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Der Wandel als Markenzeichen

TYXart, TXA19130; EAN: 4 250702 801306

Das Duo Maiss You spielt die Violinsonaten von Leoš Janáček und Béla Bartók (Nr. 2 Sz 76) und stellt sie neben ein Werk eines zeitgenössischen Komponisten: Roland Leistner-Mayer: Von diesem erklingt die Bratschensonate op. 156. Diesen Wechsel zwischen Musik für Violine und für Viola macht sich das Duo zum Markenzeichen, so changierte Burkhard Maiss auch im Debutalbum (Schumann, Brahms) zwischen den beiden Instrumenten.

Nach ihrem hochromantischen Debutalbum geht das Duo Maiss You nun über zur Musik des frühen 20. Jahrhunderts und widmet sich den Violinsonaten von Leoš Janáček und Béla Bartók: während Bartók mittlerweile zum Standardrepertoire gehört, kommt die viersätzige Sonate von Janáček kaum zu Gehör [frisch erschien sie mit Augustin Hadelich und Charles Owen: zur Rezension]. Die Sonaten fügen sich im Programm wunderbar zusammen, leben sie doch beide von den selben Charakteristika, die sie jeweils auf ureigene Weise umsetzen: hinreißende Melodien, abrupte bis ruppige Wechsel, harmonisch vagierende Akkordverläufe und ein Gespür für Proportion. Gefühl spielt für beide Werke eine größere Rolle als das tatsächliche Verständnis – wenngleich natürlich beide Komponisten genau wussten, was sie taten. Zwischen ihnen passt sich ideal die Bratschensonate op. 156 von Roland Leistner-Mayer ein, die klanglich ebenso in die Zeit der beiden Violinsonaten passen könnte. Leistner-Mayer kehrte sich früh von den Avantgardeströmungen ab und ging dazu über, traditionellere Formen individuell aufzuarbeiten und auf seine Vorstellungen zu personalisieren. In seiner Musik nimmt die Melodie den höchsten Stellenwert ein; sie wandelt durch harmonisch eindeutig bestimmbare, nicht aber der klassischen Harmonielehre folgenden Akkordfelder; das Prinzip beschreibt er selbst als „freitonale Funktionalität“.

Das Duo Maiss You scheint nach ihrem Debutalbum beinahe noch dichter aneinandergewachsen zu sein und spielt vollständig aus einem Atem und einer Intention heraus. Gerade bei Janáček wird dies ersichtlich, der rhythmisch vertrackt das Zusammenspiel auf eine harte Probe stellt. Die Musiker spannen große Bögen, finden sich also bestens zurecht in den oft weitschweifenden bis gar abstrakten Verläufen dieser Musik; ebenso gelingen abenteuerliche Brüche mit fanatischen Ausbrüchen, sofern es die Musik vorschreibt. Die Harmoniemodelle werden am Klavier plastisch erkennbar und verständlich, Ju-Yeoun You differenziert die einzelnen Schichten klar aus und kann besonders durch eine breite Palette an Piano-Schattierungen brillieren. Ihr Forte kracht nicht, sondern schwingt voluminös als ideale Basis für das Streichinstrument. Burkhard Maiss meistert Violine und Bratsche gleichermaßen, passt sich den individuellen Gegebenheiten der beiden Instrumenten an und zieht sogar aus den Vorteilen des einen Erkenntnisse für das andere: so erhält die Violine mehr von dem runden, weichen Klang der Viola, umgeht so die dem Instrument innewohnende scharfe Kantigkeit; dafür darf sich die Bratsche mehr Glanz und Brillanz erfreuen. Eine perfekte Symbiose zweier optisch ähnlicher, klanglich aber vollkommen unterschiedlicher Instrumente.

[Oliver Fraenzke, August 2020]

Sonaten für zwei

TYX Art, TXA18110; EAN: 4 250702 801108

Vorliegende CD birgt Sonaten für Klavier und Violine sowie für Klavier und Viola, wobei Burkhard Maiss die Streichinstrumente spielt und Ji-Yeoun You an den Tasten sitzt. Wir hören die zweite Violinsonate d-Moll op. 121 von Robert Schumann und die 1. Klarinettensonate in der Version für Bratsche und Klavier von Johannes Brahms.

