Schlagwort-Archive: Verena Obermayer

Verschlungene Tonalität

Audiomax 707 1979-2; EAN: 7 60623 19792 0

Variationen für Violine, Violoncello und Klavier über Motive aus dem Buch Hiob und eine Auswahl an Liedern von Alexander Asteriades wurden für Audiomax, Musikproduktion Dabringhaus und Grimm von Jörg Gottschick (Bariton), Nicola Birkhan (Violine), Verena Obermayer (Violoncello) und Paul Rivinius (Klavier) eingespielt.

Sich vom Serialismus abwendend, machten es sich einige Komponisten zur Aufgabe, aus der harmonischen Orientierungslosigkeit auszubrechen und zur Tonalität zurückzukehren, dieser allerdings ein neues Gesicht zu verleihen zu versuchen und einen eigenen Zugang zu ihr zu finden. Der kürzlich verstorbene Einojuhani Rautavaara gilt mit seinem ersten Klavierkonzert als Vater des so genannten Postserialismus, zu dem auch der viel unternommene Versuch gehört, eine individualisierte Tonalität zu kreieren. Zu den bedeutendsten Namen dieser postmodernen Tradition zählt hierzulande neben Willhelm Killmayer auch der 1941 geborene Alexander Asteriades, von dem hier eine Auswahl von Werken in der Besetzung für Klaviertrio sowie für Bariton und Klavier vorliegt.

Asteriades schafft eine bei aller Schlichtheit recht verschlungene Harmonik, die keine eindeutig-klaren Pfade verfolgt. Es schlängelt sich ein ständiger Fluss durch die Werke, der klare Konturen nicht entstehen lässt. Oft entstehen somit zwiegespaltene Klangkonstellationen, die etwas Unruhiges und Unstetes haben, sich nicht festlegen wollen. Konsonanz und Dissonanz stehen gleichwertig nebeneinander, harte Dissonanzen werden vollständig in die Musik integriert und verlieren durch die dadurch entstehende Gewöhnung an sie ihre grelle Wirkung, wirken als vollkommen natürlicher Bestandteil. Gewissermaßen entzieht sich die Musik den allgemeinen Beschreibungen für Musik, sie entleiht sich Grundlagen aus verschiedensten Traditionen und schafft etwas Eigenes, das in keine bisher musikwissenschaftlich erforschte Schublade so recht passen mag, viel eher zwischen diesen steht.

In dieser verschlungenen Tonalität geht aber auch der Hörer recht schnell verloren, die Musik fließt eher am Hörer vorüber als dass er ihr folgen könnte. Gerade die Variationen für Klaviertrio laufen so schnell Gefahr, in ihrer Form nicht verstanden zu werden, da sich eine Gleichgültigkeit beim Hörer einstellen kann, der der „simplen Komplexität“ nur schwerlich zu folgen vermag. In den Liedern wird durch den Text ein klarere Orientierung geboten, wodurch auch die harmonischen Verästelungen leichter nachvollziehbar werden.

Doch nicht nur für die Hörer scheint die Musik undurchsichtig, auch die Musiker sind vor allem im Trio etwas im Nebel gefangen. So stellt sich bald eine gewisse Gleichförmigkeit ein, die dynamische Ausgestaltung der Melodik ist recht flach, die harmonische Spannung bleibt teils in Gänze außen vor, zu sehr vermischt sich Spannung mit Entspannung. Es entstehen traumhafte und atemberaubende Momente, doch der Kontext lässt diese Augenblicke unorganisch im Raum stehen, und die hinreißende Wirkung ist ebenso schnell wieder verflogen. Am überzeugendsten gelungen ist „Ein Winterabend“ aus den drei Liedern nach Gedichten von Georg Trakl, hier findet Asteriades ein angenehmes Gleichgewicht in seiner Tonalität, und auch die Musiker glänzen mit einer freien Natürlichkeit.

[Oliver Fraenzke, Dezember 2016]