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Trier blickt gen Norden

Die Manfred-Ouvertüre Op. 115 von Robert Schumann, das Klavierkonzert a-Moll Op. 16 Edvard Griegs sowie die dritte Symphonie Op. 44 (ebenfalls in a-Moll) von Sergej Wassilijewitsch Rachmaninoff stehen auf dem Programm des sechsten Sinfoniekonzerts des Philharmonischen Orchesters der Stadt Trier unter Leitung von Generalmusikdirektor Victor Puhl am 31. März 2016. Solist des im Theater Trier stattfindenden Konzerts ist der aus Moldawien stammende Alexander Paley.

Ein anspruchs- und gehaltvolles Programm wählt das Philharmonische Orchester der Stadt Trier für sein 6. Sinfoniekonzert am 31. März. Schon die eröffnende Manfred-Ouvertüre Op. 115 ist ein tiefgreifendes Seelengemälde und erfüllt von Hintergründigkeit. Die düstere Geschichte von Manfred, der sich durch Inzest mit Astarte – vermutlich, doch nicht im Text von Lord Byron wörtlich zu finden, seiner Halbschwester – schuldig machte und so ihren Tod verursachte, läuft durch Magie, Geister und Dämonen unweigerlich auf seinen Tod zu und birgt unermesslichen Stoff zur musikalischen Umsetzung. Schumann schuf daraus ein epochales Melodram-Meisterwerk, das in der Ouvertüre eine gedrängte psychologische Zusammenfassung erfährt. Trotz des vorgezeichneten Es-Dur steht sie eigentlich in es-Moll, todnah und von innerer Zerrissenheit. Nicht weniger ein Meisterwerk ist das einzig vollendete der mindestens vier geplanten Solokonzerte des Schumannverehrers Edvard Hagerup Grieg. Nicht zu Unrecht ist der Geniestreich des in der Mitte seines dritten Lebensjahrzehnts stehenden Norwegers eines der meistgespielten Klavierkonzerte aller Zeiten, und dies trotz der erheblichen Selbstzweifel Griegs an seiner Musik, die ihn dazu brachten, auch dieses Werk mehrfach zu revidieren. Seit der Uraufführung nicht gleichermaßen beliebt ist die dritte Symphonie a-Moll Op. 44 von Sergej Rachmaninoff, fast 30 Jahre nach seiner zweiten Symphonie entstanden. Tatsächlich weist sie wohl doch ein paar Längen auf und besitzt nicht ganz die Stringenz seiner Klavierkonzerte oder der Symphonischen Tänze Op. 45, die sein letztes Werk werden sollten.

Die erste Konzerthälfte ist vor allem durchzogen von Temposchwankungen, die zum Teil äußerst irritierend wirken. Grund dessen sind hauptsächlich die ausladenden und nicht ausschließlich zu musikalischen Zwecken eingesetzten Gesten von Generalmusikdirektor Victor Puhl, die ihm teilweise wörtlich genommen über den Kopf zu wachsen scheinen. So wird es schwierig, die wie magisch miteinander verschweißten Übergänge mitzuverfolgen oder den unweigerlich aufs Ende hin verlaufenden Fluss zu verspüren. Einige klanglich ansprechende Momente gibt es schon, etwa das Versterben vor dem letzten kurzen Aufbegehren gerät recht stimmungsvoll. Insgesamt gelingt es Victor Puhl auch recht gut, den Unterstimmen zur Geltung zu verhelfen und eine stetige polyphone Wirkung zu erreichen, die in allen der dargebotenen Werke durchaus vernehmlich ist, doch von vielen Dirigenten als reine Begleitwirkung vernachlässigt wird.

Eine absolute Premiere findet beim Klavierkonzert a-Moll Op. 16 Edvard Griegs statt: Alexander Paley übernimmt erstmals in diesem Werk öffentlich den Solopart nach jahrzehntelanger Konzerttätigkeit. Rückblickend ist es unvermeidlich, zu sagen: Hätte er es doch mal lieber sein lassen. Der durchaus informative Einführungsvortrag vor dem Konzert warnt bereits, Paley habe einige Eigenheiten und bringe seine persönliche Note in die vorgetragenen Werke. Dass sich diese „Eigenheiten“ in komplett unmusikalischen Freiheiten, vollkommen unpassenden ständigen Rubati und an den Haaren herbeigezogenen Akzentuierungen ausdrücken, war dann doch ernüchternd. Es ist dem Dirigenten unmöglich, den wirren Temposchwankungen zu folgen und der brutalen und gehackten Lautstärke etwas nur halbwegs Passendes entgegenzubringen. Lediglich am Ende des zweiten Satzes scheint Paley zu merken, wie sinnlos und stupide er an der Musik vorbeigeht, und lässt sich einmal von den Noten tragen, statt sie frappierend grotesk zu entstellen. Zu Beginn des Finales ist dies jedoch schon wieder vergessen und er schmettert statt dem schwungvollen Halling einen tosenden Säbeltanz – ein lauter „Hayja“-Schrei seinerseits verstärkt dieses Zerrbild überdies. Von mir unerklärlichen Bravo-Ausrufen angespornt, rattert er noch eine kurze Zugabe herunter, die allerhöchstens als erträglich bezeichnet werden kann. Das Orchester bemüht sich wirklich, etwas Musikalität einzubringen – Paley unterbindet dies resolut und mit Erfolg.

Ein vollkommen anderes Bild bietet sich nach der Pause, Rachmaninoff scheint wesentlich mehr geprobt zu sein als Schumann, und dies ist hörbar! Durch lebendige Hervorbringung der Nebenstimmengeflechts glänzt das umstrittene Werk in Plastizität und Vielseitigkeit, wodurch auch einige der bekannten Längen gar nicht so lang erscheinen. Auch ist der Klang nun wesentlich ausgewogener als zuvor. Zwar bleiben noch immer einige eher blässliche Stellen und die bereits beanstandeten unfunktionellen Temposchwankungen, doch ist alles in allem eine enorme Steigerung gegenüber der ersten Konzerthälfte offenkundig.

Gab es zwar in der ersten Hälfte doch einige Komplikationen, zumal vom Pianisten ausgehend, so kann doch das Schlussstück einigermaßen überzeugen, nicht zuletzt einiger Musiker wegen, die mit ihrem Können und ihrer Einfühlung in teils glänzenden Soli das Publikum in innere Bewegung bringen.

[Oliver Fraenzke, April 2016]