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Die Neugier, Besonderheiten zu entdecken

CD: Dreamlover, Music for Saxophone by Albena Petrovic. Joan Martí-Fresquier, Kebyart Ensemble, Cynthia Knoch, Romain Nosbaum.

Solo Musica, SM 394; EAN: 4 260123 643942.

Albena Petrovic gehört zu den produktivsten Komponistinnen unterer Zeit. Die in Bulgarien geborene, in Luxemburg lebende und wirkende Musikerin schrieb über 600 Werke in unterschiedlichsten Gattungen und für diverse Besetzungen. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen wie 2013 den Ordre de Mérite du Grand-Duché de Luxembourg (Rangstufe: Chevalier). Soeben erschien nach Crystal Dream, The Voyager und Bridges of Love ihre nunmehr vierte monographische CD beim Münchner Label Solo Musica: Es trägt den Titel Dreamlover und umfasst Werke für Saxophon, die in Bezug stehen zum ausübenden Künstler Joan Martí-Frasquier. Albena Petrovic bezeichnet Dreamlover als „Konzeptalbum“, das exemplarisch ihr Schaffen für das Saxophon in seinen verschiedenartigen Facetten umreißt. In diesem Interview spricht die Komponistin Albena Petrovic über ihren Zugang zur Musik, über das Saxophon und die Werke, die auf ihrem neuen Album Dreamlover zu hören sein werden.

Oliver Fraenzke (OF): Albena Petrovic, Ihre neueste CD widmet sich dem Saxophon. Dieses ist zumindest in der klassischen Musik ein vergleichsweise neues Instrument, das abgesehen von wenigen Ausnahmen (wie bei Bizet) erst im 20. Jahrhundert aufblühte: man denke an Debussy und Ravel, an Glasunow und an Alban Berg. Am meisten verbinden wir es aber nach wie vor mit dem Jazz, wo es zwar ebenso spät einzog, sich aber nachhaltig durchsetzte. Wie kamen Sie dazu, für dieses Instrument zu komponieren und was spricht Sie an ihm so an?

Albena Petrovic (AP): Tatsächlich war es der Zufall, der viele Dinge bewirkt, der mich dazu gebracht hat, Saxophonisten kennenzulernen. Ich hatte vorher nie die Gelegenheit, für Saxophon zu komponieren, weil ich keine Konzert-Interpreten kannte – ganz logischerweise lag dieses Instrument nicht in meinem Blickfeld. 2006 komponierte ich das Quartett Gebet zum Nichterscheinen, das von der Musikwissenschaftlerin Danielle Roster und ihrem Projekt mit CID Femmes-Luxembourg bei mir in Auftrag gegeben wurde. Ich war sehr dankbar für dieses Projekt, das die meisten Blasinstrumente umfasste. Nach der Uraufführung wurde das Quartett mehrfach aufgeführt – unter anderem in Österreich. Dann schrieb ich mehrere andere Kammermusikstücke, darunter mit Saxophon, aber nichts für dieses Instrument allein. Entscheidend war mein Treffen mit Joan Martí-Frasquier bei Classical Next im Jahr 2016. Er ist eine Art Fürsprecher für sein Instrument – das Bariton-Saxophon: Er bittet Komponisten oft um neue Stücke für sein Instrument. Er hat mehr als 30 Werke uraufgeführt und mit seiner Hingabe an das Schaffen und Entdecken hat er es geschafft, dass ich Lust bekommen habe, für ihn zu komponieren. Außerdem engagiert er sich enorm für zeitgenössische Musik, ganz „puristisch“: Kommerzielle Musik passt keine Spur in sein Repertoire. Mit kommerzieller Musik meine ich Stücke, die mit dem Publikum „flirten“ und in Richtung Populismus abgleiten. Nach dem ersten Stück – DREAMLOVER – komponierte ich 2018 das Konzert mit Streichorchester und die Ouvertüren zum Operndyptich Liebe und Eifersucht. Dies war schon genug Musik, um an eine CD zu denken!

OF: Bei den Werken dieser CD erkunden Sie explizit die Spieltechniken jenseits der „traditionellen“ Musizierweise. Welche klangtechnischen Besonderheiten entdeckten Sie beim Saxophon?

