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Happy Birthday Händel

Messiah-Konzert in Halle am 25. Februar 2017

Gillian Keith, Sopran –  Franziska Rabl, Alt  – Robert Sellier, Tenor –  Padraic Rowan, Bass – 400 Sänger aus aller Welt  – Staatskapelle Halle

 Proinnsías Ó Duinn, Dirigent

Das Konzert in der Georg-Friedrich-Händel Halle in Händels Geburtsstadt Halle hat zwei verschiedene Aspekte: einen gesellschaftlichen und einen musikalischen. Seit 2000 findet alljährlich um den Geburtstag des Komponisten (23. Februar 1685) eine Aufführung des „Messias“ statt. Dazu lädt der „Happy Birthday Händel–Verein“ Sänger und Chöre aus der ganzen Welt ein. Die Hallenser Staatskapelle spielt und ungefähr 400 Sängerinnen und Sänger singen unter der Leitung des irischen Dirigenten Proinnsías Ó Duinn. Die erste Probe ist am Donnerstag Abend, eine weitere am Freitag und nach der Generalprobe am Samstag Vormittag ist am Abend die Aufführung. So weit das Äußerliche.

Schon zu Händels Lebzeiten wurde die Aufführung des „Messias“ mit immer größeren Chören ein Teil der Rezeption, die ja in Amerika zu Johann Strauß’ Zeiten mit Tausenden von Sängern ihre Fortsetzung fand. Und auch heute ist Händels „Messias“ ein bevorzugtes Stück der Chorbewegung, die seit ungefähr 15 oder 20 Jahren Sängerinnen und Sänger zu allen möglichen Projekten zusammenführt, wie etwa dem „Requiem“ von Mozart, den Messen von Schubert, dem Verdi-Requiem oder anderen Kompositionen. Längst ist daraus tatsächlich eine richtige „Bewegung“ geworden, die natürlich beide Seiten – das gemeinsame Singen und das gemeinsame „Feiern“ – miteinander verbindet.

Einen gemischten Chor von 400 Menschen zusammen zu führen, ist eine ganz besondere Aufgabe, die Proinnsías Ó Duinn allerdings seit Jahren in souverän vereinigender Weise übernimmt. Er kennt natürlich seinen „Messias“  in- und auswendig, und er schafft es, in den wenigen Proben aus der „Masse“ der Singenden einen wirklichen Chor herauszubilden. Allerdings kennen sich viele der Mitwirkenden schon seit Jahren, und die Begegnung ist ein zentraler Aspekt der Aufführung. Auch haben sich fast alle gut vorbereitet, wodurch das Proben mit Proinnías Ó Duinn vom ersten Moment an „klappt“. Natürlich ist bei einer solchen Größenordnung nicht gerade an Feinheiten der Phrasierung oder an besondere Abstufung der Dynamik zu denken. Jedoch, er gibt sein Bestes, mit bestechender Energie und eine gehörigen Portion Humor bringt er die Massen zum chorischen Singen, versucht, das Beste aus der kurzen Probezeit herauszuholen, und so ist der Chor am Samstag Abend bereit, alljährlich diesen „Messiah“ zu einem Erlebnis werden zu lassen.

Unterstützt wird Proinnsías Ó Duinn dabei von vier Solisten und vor allem von der Staatskapelle Halle, die seit 2006 die Aufführung instrumental ermöglicht. Alle gehen sehr bereitwillig auf Ó Duinns Dirigieren ein, und da hilft natürlich die langjährige Vertrautheit von Orchester und Dirigent. Allerdings muss ich an dieser Stelle zwei Musiker herausgehoben erwähnen: die Konzertmeisterin Dorothée Stromberg, die mit unbedingtem Einsatz ihre Kolleginnen und Kollegen anführt, und den Kontrabassisten Steffen Slowik. Ganz selten habe ich jemanden erlebt, der seinen Continuo-Part und auch das Übrige so mit Leib und Seele und natürlich auch mit seinem ganzen Wissen und unwiderstehlicher Präsenz musiziert wie diesen Musiker. Auch er ließ den Abend zu einem ganz besonderen Erlebnis werden.

