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Der Musik die Dämonen austreiben

Gutman Records, CD191; EAN: 8 719325 404012

Um César Francks groß angelegte Violinsonate in A-Dur errichtet die niederländische Violinistin Merel Vercammen gemeinsam mit der Pianistin Dina Ivanova das Programm ihrer CD „Symbiosis“. Neben Francks Meilenstein hören wir die D-Moll-Sonate von Irene Regina Wieniawska, die ihre Werke unter dem Pseudonym Poldowski herausgab, sowie „Sprookjes: Musical Tales for Violin and Piano“ der niederländischen Komponistin Mathilde Wantenaar.

Über manche Werke herrschen Dämonen, die sich auf die Aufführungsweise auswirken. Bei diesen Dämonen handelt es sich um mechanisch oder technisch überhöhte Anforderungen, die in den Musikern bereits vor der Erschließung gewisse Angst vor den Werken schüren. Viele Musiker überspielen die Angst durch mechanische Perfektion und rasende Tempi, missbrauchen die Herausforderungen zur Selbstdarstellung und vernachlässigen im Umkehrschluss die wahre Musik, die in den Werken enthalten ist. Auf diese Weise hören wir manche Werke fast ausschließlich als rasende Technikorgien ohne tatsächlichen Inhalt und bestaunen vielleicht die raschen Finger, erleben aber nicht die Musik. Beispiele hierfür sind unter anderem Paganinis Capricen, Listzs Mephistowalzer, Prokofieffs Solokonzerte, Ravels Gaspard de la Nuit und Miroirs oder eben Francks Violinsonate.

Merel Vercammen und Dina Ivanova treiben die Dämonen aus. Sie lassen sich nicht beschränken durch die technischen Hürden oder auf Selbstdarstellung, sondern erforschen die Musik von innen heraus. Dabei halten sie den emotionalen und den analytischen Aspekt in der Waage, werden also weder von den Emotionen überwältigt, noch von der Theorie abstumpft; sie verstehen die Sonate. Die Beziehungen zwischen jedem Ton werden erspürt, wodurch sie den Hörer sogar durch die großen Flächen der Recitativo-Fantasia hindurch sicher geleiten, ohne die Spannung einbrechen zu lassen. Das berüchtigte Allegro erklingt gelassen und behält dennoch die vorwärtstreibende Energie. Selten vernimmt man das Hauptthema im Klavier so herausgemeißelt und ausgestaltet wie bei Dina Ivanova, die allgemein die einzelnen Stimmen in eine funktionierende Hierarchie stellt, so dass sich alles am rechten Platz der Wahrnehmung befindet. Der erste Satz strahlt innige Ruhe aus, während das Finale in tänzerischer Beschwingtheit glänzt und eine scherzhafte Note erhält. So ergibt sich ein beinahe narratives Element, das den Hörer vom fragend getragenen Ausgangspunkt aus über Turbulenzen und Meditationen bis hin zu einem Ziel führt, das eigentlich gerade in der Unvereinbarkeit liegt.

Die Komponistin Mathilde Wantenaar und ihre Sprookjes lernte Merel Vercammen durch einen Kompositionswettbewerb kennen, in dem sie das Werk aufführte, welches schließlich sogar den Jury- wie den Publikumspreis gewann. Die drei kurzen Stücke stehen in einem postromantischen und bildhaften Stil, der den Hörer unmittelbar anspricht und seine Fantasie anregt.

Eine großartige Repertoire-Entdeckung gelang den Musikerinnen mit der Violinsonate d-Moll von Irene Regina Wieniawska, der Tochter von Henryk Wieniawski. Da sie weder vom Namen ihres Vaters, noch von dem ihres Ehemanns profitieren wollte, publizierte sie ihre Werke unter dem Pseudonym Poldowski. Die dreisätzige Violinsonate präsentiert einen französischen Stil, der in der Tradition ihres Vaters und Francks steht, aber auch neue Elemente von unter anderem Debussy einfließen lässt und eine eigene Note offenbart, die ich bislang aber noch nicht einordnen kann. Gerade der Klavierpart ist hoch virtuos und verleiht der Musik etwas Flirrendes und zugleich Filigranes. Vercammen und Ivanova halten fest zusammen bei allen Werken der CD, bündeln ihre technischen und musikalischen Vorstellungen, wodurch sie etwas Gemeinsames erschaffen. Ivanova bleibt dynamisch eine Stufe unter Vercammen, holt aber wichtige Themen und Figuren in den Vordergrund, lässt also die Violine sich entfalten, ohne selbst dabei klanglich zu verschwinden.

Da ich weder Poldowski noch Wantenaar zuvor gehört habe, lässt sich kein Vergleich ziehen; die Aufnahme von Francks Sonate gehört in jedem Fall zu den stimmigsten und reflektiertesten, zudem stringentesten und musikalischsten, welche die letzten Jahre erschienen sind.

[Oliver Fraenzke, Juli 2019]