AP: Die Saxophonfamilie ist sehr reich an Klangmöglichkeiten – so virtuos wie eine Klarinette, aber mit Vorteilen in der Klangpalette – sehr unterschiedliche Klangfarben, mehrere Register von Geräuschen und Effekten und natürlich mehr Kraft und Lautstärke. Im Bereich des Ausdrucks und der Suche nach dunklen, auch unschönen Paletten ist das Bariton-Saxophon also in seiner Stärke. Gleichzeitig kann es auf Anfrage wie die menschliche Stimme singen und zart und warm sein – es fällt mir schwer zu sagen, was mit diesem Instrument nicht möglich ist, besonders wenn der Instrumentalist so virtuos ist wie Joan Martí.

OF: Wenn mir gestattet ist, die vorausgegangene Frage weiterzuverfolgen: Allgemein fällt auf, dass Sie in fast jeder Phrase erweiterte Spielweisen benutzen und die klanglichen Möglichkeiten für jedes Instrument durch neue Techniken ausreizen. Sind Sie der Ansicht, die traditionelle Tongebung habe für die neue Musik ausgedient, sei abgenutzt? Oder geht es Ihnen hierbei mehr um eine Umsetzung Ihrer Vorstellungen, die nur eben durch solche Klangsphären erreichbar gemacht werden?

AP: Ich denke, tonale Musik ist unbegrenzt, man kann mit Tonalität viel machen, aber ich habe eine sehr große Neugier, Besonderheiten zu entdecken und zu suchen. Außerdem geht es mir darum, meine Ideen gemäß meiner persönlichen Ästhetik auszudrücken, und ich brauche meine persönliche Sprache.

Des Weiteren sind die Themen, die mich beschäftigen, eher düster, und ich orientiere mich an der philosophischen oder tragischen Seite der Dinge. Ich kann nicht wirklich (nach eigener Entscheidung) Musik zur Unterhaltung komponieren – dafür gibt es sehr spezifische Genres. Gelehrte Musik, wie wir sagen, Kunstmusik, muss sich von Themen und tiefen Gefühlen nähren, und das inspiriert mich auch. Es fällt mir schwer, meine Enttäuschung oder die Einsamkeit von heute mit einer Melodie auszudrücken, die vor 200 Jahren hätte komponiert werden können. Und jeder Schöpfer ist in seiner eigenen Welt – das „Gepäck“, das er mit sich trägt und seine menschlichen Erfahrungen sind absolut untrennbar mit seiner Schöpfung verbunden. Meine persönliche Reise war sehr schwierig und voller Hindernisse – die Zeit meiner Jugend war sehr dramatisch und das ist der Grund, dass mein Aussehen und meine Ästhetik nicht die gleichen sind wie die Schöpfer, die in einem einfachen und unbeschwerten Kontext sich entwickelt haben. Auf heute projiziert: Könnten diese Menschen, die unter den Bombardements in der Ukraine aufwachsen, die gleichen Visionen haben wie die anderen, die auf Mallorca Urlaub machen?

OF: Ihr musikalisches Material setzt sich bei den Werken dieser CD hauptsächlich zusammen aus kurzen Motiven, die vor allem rhythmisch-dynamischer Natur sind oder sich durch individuelle Klanglichkeit auszeichnen. Wie kreieren Sie damit Zusammenhang in den großen Formen? Auf welche Weise gelingt es Ihnen, die einzelnen Sätze oder Werke zusammenzuhalten?

AP: Große Formbauten – hier zum Beispiel das Concerto – werden wie große Gebäude gebaut – proportional und der Form und Dramaturgie eines zuvor erstellten Plans folgend, sonst stürzt das Gebäude ein. Kleine Formen sind Detailarbeit, die oft schwieriger zu erreichen ist. Bei kleinen Formen ist jede kleine Geste sehr wichtig und sichtbarer. In Topform arbeite ich als Architekt – ich plane, bevor ich anfange, und folge dem Plan. Dann hat jede Stufe ihre Rolle in der Dramaturgie des Ganzen.

OF: Allgemein fällt auf, dass Ihre Musik ausgesprochen sanft und weich erscheint, bewusst extreme Kontraste in Sinne von Härte umgeht. Dazu verleihen Sie Ihren Werken vornehmlich poetische Titel, die ebenfalls träumerischen bis melancholischen Charakters sind. Was wollen Sie mit Ihrer Musik vermitteln? Welchen Eindruck erhoffen Sie, bei Ihren Hörerinnen und Hörern beim ersten Höreindruck zu erzielen? Und durch welche Haupt-Charakteristika wollen Sie diesen Eindruck in erster Linie erreichen?