Ein Wort zu den Solisten, ohne deren Präsenz die Aufführung des „Messiah“ nicht möglich wäre: Schon im Vorfeld ist man ja immer gespannt, wer dieses Jahr die Solopartien singen wird. Wenn dann amSamstag vormittags bei der Generalprobe die vier zum ersten Mal hinzutreten und meist ihre Partie zum Chor gewendet singen, dann erst kommt das richtige „Feeling“ auf, bei einem Konzert mit dabei zu sein auch als Chorsänger – ich bin dabei einer von ungefähr 40 Tenören.

Proinnsías Ó Duinn begann mit dem zweiten Teil, also war Franziska Rabl mit ihrer Altstimme die erste, die wir hörten: „He was despised“. Dann kam Robert Sellier mit der Tenorklage: „All they that see Him,“ und den nachfolgenden, tief bewegenden Stücken „Thy rebuke…“. Auch wenn er in seiner Arie „Thou shalt break them“ bei der Probe „markierte“, seine Stimme, seine Gestaltung und seine Präsenz waren bewegend. Die eigentliche Überraschung bei den Solisten allerdings war der 26-jährige Padraic Rowan, der die Bass-Arie „Why do the nations“ mit voller Kraft und Stärke und einer staunenswerten Stimme erfüllte. Gillian Keiths Sopran kam trug in der wohl schönsten Arie „I know that my redeemer liveth“ leicht und bewegt im Riesenraum der Händelhalle.

Am Abend also die Aufführung: Natürlich lässt sich nach nur drei Proben dieses geniale Riesenwerk nur bedingt in seinem Potential ausschöpfen und auch nicht komplett wiedergeben – doch registriere man die Tatsache, dass es ja eh keine endgültige Fassung des „Messiah“ gibt, jede ist eine andere Auswahl, was ebenfalls dafür gesorgt hat, dass – anders als bei der „Matthäus-Passion“ von Bach – Händels „Messiah“ immer gegenwärtig war und blieb. Die Musik, vor allem die Chöre, kommt oft nicht über das schlichte Realisieren der Noten oder der Töne hinaus, allerdings ist bei den schnellen Tempi, die Proinnsías Ó Duinn nimmt, an ein bewussteres und musikalischeres Ausführen kaum zu denken, besonders die Koloraturen in den tiefen Stimmen oder die Dynamik bei den hohen, das kommt oft nur sehr plakativ daher. Auch sind Feinheiten wie „for unto us a child is born“ oder „His yoke is easy“ _ und nicht „His yoke is easy“ usw. – nicht möglich, was schade ist, denn Händel hat im „Messiah“ intensiv mit und nach der englischen Sprache komponiert. Auch das Halleluia-Schlachtross wird bei solch einem „Event“ natürlich nicht besonders differenziert musiziert, wie es zu wünschen wäre.

Dafür waren Solisten und Orchester in Hochform, besonders die beiden Männerstimmen sangen all ihre Arien mit bewegender Intensität. Und die „Pifa“ habe ich persönlich selten so fein und ausgezeichnet gehört wie dieses Mal.

Selbstverständlich gab es vom Publikum riesengroßen Beifall für alle, und als Zugabe wurde – längst Tradition – das „Halleluja“ wiederholt, womit ein großer Abend sein Ende fand.
Bei alledem wurde dem anderen, dem gesellschaftlichen Teil des Projekts jeden Abend nach den Proben und auch nach dem Konzert noch ausgiebig Rechnung getragen in den verschiedensten Kneipen, Wirtshäusern und Restaurants der Stadt Halle. So kamen alle auf ihre Kosten.

[Ulrich Hermann, Februar 2017]

 

 

 

Casellas Aufbruch in die Musikmoderne: Von Noseda fast zu schön dirigiert

CHANDOS/note 1
Katalog-Nr.: CHAN10880
EAN: 095115188026

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Schon lange verfolge ich die äußerst spannenden Reihen mit Einspielungen der klassischen italienischen Musikmoderne bei den Labels Chandos und Naxos. Beide Labels haben sich ihre Meriten redlich verdient. Während bei Naxos solide gemachte Einspielungen in großer Vielfalt vorliegen, scheint sich Chandos eher die Rosinen aus dem Kuchen zu picken.

