwischen nicht gänzlich spurlos an Wladigerows Tonsprache vorübergegangen: geht das erste Violinkonzert wohl noch als spät(est)romantisch durch, so ist das zweite zwar sicherlich nach wie vor in der romantischen Tradition geschrieben, aber doch ein wenig herber, klassizistischer, in den Harmonien hier und da etwas verschärft. Dabei handelt es sich aber eher um Nuancen als um wirkliche Brüche, und insgesamt frappiert die Kontinuität in Wladigerows Schaffen über fast 50 Jahre. Viele der grundsätzlichen Bemerkungen zum ersten Violinkonzert treffen auch auf das zweite zu. Das betrifft insbesondere die Struktur: auch hier die klassischen drei Sätze, diesmal getrennt voneinander, mit einem ausladenden, leidenschaftlichen Sonatenallegro zu Beginn, einem lyrischen, fast mystischen langsamen Satz und schließlich einem kräftig-robusten Finalsatz, diesmal von Beginn an in der Dur-Tonalität. Folkloristisches Kolorit findet sich wiederum reichlich, und auch hier besticht Wladigerows schillernde, üppige Klangpracht. Bemerkenswert ist zudem, dass Wladigerows Inspiration sich auch in diesem Spätwerk unverbraucht zeigt; ähnlich wie in den Klavierkonzerten bleibt sich Wladigerow über all die Jahre treu, ohne sich zu wiederholen, und leitet aus den über Dekaden im Kern kaum veränderten Fundamenten seiner Musik immer neue Varianten ab.

Auf der zweiten CD ist eine Reihe von kürzeren, konzertstückartigen Werken versammelt. Das einzige Originalwerk ist die Burleske für Violine und Orchester op. 14 (1922), die in ihrem Charakter an das Finale des kurz vorher entstandenen Violinkonzerts Nr. 1 anschließt, aber in etwas reduziertem Rahmen. Dies bezieht sich weniger auf ihren Umfang, doch endet etwa das Konzert triumphal mit machtvoller Akkordik, so ist der Schluss der Burleske verspielter, scherzohafter, weniger sinfonisch. Die übrigen Werke mit solistischer Violine sind Bearbeitungen, zunächst von Werken für Violine und Klavier: dem Horo aus den Bulgarischen Paraphrasen op. 18, einer farbenprächtigen Stilisierung eines bulgarischen Tanzes, sowie der Bulgarischen Rhapsodie Vardar“ op. 16, beides Werke aus der ersten Hälfte der 1920er Jahre, wobei die Orchestrierung von Vardar aus den 1950er Jahren stammt. Von Vardar existiert auch eine Fassung für Orchester, und in dieser Version ist die Rhapsodie Wladigerows meistgespieltes und populärstes Werk überhaupt, eine Art Emblem der bulgarischen Musik. Es folgen zwei Arrangements von Orchesterwerken, des Lieds aus der Bulgarischen Suite op. 21 für Violine und Orchester sowie des Schlusssatzes der Sieben Bulgarischen Tänze op. 23 für zwei Violinen, Streichorchester und Klavier, beides erneut effektvolle Stilisierungen bulgarischer Folklore (oder zumindest dieser nachempfunden).

Die letzten beiden Tracks der zweiten CD ergänzen das Programm um Wladigerows einzige beide Werke für Violoncello und Orchester. Dabei ist die Elegische Romanze wiederum eine Orchestrierung eines Werks für Violoncello und Klavier aus dem Jahre 1917, ein klangschönes, melancholisch getöntes Genrestück. Freilich ist im Vergleich zu dem nur unwesentlich später entstandenen ersten Violinkonzert bemerkenswert, wie viel an Persönlichkeit und Eigencharakter Wladigerow in so kurzer Zeit hinzugewann: die Romanze ist ein reizvolles, aber eher unspezifisches Frühwerk, das Violinkonzert bereits unverwechselbarer Wladigerow. Ein reifes Werk ist dagegen die einsätzige Konzertfantasie für Violoncello und Orchester op. 35 aus dem Jahre 1941, die sich aus mehreren Teilabschnitten zusammensetzt, wobei in der Totale die Struktur langsam – schnell, also hier vielleicht Lied und Tanz, dominiert. Dieses Werk zeigt alle bekannten Charakteristika von Wladigerows Stil, aber bei aller Virtuosität und Farbenfreude erreicht es doch nicht ganz den Grad der Inspiration der Werke für Violine und Orchester. Ein Grund dafür, dass Wladigerow dem Cello als Soloinstrument offenbar eher weniger nahestand, mag sein, dass die Balance zwischen virtuosem Solopart und Wladigerows üppiger, detailreicher, bunt schillernder Orchestration im Falle des Cellos schwieriger zu realisieren ist als bei Konzerten für Klavier oder Violine. Dankbare, hörenswerte Musik bleibt es allemal.