AP: Meine persönliche Ästhetik ist stark von den Impressionisten und Expressionisten beeinflusst. Für mich muss jede Musik eine Inspiration in sich tragen, die vom Herzen kommt. Meine Musik ist rational komponiert und oft übermäßig durchdacht, aber der Hauptzweck ist, dass sie beim Zuhörer ein Gefühl und eine Reaktion hervorruft. Diese nachdenkliche Seite ist für mich essenziell. Also suche ich nach einem einzigartigen und wiedererkennbaren Sound-Look. Ich möchte nicht, dass wenn Sie sich mein Stück anhören, sich fragen, ob das Gershwin oder Bernstein oder Poulenc ist.

OF: Beim ersten Werk auf der vorliegenden CD handelt es sich um ein Solokonzert, ursprünglich für Bariton-Saxophon und Streichorchester als op. 204 komponiert, auf Wunsch von Joan Martí-Frasquier später in der hier zu hörenden Fassung mit Klavier umgeformt. Wie treten Sie der klassischen Form des Solokonzerts heute gegenüber? Welche formalen Teile projizierten Sie in die Gegenwart und wie schaffen Sie eine nach wie vor aktuelle Form?

AP: Das Konzert ist zweisätzig – vor und nach einer imaginären Katastrophe – ein Vorwarnteil voller Angst und Drohung und ein Teil zur Trauer über die Katastrophe. Es gibt auch Sonaten und Konzerte in einem Satz, was seit dem 20. Jahrhundert ein Trend ist, der auch sehr typisch für Opern ist, die bereits in 1–2 Akten üblich sind.

Ich halte es für sinnvoll, die Längen zu kürzen – ich entziehe mich nicht dem Trend, Formen zu schneiden und Mittel zu sparen. Heutzutage dauern Konzerte nicht länger als 60–75 Minuten ohne Pause und das war’s; Das Publikum hört nicht mehr zu, wenn die Musik komplex ist und Reflexion und nicht nur Unterhaltung erfordert. Die Zeit vergeht anders und das wirkt sich auf die Größe der Werke aus.

OF: Bemerkenswert gestaltet sich Ihr Zyklus Poèmes–Masques op. 236, der die bislang einzigartige Formation zwischen Gesang und Saxophon in den Mittelpunkt stellt. Wie harmonisieren die menschliche Stimme, die ja vor allem in der Mittellage bis Höhe Glanz und Volumen erreicht, und das Saxophon, welches ja in der Tiefe mächtig erscheint? Auf welche Weise wirken die zwei Melodieinstrumente zusammen und wie können sie gemeinsam harmonische Vielfalt erreichen?

AP: Es ist sehr natürlich – ich behandle das Bariton-Saxophon wie eine menschliche Stimme, aber ohne Worte – es steht logischerweise im Dialog mit dem Sopran. Und es ist auch sehr harmonisch und sogar melodiös. Ich habe mehrere andere Stücke, in denen ich die Stimme als Instrument behandle, aber hier habe ich die Entscheidung nach dem Inhalt getroffen – die Poèmes–Masques sind sehr theatralisch, wie kleine Skizzen – es gibt Vorschläge, mit denen man den Hörer nicht ablenken darf durch zu viel Virtuosität, die Intimität des Textes suggeriert auch eine intime Textur.

OF: Die Texte der vier Lieder stammen ebenfalls aus Ihrer Feder. Im Booklet beschrieben Sie, dass der schöpferische Prozess des Entstehens von Text und Musik zusammenfällt. Wie kann man sich das vorstellen? Könnten Sie das anhand eines Beispiels erklären, wie Sie bei Liedkompositionen vorgehen?

AP: Ich denke über die Botschaft nach, die ich vermitteln möchte, dann fange ich an, eine Textur auszuarbeiten – Instrumente, Klangfarben und die Worte, die diese Botschaft am besten ausdrücken. Rational und intuitiv sind die beiden Arbeitsweisen, die bei meiner Textarbeit Hand in Hand gehen. Arbeiten ohne Text ist viel rationaler.

OF: Es folgen drei Stücke für das Saxophon allein: DREAMLOVER op. 189 (2017) und die Zwei Stücke für Alt-Saxophon o. O., die aus Ihrer Kammeroper Love & Jealousy stammen. Ein Melodieinstrument ohne Begleitung stellt Komponistinnen und Komponisten vor besondere Herausforderungen. Vor welchen Aufgaben standen Sie hier?

