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Musikgenuss statt Trauer

Das Orchester Jakobsplatz München präsentiert am 1. Februar 2018 in seiner dritten ‚Expedition’ im Münchner NS-Dokumentationszentrum einen weiteren von den Nationalsozialisten verfemten jüdischen Musiker, den (mutmaßlich) 1944 in Warschau ermordeten Komponisten Józef Koffler. Die Mezzosopranistin Victória Real singt gemeinsam mit Sofija Molchanova an der Klarinette, der Bratschistin Charlotte Walterspiel und Aniko Zeke am Cello die Kantate „Die Liebe“ von 1931, die beiden Streicherinnen spielen daraufhin gemeinsam mit dem Geiger Sándor Galgoczi das Streichtrio op. 10. Die Moderation hat Daniel Grossmann.

Eine Vielzahl großer Musiker brachte Polen im beginnenden 20. Jahrhundert hervor. Doch von freier Entfaltung konnten die meisten von ihnen nur träumen, gehörten doch viele dem jüdischen Glauben an, wurden als Neutöner verspottet und gerieten so schließlich in die Fänge der Nationalsozialisten. Insbesondere seien hier Szymon Laks und Constantin Regamey genannt, die beide die Gefangenschaft in den Konzentrationslagern überlebten, und Józef Koffler, welcher nach längerer Ghettoisierung gemeinsam mit seiner Familie erschossen wurde.

Es ist wenig bekannt über das Leben Józef Kofflers und die Quellen und Theorien zu seinen letzten Jahren sind zweifelhaft und umstritten, wie auch Daniel Grossmann in der Moderation zur Dritten Expedition des OJM ausführte. Einiges weiß man über seine Studien und über seinen Ruf als „Erster Dodekaphoniker Polens“, manche Aspekte seiner Persönlichkeit sind aus eigenen Texten und Erfahrungsberichten zu entnehmen, doch nur wenig erfahren wir über seine Entwicklung und seine späten Jahre (einige Details zu Kofflers Leben sind der New-Listener-Rezension der letzten CD-Veröffentlichung seiner Musik bei EDA zu entnehmen).

Józef Koffler schuf herausragende Werke auf dem Feld der Symphonik und der Kammermusik, und besonders lag ihm die menschliche Stimme am Herzen. Während er in Polen nur mäßige Erfolge feiern konnte, war er ein gefragter Komponist im Ausland, nicht zuletzt aufgrund guter Kontakte zu fortschrittlichen Musikern wie dem Dirigenten Hermann Scherchen, die sich rege um sein Orchesterschaffen kümmerten und sie aufführten. Die NS-Zeit beendete schnell seine beginnende Karriere, und nach seinem Tod blieb er lange Zeit unbeachtet, bis erste Musiker sich erneut seinem Œuvre widmeten und kommerzielle CDs seines gesamten Klavierwerks, seiner Kammermusik und zuletzt erstmalig seines Orchesterschaffens einspielten. Ein emotionaler Appell stand am Schluss der Moderation Daniel Grossmanns, der hier zitiert werden soll: Man solle die toten Künstler nicht beweinen, sondern sich ihres Werks erfreuen und sie freudig wiederauferstehen lassen.

Die Frage nach der Beschaffenheit von Kofflers Dodekaphonie ist keine leichte: Er bewunderte Schönberg, dem er nie persönlich begegnet war, als seinen wichtigsten Lehrer und schätzte die Zwölftonreihen-Methode als neuen Weg der kreativen Entfaltung. Und doch unterscheidet sich seine Verwendung der Dodekaphonie grundlegend von der der Zweiten Wiener Schule. Er nutzt sie als motivisches Basismaterial zwecks Vereinheitlichung der Themen durch alle Sätze eines Werks, genießt ihre spannungsgeladenen Reibungen, aber er setzt die Töne doch hauptsächlich in klassischen Wendungen ein, konzentriert sich auf Terz- und Sextintervalle sowie chromatische Fortschreitungen. Trotz distanzierter Grundhaltung in Kofflers Persönlichkeit wirkt seine Musik nicht berechnet oder trocken gesetzt, sondern hoch expressiv und innerlich erspürt. Beeindruckend ist Kofflers handwerkliches Geschick, insbesondere im Bereich des Kontrapunkts, das ebenfalls zutiefst menschlichen und natürlichen Ausdruck hervorbringt. Eine Präferenz finden wir auf dem strengen Feld von Kanon und Fugato, was in vielen seiner Werke hervorsticht und Struktur in die eigenständig wirkenden Stimmen bringt, sie einend verflicht.

Heute erklingen zwei vergleichsweise bekanntere Werke Józef Kofflers, die Kantate „Die Liebe“ und das Streichtrio op. 10, beide sind bereits zu Lebzeiten des Komponisten gedruckt worden und heute auch auf CD erhältlich. Die Kantate nach dem 1. Brief des Paulus an die Korinther verlangt eine heikle Besetzung: Mezzosopran, Klarinette, Bratsche und Cello. Die Gefahr wird im Konzert deutlich, und zwar, dass die Sängerin die drei Instrumentalisten komplett überdeckt und die raffinierte Vielstimmigkeit nur schwer hörbar erscheinen lässt. Die monoton-gleichförmige Mezzosopranstimme hebelt derart die gleichwertige Zusammenhörigkeit der tendenziell eher isoliert wirkenden Instrumente noch weiter aus. Einheitlicher und durchdachter erscheint da die Darbietung des Streichtrios mit Sándor Galgoczi, der die drei Instrumente klanglich und dynamisch abzustimmen weiß und stellenweise auch zur Beachtung angemessener Phrasierung anhält. Polyphon gut realisiert wurde die herrliche Fuge, die als Mittelsatz fungiert, und auch das Finale enthiellt aufgeweckt-lebendige Momente.