Wenngleich einige Jahrzehnte zwischen den beiden Werken liegt, so herrscht doch eine innere Verbindung zwischen den späten Streichersonaten von Schumann und Brahms – die Idee der Einheit zwischen den Sätzen, der stringenten Entwicklung und des aufgewogenen Wechselspiels gleichberechtigter Partner.

Schumanns zweite Violinsonate ist ein ständiges Mit- und Gegeneinander, ein „Concertieren“ in beiden ursprünglichen Bedeutungen. Nach einer kurzen Einleitung stürmt der Kopfsatz sprudelnd und hetzend voran, verschiebt die Stimmen immer wieder gegeneinander; der noch raschere zweite Satz beginnt im Unisono, die beiden Partner entfernen sich erst später voneinander. Eine der hinreißendsten Inspirationen Schumanns stellt der volksliedhafte dritte Satz dar, dessen Thema schlichter und unprätentiöser kaum sein könnte – bis plötzlich das Scherzo-Thema störend dazwischenfunkt! Das Finale perlt wieder spielfreudig und zerberstet die durch den langsamen Satz hergestellte Harmonie. Eine wahre Berg- und Talfahrt, Aufbegehren und Zurücknehmen wechseln sich ab, Hoffnung wird aufgebaut und sogleich wieder unterminiert.

Die Begegnung mit Richard Mühlfeld, dem Soloklarinettisten der damals hoch angesehenen Meininger Hofkapelle, inspirierte Brahms zu mehreren Kammermusikkompositionen mit diesem Instrument, so auch zu dieser Sonate. Brahms legte zu der Klarinettenstimme auch Varianten für Bratsche und Geige bei, um sie mehr Spielern zugänglich zu machen – und schuf so beiläufig eines der meistgespielten Bratschenwerke der Zeit. In seiner Klarinettensonate aktualisierte Brahms die „unmodern gewordene“ Sonatenform und flößte ihr neues Leben ein: Die Sätze hängen untrennbar zusammen und entwickeln sich auseinander, alles beginnt in einer einzigen Keimzelle. In der Version für Bratsche und Klavier liegt die Schwierigkeit in erster Linie darin, dass die Bratsche anders als die Klarinette in den tiefen Lagen nur schwer durch eine volle Klavierstimme durchhörbar ist.

In ihrer Darbietung fokussieren sich Burkhard Maiss und Ji-Yeoun You auf den großen Bogen und die Zusammengehörigkeit innerhalb der Sätze sowie der Sätze als Ganzes. Sie verlieren sich nicht im Moment, sondern behalten den Fluss. Das Klavier tönt voll und reich an Klangfarben, bewegt sich leichtfüßig durch die vielgriffigen Passagen. Maiss spielt Geige wie Bratsche gleichermaßen beschwingt, lebendig und mühelos. Die beiden hören sich gegenseitig zu beim Spielen und schaffen so selbst für die verschobenen Passagen ein Bewusstsein, feuern den Wettstreit der Instrumente – das Mit- und Gegeneinander – regelrecht an. Nur selten einmal funktioniert die Abstimmung der beiden aufeinander nicht: Im Kopfsatz von Schumanns Violinsonate wechseln sich die Instrumente rasch ab, hier wäre ein einheitlicheres Klangideal wünschenswert gewesen; und bei Brahms hört man teils die Bratsche in den tiefen Lagen nur schwer durch, sie ist zu zart gegen das von Brahms akkordlastig gesetzte Klavier. Doch diese Marginalien seien nicht weiter von Bedeutung: Denn hier liegt zweifelsohne eine hervorragende Aufnahme zweier virtuoser, technisch wie (noch mehr) musikalisch fordernder Sonaten, die von den Musikern auch wirklich verstanden und umgesetzt wurden.

[Oliver Fraenzke, Januar 2019]