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Inspirierende Erfahrungen bei den „Raritäten der Klaviermusik im Schloss vor Husum“ (I)

Das diesjährige Husumer Festival „Raritäten der Klaviermusik“ bot vom 16. bis 23. 8. 2025 erneut eine hochinteressante Auswahl an hörenswerten, dabei weitgehend unbekannten Werken. Für 2025 eingeladen hatten der künstlerische Leiter, Peter Froundjian– siehe unser Interview – und die Stiftung Nordfriesland: Saskia Giorgini, Daniel Grimwood, Roland Pöntinen, Herbert Schuch, Aline Piboule, Mark Viner, Illia Ovcharenko und Chiyan Wong. Zusätzlich zur angeschlossenen diesjährigen Ausstellung – „Ronald Stevenson (1928–2015): Der schottische Franz Liszt“ – gab es, wie immer, am 17. 8. eine Matinee: Kenneth Hamilton gedachte in seinem Gesprächskonzert des 10. Todestages seines ehemaligen Lehrers. Hier der erste Teil des Berichts unseres Rezensenten Martin Blaumeiser:

Der Rezensent besuchte zum ersten Mal das Husumer Festival, und generell muss man die für derartige Klaviervorträge wirklich optimale Atmosphäre und Akustik des schönen Rittersaals samt immer glänzend eingerichtetem Steinway-D Flügel loben, besucht von einem höchst aufmerksamen, fachkundigen und dankbaren Publikum, das anscheinend keine Huster kennt.

Saskia Giorgini / © Nicolai Froundjian

Die Konzertreihe eröffnete am Samstag, 16. 8., die italienische Pianistin Saskia Giorgini, die bei Leonid Margarius, Enrico Pace und Pavel Gililov studiert und u. a. 2016 den Internationalen Mozart-Wettbewerb in Salzburg gewonnen hat. Ihre letzten beiden CDs mit Klavierwerken Franz Liszts erhielten je einen Diapason d’Or, und der erste Teil ihres Programms widmete sich ausschließlich einer Reihe von natürlich eher selten zu hörenden Werken der späten Reifezeit des Komponisten, namentlich aus den Jahren 1865 bis 1885. Noch am bekanntesten davon dürfte das 6. Stück aus den Années de pelerinage (Troisième année) sein: Wie in ihrer gesamten Darbietung glänzte Giorgini in Sunt lacrimae rerum mit einer geradezu perfekten Balance zwischen Haupt- und Nebenstimmen sowie großartigem dramaturgischen Überblick über die zumeist von tiefem Ernst, Trauer und Melancholie oder gar Selbstzweifel getragene Musik. Ebenso lobenswert erschien ihre sehr geschickte Pedalisierungskunst, gerade auch bei rezitativischen Stellen: eine vollkommene Illusion von Legato-Kantabilität. Liszt verzichtet in den hier dargebotenen Stücken trotz des erwartbar hohen technischen Anspruchs – abgesehen vom bewusst einfach gesetzten Kleinen Klavierstück As-Dur aus S.192 – komplett auf äußerliche Virtuosität, selbst bei der 3. Trauererode „Le triomphe funèbre de Tasse“ über Material aus seiner symphonischen Dichtung Tasso. Umso mehr freute man sich über klar vermittelte Emotionalität.

Der Rest von Giorginis Vortrag beschäftigte sich – Liszts 5 Ungarische Volkslieder eingeschlossen– mit kunstvollen Bearbeitungen zumeist folkloristischer Gesänge, im zweiten Teil von Amy Beach und Percy Grainger. Beachs Zyklus von vier Inuit-Gesängen, Eskimos op. 64, darf als Rarität gelten; ihre westliche Harmonisierung würde man heute wohl als „kulturelle Aneignung“ brandmarken. Giorgini spürte hierbei, wie auch im folgenden Omaha Tribal Dance (aus op. 83) jedoch ganz dem Gehalt der Melodien nach, arbeitete deren unterschiedliche Charaktere und unverstellte, schlichte Schönheit heraus. A Hermit Trush at Eve op. 92,1 mit seinem das Gefühl von Freiheit verströmendem Drosselgesang in der rechten Hand wurde zu einem der Höhepunkte des Abends. Aus der sehr detaillierten Notation Graingers – insbesondere im Lullaby (aus Tribute to Foster“) mit fein ziselierten „Glasharmonikaklängen“ als Begleitung, wo die beiden Hände teils asynchron, aber eben gleichzeitig beschleunigen und abbremsen – zauberte Giorgini ein wohliges Klangbad, vermied aber die ebenfalls vom Komponisten angestrebten extremen Dynamikunterschiede.