AP: Es ist wirklich sehr anspruchsvoll, ein Stück für Soloinstrument zu bauen, aber ich mache es nur, wenn ich wirklich glaube, dass dies der einzige Weg ist, die Botschaft zu vermitteln – in der Dyptich-Oper Love & Jealousy, also Liebe und Eifersucht, ist das Saxophon die Verkörperung der Einsamkeit – es spielt diese Rolle auch in der Dramaturgie der Klangfarben; im DREAMLOVER ist es ähnlich – marginal, realitätsfern in Einsamkeit und Isolation.

OF: Zu DREAMLOVER vermerkten Sie, es ließe viel Raum für die Phantasie der Interpretinnen und Interpreten. Auf welche Weise?

AP: Eines der Bücher, das mich geprägt hatte, war Opéra Aperta des Schriftstellers und Philosophen Umberto Eco – die offene Form, die Raum lässt für die anderen Teilnehmer des Dreiecks – für Darsteller und sogar für die aktive Teilnahme des Publikums im Bezug auf die ‚Ausführung‘ des musikalischen Werkes – ich gehe nicht zu weit in diese Richtung, aber ich gebe dem Interpreten kontrollierte Freiheit, damit er dem Endergebnis seinen Stempel aufdrücken kann. Er muss sich wirklich in die Haut des Komponisten hineinfühlen und die Emotion seines eigenen Wesens leben. Ansonsten sind die Noten streng geschrieben, auch die Nuancen. Die Freiheit betrifft Rhythmus, Tempo und Ausdruck.

OF: Das letzte der zu hörenden Werke trägt den Titel Gebet zum Nichterscheinen op. 102, es ist das früheste der aufgenommenen Werke und für vier Saxophone komponiert. Hier näherten Sie sich das erste Mal dem Saxophon: Wie bereiteten Sie sich auf das Schreiben für dieses Instrument vor? Und was zeichnete die Arbeit an dem Werk aus?

AP: Das ist mein erstes Werk für Saxophon, es gab einen Auftrag, dieses Werk zu komponieren, aber ich kannte die Instrumente schon lange vorher, seit dem Ende meines Studiums; 2006 ergab sich die Gelegenheit. Das ist für mich etwas ganz Besonderes – ich muss immer einen Bühnentermin im Blick haben, sonst kann ich nicht komponieren. Wenn es möglich ist, die Interpreten sogar persönlich zu kennen, ist dies der beste Weg, um die Werke zu fühlen und ihnen Energie zu verleihen. Und der erste Klick ist sehr wichtig – die Idee und der Titel. Ohne Titel und Idee, die einander entsprechen, kann ich ebenfalls nicht komponieren. Und doch ist es der Ton, der die Inspiration bringt. Ich habe Blaubart von Kurt Vonnegut gelesen und fand die Reflexion von Erscheinen und Nichterscheinen sehr inspirierend. Ich habe mich auch entschieden, mit „soggeto cavato“ und „Augenmusik“ zu experimentieren und bestimmte Texte, Namen etc. in das thematische Material zu kodieren – das ist das Unsichtbare hinter den Noten. Da es sich bei Saxophonen um transponierbare Instrumente handelt, ist diese Codierung in der C-Partitur ersichtlich. Dasselbe mache ich seit Jahren mit vielen Instrumentalstücken – es ist eine Technik, die es mir erlaubt, eine gewisse Erdung und eine artifizielle Modalität / fast Tonalität zu erzeugen.

OF: Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Antworten!

[Interview geführt von: Oliver Fraenzke, April 2022]

Gefühlvolle Titel – belangloser Inhalt

Solo Musica SM337; LC: 15316; EAN: 4260123643379

Die in Luxemburg gerade auch in der Förderung jugendlicher Musiktalente äußerst umtriebige, aus Bulgarien stammende Komponistin Albena Petrovic hat bei Solo Musica eine CD mit neuer Klaviermusik vorgelegt, die von der ebenfalls bulgarischen Pianistin Plamena Mangova dargeboten wird. Halten die blumigen Titel: Surviving Bridges of Love, Island of Temptations, Crystal Dream, Mystery Dream, Twinkling Dream, River of Dreams und Hidden Letters, was sie versprechen?