Die Interpretationen auf dieser CD sind durchwegs ausgezeichnet. Das Violinkonzert Nr. 1 und die Opera 14, 18/1 und 21 werden von Georgi Badew interpretiert, das Violinkonzert Nr. 2 und die übrigen Werke für Violine von Dina Schneidermann (im Falle des Opus 23 zusammen mit ihrem Ehemann Emil Kamilarow), der Cellist ist Wenzeslaw Nikolow. Bemerkenswert ist vor allem die Variabilität und der Facettenreichtum der Interpretationen in Klang und Charakter. Man höre etwa den feinsten lyrischen Schmelz, mit dem Georgi Badew die Kantilene des langsamen Satzes des Violinkonzerts Nr. 1 darbietet, im Vergleich zum rustikalen Tanz des Finales oder der glutvollen, leidenschaftlichen Intensität, mit der Badew das c-moll-Couplet des Finalrondos (etwa ab 4:53) spielt! Überhaupt beeindruckt bei allen Interpreten die Natürlichkeit und Souveränität, mit der das Idiom dieser Musik wiedergegeben wird, u.a. in Form von großzügiger Agogik, die den musikalischen Vortrag frei, oft genug wie improvisiert klingen lässt.

Vergleichsaufnahmen sind in erster Linie zum Violinkonzert Nr. 1 vorhanden. Zwei davon entstanden noch zu Wladigerows Lebzeiten. Besonders hinzuweisen gilt es aber auf die einzige Aufnahme des Konzert aus neuerer Zeit mit Svetlin Roussev, dem Bulgarischen Nationalen Rundfunk-Sinfonieorchester und Emil Tabakow, eine Produktion des Labels Fondamenta aus dem Jahre 2015. In klangtechnischer Hinsicht ist diese Aufnahme natürlich ihren Vorgängern überlegen, aber auch interpretatorisch braucht sie sich nicht zu verstecken, denn gerade die lyrischen Passagen gelingen Roussev vorzüglich. Im direkten Vergleich würde ich der etwas facettenreicheren Badew-Einspielung auf Capriccio leicht den Vorzug geben, und auch der Sturm, der zu Beginn des Kopfsatzes über den Hörer hinwegfegt, strahlt unter dem Dirigat des Sohnes des Komponisten eine noch unmittelbarere Wucht aus. Aber dies sind nur Nuancen, und auch Roussevs Einspielung ist unbedingt empfehlenswert. Interessiert man sich für Wladigerow allgemein, kommt man an der Capriccio-Edition natürlich ohnehin nicht vorbei.

Für die Klangtechnik gilt erneut, dass mit dem Alter der Aufnahmen gewisse Einschränkungen verbunden sind: der prächtige Beginn des Zweiten Violinkonzerts wird bedauerlicherweise durch Artefakte etwas in Mitleidenschaft gezogen, und der Beginn der Elegischen Romanze leiert ein wenig. In der Totale hat das Team von Capriccio aber erneut sehr viel aus den alten Bändern herausgeholt, und man darf sich glücklich schätzen, diese vorzüglichen Aufnahmen in dieser Qualität genießen zu können. Ein weiterer Pluspunkt ist das wiederum detailliert und kenntnisreich informierende Beiheft von Christian Heindl.

Summa summarum also einmal mehr ein wichtiges und mit Nachdruck zu empfehlendes Plädoyer für Wladigerow.

[Holger Sambale, April 2021]

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