Geniale Volksliedbearbeitungen und intelligente Opernparaphrasen nahmen im bedeutenden Klavierwerk des Schotten Ronald Stevenson (1928–2015) einen breiten Raum ein und setzten so bis ins 21. Jahrhundert die Transkriptionskunst Liszts fort. Für die diesjährige kleine Ausstellung „Der schottische Franz Liszt“ hatte Prof. Monika Hennemann (Cardiff) u. a. von Stevensons Witwe einige ganz besondere Leihgaben erhalten, und Kenneth Hamilton trug in seiner Matinee am 17. 8. nicht nur – zweisprachig – einige recht humorvolle Anekdoten vor, sondern selbstredend typische Kostproben aus Stevensons vielschichtigem Schaffen. Hamilton demonstrierte etwa die Verwendung von Obertoneffekten in den Three Scottish Ballads und dem Heroic Song for Hugh MacDiarmid sowie eine der Referenzen Stevensons an Henry Purcell (Little Jazz Variations on Purcell’s „New Scotch Tune“). Wirklich begeistert aufgenommen wurden dann zwei pianistische Schwergewichte: Die zum 100. Todesjahr Liszts entstandene Symphonic Elegy –mit zahlreichen Allusionen auf Liszt, Chopin usw. – sowie das auf einer pentatonischen keltischen Melodie aufbauende Stück Beltan Bonfire mit vielfältigen Bezügen, darunter einer feinen Anspielung auf die Feuer-/Wasserprobe aus der Zauberflöte. Insgesamt geriet Hamiltons kräftig entschiedener Vortrag etwas zu sehr in den Forte-Bereich; und waren die Stevenson-Bearbeitungen von Novellos „We’ll Gather Lilacs“ und Richard Taubers Erfolgsschnulze „My Heart and I“ eigentlich bereits programmierte, hinreißend effektvolle Zugaben, enttäuschte der Pianist mit Busonis Bearbeitung von Chopins As-Dur-Polonaise: viel zu schnell, nervös und die Absichten Busonis fast schon bösartig entstellend – völlig unnötig.

Daniel Grimwood / © Thomas Lorenzen

Im Konzert des Briten Daniel Grimwood am Sonntagabend erklang zunächst ein recht einfältiges, ganz in der Tradition der Wiener Klassik stehendes Rondo der aus dem heutigen Bad Tölz stammenden Komponistin Josepha von Fladt (geb. Kanzler, 1778–1843), die – zusammen mit C. M. von Weber und Meyerbeer – noch beim berühmten Abbé Georg Joseph Vogler ausgebildet worden war. Dies war wohl als Einstimmung auf die folgenden Kompositionen ihres berühmtesten Schülers, Adolph Henselt (1814–1889), gedacht: Nach dessen ersten kompositorischen Gehversuchen bei Fladt führte der Weg des hochbegabten Pianisten über Studien bei Johann Nepomuk Hummel (Weimar) und Sigismund Thalberg (Wien) 1838 bis zur Position des Hofpianisten beim russischen Zaren. Henselts Klavierkonzert galt bis um 1910 als wegweisender Gattungsbeitrag. Schon bei den drei Beispielen seiner gefälligen Salonmusik überzeugte Grimwood mit einem enormen, immer zielführend eingesetzten Dynamikumfang und einer auffallend individuellen, dabei schlüssig die harmonischen Verläufe unterstützenden Agogik, noch mehr bei Henselts Deux Romances, zwei in jeder Hinsicht fein gearbeiteten Transkriptionen von Liedern des damals in Russland beliebten Grafen Michail Wielhorsky.