Es fällt nicht leicht, die allesamt aktuellen, zwischen 2013 und 2019 entstandenen Klavierwerke von Albena Petrovic Vratchanska (*1965) stilistisch genauer einzuordnen. Die Musik ist sicher nicht tonal; aus relativ konzentriertem Material entstehen wenige – oft nur zwei bis drei – meist kontrastierende musikalische Elemente mit eindeutigem Wiedererkennungswert, die sich dann in ständigem Wechselspiel fast manisch wiederholen und nur teilweise neue farbliche Beleuchtung erfahren. Eine formale Entwicklung findet ebenso wenig statt wie eine wirkliche, emotionale Zielgerichtetheit. Man darf wohl unterstellen, dass das kompositorische Material – bei den hier präsentierten Werken häufig aus Tonfolgen gebildet, die sich aus Buchstabenfolgen ableiten, welche in Zusammenhang mit den Namen einer Widmungsträgerin – etwa P, L, A, M, E, N, A (Island of Temptation) – oder einer zyklischen Idee (ROMEO in Verborgene Briefe) stehen – konsistent Verwendung findet: Petrovic hat auch mal Musikinformatik studiert. Der Tonumfang des Klaviers wird voll genutzt. Die verschiedenen Register agieren dabei als Vermittler gegensätzlicher musikalischer Schichten; so kommt etwa dem Bass in der Regel eine eher perkussive Rolle zu. Dazu gibt es einige Gimmicks: Teilweise wird im Flügel gezupft, abgedämpft, und die Pianistin muss außerdem, rechts und links neben dem Instrument platziert, eine tibetische Klangschale bzw. ein Tamburin bedienen (u.a. in Surviving Bridges of Love).

Insgesamt sind die hier erforschten Klangwelten zwar interessant, wenn auch wenig abwechslungsreich; in Island of Temptation finden sich immerhin zwischen geheimnisvoll meditativen Abschnitten solche mit rhythmischer Zugkraft. Das ständige Wiederholen innerhalb der einzelnen Segmente auf statischen Tonhöhen wirkt allerdings sehr schnell ermüdend, besonders bei den Traum-Stücken. So erinnert die Musik Petrovics äußerlich ein wenig an die enigmatischen Klaviersonaten von Galina Ustwolskaja – von deren beinahe schamanischer Wirkung, der fast unerträglichen Penetranz und schockierender Konsequenz ist die Bulgarin freilich Welten entfernt. Die Tatsache, dass gerade die beiden längsten Werke mit jeweils ca. 9 Minuten einerseits über Strecken langweilen, die Zeit dabei jedoch im Fluge vergeht, so dass man versucht ist, sich auf dem Display des CD-Players zu vergewissern: Es waren wirklich 9, nicht etwa 3 Minuten, spricht nicht gerade für tiefer gehende Substanz! So verwundert es nicht, dass der fünfteilige Zyklus Hidden Letters aus recht kurzen Stücken vielleicht noch am überzeugendsten ist. Hier versteht man auch Petrovics Ästhetik im Titel des letzten Stücks: O like Obsession.

Den übrigen, blumigen Titeln – schade, dass das Booklet die zugehörigen Opuszahlen unterschlägt – kann ich nur wenig abgewinnen. Zu willkürlich, um nicht zu sagen: beliebig, erscheinen diese gewählt, mögen aber durchaus Anregung für die Interpretin Plamena Mangova gewesen sein. Diese war unter anderem 2. Preisträgerin beim Concours Reine Elisabeth 2007 und erweist sich hier als einfühlsame Künstlerin, die über die gesamte CD klanglich differenziert, allen Details gegenüber aufmerksam, agiert. Alles klingt sonor, nie grob, obwohl sie bei den obsessiven Stellen auch immer die nötige Energie entfaltet. Ihr gelingt es trotzdem nicht, der Musik Petrovics nachvollziehbar Emotion zu entlocken. Crystal Dream geriet der damals erst 14-jährigen Zala Krava auf ihrem sensationellen Debütalbum [zur Rezension] deutlich spannungsreicher.

Die Aufnahmetechnik ist übrigens wirklich großartig – der Flügel ist räumlich wie dynamisch perfekt eingefangen, und man hört unverzerrt jedes Detail gerade beim Spiel im Instrument. Leider bleibt so der Gesamteindruck bei Petrovics Klavierwerken dennoch der von fast easy listening dahinplätschernden Belanglosigkeiten, die den Hörer eher kalt lassen – trotz einiger hübscher Ansätze ist hier Eintönigkeit vorherrschend.

[Martin Blaumeiser, Juni 2020]