Das erste musica viva Konzert nach der Sommerpause am 25.9.2025 bestritten Gäste aus Korea: Das Busan Philharmonic Orchestra unter seinem künstlerischen Direktor Seokwon Hong spielte im Münchner Herkulessaal drei Werke der Komponistin Younghi Pagh-Paan anlässlich ihres 80. Geburtstags: „Sori“, „Der Glanz des Lichts“ mit den beiden Solisten Byol Kang und Nils Mönkemeyer sowie „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“ Nach der Pause erklangen dann Olivier Messiaens «L’Ascension» und Jean Sibelius‘ 7. Symphonie.

© Astrid Ackermann/BR
Erneut hatte man zum Auftakt der neuen musica viva Saison ein großes Orchester eingeladen, das noch nie in München gespielt hat, diesmal ermöglicht von koreanischen Förderern und in Zusammenarbeit mit den Berliner Festwochen: Das Busan Philharmonic Orchestra aus Koreas zweitgrößter Metropole schickt fast 100 Musikerinnen und Musiker auf die Bühne im leider beschämend schlecht besuchten Herkulessaal. Gewidmet ist der Abend vor allem der schon lange in Deutschland lebenden Komponistin Younghi Pagh-Paan, die Ende November ihren 80. Geburtstag feiert.
So erklingen drei Stücke der allerersten weiblichen Kompositionsprofessorin unseres Landes (von 1994 bis 2011 in Bremen). Trotz der über 40 Jahre, die hierbei umspannt werden, kann man daran gut einige Charakteristika der immer bescheiden auftretenden Künstlerin festmachen, die aus gesundheitlichen Gründen leider diesmal nicht anwesend ist. Mit Sori – was im Koreanischen für alles akustisch Wahrnehmbare steht – erlangte sie 1980 in Donaueschingen quasi den internationalen Durchbruch. Sie hatte mit dem Stück längst begonnen, als die damalige Militärdiktatur in ihrer Heimat das Massaker von Gwangju anrichtete. Wenn der ebenfalls bei uns tätige Isang Yun ein Jahr später über das Drama die quasi dreiteilige sinfonische Dichtung Exemplum in memoriam Kwangju (damalige westliche Schreibweise) mit klarer Teleologie schrieb, ist Pagh-Paans Stück für großes Orchester vielschichtiger: Mit einer fantastischen Farbenvielfalt, besonders beim Schlagzeug, wird indigenes musikalisches Material aus Korea in eine ganz moderne Faktur eingebunden. Der von Beginn an „in sich hineingeschluckte Groll“ entfaltet dabei eine Sogwirkung, die musikalisch zu großen Steigerungen, aber später unweigerlich zu Aus- bzw. Abbrüchen führt. Integrierte Trillerpfeifen und brutale Aleatorik, die den Rest des Orchesters fast niederzuwalzen scheint, sind gegen Schluss dann unzweideutige Hinweise auf die starke Verarbeitung auch eines nationalen Traumas: sehr beeindruckend. Der Dirigent Seokwon Hong agiert schon hier grandios. Seine Schlagtechnik ist hochdifferenziert bei meistens kleinem Bewegungsambitus; Hong kann aber, wo nötig, ebenso extrem animierende Impulse übertragen, sorgt in seinem Riesenorchester für dynamisch perfekte, immer durchhörbare Klangschichtungen. Unterstützt wird er in den Streichergruppen von bemerkenswert aufmerksamen und resoluten Konzertmeisterinnen und -meistern.
Die an Maria Magdalena gerichteten Jesus-Worte „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“ – so der Titel von Pagh-Paans bislang letzter Orchesterpartitur (2023) – zielen hier musikalisch auf den ganz großen Trost eines, wenn nicht aller Menschen. Dabei spielt natürlich auch der eigene Abschied von ihrem Ehemann, dem Komponisten Klaus Huber († 2017) eine Rolle. Das sehr effektiv instrumentierte 7-Minuten-Stück hält eine mystische, schimmernde Spannung, bis in die fast weihevollen Klangballungen der Bläser. Der Glanz des Lichts (2012) ist ein Doppelkonzert für Violine & Viola mit nun deutlich reduziertem Orchester – 32 Streicher, 2 bis 3-faches Holz usw. Hierbei geht es um die wiederum mystische Dimension des Lichts einerseits, der des Ausatmens andererseits. Die beiden Solisten – Nils Mönkemeyer anfangs deutlich präsenter und aktiver als seine Partnerin Byol Kang an der Violine – sind zunächst total ins Orchester integriert, wenn auch die eigentlichen Initiatoren klanglicher Veränderung. Die Demonstration unterschiedlicher Amplituden von Vibrato, ergreifend schön schließlich in einer Art Duo-Kadenz, löst im Orchester sensibelste, fein austarierte Reaktionen aus. Wieder typisch für Pagh-Paans Ästhetik, dass die Musik sich gleichermaßen nach außen wie nach innen richtet und selbst in Momenten beinahen Stillstands tragfähig bleibt: großer Applaus.
Nach der Pause dann zwei Klassiker, wieder mit voller Besetzung, in der das koreanische Orchester beweisen kann, dass es auf Weltklasse-Niveau musiziert. Olivier Messiaens vier Meditationen über die Himmelfahrt, L’Ascension von 1933, symbolisieren musikalisch ganz explizit den Aufstieg in andere Sphären. Hierbei lassen besonders die auch bei komplexesten Akkorden blitzsauber intonierenden Bläser im ersten Stück sowie die intensivst glänzenden Streicher mit der beinahe unerträglichen Süße schon des frühen Messiaen im letzten aufhorchen. Zum Höhepunkt des Abends wird jedoch Jean Sibelius‘ letzte Symphonie, die einsätzige Siebte von 1924, für viele seine beste. Neben wirklich überzeugender emotionaler Führung der völlig ungewöhnlichen formalen Dramaturgie, bei dessen zwischenzeitlichen Steigerungen er das Orchester stets noch im Zaum hält, gelingt Hong im gesamten, recht bläserlastigen Werk eine vollkommen stimmige Balance. Dies lässt die Streicher nicht nur nie untergehen, sondern deren Strahlkraft als völlig gleichberechtigtes Gegengewicht zum Blech ohne Abstriche zum Tragen kommen. Das ist absolut phänomenal und kann sich mühelos etwa mit der ausgezeichneten Darbietung des BRSO von 2017 im Gasteig unter Salonen messen. Im Herkulessaal kann man dieses Meisterwerk eigentlich nicht klarer und klanglich wirkungsvoller auskosten als an diesem Abend. Das Publikum gibt danach sein Bestes, den Koreanern gebührend Zustimmung zu signalisieren.
[Martin Blaumeiser, 28.9.2025]