Als übergreifendes Motto könnte man ausloben: Bei Chandos regiert perfekter, polierter Schönklang ohne die Ecken und Kanten dieser Musik zu überbetonen, bei Naxos gibt es ruppig-solides Orchesterabenteuer mit ausdrücklicher Betonung der modernistisch/futuristischen Aspekte dieser Musik.

Daraus geht schon hervor, dass beide Konzeptionen nicht restlos überzeugen können. Klar, denn weder Gianandrea Noseda (mit dem in allen Gruppen vorzüglich besetzten BBC Philharmonic) wird hier Casella ganz gerecht noch das inzwischen tragischerweise liquidierte Orchestra Sinfonica di Roma unter der Leitung Francesco La Vecchias. Beide Parteien bieten keine wirklich ausgewogene, sondern eher eine tendenziöse Interpretation.

Nun muss man aber froh sein, dass es überhaupt Einspielungen dieser Musik gibt, denn bis vor wenigen Jahren waren Casellas Sinfonien das vielleicht bedauerlichste aller Desiderate am CD-Markt. Dabei sei darauf hingewiesen, dass jedenfalls bei Casellas sinfonischem Erstling eine durchaus breite Hörergruppe zu gewinnen sein müsste, denn die Musik kommt einerseits den Anhängern der Fraktionen Strauss, Mahler, Bruckner und Wagner entgegen und bietet andererseits denjenigen, die sich für den aufkeimenden Expressionismus interessieren, zahlreiche Ansatzpunkte und durchaus auch einige Überraschungen. Mich persönlich erinnern Casellas Sinfonien (und dabei vor allem die hier zu hörende Erste) immer wieder an die Gattungsbeiträge George Enescus, vor allem auch im Hinblick auf den gewaltigen Orchesterapparat, der hier zum Einsatz kommt.

Und was in dieser Musik alles drin steckt! Hier haucht der Jugendstil gerade noch seinen Lebensodem aus und wird live vor den Ohren des Publikums überrollt von der Dampfwalze der Moderne. Und auch, wenn man Zeitgeschichte und Musikgeschichte nicht ohne Weiteres verquicken soll, ist es doch auch aufschlussreich darüber nachzudenken, dass diese Musik „am Vorabend“ des Ersten Weltkriegs in den Jahren 1912-13 geschrieben wurde.

Gianandrea Noseda erreicht mit dem BBC Philharmonic einen sahnig-saftigen Schönklang, den weder die Berliner Philharmoniker besser hinbekommen hätten noch Mariss Jansons beim Concertgebouw Orkest. Das Niveau des BBC Philharmonic ist bei dieser Einspielung wahrlich bestechend. Ob es, wie gesagt, der richtige Weg ist, um der Musik Casellas wirklich nahezukommen, sei dahingestellt. Ich persönlich finde diesen Sound sehr reizvoll. Auch, weil er einem die Annäherung an diese schwierig zu rezipierenden Werke fraglos erleichtert.

Die weiteren Stücke auf diesem Album sind die wuchtige Elegia eroica Op. 29 von 1916, eine Musik mit fahl-gespenstischen Marschrhythmen und voller Anklänge an eine fatale Zeit. Dieses Werk ist mit seiner erschütternden Aura ganz atemberaubend. Etwas weniger tragend, nichtsdestotrotz schön anzuhören und in ihrer frappierenden „Wunderhorn“-Klangwelt sicherlich am nächsten am Kollegen Mahler angesiedelt, sind die Sinfonischen Fragmente aus „Le Couvent sur l’eau“, Überraschungsauftritt von Sopranistin Gillian Keith inklusive.

Kurz und gut: Dies ist eine gelungene, wichtige, mitreißende und auch sehr schöne CD mit ganz hervorragender sinfonischer Musik, die häufiger gespielt und gehört werden sollte. Aber diese Aufnahme ist ebensowenig wie die der Kollegen vom Naxos-Label als objektiv zu bezeichnen, wenn man sich exemplarisch mit Casellas sinfonischem Schaffen beschäftigen möchte. Eine Referenzaufnahme der ersten Sinfonie gibt es derzeit schlichtweg nicht am Markt, und diese Einspielung von Gianandrea Noseda ändert diesen bedauerlichen Zustand nicht wirklich.

[Grete Catus, Februar 2016]