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Casellas Aufbruch in die Musikmoderne: Von Noseda fast zu schön dirigiert

CHANDOS/note 1
Katalog-Nr.: CHAN10880
EAN: 095115188026

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Schon lange verfolge ich die äußerst spannenden Reihen mit Einspielungen der klassischen italienischen Musikmoderne bei den Labels Chandos und Naxos. Beide Labels haben sich ihre Meriten redlich verdient. Während bei Naxos solide gemachte Einspielungen in großer Vielfalt vorliegen, scheint sich Chandos eher die Rosinen aus dem Kuchen zu picken.

Als übergreifendes Motto könnte man ausloben: Bei Chandos regiert perfekter, polierter Schönklang ohne die Ecken und Kanten dieser Musik zu überbetonen, bei Naxos gibt es ruppig-solides Orchesterabenteuer mit ausdrücklicher Betonung der modernistisch/futuristischen Aspekte dieser Musik.

Daraus geht schon hervor, dass beide Konzeptionen nicht restlos überzeugen können. Klar, denn weder Gianandrea Noseda (mit dem in allen Gruppen vorzüglich besetzten BBC Philharmonic) wird hier Casella ganz gerecht noch das inzwischen tragischerweise liquidierte Orchestra Sinfonica di Roma unter der Leitung Francesco La Vecchias. Beide Parteien bieten keine wirklich ausgewogene, sondern eher eine tendenziöse Interpretation.

Nun muss man aber froh sein, dass es überhaupt Einspielungen dieser Musik gibt, denn bis vor wenigen Jahren waren Casellas Sinfonien das vielleicht bedauerlichste aller Desiderate am CD-Markt. Dabei sei darauf hingewiesen, dass jedenfalls bei Casellas sinfonischem Erstling eine durchaus breite Hörergruppe zu gewinnen sein müsste, denn die Musik kommt einerseits den Anhängern der Fraktionen Strauss, Mahler, Bruckner und Wagner entgegen und bietet andererseits denjenigen, die sich für den aufkeimenden Expressionismus interessieren, zahlreiche Ansatzpunkte und durchaus auch einige Überraschungen. Mich persönlich erinnern Casellas Sinfonien (und dabei vor allem die hier zu hörende Erste) immer wieder an die Gattungsbeiträge George Enescus, vor allem auch im Hinblick auf den gewaltigen Orchesterapparat, der hier zum Einsatz kommt.

Und was in dieser Musik alles drin steckt! Hier haucht der Jugendstil gerade noch seinen Lebensodem aus und wird live vor den Ohren des Publikums überrollt von der Dampfwalze der Moderne. Und auch, wenn man Zeitgeschichte und Musikgeschichte nicht ohne Weiteres verquicken soll, ist es doch auch aufschlussreich darüber nachzudenken, dass diese Musik „am Vorabend“ des Ersten Weltkriegs in den Jahren 1912-13 geschrieben wurde.

Gianandrea Noseda erreicht mit dem BBC Philharmonic einen sahnig-saftigen Schönklang, den weder die Berliner Philharmoniker besser hinbekommen hätten noch Mariss Jansons beim Concertgebouw Orkest. Das Niveau des BBC Philharmonic ist bei dieser Einspielung wahrlich bestechend. Ob es, wie gesagt, der richtige Weg ist, um der Musik Casellas wirklich nahezukommen, sei dahingestellt. Ich persönlich finde diesen Sound sehr reizvoll. Auch, weil er einem die Annäherung an diese schwierig zu rezipierenden Werke fraglos erleichtert.

Die weiteren Stücke auf diesem Album sind die wuchtige Elegia eroica Op. 29 von 1916, eine Musik mit fahl-gespenstischen Marschrhythmen und voller Anklänge an eine fatale Zeit. Dieses Werk ist mit seiner erschütternden Aura ganz atemberaubend. Etwas weniger tragend, nichtsdestotrotz schön anzuhören und in ihrer frappierenden „Wunderhorn“-Klangwelt sicherlich am nächsten am Kollegen Mahler angesiedelt, sind die Sinfonischen Fragmente aus „Le Couvent sur l’eau“, Überraschungsauftritt von Sopranistin Gillian Keith inklusive.

Kurz und gut: Dies ist eine gelungene, wichtige, mitreißende und auch sehr schöne CD mit ganz hervorragender sinfonischer Musik, die häufiger gespielt und gehört werden sollte. Aber diese Aufnahme ist ebensowenig wie die der Kollegen vom Naxos-Label als objektiv zu bezeichnen, wenn man sich exemplarisch mit Casellas sinfonischem Schaffen beschäftigen möchte. Eine Referenzaufnahme der ersten Sinfonie gibt es derzeit schlichtweg nicht am Markt, und diese Einspielung von Gianandrea Noseda ändert diesen bedauerlichen Zustand nicht wirklich.

[Grete Catus, Februar 2016]