Nach dem kurzen Dreaming op. 15,3 von Amy Beach dann eine echte Entdeckung: die noch völlig unbekannte Klaviermusik von Carl Baermann junior (1839–1913), einem Sohn des gleichnamigen berühmten Münchner Klarinettisten, dem u. a. Mendelssohn Konzertstücke für Klarinette & Bassetthorn gewidmet hatte. Carl jr. wirkte erfolgreich im Liszt-Umfeld und ging 1881 nach Boston, war dort etwa ein Lehrer von Amy Beach. Grimwoods Darbietung von fünf seiner 12 Etüden op. 4 (1877) – musikalisch hochwertig und technisch auf einem Niveau zwischen Chopin und Rachmaninow angesiedelt – hinterließ bereits größeres Erstaunen. Die späte, auch formal recht komplexe Polonaise pathétique (1913) erwies sich gar als, freilich rückwärtsgewandtes, Meisterwerk; mit geschicktem, anspruchsvollem Klaviersatz und dramatischer Emotionalität, deren weitgespannten Entwicklungsprozess der Brite mit großer Übersicht absolut faszinierend nachzeichnete.

Vom Dirigenten und Pianisten Eduard Schütt (1856–1933) kennt man allenfalls einige Paraphrasen von Walzern Johann Strauß‘. Im dreisätzigen, empfindungsreichen Au bal op. 75 (ca. 1905) begegnet der Komponist der gesellschaftlichen Institution des Tanzsaals schon fast wie einem Relikt einer untergehenden Epoche. Charles-Marie Widor (1844–1937) beschränkte sich keineswegs nur auf Orgelwerke, sondern schrieb Musik aller Gattungen. Sein Carnaval op. 61 ist ein umfangreicher (65 Partiturseiten!) 12-teiliger Klavierzyklus von Charakterstücken, thematisch jedoch nicht so geschlossen wie Schumanns gleichnamiges Opus. So könnte man aus diesem Werk fraglos Nummern einzeln aufführen. Technisch schwierig, auch weil pianistisch ungeschickter als etwa Liszt oder gar Godowsky, sind die mittleren Sätze 4-10 quasi in Tanzformen gegossene Nationalporträts, leider eher stereotyp und allesamt zu lang geraten; Grimwood erlaubte sich hier zwei, drei kleine Kürzungen. Bei den äußeren Stücken – von eigenwilligem, bisweilen bizarrem Charme, zudem klanglich beeindruckend – gelang dem Pianisten, den Funken aufrichtig überspringen zu lassen: mehr als nur anerkennender Applaus für einen wahren Kraftakt. Obwohl Liszts Transkription von Isoldes Liebestod in seiner orchestralen Wirkung nach wie vor stärker sein mag, gelang es Grimwood mit seiner Zugabe der Wagner-Bearbeitung von Moritz Moszkowski, deren Qualitäten – sie ist pianistisch deutlich virtuoser und strukturell enorm klar – optimal herauszuarbeiten: ein bemerkenswerter Abend.

(Zur Fortsetzung siehe hier!)

[Martin Blaumeiser, 19. August 2025]

Romantische Musik für Violoncello und Gitarre

Ars Produktion, ARS 38 620, EAN: 4 260052 386200

Unter dem Titel „Amoroso“ präsentieren Nicole Peña Comas (Cello) und Damien Lancelle (Gitarre) ein einstündiges Programm von 18 Arrangements für Cello und Gitarre. Dabei handelt es sich um eine bunte Mischung von Genrestücken und Liedbearbeitungen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Wenn die aus der Dominikanischen Republik stammende, mittlerweile in Wien lebende Cellistin Nicole Peña Comas auf ihrem neuen Album romantische Musik für Violoncello und Gitarre vorstellt, dann ist dies insbesondere aus zwei Gründen ausgesprochen reizvoll. Zum einen erweist sich die erst einmal eher randständige Kombination von Violoncello und Gitarre als sehr apart; die beiden Instrumente ergänzen sich vorzüglich zu einem ebenso warmen wie intimen, im besten Sinne hausmusikartigen Klangbild. Die Bandbreite ist hier wesentlich größer als man annehmen könnte, so haben etwa Marek Jerie und Konrad Ragossnig bereits vor Jahren ein Werk wie Schuberts Arpeggione-Sonate exquisit in dieser Besetzung dargeboten. Zum anderen ist die Wahl des Repertoires aus cellistischer Sicht erfreulich, weil hier u.a. eine Reihe von Piècen des Cellisten August Nölck (1862–1928) vorgestellt werden, der manchem Celloschüler ein Begriff sein dürfte, dessen Werk aber diskographisch eher spärlich erschlossen ist. Die Gitarre spielt Peña Comas’ Ehemann Damien Lancelle, aus dessen Feder auch die Bearbeitungen stammen.