[Oliver Fraenzke, Februar 2018]

Das Wiederaufblühen einer Größe

EDA, 042; EAN: 8 40387 10042 5

Eine Hommage an den polnisch-ukrainischen Komponisten Józef Koffler bringt das Label EDA heraus, das für die Reihe „Poland Abroad“ bereits Kammermusik Kofflers aufnahm. Erstmalig ist symphonisches Schaffen des Komponisten auf CD erhältlich, und zwar Livemitschnitte des Klavierkonzerts op. 13 und der Zweiten Symphonie op. 17. Von diesen Kolossen eingerahmt werden Zwei Lieder op. 1, Quatre poèmes op. 22 und das Zweite Streichquartett op. 27 „Ukrainische Skizzen“. Es spielt das Polish Sinfonia Iuventus Orchestra unter Christoph Slowinski, im Klavierkonzert mit Daniel Wnukowski als Solisten, das Polish String Quartet Berlin, und es singt Frederika Brillembourg, am Klavier begleitet vom Dirigenten.

Wenn man die großartigen Künstler aufzählen würde, die von den Nazis aus dem öffentlichen Bewusstsein gefegt wurden, so wäre die Liste endlos. Immer wieder treten größere oder kleinere Namen auf die Bildfläche, die Opfer der Verfolgungen wurden. Viele davon sind es wert, wieder entdeckt zu werden, und einige davon stechen ganz besonders hervor. Zu diesen gehört, woran ich keinen Zweifel offen lassen möchte, Józef Koffler, der nach jahrelanger Unterbringung im Ghetto 1944 mit seiner ganzen Familie ermordet wurde. Sein Schaffen ist von geringem Umfang, doch von hoher Substanz. Sein Lebenslauf war durchwachsen: 1896 im galizischen Stryj geboren, musste er sich erst gegen den Wunsch der Familie, Jura zu studiere, durchsetzen, und ließ sich zunächst in Lemberg (Lwiw), später in Wien von Egon Wellesz, Robert Lach und Guido Adler ausbilden und promovierte bei letzterem über Felix Mendelssohn Bartholdy. Während seines Studiums wurde er im Ersten Weltkrieg in die Armee eingezogen. 1924 kehrte er nach Lemberg zurück Dort erhielt er eine Professur für Harmonielehre und atonale Komposition, eine absolute Neuerung in Polen. Neben vielfältigem Lob zog er als „Erster polnischer Dodekaphoniker“ auch regelmäßig Spott auf sich. Als Jude wurden Koffler bereits in den 1930er-Jahren Anfeindungen zu Teil, die sich nach dem Überfall auf Polen drastisch verschärften und schließlich auch seinen Tod in einer öffentlichen Massenexekution zur Folge haben sollten.

So sehr Koffler die Musik der Zweiten Wiener Schule inhaliert hatte, machte sie doch nur einen Teil seines Stil aus. Charakterisiert wird dieser hauptsächlich durch eine durchgehende und ausgeklügelte Kontrapunktik, durch dissonant angereicherte und bis an die Grenzen der Verständlichkeit geführte Harmonien, polnisches und ukrainisches Kolorit und durch ausgewogene thematische Arbeit, die zu festen und strikt eingehaltenen Formkonstrukten führte, welche aber nicht rein akademisch erdacht, sondern innerlich erspürt klingen. In den Kurzformen wagte sich Koffler auch an neuartige Strukturen, im symphonisch ausgedehnten Format hingegen hielt er sich an bewährte Formen wie dem Rondo oder einer bogenartigen Struktur. Kofflers Musik wirkt teils befremdlich und eigenwillig, gelegentlich gar sperrig, und besitzt doch immer wieder geradezu Ohrwurmcharakter. Diese Werke lassen den Hörer nicht so schnell wieder los und klingen noch lange nach.

Das Polish Sinfonia Iuventus Orchestra unter Christoph Slowinski hebt die Kontrapunktik deutlich und verständlich hervor und lässt, wenngleich teils gehetzt wirkend, viel von der musikalischen Struktur durchscheinen, geht gefühlvoll auf die Thematik ein und all dies mit eine adäquaten Dichte von Klang und Ausdruck. Mit virtuoser Sicherheit und Glanz fesselt Daniel Wnukowski als Solist im Klavierkonzert, sichtlich Spaß hat er vor allem im dritten Satz, der freudig leicht und doch mit unterschwelligem Ernst erklingt. Wohl artikuliert, mit wuchtiger Kraft begleitet Slowinski die opernhaft schmetternde Frederika Brillembourg in den Liedern op. 1 und 27. Lyrisch durchzogen und von zarter Sehnsucht erfüllt betören die Ukrainischen Skizzen in der musikalisch ausgewogenen Darbietung des Polish String Quartet Berlin. Ausgezeichnet auch der vorbildlich informierende Booklettext.

[Oliver Fraenzke, Dezember 2017]