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Sibelius aus der Provinz

Onba Live Musicales Actes Sud; harmonia mundi ; ASM 25; EAN: 3 149028 070125

Ulrich5

Sibelius
Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 43
Lemminkäinens Heimkehr. Legende op. 22 Nr. 4

Orchestre National Bordeaux Aquitaine

Paul Daniel, Leitung

Zum 150. Geburtstag von Jean Sibelius (1865-1957) gerade recht erscheint die neue Live-Aufnahme seiner zweiten Symphonie und der Legende „Lemminkäinens Heimkehr“ vom Orchestre National Bordeaux Aquitaine unter seinem Dirigenten Paul Daniel, der dort zuletzt Aufnahmen von Richard Wagner und Gustav Mahler machte.
Es ist eine wohlklingende Aufnahme im neuen Opernhaus von Bordeaux, dem man eine gelungene Akustik nicht nur nachsagt, man hört sie auch auf dieser Aufnahme. Dass die zweite Symphonie im großen Ganzen ein wenig zu „mondän“ klingt, ein wenig  zu schmeichelnd und vordergründig, liegt sicher nicht am Orchester, das vorzüglich und klangvollst spielt – allzu sehr wird da betont, was Sibelius eigentlich nie war, nämlich ein „Landschafts-Beschreiber“ –, aber die inneren Strukturen seiner für damalige Verhältnisse durchaus verstörenden und neuartigen melodischen und harmonischen, ja auch der rhythmischen Gegebenheiten scheinen mir doch zu sehr dem Schönklang und dem musikalischen „Rausch“ geopfert. Natürlich darf man dabei nicht an die schon 1965 aufgenommene Mono-Aufnahme des damaligen Stockholmer Orchesters unter Sergiu Celibidache denken, oder an andere wie Beecham, Stokowski, Berglund oder Storgårds, die Sibelius’ Klangsprache adäquater vermitteln können, aber dass Sibelius’ Zweite Symphonie so „süffig“ daherkommt, so eingängig und stromlinienförmig, scheint mir nicht der angemessenste Weg zu sein, dem immer noch von nichtssagenden Urteilen (besonders in Deutschland seit Adorno) sehr belasteten Werk dieses Komponisten neue Freunde zu gewinnen.
Der genialische Hans Jürgen von der Wense übrigens, in seinen Urteilen über Sibelius und seine Kompositionen zwiespältig, lässt doch die Symphonien gelten und erkennt in ihm – vor allem in seinem Spätwerk – eine außergewöhnliche, sich jeder Einordnung in gängige Klischees entziehende Persönlichkeit.
Das überreich ausgestattete Booklet enthält nicht nur wunderschöne Bilder aus Finnlands Natur, sondern neben zwei Artikeln zu Sibelius und den Kompositionen auch die Namen aller Musiker, die dem Orchester angehören, besonders „besternt“ sind die „Kolleginnen“ und „Kollegen“, die bei dieser Live-Aufnahme mitwirkten. (Sergiu Celibidache deutete einmal auf die Frage eines Reporters nach seinen „Kollegen“ auf die vor ihm sitzenden Musiker und sagte nur : „Das da sind meine Kollegen!“)
Man wünscht sich das bei CDs noch öfter, dass die eigentlich Mitwirkenden – außer dem Dirigenten – namentlich genannt werden. Allerdings ist dieses luxuriöse Album – soll ich sagen: typiquement – nur en français, auch eine englische Übersetzung, von einer deutschen ganz zu schweigen, fehlt, was schade ist.
Das zweite Stück – Lemminkäinens Heimkehr, das Finale aus den vier Lemminkäinen-Legenden – ist natürlich ein Reißer. Schon die volle Besetzung mit allen Blechbläsern und vollem Schlagwerk einschließlich der vorgeschriebenen Röhrenglocken sorgt für Furor und schließt wirkungsvoll das Konzert im neuen Opernhaus in Bordeaux ab.  Stürmischer Beifall und Bravos zeigen die Begeisterung des Abends deutlich. Also hat nicht nur die französische Hauptstadt eine neue Philharmonie zu bieten, auch „in der Provinz“ kommt die holde Kunst bei unseren Nachbarn nicht zu kurz – sogar Sibelius, den auch in Frankreich mittlerweile die Modernen mehr schätzen als die Traditionalisten, was gewiss ein gutes Zeichen ist.

[Ulrich Hermann, November 2015]