Nölcks Amoroso, eine Valse lente, mit der die CD beginnt und nach der sie auch benannt ist, repräsentiert exemplarisch die beiden Schwerpunkte des Programms (und bildet insofern einen ungemein passenden Anfang). Im Vordergrund steht der Themenkreis Liebe, etwa in Form von Liebesliedern oder Liebesgrüßen, aber auch im weiteren Sinne wie in Berceusen, Serenaden, „sentimentalen“ oder „(ap-)passionierten“ Stücken. Dies umfasst Klassiker wie Elgars Salut d’amour, Kreislers Liebesleid, zwei Liedbearbeitungen aus Schumanns Myrthen, Tschaikowskis Valse sentimentale und sogar ein Arrangement von Liszts drittem Liebestraum. Mit zwei sehr hübschen Arrangements von Liedern von Satie und Poulenc ist auch Frankreich in der Sammlung enthalten, mit Amy Beachs Berceuse op. 40 Nr. 2 zudem eine kleine Seltenheit aus Amerika.

Der zweite Schwerpunkt des Programms liegt wie erwähnt auf selten gespielter Musik von Cellisten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, und so kann die CD auch als eine kleine Nölck-Hommage betrachtet werden. Vorgestellt werden insgesamt sechs seiner Stücke, im Original allesamt für Violoncello und Klavier komponiert, hübsche, gefällige, unmittelbar ins Ohr gehende kleine Piècen, die gerne mit nationalem Kolorit arbeiten, siehe etwa die Spanische Serenade (wobei auch das Ständchen einen spanischen Einschlag aufweist), die Mazurka und natürlich die die CD beschließende Ungarische Czárdas-Fantasie, das mit etwa sieben Minuten umfangreichste und virtuoseste Werk dieser Zusammenstellung. Daneben haben auch zwei Stücke des Cellisten Georg Goltermann (1824–1898, sein Cellokonzert Nr. 4 ist beliebte Unterrichtsliteratur) Eingang in das Programm gefunden. Irgendwo zwischen den beiden Polen der CD darf man schließlich Saint-Saëns’ ebenso beliebtes wie effektvolles Allegro appassionato ansiedeln.

Die Bearbeitungen sind insgesamt gekonnt gearbeitet und klanglich gut auf die Kombination beider Instrumente abgestimmt. Neben der Transkription des Klavierparts auf die Gitarre beweisen die Arrangements auch Sinn für allerhand reizvolle Details wie etwa die sanften Cello-Pizzicati am Ende der Widmung aus Schumanns Myrthen, die dem Schluss eine leicht weihevolle Aura verleihen, oder die effektvoll-dramatischen Akzente, die in der Czárdas-Fantasie wohl durch Einsatz von Rasgueado erzeugt werden. Das auf den ersten Blick womöglich ungewöhnlichste Arrangement dürfte wohl dasjenige von Liszts Liebestraum Nr. 3 sein, ist diese Musik doch erst einmal deutlich vom Klavier her gedacht. Für Cello und Gitarre bearbeitet verwandelt sich das Stück in eine Art langsamen Walzer in D-Dur, der sich gut in den Kontext dieser CD fügt.

Peña Comas spielt ihren Part mit warmem, rundem, gesanglichem Ton, schön etwa gleich das einleitende Amoroso oder die Bearbeitungen der Lieder von Schumann, Satie und Poulenc, um nur einige Beispiele zu nennen. Die romantische Seite dieser Musik kostet sie voll aus, auch zum Beispiel in Form von bewusst eingesetzten Glissandi (vgl. etwa Goltermanns Capriccio). Lancelle begleitet sie ausgesprochen einfühlsam, und so ergibt sich oftmals ein sehr schönes Dialogisieren der beiden Instrumente. Das Begleitheft der CD liefert neben einem kurzen Geleitwort die Biographien der beiden Künstler. Der Korrektheit halber sei erwähnt, dass Nölcks Mazurka genau genommen sein op. 120 Nr. 5 ist; auch dies also Teil einer Kollektion von kleineren Vortragsstücken. Der Klang der CD entspricht dem sehr guten Standard moderner Produktionen.

Insgesamt ein sehr hübsches, kammermusikalisch-intimes Programm, von dem man sich gut unterhalten fühlen darf.

[Holger Sambale, Januar 2023]